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Grünleger

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30.06.2014
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Grünleger

„Mama, hältst du Hühner auf dem Balkon?“
„Nein, natürlich nicht, wie kommst du drauf?“
„Die Falkenberg hat angerufen.“
„Natürlich, wer sonst“, ihre Stimme bekam einen giftigen Unterton, „das ist doch verrückt.“
„Also spinnt die Alte jetzt?“
„Total.“
„Dann bin ich beruhigt.“

Nach dem Telefonat hatte Hanni Herzklopfen und lehnte sich ächzend im grünsamtenen Sofa zurück und strich die wirren, in den Längen und Spitzen fliederfarbenen, am Ansatz ergrauten Haare aus der Stirn. Sofort glitten sie strähnig fett zurück an ihren angestammten Platz auf den Zornesfalten. Mit dem Fuß stemmte sie einige Tüten ein bisschen nach hinten, um Platz zum Aufstehen zu schaffen. Leider kam dabei die fragwürdige Statik der Müllberge aus dem Gleichgewicht, sie konnte gerade noch rechtzeitig die Füße einziehen, schon war der geschaffene Fußraum eingeebnet.
Schimpfend, aber mit liebevollen Gesten einer einst tadellosen Frau stapelte sie den Unrat neu, strich dort eine Plastikhülle glatt, zupfte da an einer verschimmelten Mikrowellenessverpackung, als richte sie sorgfältig eine Sonntagstafel für die ganze Familie, mit dem guten Tafelsilber und der wertvollen Klöppelspitze.

„Ja, wer kommt denn da?“, lockte sie schmeichelnd eine räudige Katze.
„Ist das mein Goldschatz? Komm zu Mutti, na komm.“ Mit einem beherzten Nackengriff zog sie das meckernde Tier von einem Stapel Wäsche.
„Hat sich die Falkenberg wieder eingemischt, immer hat die was zu schimpfen. Die gönnt niemand was, dabei brauch ich die Hühner, nicht wahr, mein Goldstück?“ Während des Redens drückte sie die Katze auf ihrem Schoß platt wie eine Flunder und streichelte sie hektisch Richtung Oberschenkel.
„Es war so schwer, sie zu bekommen. Einige waren Mogelpackungen, Grünleger, pah, kackbraune Eier. Aber unsere jetzigen Fünf legen die schönsten grünen Eier, die ich je gesehen habe. Und die brauche ich doch. Wenn er zurückkommt, muss ich welche vorrätig haben. Denn er wird kommen.“
Sie schloss verträumt die knittrigen Augen und vergoldete den bestialischen Gestank der Essensreste vieler Jahre, den Kot und die Pisse dreier Katzen und die Ausdünstungen ihres eigenen, vernachlässigten Körpers mit einem romantischen Lied:

Wenn ich ein Vöglein wär
und auch zwei Flügel hätt
flög ich zu dir
weil´s aber nicht kann sein
bleib ich allhier
Bin ich gleich weit von dir
bin ich im Traum bei dir
und red mit dir;
wenn ich erwachen tu
wenn ich erwachen tu
bin ich allein.
Keine Stund in der Nacht
da nicht mein Herz erwacht
und an dich denkt
dass du mir tausendmal
dass du mir tausendmal
dein Herz geschenkt.

Das Lied hatte ihr Vater immer gesungen und sich dabei spottend auf die Beinprothese geklopft. Sein Holzbein, wie er es immer nannte. Das Original hätte er in Russland gelassen. Sie wurde im Krieg geboren, wuchs aber bald im Wohlstand auf, ihr Vater hatte es sogar mit einem Fuß geschafft, auf die Beine zu kommen, in Zeiten des Wirtschaftswunders. Ihre Eltern betrieben ein Zoogeschäft, sie verbrachte ihre Kindheit zwischen Säcken von Vogelfutter, Sprechperlen für die Sittige, griechischen Schildkrötenkindern, kleinen Weißgesichtsseidenäffchen und Fischen in allen erdenklichen Farben und Formen.
Alle Kinder, die sich das Gesicht am Schaufenster platt drückten, um die possierlichen Kaninchen, Goldhamster und Meerschweinchen anzuschauen, beneideten sie. Sie durfte immer in die Käfige greifen, um die Tiere zu streicheln. Was sie auch jedes Mal tat, wenn sie Plattnasen an der Scheibe entdeckte.

