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Graue Zukunft für Luna 8
Ich war noch etwas verwirrt, jedoch wurde mir bereits gegenwärtig, welch wundervolle Aussicht sich durch die verglaste Luke meines stählernen Sarges bot. Hundert Jahre Tiefschlaf zeigten aber noch ihre unangenehmen Nachwirkungungen. Erst allmählich kehrte das Leben wieder in meine Glieder zurück. Schon Stunden (oder waren es Tage?) vorher konnte ich meine Augen öffnen und mein Geist war, getrübt durch einige traumähnliche Einsprengsel, langsam in der Lage die Situation zu ordnen. Es fühlte sich geradezu an wie nach einer wild durchzechten Nacht. (Die ersten Momente bist du nicht sicher, ob es sich noch um die Ausläufer eines ungeordneten, absurden Traumes handelt. Erst die Schmerzen, die sich von den Haarspitzen bis zu den Zehen für die stimmungsvolle Vergiftung bedanken, beseitigen jeden Zweifel.) Was sich jetzt in meinen Eingeweiden und Extremitäten abspielte, hielt mit jeder dieser Nächte und darauf folgenden Morgen spielend mit.
Für all diese Strapazen entschädigte mich aber der Ausblick auf Luna 8. Wir mußten schon sehr nahe an meine neue Heimat gekommen sein, als sich der automatische Mechanismus, der meine Lebensfunktionen wieder auf Normalzustand bringen sollte, aktivierte. Der blaue Mond, wie er in den Büchern genannt wird, wurde immer größer und unser Schiff schwenkte in die Umlaufbahn ein.
Mit dem Gefühl in meinem Körper kehrten auch seine natürlichen Bedürfnisse zurück. Und ich nahm mir vor, sofort, nachdem ich mich etwas frisch gemacht hätte, nach den anderen zu sehen und in erster Linie nach unserem Koch. Mit wehleidiger Angestrengtheit schleppte ich mich in die Ecke meiner Kabine, wo ein Kleiner Wasserhahn gekoppelt mit einem billigem Ultraschallzerstäuber die notwendigsten hygienischen Bedürfnisse befriedigen sollte. Der Anblick im Spiegel war so grauenhaft wie er uns vor der Abreise beschrieben wurde. Die künstliche Flüssigkeit, die unser Blut während unseres Kälteschlafes ersetzte, klebte noch in etlichen Rückständen in jeder meiner Adern und gab meinem Antlitz den spröden Scharm einer mit grünen Wurzeln überzogenen grauen Wand. Aber das wird sich in den nächsten Tagen wieder legen.
Bevor ich mich auf den Weg zu den oberen Decks machte, genoss ich nochmals den Blick auf Luna 8. Wir waren achtundvierzig Siedler, die sich für diese Reise zusammentaten. Ein jeder brachte bestimmte Fähigkeiten mit ins Gepäck, die uns bei der Besiedlung des Mondes helfen solten. Ich war ausgebildeter Krankenpfleger. Die Aussicht auf dieses Abenteuer und dem täglichen Trott meines alten Arbeitsplatztes in einem Seniorenheim auf der Marskolonie Delta II zu entkommen ließen mich keine Sekunde zögern diesem Unternehmen beizutreten.
Wir wußten von unseren Sonden, daß dieser Himmelkörper die idealen Voraussetzungen für eine Besiedlung bot. Die Zusammensetzung der Atmosphäre entsprach etwa jener unserer Erde. Die Temperaturen lagen im Durchschnitt bei 20°C. Der Mond besaß bereits eine Biostruktur, vergleichbar mit der Flora unseres Heimatplaneten. Tierische Zellen konnten von unsren Sonden nicht festgestellt werden. Das heißt, ich bekomme heute vielleicht mein letztes Schnitzel, bevor ich zum Veganer werde.
Als ich die Tür öffnete hörte ich schon entfernte Stimmen. Ich war also nicht der erste, der auf den Beinen war. Mit Herzklopfen und aufgeregtem Schritt durchquerte ich den Korridor und ging auf die Treppe zu, die zum Gemeinschaftsdeck in der oberen Etage führte. Ich freute mich meine Mitreisenden zu treffen und hoffte, daß keiner ernsthaft Schaden davontragen mußte.
Auf der letzten Stufe angekommen trennte mich nur mehr eine Tür vom Wiedersehen und es schien, als wäre ganz schön was los im Gemeinschaftsdeck. Laute Schachrufe, heißeres Lachen und wilde Diskussionen drangen an mein Ohr. Ich war wohl der letzte, der den Tiefschlaf hinter sich gelassen hat.
Als ich die Tür öffnete wurde mir dies gewiss. Der Raum war voll, jeder Tisch besetzt. Allerdings, wer waren diese Leute? Mir bot sich ein Bild, wie in einem Vereinslokal der grauen Panther. Wohl kaum jemand war jünger als siebzig und für manche wäre dieses Alter noch ein großes Kompliment. Aus allen Ecken drang heißeres Husten. Plötzlich drehte sich einer zu mir und schrie ganz aufgeregt: „ Er ist wach! Leute, er ist wach.“ Eine Unruhe ging durch den Raum, Stühle quietschten. Die meisten versuchten, so gut ihre Füße sie trugen, zu mir zu rennen. „Er ist endlich wach und er ist gesund.“, hörte ich noch von links, als sich vor mir ein etwas rustikaler älterer Herr breit machte, der unsrem Einsatzleiter Mr. Fischer bei unserem Abflug doch sehr ähnlich sah, wäre er etwa vierzig Jahre jünger. Und er erzählte mir, was ich schon langsam zu ahnen begonnen hatte. „Wie froh ich bin, daß es ihnen gut geht. Sie sehen ja was hier los ist. Die ganze Mission hat sich leider ganz anders entwickelt als erwartet. Aber setzen sie sich doch“ Er bot mir einen Stuhl am nächsten Tisch an und setzte sich mir gegenüber. „Sie wirken sichtlich verwirrt. Aber lassen sie mich erklären. Durch eine Fehlfunktion in einer Tiefschlafkoje vor nun fast genau 48 Jahren wurde der Aufwachmechanismus bei einem unserer Mitreisenden aktiviert. Dieser Pechvogel begann in seiner Verzweiflung und in einem Wahn, den wohl nur monatelange Einsamkeit in den Weiten des Alls hervorrufen kann, alle weiteren Kojen händisch zu aktivieren. Und als die ersten sich bewegen konnten und sich der Situation bewuß wurden, waren es nur mehr sie, der sich noch ahnungslos im Tiefschlafmodus befand, bevor wir den Kerl überwältigen konnten. Glauben sie mir, daß fünfzig Jahre eine Ewigkeit sein können. Unsre Vorräte waren nicht das Problem, davon haben wir genug, auch noch für weitere zehn Jahre. Aber fünfzig Jahre mit denselben Leuten auf engstem Raum, die Hölle. Aber jetzt sind wir ja endlich angekommen und werden versuchen das beste daraus zu machen. Ach, was uns schon lange beschäftigt hat. Was sind sie von Beruf ?“
„Altenpfleger“, entgegnete ich.
Er lachte. „Also sozusagen unser wichtigstes Mitglied.“ Und allgemeine Heiterkeit folgte darauf, während meine Gesichtsfarbe ein schönes, mattes weiß annahm.