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Grüne Welle

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28.12.2009
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Grüne Welle

Wolfgang Bramenkamp hielt an der Kreuzung Luisenstraße, das rote Licht der Ampel glühte in der Dämmerung. Er war mit den anderen Disponenten noch auf ein schnelles Feierabendkölsch in den Marktkrug eingekehrt. An der Theke hatten sie über die Kurzarbeit debattiert, die Belegschaft war seit Monaten unruhig. Er hatte sich bereits nach einer Viertelstunde verabschiedet, es war Freitagabends. Vor dem Kiosk hinter der Kreuzung lungerte eine Gruppe Jugendlicher herum, sie lehnten an der Hauswand, tranken Dosenbier und rauchten Zigaretten. Im Radio liefen die ersten Takte eines alten Bob Seger Songs und er drehte lauter, ließ sich in den Sitz sinken und blickte aus dem Seitenfenster.

Sie standen auf der Linksabbiegerspur, ein Opel Kadett aus den 90ern, die Metallic Lackierung verblasst. Die Frau auf dem Beifahrersitz hatte die blonden Haare hochgesteckt, ihre Lippen stark geschminkt, zwei rote Striche im halbdunklen Fond, das restliche Make-Up verwischt, als hätte sie geweint. Den Mann konnte er nicht richtig erkennen, nur eine Silhouette im Hintergrund, aber er hielt etwas in der Hand, ein kleines, schmales Ding, er hielt es der Frau vors Gesicht, doch als sie danach griff, riss er es wieder an sich. Die Frau begann zu schreien und wild um sich zu schlagen, der Opel schaukelte hin und her, ihre Schreie trotz des geschlossenen Fenster so laut, dass die Jugendlichen vor dem Kiosk ihre Gespräche unterbrachen und aufmerksam wurden.

Die Ampel schaltete auf Grün, er legte den Gang ein und fuhr langsam los, so dass er noch einen letzten Blick in den Kadett werfen konnte; doch selbst jetzt konnte er den Mann nicht erkennen. Er blieb ein Schatten.
Hinter der Kreuzung drosselte er das Tempo, wendete auf dem Busfahrstreifen, fuhr weiter die Kaiserstraße hoch und holte den Kadett auf Höhe der Mundorf-Tankstelle ein. Er hielt zwei, drei Autolängen Abstand, nah genug, um das Kennzeichen entziffern zu können, den verblichenen Sylt-Aufkleber auf der Kofferraumklappe. Durch die Heckscheibe des Opels sah er ihre Schemen, der Mann, die Frau, ihre heftigen, hektischen Bewegungen, und jedesmal wenn sie nach ihm schlug, machte der Kadett einen Schlenker, aber der Mann war ein guter Fahrer, immer wieder fand er zurück in die Spur. Vor der Aggerbrücke wurden sie langsamer, der Kadett wechselte auf die Rechtsabbiegerspur, die auf den Zubringer zur Autobahn führte, danach wieder auf die mittlere Spur Richtung Troisdorf.

