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Grau

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17.10.2001
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Grau

In einem Bordell, irgendwo in Sydney, liegt Jack nackt auf einem Bett und sieht einer Prostituierten namens Ebony beim Ausziehen zu.
„Bist du Afrikanerin?“
„Nein, Australierin. Meine Eltern sind aus Jamaika.“
„Du bist schön.“
„Danke. Hast du mich genommen, weil ich schwarz bin?“
„Nein, weil die anderen alle wie Junkies aussehen.“
„Yeah. Ich nehme nichts, habe zuviel Respekt vor mir selbst.“

Jetzt, vollkommen nackt, geht sie zum Bett hinüber und legt sich neben ihn.

„Zigaretten.“
„Was?“
„Auf meinem Hintern. Ich habe gesehen, wie du draufgeschaut hast. Ich mache manchmal ein bisschen SM, bringt mehr Geld. Einer meiner Kunden steht drauf, Kippen auf meinem Arsch auszudrücken.“
„Oh.“

Oh. Von den Brandnarben mal abgesehen, hat sie einen großartigen Arsch. Die weibliche Engel im Himmel haben solche Hintern. Jack fragt sich, warum Menschen schöne Dinge immer zerstören wollen.

Nach dem Sex sind beide für eine Weile still – dann fangen sie an zu reden.

„Was machst du, wenn du das hier nicht machst?“ fragt Jack.
„Studentin, gehe zur Uni.“
„Und was studierst du?“
Wirtschaftsrecht – was machst du denn?“
„Ich bin Verkäufer bei Woolworth... sorry.“
„Bei mir brauchst du keine political correctness, Süßer. Den Scheiß höre ich an der Uni oft genug.“
„Okay.“

„Wie alt bist du?“
„Achtzehn.“ Er ist sechzehn.
„Ich bin zwanzig.“
„Was willst du machen, wenn du mit dem Studium fertig bist?“
Sie fängt an, mit der Hand seinen Schwanz zu massieren.
„Oh, ich habe Pläne, große Pläne.“

Jack blickt Ebony an, während sie weiter mit seinem Schwanz spielt und ihm von ihren Plänen erzählt. Er betrachtet ihre Haare, ihr Gesicht, ihre Brüste, ihren Körper. Verliert sich in ihr, wird von ihr verschlungen, während sie von Dingen spricht, die er nicht wirklich versteht: von Aktien und Beständen und irgendetwas, das sich anhört wie Prothesen. Sie will reich werden mit einem Plan, in dem all diese Aktien und Bestände und Prothesen vorkommen, alles finanziert durch ihre Arbeit als Nutte.

Sein Mund findet ihre linke Brust. Er beginnt, an ihr zu saugen. Sie reibt weiter an seinem Schwanz. Tränen laufen über seine Wangen.

Was ist los, Schätzchen, stimmt was nicht?“
Seinen Lippen lösen sich von ihrer Brust, er beginnt zu weinen:

„Was ist mit mir? Warum mögen mich Mädchen nicht?“
Mit der freien Hand berührt sie sein Gesicht.

„Oh, Baby, irgendwo da draußen gibt es ein Mädchen für dich. Sieh mich an, zwei Jahre lang war ich alleine, dann habe ich einen Freund gefunden. Letzte Woche ist er bei mir eingezogen, hat mir ein Hundewelpen mitgebracht. Wir sind fast wie eine Familie. Wenn ich Liebe gefunden habe, kannst du das auch.“

Sie beugt sich über ihn, lässt Jacks Sperma auf ihre Brüste spritzen.
„Ohhh, ich liebe das“, sagt sie, nimmt eine Handvoll Taschentücher vom Nachttisch und wischt es weg. Ein Wecker beginnt zu klingeln.

„Die Zeit ist um, Süßer, möchtest du noch duschen?“

Als Jack duscht, kommt Ebony zu ihm und wäscht ihm den Rücken. Einen Rücken, der beweist, dass auch er, Jack, weiß, wie sich Zigarettenspitzen auf der Haut anfühlen.

Jack verlässt das Bordell, geht nachhause. Zuhause sitzt seine Mutter am Küchentisch und raucht. Sein Bruder kocht das Abendessen. Sein Vater meckert herum.

„Ich bringe mich um, bevor ich noch einen Cent daran verschwende, dass die Fotze da zur Schule gehen kann. Seht ihn euch doch an: kocht wie ein Mädchen, wie ne Tunte. Der muss mal hart rangenommen werden. Soll sich ne Arbeit suchen, wie sein Bruder.“

Nein, denkt Jack. Ich werde die Schule für ihn bezahlen.

