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Grau

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20.06.2019
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Grau

Wir waren im Urlaub, als meine Frau mir mitteilte, dass sie mich verlassen würde. Bis zu diesem Moment hatte ich jedenfalls gedacht, unsere Fahrt in ein mittelgroßes bayerisches Städtchen wäre zu dem Zweck unternommen worden, den man gemeinhin als Urlaub bezeichnet. Falsch gedacht.
Sie hatte wohl eines Abends den Vorschlag gemacht. Lass uns mal ein paar Tage in den Süden fahren. Vermutlich nicht. Andere kinderlose Paare Anfang vierzig gönnen sich auch schonmal ein paar schöne Tage in einer deutschen Weinregion, habe ich gehört. Eher so.
Und drei Wochen später saßen wir in einem Restaurant und warteten aufs Essen. Meine Frau nippte wahrscheinlich tatsächlich an einer Weißweinschorle. Vor mir erhob sich drohend ein Weizenglas. Insofern durchaus ehepaarliches Klischee. Nach einem überaus heißen Julitag und unserem etwas ziellosen Spaziergang durch die außerhalb der Stadt liegenden Felder hatte ich mir meinen unvermeidlichen Sonnenbrand zugezogen. Inzwischen spähte die Sonne aber nur noch zu einem letzten Gruß über die Dächer und die Temperaturen waren deutlich angenehmer. Um uns herum also fantastischer Sommerabend. Wir am rustikalen Holztisch, für zwei Personen viel zu groß, direkt an weit geöffneten, bodentiefen Schiebefenstern. Blick auf kopfsteingepflasterten Marktplatz mit historischem Brunnen und allem. Außerdem Vorbereitungen für ein Konzert, das heißt ab und zu Schlagzeug, dazwischen Check. Einss, zwo, ja! Ja! Check! Ausgelassen herumrennende Kinder in kurzen Hosen und Sommerkleidern. Und überall Menschen in losen Grüppchen, entspannte Unterhaltungen und so weiter. Mir fielen die tadellos gefüllten Einkaufskörbe ins Auge, wahlweise geflochtene Weide oder Reisenthel. Obst und Gemüse vom Markt, Möhrengrün, Wein. Nirgends Tiefkühlpommes. Realität gewordene Variante einer besseren Welt. Nachdem sie uns höflich gefragt hatten, setzten sich zwei Damen um die fünfzig ans andere Ende unseres Tisches und plauderten zwanglos miteinander. Mir kam womöglich der Gedanke, meiner Frau den Vorschlag zu machen, hierherzuziehen.

Bevor meine Frau mir ihre Pläne unsere Zukunft betreffend auseinandersetzte, wechselten wir allerdings nur ein paar belanglose Sätze. Ist doch ganz schön hier. Und, wie ist der Wein? Ich glaube, ich nehme heute mal einen Salat. So in der Art. Keine Grundsatzdiskussionen. Ich saß auf der Bank an der Wandseite und hatte erwartet, dass meine Frau neben mir Platz nehmen würde, aber sie entschied sich für den Stuhl gegenüber. Und dann muss sie irgendwann angefangen haben, mit dem Gespräch, welches das Ende unserer Ehe markiert. Ich würde sagen, es war das ausgesprochene Ergebnis einer Entwicklung und nicht etwa der Auslöser. Das Erstaunliche ist, während mir vermeintlich belanglose Details jenes Abends ins Gedächtnis eingebrannt sind, liegen die Einzelheiten der Unterhaltung mit meiner Frau, beziehungsweise Ex-Frau, im Dunkeln. Wie auf einem Negativbild. Das genaue Gegenteil von dem, was man erwarten würde. Ich befürchte sogar, meine unbedeutenden Erinnerungen sind nicht mehr als missverständliche und irreführende Trugbilder in einem allumfassenden Nebel. Was war ihr erster Satz, mit dem sie das Thema eröffnete? Wie habe ich reagiert? Haben wir noch gemeinsam gegessen? Keine Ahnung.
Unterm Strich war es nicht mehr als: sie hatte da jemanden getroffen. Man kennt das, es gibt keine Heilung für die Liebe, oder so ähnlich. Immerhin bemerkenswert, er lebte in ebendiesem Städtchen, sie wollte zu ihm ziehen. Das heißt, ich würde mich in unser, oder vielmehr nicht mehr unser Auto setzen und allein zurück nach Hause fahren. Ich nehme nicht an, dass sie „nach Hause“ sagte. Gegen Ende erzählte sie von Degas, Absinth im Café, Teilnahmslosigkeit, sie zwischen den Tischen und so Sachen. Das kam vor, dass sie mich mit Gemälden verglich.