Wolfgang Bramenkamp schaltete das Radio aus, drehte die Fensterscheibe zur Hälfte herunter, der Fahrtwind strich ihm kühl übers Gesicht. Er folgte dem Kadett über die Kölner Straße, vorbei an Imbissbuden, Kneipen, Cafes, den dreistöckigen Packhäusern der Genossenschaft. Sie passierten mehrere Kreuzungen, alle Ampeln standen auf grün, grüne Welle, dachte er und bremste leicht, wahrte den Abstand.
Die Frau schien sich beruhigt zu haben, der Kadett fuhr jetzt geradeaus, keine Ausreißer mehr, die lange Hauptstraße durch Spich, die Geschäfte reihten sich hintereinander auf, mittlerweile allesamt geschlossen, nur der LIDL war um diese Uhrzeit noch geöffnet, der große Parkplatz taghell erleuchtet, ein paar Autos standen neben den Boxen für die Einkaufswagen, ein Mitarbeiter fegte lustlos den Eingang. Hinter Spich begannen die Felder, ausgedehnte Parzellen entlang der Fahrbahn, Weizen, Mais, Raps, dazwischen verlief die Bahnlinie, die S13 fuhr gerade Richtung Köln, hängende Köpfe hinter den rechteckigen Fenstern, rhythmisches Stampfen auf den Gleisen, dumpf und weit entfernt. Vor der Unterführung nach Lind wurde der Kadett langsamer, der rechte Blinker sprang an, ein grelles, orangefarbenes Pulsieren in der Dämmerung, dann hielt der Wagen auf dem Seitenstreifen neben der Fahrspur. Wolfgang Bramenkamp fuhr weiter durch die Unterführung, behielt das Tempo bei, auf der anderen Seite des Tunnels wieder Felder, noch mehr Mais, Weizen und Raps, das Land flach und weit, die Ähren bewegten sich sachte im nächtlichen Wind. Am Horizont die Schemen der Möbelhäuser mit ihren riesigen Neonleuchtreklamen. Er fuhr in einen Kreisverkehr vor dem Ortseingang, die Einfamilienhäuser dahinter friedlich im Halbdunkel. Er setzte den Blinker, obwohl sich kein weiteres Fahrzeug auf der Straße befand und nahm hinter der Unterführung den Fuß vom Gas. Die hellweiße Fahrbahnmarkierung, die aufgeschüttete Kiesbank, das aus den Rissen im Asphalt wachsende Unkraut. Er schaute noch einmal in den Rückspiegel, fuhr dann langsam an den rückgebauten Hallen der Dynamit Nobel vorbei, sein Blick suchte in den stillen Nebenstraßen, in den mit Giersch überwucherten Parkbuchten. Der Kadett blieb verschwunden.

Er stellte das Radio wieder an; es lief eine Gesprächsrunde, in der es um die wirtschaftliche Lage ging, die fehlenden Fachkräfte. Jeder Experte hatte eine andere Meinung, überbot sich mit Thesen, wurde laut, ließ den anderen nicht aussprechen. In der Einfahrt vor seinem Haus blieb er noch einen Moment lang im dunklen Wagen sitzen und hörte der Motorkühlung zu, seine Hände umfassten das Lenkrad. Im Untergeschoss brannte Licht, es war das Licht unter der Dunstabzugshaube, seine Frau ließ es immer an, bis er es schließlich ausmachte, wenn er nach Hause kam. Er öffnete die Fahrertür, stieg aus, sein Körper schwer und träge. In der Luft lag der Geruch von gemähtem Rasen und warmem Diesel. Der Bewegungsmelder vor der Garage funktionierte nicht, er tastete im Dunkeln, bis er das Geländer der Außentreppe zu fassen bekam. Hinter dem satinierten Milchglas der Haustür zuckte das grelle Licht des Fernsehers.
Seine Frau saß auf der Couch, die Füße auf einen Hocker gelegt.
Er setzte sich schweigend neben sie.
Wo warst du denn noch?, fragte sie und stellte den Ton leiser. Bist aber spät.
Ach, mit den Kollegen aufn kurzes Kölsch.
Was gab’s denn?
Nur wegen der Firma.
Sie nickte.
Im Fernsehen lief eine Sendung über Messies; Räume, vollgestellt mit Dingen, die niemals benutzt werden würden.
Wolltest du noch mal weg?
Das Gesicht seiner Frau weich und rundlich hinter der Brille mit den großen Gläsern, die Haare glatt und grau, ihre Lippen blassrosa.
Nein, wieso?
Trägst noch deine Jacke.
Ja?, sagte er und blickte an sich herunter. Ja, stimmt … aber nee, ich wollt eigentlich nich mehr weg.
Sie lächelte. Wieviel Kölsch hattest du denn, sag mal?
Ach, machte er. Doch nicht, wenn ich fahre.
Dann sahen sie beide auf den Bildschirm. Noch mehr Räume mit noch mehr Dingen.
Um was ging’s denn?
Er schüttelte den Kopf. Wie, was meinst du?
Na, auf der Firma.
Das Übliche eben.

