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Grabbeigaben

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28.07.2005
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Grabbeigaben

Seit ungefähr zehn Jahren sitze ich hier fest, komplett abgeschottet von der sich unwiederbringlich verändernden Wirklichkeit. Es ist nicht dunkel, es ist schwarz. Ich kann nichts sehen. Meine Sehkraft muss sich zurückgebildet haben, denn zehn Jahre ohne Licht machen mich für die Außenwelt unbrauchbar. Manchmal beschleicht mich plötzlich das Gefühl, mit offenen Augen Klarheit gewinnen zu können, die sich aber durch mehrmaliges Öffnen und Schließen dieser wieder verliert.
Ich bin ein Gefangener des Lebens, liege so, als würde ich schlafen müssen, jedoch auf keinem Bett, sondern auf hartem Holz. In dieser Enge verbietet es sich etwas Schädigendes zu tun, Wunden zu erschaffen, die sich nicht behandeln lassen und lange schmerzen werden. So bleibe ich nahezu reglos liegen und schaukele nur gelegentlich meinen Körper hin und her, um meine körperliche Funktionsfähigkeit zu prüfen. Meine kognitiven Fähigkeiten und meine Konzentration schärfe ich, indem ich die Zeit in Sekunden, Minuten und Stunden einteile. 24 Stunden sind ein Tag, Tage werden zu Wochen, Monaten, Jahren. Der Schlaf wird als Konstante betrachtet, die ich auf durchschnittlich sieben Stunden pro Tag taxiere, sodass diese zehn Jahre eine Annahme sind. Eine Annahme, die darauf beruht in einer Umgebung zu leben, in der sinnvollere Tätigkeiten nicht möglich sind und daher eine vermeintliche Genauigkeit der Annahme belegen. Nach mehreren Jahren Übung war ich so in der Lage diesen Prozess zu automatisieren. Das Zählen der Zeit wurde nicht mehr von meinem Kurzzeitgedächtnis übernommen, sondern in ein Nebenareal meines Gehirns ausgelagert. Gedanken konnten sich so nun ungehindert in mein Bewusstsein drängen. Sie erschienen nahezu willkürlich, bereits gedachte wurden wieder angespitzt, ab und zu mit Erkenntnisgewinn, wurden wieder losgelassen, um auf eine Konzentration und Offenbarung in der Zukunft zu hoffen, durch die mein Dasein erklärbarer wird.
Ich weiß nicht genau wie ich hier hingekommen bin. Das Einzige, was mir übrig blieb, war aus den Bruchstücken, die kaum eine ernsthafte Erinnerung darstellten, eine Erklärung für mein Sein zu finden. Vieles war verschwunden, wurde von Schwärze überlagert oder gar gelöscht. Es schritt immer weiter voran, unaufhörlich und unverrückbar. Die Rücksicht war dabei etwas, das der Notwendigkeit wich. Es wurde notwendig, dass es schwarz wurde und, dass sich die leuchtenden Farben der Gegenwart aus der Realität zurückzogen, um sie in den Bereich der Vorstellungen, vielleicht sogar in den der Irrationalität zu verdrängen. Ein Leben in der Dunkelheit war geboren. Niemand schien sich daran zu stören. Es schien natürlich und folgerichtig, vielleicht sogar menschlich, denn ein Leben in der Vergangenheit unterbricht den in die Zukunft gerichteten Kreislauf. Die Zeit läuft ab, die Menschen leben weiter, gehen einer Arbeit nach, pflanzen sich fort und müssen am Ende Platz für andere machen. Das heißt, die Schwärze ist ein natürlicher Prozess. Doch wenn ich nun tot bin, wie kann ich wieder lebendig werden oder zumindest mein Bewusstsein verlieren?