Es war keine Befreiung, aber zumindest der Anfang eines neuen Kapitels und das fühlte sich irgendwie magisch an. Allein im Auto pfiff ich jedenfalls so lang vor mich hin, bis meine Lippen ganz trocken waren. Ich stellte mir einen einzelnen Raum vor, vielleicht eine Einzimmerwohnung, einen Schrebergarten, oder sowas in der Art. Ich würde Makrelenfilets aus der Dose essen, einfach noch zufrieden ein wenig meine Welt durchschreiten und morgens ein paar dankbare Stunden an der Schreibmaschine. Nicht wirklich an der Schreibmaschine natürlich, aber Sie wissen, was ich meine.

 
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Hola @sodrecas,

Dein letzter Satz bringt es auf den Punkt:

... einen Schrebergarten, oder sowas in der Art. Ich würde Makrelenfilets aus der Dose essen, einfach noch zufrieden ein wenig meine Welt durchschreiten und morgens ein paar dankbare Stunden an der Schreibmaschine. Nicht wirklich an der Schreibmaschine natürlich, aber Sie wissen, was ich meine.
Einen banaleren Text habe ich selten gelesen. Doch hätte ich Dir das nicht gesagt, wenn Du nicht schon ein ansprechendes Debüt (‚Weiß’) eingestellt hättest.
Dein aktueller Text hat ‚Grau’ ausgereizt bis zum Gehtnichtmehr, grauer kann es nicht werden. Nur ver’graut’ mich das als Leser. Warum sollte ich all diese Belanglosigkeiten lesen – warum?
Um Tristesse, Dummheit und alles, was damit zusammenhängt zu beschreiben, müsstest Du ein wesentlich feineres Kaliber wählen, weil der Leser Qualität erwartet – also diffizile Beschreibungen, feine Andeutungen, genaue Beobachtungen etc.
Einen tatsächlich grauen Text zu lesen, ist kein Vergnügen. Ist mir auch unverständlich, denn Du hattest so gut angefangen.

Aber vielleicht liegt’s nur an der Hitze :(?
José

 

Huhu @josefelipe und vielen Dank für Dein, ich sage mal ernüchterndes feedback. Aber deswegen habe ich mich ja hier angemeldet und hilfreicher als gar kein Kommentar, oder "super Text, weiter so" wird es sicher auch sein.
Nichtsdestotrotz (wie hässliche dieses Wort aussieht, wenn man es erst einmal hingestolpert hat:) kann ich jetzt nicht mehr sagen, als dass ich versuchen werde, die Kritik zu verstehen und Lehren daraus zu ziehen.
Ich glaube, das wird hier nicht so gern gesehen, aber am vorliegenden Text werde ich da zunächst wohl nichts großartig ändern - zudem empfinde ich Deine Kritik (und auch die zu meinem ersten Text) eher als umfassend und auf grundlegende Probleme hinweisend, als dass Sätze/Absätze ändern helfen würde. Und mit Erklärungen anfangen, wie was gemeint war und wo die supertollen Anspielungen versteckt sind, ist ja auch nicht das Wahre - da muss ich mir dann eingestehen, dass es im Text einfach nicht gut genug herausgearbeitet ist.
Also nochmals Danke für Deinen Kommentar und ja, die Hitze ist auch nicht gerade hilfreich.