Sie schauten die Sendung zuende, danach noch eine andere. Wolfgang Bramenkamp dachte an das kleine, schmale Ding, das der Mann in den Händen gehalten hatte, an die Frau und den Kadett. Ihm fielen die Augen zu, und jemand im Fernsehen lachte über etwas, das jemand anderes sagte, doch es war schon zu weit weg. Später redete er sich ein, dass alles nur ein Traum gewesen war, einer dieser Träume, in denen man selbst die Handlung bestimmt, so klar wie Wasser.

 
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Tolle Geschichte, so bildlich wie ein Springsteen-Song der früheren Jahre. Ein paar subjektive Überlegungen dazu:
Du schreibst „…Bob Seger Songs, und er drehte lauter“. M.E. müsste das Komma weg. Statt metallic Lackierung würde ich Metallic Lackierung bevorzugen. Etwas verwirrend ist:
Durch die Heckscheibe sah er ihre Schemen, der Mann, die Frau, ihre ..
Ich bin drüber gestolpert, weil ich zunächst dachte, es müsste doch die Frontscheibe sein, denn er fährt ihnen ja hinterher. Aber er schaut natürlich durch das Heckfenster des Kadett.
Ansonsten sind mir zwei sehr lange Sätze aufgefallen, die ich teilen würde (zB „Die Frau schien sich beruhigt zu haben,…“)
Deine Absicht ist klar, aber hier ist der Satz
sehr lang.
Und der Satz „…er hielt es der Frau vors Gesicht, als wolle es ihr überreichen..“ scheint mir nicht richtig zu sein.
Und zum Schluss hätte ich statt „lag der Geruch von gemähten Rasen und Diesel“
„gemähtem Rasen..“ geschrieben, es sei denn es sind eben mehrere Rasenflächen gemeint (etwa auch der Nachbarn).
So, das nächste Mal habe ich vielleicht das mit dem Textkopieren gelernt, die Geschichte habe ich sehr gern gelesen, schönen Abend von Jaylow

 
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Hey @jimmysalaryman

Was macht es mit uns, wenn es dämmert und das Unkraut aus dem Asphalt spriesst? Du erzählst von einem kurzen Aufflackern des Sich-Kümmerns, der Sorge um den Anderen. Ansonsten viel Dunkelheit. Inflation und Giersch. Jungs mit Dosenbier in den Händen und Messies im TV. Das klingt vielleicht etwas nach too much, aber ich fand das im Text gut dosiert, es ergibt eine gute Grundierung.
In meinen Augen gibt der Text einem vagen Gefühl Ausdruck: Da ist der sichtbare Verfall, da ist Inflation und die Dämmerung. Angesichts dessen überkommt einen die Ahnung, dass damit eine Art moralischer Verfall einhergeht, man erhascht einen flüchtigen Blick darauf, da geschehen Dinge in den Autos, in den Wohnungen, da deuten sich - Abgründe ist ein zu starkes Wort, dein Text arbeitet subtiler - es deuten sich Risse im gesellschaftlichen Gefüge an. Dein Prota könnte weiterfahren, doch er schaut hin. Nichtsdestotrotz bleibt verborgen, was genau sich im Fond des Opels getan hat. Der Prota wirft einen Blick auf das Schicksal eines Menschen - und wir mit ihm. Es gelingt aber nicht, diesen Blick zu vertiefen, zu schärfen. Er weiss, es ist etwas Schlimmes geschehen - und sucht Halt beim Gedanken, dass alles nur ein Traum gewesen sein könnte. Ein ähnliches Gefühl habe ich manchmal, wenn ich die Nachrichten schaue und danach den TV ausschalte. Ich will schon wissen, was geschieht, aber dann auch wieder nicht oder nicht so genau. Du wirst die TV-Passage am Schluss nicht ohne Grund eingefügt haben.