 

Hallo Mantox,

dem Zustand, lebendig begraben zu sein, isoliert in totaler Dunkelheit und nur noch im Kopf und in den Gedanken vorhanden, gewinnst du trotz guter Schreibe nur eine "verkopfte" Analyse ab, die diesen Zustand selbst nur beobachtet, als ihn - und das wäre meiner Ansicht nach die echte Herausforderung und Aufgabe für diesen Text gewesen - erlebbar und fühlbar zu machen. So kommt mir das alles eher wie eine unausgegorene philosophische Betrachtung vor, die auch nicht so genau weiß, wohin sie will. Du beschreibst Dunkelheit als Dunkelheit und suchende Gedanken als suchende Gedanken. Auf diese Weise wird selbst dieser recht kurze Text irgendwie langweilig und das ist schade, weil doch bestimmt mehr ginge.

Tja, dein Prot muss irgendwie mit seiner seltsamen Situation klar kommen, und man gewinnt nicht den Eindruck, dass es ihm am Ende gelingen wird. So endest du mit einer Frage (bei der übrigens das Fragezeichen fehlt), und ähnlich ging es mir mit deinem Text.

Vielleicht gelingt es dir, mehr Spannung und Emotion aufzubauen, die fehlt mir zur Zeit, um mich von diesem doch seltsam bedrückenden Schicksal deines scheintoten lebendig begrabenen Prots packen zu lassen.

Ja, gut, man kann ja auch sagen, das es beabsichtigt war, eher philosophische Aspekte in den Vordergrund zu rücken, vielleicht auch eine Metapher zum Leben nach dem Tod, was weiß ich, aber dann greift das bei mir nicht, weil da keine Person unter der Erde schlummert, sondern nur irgendein Kopf, in dem Gedanken kreisen, und wenn der Mal ein Leben hatte, dann weiß ich davon nix, und wenn der dieses Leben nicht mehr hat, warum solle mich das jucken, und wenn es ein Leben nach dem Tod gibt, dann hoffentlich nicht in dieser Form, dann wäre es empfehlenswert, sich mit einer Taschenlampe und und ein paar Büchern beerdigen zu lassen ;-)

Rick

 

Eine Annahme, die darauf aufbaut in einer Umgebung zu leben, in der andere Tätigkeiten wenig sinnvoll erscheinen und daher eine vermeintliche Genauigkeit der Annahme belegen.

Selbst nach dem dutzendsten Mal, dass ich diesen Satz lese – seine Aussage geht mir nicht ein, weigert sich wie ein störrischer Esel.
Wenn ich versuche, mich in die Situation des Prots hineinzuversetzen, scheitere ich kläglich. Ich wüsste zum Beispiel gar nicht, wozu ich meine »körperlichen Funktionen« überprüfen sollte, wozu ich Sekunden zählen sollte seit zehn Jahren, was es denn bringt. Ein Verlorener auf einer entlegenden Pazifikinsel würde vielleicht die Sonnenaufgänge in Holzscheite kerben, von mir aus, okay. Das Zählen in großen Zahlen wie 60 ist eine antropologisch gesehen doch recht junge Tätigkeit (wohl so jung wie die Zivilisation überhaupt). Das Zählen, von abstrakten Einheiten zumal, kann sich gar nicht so mir nichts dir nichts in einen Gehirnbereich verziehen, der unabhängig von der mentalen Fokussierung ist. Hätte die Tätigkeit mit Bewegung zu tun, dann würde sie vielleicht recht bald ins Kleinhirn verlagert, wo das Bewegungsgedächtnis liegt.

Der Text ist in meinen Augen auch grundsätzlich keine Geschichte, weshalb er meine Erwartungen an Texte auf dieser Plattform leider nicht erfüllt. Für mich ist ein wesentliches Merkmal einer Geschichte, dass an ihrem Ende etwas anders ist als am Anfang, und dass dazwischen Figuren so agieren, dass ich die Veränderung, dieses Anderswerden nachvollziehen kann. Wobei es natürlich sein kann, dass diese Kriterien auf einen Text nicht zutreffen und dennoch ich ihn für eine Geschichte halte. Das sind aber eher Ausnahmen.