 

Hallo @sodrecas,
ich war nicht sehr angetan, von dieser kleinen Episode um ein großes Drama. Es ist gar nicht so einfach, die genauen Gründe herauszuarbeiten, NICHTSDESTOTROTZ will ich den Versuch wagen.
Ich verstehe die Grundidee des Textes so, dass der Ich-Mann ganz schön einen mitgekriegt hat, als seine Madam ihn, für ihn überraschend, abserviert hat. Die gemeinsame Ausfahrt in den Heimatort des Kontrahenten: eine ganz perfide Weise, den Protagonisten zu zerstören. Die Evolution hat für solche Fälle einen tollen Mechanismus entwickelt; Trauma+Verdrängung. Offensichtlich hat es den Ärmsten so verstört, dass sein vegetatives Nervensystem sich von der Realität entkoppelt hat und er sich nicht mehr an ihren Abschieds-Monolog erinnert, sowie bei diversen Einzelheiten nicht mehr sicher sagen kann, was abgelaufen war. Um nicht zu leiden, dreht er sich das Geschehen in eine positive Richtung, das heißt: er versucht es, aber es wird deutlich, dass es nicht gut funktioniert. In dem Zusammenhang sehr guter Satz:

Allein im Auto pfiff ich jedenfalls so lang vor mich hin, bis meine Lippen ganz trocken waren.
Hier sehe ich ein Bild vor mir, wie jemand versucht zu lächeln und das Lächeln sich unmerklich zu einer Grimasse des Schmerzes verzieht.
(Letzte Szene von "Old Boy" - Cineasten werden sich erinnern)
Ich habe einige Stellen im Text gefunden, die darauf hinarbeiten, diesen Widerspruch durchschimmern zu lassen. Auf jeden Fall ein besserer Ansatz, als den Protagonisten die ganze Zeit heulen zu lassen.
Leider, leider, leider muss ich sagen, dass ich zwar ahne, was Du erreichen willst, aber Nichtsdestotrotz funktioniert es nur Stellen-weise bei mir. Ich glaube, das Hauptproblem ist, dass die Darstellung der Situation, als emotionaler Stress, der von dem Prota in seiner Entstehung bereits unterdrückt wird, letztendlich (auch so ein Wortmonster) dazu führt, dass der ganze Text etwas banal und spannungsfrei vor sich hinplätschert.
Ich sehe auch keine einzelnen Reparaturstellen. Ich befürchte, das ganze Konzept geht so nicht auf. Das erinnert mich, obwohl ein anderes Thema, an den einen oder anderen Künstler, der einen langweiligen Protagonisten präsentieren will, der ein langweiliges Leben lebt. Tja, das ist dann zumeist auch langweilig zu lesen. Und so willst Du, die Emotionslosigkeit (ob nun echt oder gespielt) Deines Helden darstellen, aber der Schmerz bleibt zu sehr im Verborgenen. Ich kann ihn zwar zwischen den Zeilen herauslesen, aber das reicht nicht aus, um beim Lesen der Geschichte mitgerissen zu werden.
Okay, das war jetzt etwas konfus. Nichtsdestotrotz hoffe ich, dass ich Dir meinen Eindruck verdeutlichen konnte.

Schönen Gruß!
Kellerkind
Und lass mal was von Dir hören!

