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Grabbeigaben
Seit ungefähr zehn Jahren sitze ich hier fest, komplett abgeschottet von der sich unwiederbringlich verändernden Wirklichkeit. Es ist nicht dunkel, es ist schwarz. Ich kann nichts sehen. Meine Sehkraft muss sich zurückgebildet haben, denn zehn Jahre ohne Licht machen mich für die Außenwelt unbrauchbar. Manchmal beschleicht mich plötzlich das Gefühl, mit offenen Augen Klarheit gewinnen zu können, die sich aber durch mehrmaliges Öffnen und Schließen dieser wieder verliert.
Ich bin ein Gefangener des Lebens, liege so, als würde ich schlafen müssen, jedoch auf keinem Bett, sondern auf hartem Holz. In dieser Enge verbietet es sich etwas Schädigendes zu tun, Wunden zu erschaffen, die sich nicht behandeln lassen und lange schmerzen werden. So bleibe ich nahezu reglos liegen und schaukele nur gelegentlich meinen Körper hin und her, um meine körperliche Funktionsfähigkeit zu prüfen. Meine kognitiven Fähigkeiten und meine Konzentration schärfe ich, indem ich die Zeit in Sekunden, Minuten und Stunden einteile. 24 Stunden sind ein Tag, Tage werden zu Wochen, Monaten, Jahren. Der Schlaf wird als Konstante betrachtet, die ich auf durchschnittlich sieben Stunden pro Tag taxiere, sodass diese zehn Jahre eine Annahme sind. Eine Annahme, die darauf beruht in einer Umgebung zu leben, in der sinnvollere Tätigkeiten nicht möglich sind und daher eine vermeintliche Genauigkeit der Annahme belegen. Nach mehreren Jahren Übung war ich so in der Lage diesen Prozess zu automatisieren. Das Zählen der Zeit wurde nicht mehr von meinem Kurzzeitgedächtnis übernommen, sondern in ein Nebenareal meines Gehirns ausgelagert. Gedanken konnten sich so nun ungehindert in mein Bewusstsein drängen. Sie erschienen nahezu willkürlich, bereits gedachte wurden wieder angespitzt, ab und zu mit Erkenntnisgewinn, wurden wieder losgelassen, um auf eine Konzentration und Offenbarung in der Zukunft zu hoffen, durch die mein Dasein erklärbarer wird.
Ich weiß nicht genau wie ich hier hingekommen bin. Das Einzige, was mir übrig blieb, war aus den Bruchstücken, die kaum eine ernsthafte Erinnerung darstellten, eine Erklärung für mein Sein zu finden. Vieles war verschwunden, wurde von Schwärze überlagert oder gar gelöscht. Es schritt immer weiter voran, unaufhörlich und unverrückbar. Die Rücksicht war dabei etwas, das der Notwendigkeit wich. Es wurde notwendig, dass es schwarz wurde und, dass sich die leuchtenden Farben der Gegenwart aus der Realität zurückzogen, um sie in den Bereich der Vorstellungen, vielleicht sogar in den der Irrationalität zu verdrängen. Ein Leben in der Dunkelheit war geboren. Niemand schien sich daran zu stören. Es schien natürlich und folgerichtig, vielleicht sogar menschlich, denn ein Leben in der Vergangenheit unterbricht den in die Zukunft gerichteten Kreislauf. Die Zeit läuft ab, die Menschen leben weiter, gehen einer Arbeit nach, pflanzen sich fort und müssen am Ende Platz für andere machen. Das heißt, die Schwärze ist ein natürlicher Prozess. Doch wenn ich nun tot bin, wie kann ich wieder lebendig werden oder zumindest mein Bewusstsein verlieren?