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Grau ist alle Theorie
Zwischen korunthinischen Säulen, im kühlen Schatten, wandelte einst Heroklesthenes.
Des Meisters Stirn war umwölkt und sein Blick abwesend. Nur das Knirschen von Sand unter Ledersohlen und das Rascheln der Gewänder durchbrachen die Stille. Keiner der den Philosophen begleitenden Adepten wagte es, das fragile Gleichgewicht zwischen innerer Sammlung des Meisters und äußerer Ruhe durch ein fürwitziges Wort zu stören.
Da verhielt Heroklesthenes den Schritt. Seine Stirn glättete sich und in seinen Augen erschien das wohlbekannte Funkeln.
Aus einer Säule vor ihm ragte ein bronzener Wasserhahn.
Langsam wandte sich der Meister um zu der Schar seiner Jünger und hub an zu sprechen:
„Meine Freunde. Lange habe ich über den entscheidenden Wesenszug nachgedacht, welcher der uns umgebenden Natur und nicht zuletzt uns selbst innewohnt. Und soeben, hört und staunt, habe ich das noch fehlende Glied in meinen Überlegungen gefunden. Feiert mit mir diesen Augenblick. Statt langer Erörterungen werde ich nun demonstrieren, was das Wesen aller Dinge ist. Denn grau ist alle Theorie!“
Heroklesthenes‘ Schüler, die ergriffen den Worten ihres Meisters gelauscht hatten, beobachteten, wie der große Philosoph nun den Wasserhahn aufdrehte.
Es gab ein quietschendes Geräusch und der Hahn tropfte zu Boden. Dort, wo die Tropfen den Boden berührten, begann sich dieser zu verflüssigen. Auch die Säule verlor ihre klare Kontur. „Alles fließt“, sprach Heroklesthenes in die Rücken seiner fliehenden Schüler hinein, bevor er sich in eine Pfütze verwandelte...
Und nach einer kleinen Weile floss das Universum in ein schwarzes Loch.