 

Realistische Geschichten (als literarische Strömung, nicht im Unterschied zu fantastisch oder Ähnlichem) dürfen gerne etwas langweilig sein. Die Romane von Balzac triefen vor Langeweile und das ist gewollt. Ich finde echte Langweile in den Leser zu übermitteln als Idee gar nicht mal schlecht. Effi Briest ist da doch ein wunderbares Beispiel. Der Roman ist furchtbar öde, weil das Leben der Protagonistin eben furchtbar öde ist. Ich finde die Geschichte durchaus gelungen

 

Ich möchte auch gerne einen kleinen Gegenakzent setzen. Ich habe deine Geschichte gerne gelesen. Und: Ich habe sie nicht als langweilig empfunden. Gar nicht.
Es ist drollig wie diametral entgegengesetzt Eindrücke sein können. Der letzte Abschnitt, der dir @josefelipe so gar nicht gefällt, der schnürt mir die Kehle zu. So sehr zwiespältig ist das alles. So bemüht ist der Protagonist, aus dem Verlassenwerden eine Chance zu machen. So bemüht, dass man ihm schon fast glauben will, dass es gar nicht so schlimm ist, mal eben en passant ausgemustert zu werden. Wären da nicht die trockenen Lippen und die Ansprache an den Leser.
Du hast in meinen Augen eine Art, einen Charakter zu beschreiben, das zieht mich in den Bann. Und dann dazu dieser beiläufige, plaudernde Tonfall aus der Sicht des betroffenen Mannes, der die Katastrophe nicht zur Kenntnis nehmen will, der so tut, als sei eigentlich gar nichts passiert. Mir gefällt das sehr.
Ich verstehe schon, was die anderen Kommentatoren bemängeln, sie geißeln die Banalitäten, die Belanglosigkeiten. Und ja, der Text hätte nicht länger sein dürfen, aber du hast ihn ja kurz gehalten und ihn so aufgebaut, dass hinter deinen Beschreibungen sehr viel Traurigkeit und Nichtverstehen durchschimmern.

Ich habe zur Zeit wenig Zeit und Muße, mich ausführlich mit Texten zu beschäftigen, deshalb zur Zeit leider nicht mehr. Aber einen kurzes Feedback wollte ich dir hiermit schon dalassen.

Und nun noch ein paar Worte aus Moderatorensicht:

Nichtsdestotrotz (...) kann ich jetzt nicht mehr sagen, als dass ich versuchen werde, die Kritik zu verstehen und Lehren daraus zu ziehen.
Ich glaube, das wird hier nicht so gern gesehen, aber am vorliegenden Text werde ich da zunächst wohl nichts großartig ändern - zudem empfinde ich Deine Kritik (und auch die zu meinem ersten Text) eher als umfassend und auf grundlegende Probleme hinweisend, als dass Sätze/Absätze ändern helfen würde.
Dein Eindruck ist falsch, es wird hier weder gerne gesehen, dass Leute ihre Texte ändern, noch wird es ungerne gesehen. Änderungen und Überarbeitungen muss jeder FÜR SICH SELBST entscheiden.
Es ist schön, wenn sich User mit den Kommentaren und der Kritik, egal wie streng sie ist, auseinandersetzen. Aber das heißt nicht automatisch, dass man etwas ändern muss. Inhaltliche Textänderungen kann und sollte man nur vornehmen, wenn man etwas ausprobieren will, um seine Geschichte zu verbesser oder weil eine eine Kritik zur Intention der Geschichte passt und sie einem einleuchtet.

Das einzige, was man wirklich ändern sollte, wenn es einem nicht eh schon gelungen ist, das ist im Sinne der Leserfreundlichkeit eine vernünftige Formatierung und weitgehendes Bemühen um eine richtige Schreibung. Und da bist du ja aus dem Schneider. :)

Viele Grüße von Novak

 

Da hat sich ja richtig was angesammelt – vielen, vielen Dank @Kellerkind, @Aerath und @Novak, dass Ihr Euch die Zeit genommen habt!
Da Eure Interpretationen alle in die gleiche Richtung gehen, würde ich doch gerne etwas zu meiner Intention schreiben. Es bringt ja auch nichts, wenn man sich über Texte austauschen will, da ein Geheimnis draus zu machen.