Jack geht zu Bett. Spricht seine Gebete. Onaniert sich in den Schlaf. Am nächsten Morgen steht er auf und geht zur Arbeit.

Als Ebony – eigentlich Lucinda – zuhause ankommt, wird sie von ihrem Freund mit einem Faustschlag ins Gesicht begrüßt. Ihr Kopf prallt gegen die Wand. Er tritt sie in den Bauch. Schlägt sie, bis sie das Bewusstsein verliert, wie tot daliegt, und geht.

Ein Nachbar ruft anonym einen Krankenwagen. Die Notärzte finden Lucinda ohnmächtig aber lebendig auf dem Küchenboden liegend, während ihr Welpen ihr das Blut vom Hinterkopf leckt.

Auf einer Trage schieben sie sie in den Krankenwagen. Fahren los. Der Fahrer des Wagens schaltet das Radio ein.

„...so sieht’s also aus: morgen wird es fast den ganzen Tag grau sein, bewölkt, regnerisch, mit vereinzelten Sonnenstrahlen“ sagt der Wettertyp im Radio.

[ 26.04.2002, 02:26: Beitrag editiert von: Rabenschwarz ]

 

Mhh..
Bedrückend, San. Vor allem der Schluss, der letzte Satz ist wirklich bedrückend.

Da ich ziemlich müde bin, werde ich morgen (bzw. nachher) was dazu schreiben.
Nur eins schnell:

Das heißt einfach "SM".

Morgen aber mehr..
Ich wünschte nur, ich hätte diese Geschichte nicht vor dem Schlafen gelesen.

Ugh

--------
P.S. Ich hoffe Du weißt, dass der letzte Satz von mir bedeutet, dass Dir Deine Story echt gelungen ist.

[ 26.04.2002, 01:36: Beitrag editiert von: Bibliothekar ]

 

Hi!

Echt tolle Geschichte.Hab sie gern gelesen.Das Thema ist zwar echt tragisch aber es passt in die Rubrik Alltag...leider.

Trotzdem toll.

Gruß shimmeringLight

 

Die Geschichte ist echt gut.Ich habe keine Sekunde bereut. Mich würde nur interesieren warum du betohnst, dass das Mädchen schwarz ist?
Schingt da etwas Gesellschaftskritik in Hinblick auf Rassendiskriminierung mit oder interpretiere ich da mal wieder zu viel rein? :)

[ 26.04.2002, 17:26: Beitrag editiert von: Marot ]

 

Hallo San,

Ich finde den Text auch sehr gut. Man liest den ersten Satz und ist sofort drin. Die auf ein Minimum begrenzte Sprache sagt mir auch sehr zu. Allerdings muss ich dir auch vorwerfen gewisser Weise "mit billigen Tricks" gearbeitet zu haben. Der Leser wird durch einen tragischen Plot und einen kalten Erzählstil schnell mal emotional berührt zurückgelassen, ohne dass sich aber irgendetwas dahinter verbirgt. Das Leiden in der Geschichte dient also scheinbar nur dazu, den Leser zu beeindrucken, was mich letztendlich fühlen lässt, dass deine Charaktere weniger von ihrem Vater/Freund, als von der Autorin selbst, missbraucht wurden. Wie gesagt, ich finde die Geschichte sehr gut, aber so richtig duften können Plastikblumen eben doch nicht.

I3en

 

Hi San,
stark, echt. Einfache Sprache, aber sehr dichte Atmosphäre. Ausgefeilte Dialoge. Von den Charakteren her usw. eher rabenschwarz denn grau, trotzdem ist es dir gelungen, glaubwürdig zu bleiben, Realismus zu vermitteln.

Die weibliche Engel im Himmel haben solche Hintern.
Die weiblichen Engel
Ein Nachbar ruft anonym einen Krankenwagen. Die Notärzte finden Lucinda ohnmächtig aber lebendig auf dem Küchenboden liegend
Das "anonym" irgendwie anders einbinden? Stört (mich) sonst ein bisserl, so direkt vorm Objekt.
Auch beim Einschub "aber lebendig" besser Komma etc. verwenden.
So, ansonsten nichts zu meckern, aber warts ab, ich drucks noch aus.
Liebe Grüße,
para

 

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