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Grünleger
„Mama, hältst du Hühner auf dem Balkon?“
„Nein, natürlich nicht, wie kommst du drauf?“
„Die Falkenberg hat angerufen.“
„Natürlich, wer sonst“, ihre Stimme bekam einen giftigen Unterton, „das ist doch verrückt.“
„Also spinnt die Alte jetzt?“
„Total.“
„Dann bin ich beruhigt.“
Nach dem Telefonat hatte Hanni Herzklopfen und lehnte sich ächzend im grünsamtenen Sofa zurück und strich die wirren, in den Längen und Spitzen fliederfarbenen, am Ansatz ergrauten Haare aus der Stirn. Sofort glitten sie strähnig fett zurück an ihren angestammten Platz auf den Zornesfalten. Mit dem Fuß stemmte sie einige Tüten ein bisschen nach hinten, um Platz zum Aufstehen zu schaffen. Leider kam dabei die fragwürdige Statik der Müllberge aus dem Gleichgewicht, sie konnte gerade noch rechtzeitig die Füße einziehen, schon war der geschaffene Fußraum eingeebnet.
Schimpfend, aber mit liebevollen Gesten einer einst tadellosen Frau stapelte sie den Unrat neu, strich dort eine Plastikhülle glatt, zupfte da an einer verschimmelten Mikrowellenessverpackung, als richte sie sorgfältig eine Sonntagstafel für die ganze Familie, mit dem guten Tafelsilber und der wertvollen Klöppelspitze.
„Ja, wer kommt denn da?“, lockte sie schmeichelnd eine räudige Katze.
„Ist das mein Goldschatz? Komm zu Mutti, na komm.“ Mit einem beherzten Nackengriff zog sie das meckernde Tier von einem Stapel Wäsche.
„Hat sich die Falkenberg wieder eingemischt, immer hat die was zu schimpfen. Die gönnt niemand was, dabei brauch ich die Hühner, nicht wahr, mein Goldstück?“ Während des Redens drückte sie die Katze auf ihrem Schoß platt wie eine Flunder und streichelte sie hektisch Richtung Oberschenkel.
„Es war so schwer, sie zu bekommen. Einige waren Mogelpackungen, Grünleger, pah, kackbraune Eier. Aber unsere jetzigen Fünf legen die schönsten grünen Eier, die ich je gesehen habe. Und die brauche ich doch. Wenn er zurückkommt, muss ich welche vorrätig haben. Denn er wird kommen.“
Sie schloss verträumt die knittrigen Augen und vergoldete den bestialischen Gestank der Essensreste vieler Jahre, den Kot und die Pisse dreier Katzen und die Ausdünstungen ihres eigenen, vernachlässigten Körpers mit einem romantischen Lied:
Wenn ich ein Vöglein wär
und auch zwei Flügel hätt
flög ich zu dir
weil´s aber nicht kann sein
bleib ich allhier
Bin ich gleich weit von dir
bin ich im Traum bei dir
und red mit dir;
wenn ich erwachen tu
wenn ich erwachen tu
bin ich allein.
Keine Stund in der Nacht
da nicht mein Herz erwacht
und an dich denkt
dass du mir tausendmal
dass du mir tausendmal
dein Herz geschenkt.
Das Lied hatte ihr Vater immer gesungen und sich dabei spottend auf die Beinprothese geklopft. Sein Holzbein, wie er es immer nannte. Das Original hätte er in Russland gelassen. Sie wurde im Krieg geboren, wuchs aber bald im Wohlstand auf, ihr Vater hatte es sogar mit einem Fuß geschafft, auf die Beine zu kommen, in Zeiten des Wirtschaftswunders. Ihre Eltern betrieben ein Zoogeschäft, sie verbrachte ihre Kindheit zwischen Säcken von Vogelfutter, Sprechperlen für die Sittige, griechischen Schildkrötenkindern, kleinen Weißgesichtsseidenäffchen und Fischen in allen erdenklichen Farben und Formen.
Alle Kinder, die sich das Gesicht am Schaufenster platt drückten, um die possierlichen Kaninchen, Goldhamster und Meerschweinchen anzuschauen, beneideten sie. Sie durfte immer in die Käfige greifen, um die Tiere zu streicheln. Was sie auch jedes Mal tat, wenn sie Plattnasen an der Scheibe entdeckte.
Später kam ihr Gerald.
„Hach, was war das für ein stattlicher Mann. An der Taille konnte er mich mühelos hochheben und im Kreis drehen, als wäre ich eine Paradiesvogelfeder. Auch um ihn beneideten mich alle. Ja, ja, verfallen war er mir, mit Haut und Haaren, mein Gerald. Er wird wiederkommen, das wissen wir beide.“ Die Katze sah nicht so aus, als wisse sie irgendetwas, eher suchte sie einen Fluchtweg aus der misslichen Lage.
„Keine vier Wochen kannten wir uns, schon hatte er mich in andere Umstände gebracht. Was war das ein Theater, aber er ist ein guter Mann, der Gerald, natürlich hat er mich geheiratet und mein Vater hat eine derartig prunkvolle Hochzeit ausgerichtet, dass niemandem auffiel, dass Thomas viel zu früh geboren wurde. Nichts da, heimliche Heirat im Stillen, man tat so, als wäre Gerald der große Fang für unsere Familie gewesen.“ Das Tierchen auf ihrem Schoß hatte inzwischen aufgegeben und fügte sich in sein Schicksal.
„Grüne Eier, das war seine Leidenschaft. Und eine Scheibe Bauernbrot. Und eine Tasse Kaffee um sie zu tunken. Jeden Morgen habe ich ihm das gerichtet, immer hat er mich mein Mädchen genannt. Die Hühner waren sein großes Hobby, fast täglich besserte er den Hühnerstall aus, um seine Lieblinge vor dem Fuchs zu schützen.“
Jetzt füllten sich ihre Augen mit Tränen und sie summte das Lied von den zwei Königskindern, die nicht zusammen kommen konnten, da das Wasser viel zu tief war. Die Katze sah ihre Zeit gekommen und sprang fauchend vom Sessel.
„Er wird wiederkommen!“, rief sie ihr nach.
Dann angelte sie sich die Krücken und humpelte den schmalen Pfad, der zwischen all den Dingen, die sie bestimmt irgendwann einmal brauchen würde übrig war, zur Küche entlang. Öffnete die Anrichte, streichelte über den Vorrat mehrerer hundert grüner, nach Verwesung stinkender Eier, suchte das Likörchen, genehmigte sich einen, zwei, „Er wird wiederkommen. Denn ich habe alles vorbereitet."
Dann legte sie sich in das große Ehebett, schlug seine Seite auf, legte sich in ihre, faltete die Hände und wartete voller Zuversicht.