Der Text ist vom Grundthema her sehr eng mit meinem ersten verbunden und sollte (ein ganz kleines bisschen jedenfalls) auch die Kommentare zu diesem berücksichtigen. Also zum Beispiel nicht gar so abstoßend und weinerlich sein.
Der Protagonist ist aber mehr oder weniger derselbe, vielleicht in einem fast identischen Paralleluniversum und soll, ehrlich gesagt, ein egoistischer, kranker Irrer sein. Die Idee war, dass ihm die Trennung wirklich komplett egal ist, ebenso wie seine Frau, wahrscheinlich andere Menschen im Allgemeinen. Er möchte wirklich einfach nur allein im Auto sitzen, beziehungsweise in einem kargen Raum und Schreiben.
Er sitzt mit seiner Frau im Restaurant und hat nur Augen für alles, was nicht seine Frau ist und eigentlich ist er auch an diesen Dingen nicht interessiert. „Innerlich unbeteiligt“ um Herrndorf zu zitieren. Ob seine „Begeisterung“ (er hat immerhin die Idee an diesen Ort zu ziehen) echt oder ironisch ist, ist eigentlich egal, denn das Wichtigste: er sagt es nicht. Er redet überhaupt nicht mit seiner Frau, oder jedenfalls so selten, dass sie ihn häufig mit Gemälden vergleicht. Seine Passivität gegenüber allem, was nicht er selbst ist, wollte ich anhand dieses Verhaltens in seiner Partnerschaft darstellen.
Meiner Meinung nach ist die Frau in dieser Situation nicht „gefordert“ ihrerseits aktiv zu werden, denn sie will sich ja sowieso trennen und wie er selbst bemerkt: es ist keine spontane Reaktion, sondern das Ergebnis einer langen Entwicklung. Das als grobe Richtungsangabe, wie es eigentlich von mir gedacht war.
Zum letzten Absatz vielleicht noch etwas; ich wollte dort darauf anspielen, dass seine Ex-Frau ihn (gezwungenermaßen) anhand von Bildern interpretiert, während er sich die Welt beziehungsweise seine Situation mit einem Text erklärt/vergleicht, nämlich „Stufen“ von Hesse. „Anfang“, „magisch“ (Zauber), „Raum“, „durchschreiten“. Dort auch der Hinweis, dass er dem neuen Lebensabschnitt nicht mit gezwungenem Lächeln gegenübersteht, sondern sich ehrlich freut.

Der Titel hauptsächlich nur, um den Bezug zum ersten Text deutlich zu machen. Um in der Weltsicht des Protagonisten zu sprechen: im ersten Text schafft er es, sich frei zu machen und alles ist schön Weiß. Hier ist er in irgendwas verstrickt, was er nicht versteht. Es mag ihm zwar egal sein, dennoch ist sein Leben in dieser Geschichte, nach seinem Empfinden, eher grau und vernebelt – so mit Frau und Urlaub und Sommermarktplatz. Und, zu guter Letzt, die Beziehung zwischen Mann und Frau sollte hier ein komplettes, desaströses Missverständnis sein, was man, wenn man nur eine Farbe zur Verfügung hat, wohl am besten mit Grau symbolisieren würde.

Ja. Das waren ein paar Gedanken zum Text. Ich sehe das nun so, dass das alles überhaupt nicht erkennbar wird und da werde ich dann wohl dran arbeiten. Damit die Textwand hier nicht noch weiter ausufert, würde ich mich nochmal bei Euch fürs feedback bedanken und dann peace out oder so?

 
Zuletzt bearbeitet:

Bevor bei 'peace out' der Laden dicht gemacht wird, noch schnell der Versuch einer Klarstellung:

Hola @Novak c/o @sodrecas; @Aerath und alle anderen,

in meinem Komm zu ‚Grau’ bin ich falsch verstanden worden oder ich habe mich falsch ausgedrückt. Vielleicht kann ich das noch geraderücken.

Aerath: schrieb:
Die Romane von Balzac triefen vor Langeweile und das ist gewollt.
Stimmt. In der Vor-Fernseh-Zeit waren die Leser dankbar für möglichst dicke Bücher.