Später kam ihr Gerald.
„Hach, was war das für ein stattlicher Mann. An der Taille konnte er mich mühelos hochheben und im Kreis drehen, als wäre ich eine Paradiesvogelfeder. Auch um ihn beneideten mich alle. Ja, ja, verfallen war er mir, mit Haut und Haaren, mein Gerald. Er wird wiederkommen, das wissen wir beide.“ Die Katze sah nicht so aus, als wisse sie irgendetwas, eher suchte sie einen Fluchtweg aus der misslichen Lage.
„Keine vier Wochen kannten wir uns, schon hatte er mich in andere Umstände gebracht. Was war das ein Theater, aber er ist ein guter Mann, der Gerald, natürlich hat er mich geheiratet und mein Vater hat eine derartig prunkvolle Hochzeit ausgerichtet, dass niemandem auffiel, dass Thomas viel zu früh geboren wurde. Nichts da, heimliche Heirat im Stillen, man tat so, als wäre Gerald der große Fang für unsere Familie gewesen.“ Das Tierchen auf ihrem Schoß hatte inzwischen aufgegeben und fügte sich in sein Schicksal.

„Grüne Eier, das war seine Leidenschaft. Und eine Scheibe Bauernbrot. Und eine Tasse Kaffee um sie zu tunken. Jeden Morgen habe ich ihm das gerichtet, immer hat er mich mein Mädchen genannt. Die Hühner waren sein großes Hobby, fast täglich besserte er den Hühnerstall aus, um seine Lieblinge vor dem Fuchs zu schützen.“
Jetzt füllten sich ihre Augen mit Tränen und sie summte das Lied von den zwei Königskindern, die nicht zusammen kommen konnten, da das Wasser viel zu tief war. Die Katze sah ihre Zeit gekommen und sprang fauchend vom Sessel.

„Er wird wiederkommen!“, rief sie ihr nach.
Dann angelte sie sich die Krücken und humpelte den schmalen Pfad, der zwischen all den Dingen, die sie bestimmt irgendwann einmal brauchen würde übrig war, zur Küche entlang. Öffnete die Anrichte, streichelte über den Vorrat mehrerer hundert grüner, nach Verwesung stinkender Eier, suchte das Likörchen, genehmigte sich einen, zwei, „Er wird wiederkommen. Denn ich habe alles vorbereitet."
Dann legte sie sich in das große Ehebett, schlug seine Seite auf, legte sich in ihre, faltete die Hände und wartete voller Zuversicht.

 

Hallo Andi,
danke für Deinen Kommentar und Dein Lob. Ich habe die besagten Stellen ein bisschen umgeändert, vielleicht wird es jetzt etwas klarer?

Danke, für Deine Leseraugen, hat mir sehr geholfen.
Schönen Tag wünscht:
Gretha

 

Liebe Gretha,

habe deine KG als großes Lesevergnügen empfunden.
Eine gute Idee, den Einstieg über das Telefonat zu wählen. Ehe ich mich versah, saß ich mit Hanni auf der Müllhalde ihres Lebens, obwohl ich da gar nicht sein wollte.

Ich sehe, dass du das Thema Messie-Syndrom gründlich recherchiert, und was noch wichtiger ist, sehr anschaulich in Bilder gegossen hast.
Selbst den Zusammenhang von Ursache und Wirkung hast du so glaubhaft dargestellt-Armut, dann keine Aufmerksamkeit durch die Eltern, später der Windhund Gerald, dessen Verschwinden wohl das Schlüsselerlebnis darstellt, dass Hanni im Messietum endet, dass ich nur so gestaunt habe.

Dem Zeitmangel des Sohnes, der gesellschaftlichen Isolation sowie dem Chaos ihrer ´Höhle` hat sie nur ihre grenzenlose Hoffnung, dass der Einzige zurück kommt, entgegen zu setzten.

Es ist dir eine sehr lebendige und gefühlvolle KG aus der ´Feder` geflossen und aus jeder Zeile hat mir die Freude, die du beim Schreiben hast, zugelächelt.

Allerdings bin ich auch über ein paar sprachliche Unebenheiten gestolpert, nicht tragisch.

"geschaffener Fußraum eingeebnet", besser geschaffener Fußraum verschüttet/ verloren

Vielleicht kannst du die Katze schimpfen lassen und die Falkenberg meckern, weil das Meckern ist doch Ziegen vorbehalten, oder?