Viele Grüße,
-- floritiv.


PS @Rick: Coole Idee, Taschenlampe und Bücher mit ins Grab zu nehmen, dass wär eine Geschichte mit Potential. Jedoch, bis es mit mir an der Zeit ist, hält man Bücher aus Papier sowieso für wertlos bis bloß platzverschwendend und begreift es als Altersmarotte denn als Statement, oder, im Gegenteil, man hält die übrig gebliebenen Bücher für so wertvoll im gerade angebrochenen Postdigitalismus, dass sich rechtzeitig Grabplünderer ihrer bemächtigen würden.

 

danke für die Kritik

Hallo Rick,

Ich habe den Text in Seltsam gepostet, weil mein Prot sich selbst nicht genau erklären kann, ob er tot ist oder nicht. Er weiß, dass er ein Bewusstsein hat, kann sich kaum an seine Vergangenheit erinnern, weiß nicht wie er zu Tode kam, aus welchen Verhältnissen er stammt. Er wird quasi in seinem Grab vom Schicksal alleine gelassen. Er ist selbst auf der Suche nach seinem Sinn für sein Leben.

Dieses Fühlen und Miterleben, das für Leser wichtig ist, um keine Langeweile aufkommen zu lassen, habe ich etwas eingebaut, ohne allerdings den Gehalt des "Textes" komplett zu verändern in die Richtung, dass er aus seinem Gedächtnis eine Geschichte herauskramt, sich seines gelebten Lebens erinnert usw.

mfg mantox

Hallo floritiv,

ich habe versucht ein paar Dinge, die etwas unklar warten, zu ändern.

Er zählt die Zeit, weil er nichts anderes zu tun hat. Er prüft seinen Körper, um noch zu erkennen, dass er vielleicht lebendig sein könnte. Ich wollte mit dem, was etwas unverständlich wirkt, auch damit andeuten, dass er bereits dabei ist, den Sinn für die Realität zu verlieren.

Du hast Recht. Es ist keine richtige Geschichte, eine Geschichte erfordert eine Handlung, eine Entwicklung, lebt von Spannung und von dem Zusammenspiel von Menschen. Dadurch, dass ich meinen Prot im Grab ohne "konsistente" Erinnerung verharren lasse, glaube ich, beraube ich mich der Möglichkeit, Spannung durch das Zusammenspiel von Menschen zu erzeugen.

Es ist immer auch die Sache mit dem, ich weiß was, weiß aber nicht genug und ob es dann nicht besser ist, nichts zu wissen.

MfG Mantox

 

Hallo Mantox

Ich hatte in der Nacht auf Freitag die Geschichte gelesen, mich fragend, was sie dem Leser letztlich vermitteln will. Einen Augenblick dachte ich, Platons Höhlengleichnis habe dich geleitet, doch nein, es fehlte da an wahrer Erkenntnis.

Aufgrund der Kommentare von Rick und floritiv hast du daran anscheinend noch Änderungen vorgenommen. Ich las es nun nochmals, mir ein Bild machend. Hm, ich konnte nichts Wesentliches feststellen, das die Qualität der Aussage hebt oder klärt.

Aus meiner Sicht ist es ein Zwitter zwischen Fantasie und annähernd philosophischem Fragen, Letzteres da es Sein und Bewusstsein einbezieht. Die unklaren und an der Realität vorbeizielenden Fragen, verweisen es jedoch klar in eine Unwirklichkeit. Ich denke so etwas ist als fiktive Geschichte schon möglich, wenn es sich letztlich zu etwas Konkretem abbildet, was es hier nicht tut.

Ich könnte mir darin mehr Gehalt vorstellen, wenn es die Realität klarer mit Fantasie vermischen vermöchte. Anbei einige Anmerkungen, die aufzeigen, warum es dies unterläuft:

Seit ungefähr zehn Jahren sitze ich hier fest, komplett abgeschottet von der sich unwiederbringlich verändernden Wirklichkeit.