Aerath: schrieb:
Effi Briest ... ... Der Roman ist furchtbar öde, weil das Leben der Protagonistin eben furchtbar öde ist.
Stimmt nicht. Ihr Leben war nicht öde – und der Roman war seinerzeit das Fortschrittlichste, was man lesen konnte (und deswegen ist er berühmt und unvergessen). Dass der heutige, hektische Leser nicht auf seine Kosten kommt, sagt nicht, dass der Leser damals nicht sein Lesevergnügen gehabt hätte – mMn hatte der Roman eine politische Aussage, die durch das einfache Benennen der Dinge beim Leser ankam. Und Fontane konnte schreiben!

Aerath: schrieb:
Ich finde echte Langweile in den Leser zu übermitteln als Idee gar nicht mal schlecht.
Dagegen ist nichts zu sagen, nur kommt es auf die Art und Weise an. Er soll trotzdem sein Leseerlebnis haben, weil der Autor sein Handwerk versteht – und nicht nur leiden und bei Dumpfmeisters am Tisch sitzen.
Ich meine, dass diese Geschichte wesentlich feiner gearbeitet daherkäme, wenn sodrecas mit wörtlicher Rede gearbeitet hätte.
So, wie ich den Text lese, wirkt er auf mich uninspiriert, distanziert – ja, fast teilnahmslos berichtend (auch wenn das Kulisse ist), mit einer Resignation, die beinahe ein bisschen Mitgefühl verdient. Aber wenn ich lese:
... sie hatte da jemanden getroffen. Man kennt das, es gibt keine Heilung für die Liebe, oder so ähnlich. Immerhin bemerkenswert, er lebte in ebendiesem Städtchen, sie wollte zu ihm ziehen.
... dann berührt mich das überhaupt nicht - auch wenn es gewollt lapidar herüberkommt.

Also bleibe ich bei meinem Standpunkt:

Um Tristesse, Dummheit und alles, was damit zusammenhängt zu beschreiben, müsstest Du ein wesentlich feineres Kaliber wählen ... ... also diffizile Beschreibungen, feine Andeutungen, genaue Beobachtungen etc.
Und, lieber sodrecas, Dialoge! Eine Wahnsinnsarbeit, aber bei Gelingen sehr befriedigend. In der wörtlichen Rede lässt sich vieles unterbringen, was als auktorialer Text uneleganter wäre – so kleine, beiläufige Unüberlegtheiten, die dem Sprechenden unbewusst herausrutschen, aber viel sagen.
Das ist Theorie – oder vielleicht Anregung für einen Deiner nächsten Texte?

Mich kannst Du als Leser schon einmal vormerken. Schöne Grüße!
José

 

@josefelipe , kein Grund, sich zu rechtfertigen.

Der Protagonist ist aber mehr oder weniger derselbe, vielleicht in einem fast identischen Paralleluniversum und soll, ehrlich gesagt, ein egoistischer, kranker Irrer sein. Die Idee war, dass ihm die Trennung wirklich komplett egal ist, ebenso wie seine Frau, wahrscheinlich andere Menschen im Allgemeinen. Er möchte wirklich einfach nur allein im Auto sitzen, beziehungsweise in einem kargen Raum und Schreiben.
Da haben wir ja prächtig vorbeigelesen. :)

 

Moin,

lieber sodrecas,

weiß Gott, nun also auf halbem Weg zur Schwärze im Plauderton – und der passt.