Vorsicht, Partizip-Falle!
"hektisch pressend Richtung Oberschenkel", nach hektisch könnte der Satz beendet sein, denn die Katze ist ja schon platt wie eine Flunder.

Gegen Leidenschaft gibt es grundsätzlich nichts einzuwenden, wenn sie allerdings so dicht gedrängt auftaucht wie bei Gerald, dann könnte man beispielsweise den vorletzten Abschnitt, mit "Grüne Eier, die liebte er über alles" beginnen.

Es ist schade, dass ich das Kennzeichnen von Zitaten noch nicht beherrsche, werde ich noch lernen.
So ist es jedoch sehr mühsam und für dich unübersichtlich, was ich da vermitteln will. Sorry!

Weiterhin viel Pläsier beim Schreiben.
Liebe Grüße, peregrina

 

..., ihr Vater hatte es sogar mit einem Fuß geschafft, auf die Beine zu kommen, …

Hallo Gretha,

schon wieder ein Jahr und mehr her, seit meinem letzten Besuch. Also mal wieder Zeit, vorbeizuschauen, und wer mit dem Konjunktiv umzugehen, gar zu spielen weiß, hat es auch verdient! Und nicht nur die kleine Skizze ist m. E. gelungen, sondern um das Wortspiel im einleitenden Zitat beneid ich Dich, sofern ich's kann! Und wenn man dann wie nebenbei noch was über Hühner erfährt, hat sich das ganze mehr als gelohnt.

Gleichwohl ein paar Schnitzel, wie der Chinese so sagt:

Einmal schlägt die Fälle-Falle zu

Die gönnt niemande[m] was, dabei brauch ich die Hühner, nicht wahr, mein Goldstück?“
Tipp fürs nächste Mal oder auch itzo: Niemand (wie auch jemand) lässt sich i. d. R. endungslos niederschreiben, also hier „Die gönnt niemand was, ...“

Hier korrekt jedes Mal jedes Mal auseinander

Was sie auch jedes[... M]al tat, wenn sie Plattnasen an der Scheibe entdeckte.

Zwomal leuchtet ein bisschen Flüchtigkeit auf (weil z. B. die wörtl. Rede i. d. R. korrekt abgeschlossen wird)
„Ja, wer kommt denn da?“[,] lockte sie schmeichelnd eine räudige Katze.
Nun ohne Worte
Öffnete die Anrichte, streichelte ..., such[t]e das Likörchen, genehmigte sich einen, zwei, „[e]r wird wiederkommen. Denn ich habe alles vorbereitet."

Gern gelesen vom

Friedel,
der vorsorglich ein schönes Wochenende wünscht

 

Liebe Gretha,

Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Den Einstieg mit dem Telefonat und das Ende im einsamen Ehebett fand ich sehr gelungen. Ich habe mich nur gefragt, ob Gerald davon gelaufen oder verstorben ist. Diese Info hätte ich noch interessant gefunden. Besondere Tragik hätte ja die Situation der Protagonistin, wenn Gerald gar nicht wiederkommen kann.

Ein wenig gestolpert bin ich über einige Begriffe, das Weissgesichtsseidenäffchen oder die Paradiesvogelfeder haben etwas malerisches, fallen aber für mich zu sehr aus dem Schreibstil der gesamten Geschichte. Ich bin bei diesen Begriffen beim Lesen ein wenig ins "Stolpern" geraten. Die Wendung, dass der Vater sein Bein in Russland gelassen habe, fand ich dagegen sehr gut. Zum einen kenne ich von meiner Großelterngeneration solche Redewendungen nur zu gut und zum anderen hatte der Vater wohl auch einen zynischen Charakter, welches sich auch in der Bezeichnung "Holzbein" für eine Prothese zeigt.

