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Grau
Wir waren im Urlaub, als meine Frau mir mitteilte, dass sie mich verlassen würde. Bis zu diesem Moment hatte ich jedenfalls gedacht, unsere Fahrt in ein mittelgroßes bayerisches Städtchen wäre zu dem Zweck unternommen worden, den man gemeinhin als Urlaub bezeichnet. Falsch gedacht.
Sie hatte wohl eines Abends den Vorschlag gemacht. Lass uns mal ein paar Tage in den Süden fahren. Vermutlich nicht. Andere kinderlose Paare Anfang vierzig gönnen sich auch schonmal ein paar schöne Tage in einer deutschen Weinregion, habe ich gehört. Eher so.
Und drei Wochen später saßen wir in einem Restaurant und warteten aufs Essen. Meine Frau nippte wahrscheinlich tatsächlich an einer Weißweinschorle. Vor mir erhob sich drohend ein Weizenglas. Insofern durchaus ehepaarliches Klischee. Nach einem überaus heißen Julitag und unserem etwas ziellosen Spaziergang durch die außerhalb der Stadt liegenden Felder hatte ich mir meinen unvermeidlichen Sonnenbrand zugezogen. Inzwischen spähte die Sonne aber nur noch zu einem letzten Gruß über die Dächer und die Temperaturen waren deutlich angenehmer. Um uns herum also fantastischer Sommerabend. Wir am rustikalen Holztisch, für zwei Personen viel zu groß, direkt an weit geöffneten, bodentiefen Schiebefenstern. Blick auf kopfsteingepflasterten Marktplatz mit historischem Brunnen und allem. Außerdem Vorbereitungen für ein Konzert, das heißt ab und zu Schlagzeug, dazwischen Check. Einss, zwo, ja! Ja! Check! Ausgelassen herumrennende Kinder in kurzen Hosen und Sommerkleidern. Und überall Menschen in losen Grüppchen, entspannte Unterhaltungen und so weiter. Mir fielen die tadellos gefüllten Einkaufskörbe ins Auge, wahlweise geflochtene Weide oder Reisenthel. Obst und Gemüse vom Markt, Möhrengrün, Wein. Nirgends Tiefkühlpommes. Realität gewordene Variante einer besseren Welt. Nachdem sie uns höflich gefragt hatten, setzten sich zwei Damen um die fünfzig ans andere Ende unseres Tisches und plauderten zwanglos miteinander. Mir kam womöglich der Gedanke, meiner Frau den Vorschlag zu machen, hierherzuziehen.
Bevor meine Frau mir ihre Pläne unsere Zukunft betreffend auseinandersetzte, wechselten wir allerdings nur ein paar belanglose Sätze. Ist doch ganz schön hier. Und, wie ist der Wein? Ich glaube, ich nehme heute mal einen Salat. So in der Art. Keine Grundsatzdiskussionen. Ich saß auf der Bank an der Wandseite und hatte erwartet, dass meine Frau neben mir Platz nehmen würde, aber sie entschied sich für den Stuhl gegenüber. Und dann muss sie irgendwann angefangen haben, mit dem Gespräch, welches das Ende unserer Ehe markiert. Ich würde sagen, es war das ausgesprochene Ergebnis einer Entwicklung und nicht etwa der Auslöser. Das Erstaunliche ist, während mir vermeintlich belanglose Details jenes Abends ins Gedächtnis eingebrannt sind, liegen die Einzelheiten der Unterhaltung mit meiner Frau, beziehungsweise Ex-Frau, im Dunkeln. Wie auf einem Negativbild. Das genaue Gegenteil von dem, was man erwarten würde. Ich befürchte sogar, meine unbedeutenden Erinnerungen sind nicht mehr als missverständliche und irreführende Trugbilder in einem allumfassenden Nebel. Was war ihr erster Satz, mit dem sie das Thema eröffnete? Wie habe ich reagiert? Haben wir noch gemeinsam gegessen? Keine Ahnung.
Unterm Strich war es nicht mehr als: sie hatte da jemanden getroffen. Man kennt das, es gibt keine Heilung für die Liebe, oder so ähnlich. Immerhin bemerkenswert, er lebte in ebendiesem Städtchen, sie wollte zu ihm ziehen. Das heißt, ich würde mich in unser, oder vielmehr nicht mehr unser Auto setzen und allein zurück nach Hause fahren. Ich nehme nicht an, dass sie „nach Hause“ sagte. Gegen Ende erzählte sie von Degas, Absinth im Café, Teilnahmslosigkeit, sie zwischen den Tischen und so Sachen. Das kam vor, dass sie mich mit Gemälden verglich.
Es war keine Befreiung, aber zumindest der Anfang eines neuen Kapitels und das fühlte sich irgendwie magisch an. Allein im Auto pfiff ich jedenfalls so lang vor mich hin, bis meine Lippen ganz trocken waren. Ich stellte mir einen einzelnen Raum vor, vielleicht eine Einzimmerwohnung, einen Schrebergarten, oder sowas in der Art. Ich würde Makrelenfilets aus der Dose essen, einfach noch zufrieden ein wenig meine Welt durchschreiten und morgens ein paar dankbare Stunden an der Schreibmaschine. Nicht wirklich an der Schreibmaschine natürlich, aber Sie wissen, was ich meine.