Woher stammt unser Bedürfnis nach lebenslangen Beziehungen, dass wir uns binden? Ist es vielleicht die Angst, irgendwann allein zu sein, zu vereinsamen? Dazu sollte man wissen, dass Wort „Ehe“ aus dem ahd. ēwa ([‘e:va] auch schon mal mit der Endung „i“ statt „a“) = „Recht“, „Gesetz“, „Vertrag“ entwickelt, Rechtsinstitute, die recht lange dauern („weilen“ könnt‘ ich auch wortspielen) und das wäre ein Motiv, während der Beziehung nicht über Probleme der Beziehung zu sprechen (wie würde ein Richter reagieren, wenn der Beklagte über Ungerechtigkeit oder Ungleichbehandlung durchs je angewandte Recht referierte?). Erst gegen Ende der Beziehung wird gesprochen, wenn das Damoklesschwert die zarten Bande zerschneidet. Ob das dabei ehrlich zugeht und gerecht – wer weiß das schon außer den beiden, die‘s betrifft? Und – Zufall oder nicht – die Wahl eines vermeintlichen „Urlaubs“ wirkt geradezu genial: Im ahd. „urloub“ schwingt die „Erlaubnis“ mit, fortzugehen.

Manchmal mein ich, dass der Wortschatz einer Sprache mit all ihren Erzählungen das kollektive Unbewusste des C. G. Jung‘ ist ...

so seh ich dann auch die Betonung des Possessivpronomens „meine“ bezüglich der Frau und die häufige Verwendung des Konj. II statt eines schlichten „wird“.

Paar Flusen

Andere kinderlose Paare Anfang Vierzig …

zwei Damen um die Fünfzig…
vierzig“ bzw. „fünfzig“, weil es verkürzte Formen der „vierziger“ bzw. „fünfziger“ Jahre sind

Meine Frau nippte wahrscheinlich tatsächlich an einer Weißweinschorle.
Schließen sich nicht wahrscheinlich und tatsächlich aus? Vllt. ist es ja nur Ablenkung eines „als ob“?

Einss, zwoo, ja!
Warum doppel s? Warum das zwote o, wo doch „zwo“ eh gedehnter gesprochen wird als die hochsprachliche zwei?

Mir kam womöglich der Gedanke, meiner Frau den Vorschlag zu machen, hierher zu ziehen.
„hierherziehen“, selbst als Infinitivbildung ein Wort!

Na, vllt. klappt's ja noch mit der Aussprache ... meint der

Friedel

 

Hallo @josefelipe, schließe mich @Novak an: kein Grund zur Rechtfertigung. Falsch verstanden kann natürlich passieren, aber habe auch schon Deinen ersten Kommentar als hilfreich empfunden. Den Dialog Vorschlag nehme ich aber auch gerne an, traue mich nur noch nicht und ob das im nächsten Text schon klappt ... mal sehen :).

Da haben wir ja prächtig vorbeigelesen.
Irgendwie schon, deswegen ja auch meine ehrliche Darlegung, wie es gemeint war. Grundsätzlich sehe ich da zwar überhaupt kein Problem und bin selber ein großer Anhänger von vagen und offenen Werken, aber ich möchte mir hier erarbeiten, konkrete Texte zu verfassen, die nicht beliebig und zufällig sind und insofern gibt es für mich ja noch einiges zu lernen.

Auch hier ein herzliches Dankeschön @Friedrichard und, wenn ich das so offen sagen darf, Deine Kommentare treffen ganz schön ... nun ja ... ins Schwarze;). An "Epitaph" arbeite ich zwar noch, aber als ich da gestern Abend einen naiven Blick riskiert habe, war ich fast erschrocken und fühlte mich irgendwie ertappt. Ist halt doch was anderes, ob man versucht seinen Kram selbst zu erklären, oder ob man das Gefühl hat, dass da plötzlich jemand passendere Worte findet und besser weiß, was man sich gedacht hat, als man selbst.

Schließen sich nicht wahrscheinlich und tatsächlich aus?
Wollte hier darauf anspielen, dass sie was von "Wein Urlaub" sagte und dann "tatsächlich" Wein trinkt, aber er hat nicht gut genug drauf geachtet, deswegen "wahrscheinlich". Kann man das so nicht sagen?

Warum doppel s?
Wollte damit verdeutlichen, dass beim Soundcheck oft alles dafür getan wird, dass man sich die Ohren zuhalten möchte und drei s fand ich zu viel.

Rest wird korrigiert, dankeschön!

 

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