Die Arme tut mir jedenfalls sehr leid und ich werde im Gedanken mit ihr warten :cry:

Liebe Grüße

Mae

 

Hallo liebe (oder lieber?) peregrina,
ich freue mich, dass Du in meine Geschichte gefunden hast und es Dir auch noch ein

großes Lesevergnügen.
war. Denn darum geht es uns ja allen. :)
Eine gute Idee, den Einstieg über das Telefonat zu wählen. Ehe ich mich versah, saß ich mit Hanni auf der Müllhalde ihres Lebens, obwohl ich da gar nicht sein wollte.
Diese kleine (Zwischen-) Geschichte war für mich auch eine Schreibübung. Ich habe noch ziemliche Probleme mit dem Dialog. Ich wollte Einsamkeit beschreiben und die Geschichte doch in der wörtlichen Rede mit entwerfen. Da kam mir die Idee eines Telefonats und einer Katze, der man das wieder Willen erzählt. Schön, dass es bei Dir funktioniert hat.
Deine Verbesserungsvorschläge habe ich überwiegend angewendet, danke dafür!
Es ist schade, dass ich das Kennzeichnen von Zitaten noch nicht beherrsche, werde ich noch lernen
Eine Hand wäscht die andere, ich erkläre Dir das, auf PC-Blond:
Wenn Du einen Beitrag schreibst, siehst Du oben auf der Leiste eine stilisierte Sprechblase (ganz rechts). Wenn Du darauf drückst, erscheint das hier:
Wenn Du zwischen die Klammern schreibst, ist es ein Zitat.
Und noch ein kleiner Trick, wenn Du möchtest, dass der Empfänger Deiner Antwort (in der eigenen Geschichte) eine Benachrichtigung bekommt, machst Du ein "@" vor den Namen.
So: peregrina
Ich wünsche Dir eine tolle Zeit hier bei den WK.
Danke für alles.
Grüßle, Gretha

Hallo Feuerwanze,
freut mich, dass Dir die Geschichte gefallen hat.
Ja, das mit den Messies ist schon ein Phänomen. Ich bin mir bei Hanni aber nicht ganz sicher, ob auch schon eine beginnende Demenz mit reinfällt. Obwohl das Sammeln der Eier schon eher auf Messie deutet.

Die Lieder mag ich auch total gerne, mich erinnern sie an meinen Opa. Wenn ich "es waren zwei Königskinder" singe, muss ich spätestens nach dem vierten Wort heulen. :D

Ich wünsche Dir eine gute Woche,
Gretha

 

Hallo Gretha,

In dieser sehr gut geschriebenen Geschichte steht eine total einsame und enttäuschte Frau vor mir, die sich und alles um sich herum vernchlässigt.
Da sie ihre Gedanken noch so gut ausdrücken kann, denke ich weniger an beginnende Demenz als an Wahnvorstellungen was ihren Mann betrifft.
Sie tut mir leid.

Ich habe mich gefragt wo eigentlich Thomas, ihr Sohn, ist und weshalb er sich anscheinend nicht um seine Mutter kümmert?

Noch etwas, das für mich nicht ganz aufgeht. Zu Beginn sitzt Hanni auf einem grünsamtenen Sofa, ich denke in der Wohnung, und am Schluss humpelt sie den schmalen Pfad zur Küche zurück.

Aber sonst sehr gerne gelesen.
Alles Gute wünscht Dir
Marai

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Friedrichard.
Gestern, als ich Deinen Kommentar las, fiel für mich Weihnachten und Ostern zusammen. Nicht weil Dir die Geschichte gefallen hat, was mich natürlich auch freut, nein, der wahre Grund des Jubilierens war ein anderer. Du hast 4, VIER! Fehler in meinem Text gefunden. Nur! Das ist für mich ein kleiner Etappensieg im Kampf um Orthographie, Zeichensetzung und Grammatik. Wenn ich eine Geschichte ohne Fremdkorrektur veröffentliche, fühle ich mich immer mit einem Bein im Korrekturcenter stehend.

Also mal wieder Zeit, vorbeizuschauen, und wer mit dem Konjunktiv umzugehen, gar zu spielen weiß, hat es auch verdient!
Ich könnte jetzt so tun, als hätte ich bewusst mit dem Konjunktiv gespielt, hab ich aber nicht. War reiner Zufall, glaub ich.:Pfeif:

Also ein liebes Dankeschön, Du hast einer Frau große Freude bereitet,
Liebst, Gretha

 

Hallo Marai,
danke für Deinen Kommentar und Dein Lob. Schmale Gänge in der Wohnung sind bei Messies obligatorisch, denn alles andere ist vermüllt. Es war aber etwas missverständlich, ich habe es geändert, ich hoffe, so versteht man es besser, danke.
Grüßle,
Grteha

 

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