Wie soll sich eine Abschottung von der Wirklichkeit vollziehen? Diese ist immer Gegenwärtig, egal unter welchen Umständen.

Meine Sehkraft muss sich zurückgebildet haben, denn zehn Jahre ohne Licht machen mich für die Außenwelt unbrauchbar.

Die Aussage ist in ihrem Sinngehalt schlicht falsch. Die Sehkraft bildet sich nicht zurück, da sie für die Aussenwelt unbrauchbar wird, sondern weil die Dunkelheit diese Funktionalität nicht braucht. Hierzu lassen sich sicher Beispiele etwa am Thema Grottenmolch finden, einem Tier, das unter solchen Bedingungen lebt.

In dieser Enge verbietet es sich etwas Schädigendes zu tun, Wunden zu erschaffen, die sich nicht behandeln lassen und lange schmerzen werden. So bleibe ich nahezu reglos liegen und schaukele nur gelegentlich meinen Körper hin und her, um meine körperliche Funktionsfähigkeit zu prüfen.

Auch hier ist der Widerspruch eklatant. Du greifst Szenen auf, welche du nicht tiefer hinterfragt hast. Bei einem Menschen, der in einem normalen Bett liegt, sich nicht mehr erhebt, beginnt sich relativ bald ein Wundliegen, Dekubitus, zu bilden. Dein Prot. liegt auf hartem Holz, ein Schaukeln wurde die Wundbildung nur noch fördern.

Es wurde notwendig, dass es schwarz wurde und, dass sich die leuchtenden Farben der Gegenwart aus der Realität zurückzogen, um sie in den Bereich der Vorstellungen, vielleicht sogar in den der Irrationalität zu verdrängen.

Diese Aussage ist in sich mehrfach widersprüchlich, sodass sie sich selbst ad absurdum führt. Es gibt, gemäss der Schwärze keine Farben in der Gegenwart. Eine solche Wahrnehmung könnte höchstens in der Erinnerung sein, was sie folglich nicht in die Vorstellung verschieben kann, denn da wäre sie bereits. Und Irrationalität ist hier im wahrsten Sinne seines Wortes eine Unwirklichkeit, die keine Verdrängung aufnähme.

Ein Leben in der Dunkelheit war geboren. Niemand schien sich daran zu stören.

Wer sollte sich daran stören?

Die Zeit läuft ab, die Menschen leben weiter, gehen einer Arbeit nach, pflanzen sich fort und müssen am Ende Platz für andere machen.

Die Begrenzung eines jeden Lebens ist eine Kausalität, die gegeben ist, ohne deren Wirkung die Zerstörung jeglichen Lebens wahrscheinlicher wäre. Der Satz steht auch so dahingestellt, nicht als Überlegung des Prot., sodass er in sich verloren wirkt.

Doch wenn ich nun tot bin, wie kann ich wieder lebendig werden oder zumindest mein Bewusstsein verlieren?

Wäre der Sinn der Fantasie darauf ausgerichtet gewesen, wäre es vielleicht ganz amüsant. Doch müsste auch dies unterlegt sein, warum sich Bewusstsein angeblich erhalten soll, dem Tod trotzt.

Der Sinn des Titels erschloss sich mir auch nicht so recht. Ich erwartete doch, den Totenritualen früherer Kulturen entsprechend einige seltsam anmutende Grabbeigaben.

Ich glaube schon, dass du dir Gedanken gemacht hast, als du diese Fantasie abfasstest. Doch um Leser zu überzeugen, muss es nachvollziehbar sein. Für mein Empfinden sind darin zu viele mangelhaft durchdachte Überlegungen, sodass es sich auch als Fantasie wenig erspriesslich wirkt. Vielleicht magst du anhand der Hinweise nochmals daran arbeiten, wenn ja, würde ich dir empfehlen, es inhaltlich zugleich einem Ziel für den Prot. hinzuführen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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