Zwei, drei Überlegungen:

und jemand im Fernsehen lachte über etwas, das jemand anderes sagte, doch es war schon zu weit weg.
Ich weiss nicht, für meinen Geschmack könntest du hier schon raus aus dem Text. Ich würde das "schon zu weit weg" automatisch auf seine Beobachtungen übertragen. Den letzten Abschnitt brauche ich nicht unbedingt, ich finde ihn aber auch nicht störend, ausser ...
Manchmal dachte er schon, er habe herausgefunden, was das kleine, schmale Ding gewesen war. Dann atmete er tief durch und lehnte sich zufrieden zurück. Doch er konnte sich nie sicher sein. Es blieb ein Geheimnis, das sich nicht ergründen ließ. Später redete er sich ein, dass alles nur ein Traum gewesen war, einer dieser Träume, die so klar wie Wasser sind, in denen man selbst die Handlung bestimmt. Er wusste, dass das nicht stimmte.
... die beiden Sätze sind mir zu erklärend. Es wird ja - von der Grundstimmung des Textes abgleitet - recht schnell klar, dass du das nicht auflösen wirst.
Er war mit den anderen Disponenten nach Dienstschluss noch auf ein schnelles Kölsch in den Marktkrug eingekehrt, an der Theke wurde über Kurzarbeit und die Auftragslage debattiert
Der erste Abschnitt hat in meinen Augen noch nicht denselben flow wie der Rest des Textes. Schuld daran könnte dieser lange und etwas sperrige Satz ("Disponenten" , "Dienstschluss", "nach", "noch", "eingekehrt") sein, der so rein gar keine Atmosphäre schafft.
er hielt es der Frau vors Gesicht, als wolle es ihr überreichen, doch als sie danach griff, riss er es wieder an sich.
korrekt wäre der Konj II "wollte". Und danach fehlt ein "er". Insgesamt hast du hier dreimal "er ... es" in einem Satz, das fand ich nicht so prickelnd.
ein alter Opel Kadett aus den 90ern
Du lieferst ja die Altersangabe mit.
Durch die Heckscheibe sah er ihre Schemen, der Mann, die Frau,
Ich bin da auch gestolpert. vielleicht: "Durch die Heckscheibe des Opels sah er ..."
ein grell pulsierendes, orangefarbenes Licht in der Dämmerung
Hast du schon im ersten Satz drin. Es wirkt auf mich aber nicht gewollt, eher wie ein Übersehen.

Ein starker, sehr unterschwelliger Text! Er lässt mich wahrscheinlich, wenn ich mich später ins Bett lege, noch eine, zwei Minuten in die Dunkelheit starren.

Lieber Gruss
Peeperkorn

@Jaylow

das nächste Mal habe ich vielleicht das mit dem Textkopieren gelernt
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Tolle Geschichte, so bildlich wie ein Springsteen-Song der früheren Jahre.

Moin Jaylow,

vielen Dank für Zeit und Kommentar.

Springsteen erstmal immer gut. Hab ich letztes Jahr live gesehen, 3 Stunden in Düsseldorf. War ziemlich geil. Ziemlich pompös, obwohl ich die minimalistischen Sachen von ihm lieber mag, sprich Nebraska.

Ich bin drüber gestolpert, weil ich zunächst dachte, es müsste doch die Frontscheibe sein, denn er fährt ihnen ja hinterher. Aber er schaut natürlich durch das Heckfenster des Kadett.
Hast natürlich Recht, er sieht im Grunde durch zwei Scheiben, muss ich gucken, wie ich das hinkriege, das es logisch bleibt.

Ein paar subjektive Überlegungen dazu:
Ich übernehme mal alles, man übersieht echt immer wieder etwas, verdammt!

Moin @Peeperkorn,

danke dir Peter.

Ansonsten viel Dunkelheit. Inflation und Giersch. Jungs mit Dosenbier in den Händen und Messies im TV.
Stimmt natürlich, reduziere ich auch noch. Aber ich habe da mal drauf geachtet, wenn ich durchs Industriegebiet abends nach Hause fahre: genauso ist es eben auch. Da ist so ein Center für Langzeitarbeitslose, die dort Kurse bekommen, die stehen morgens und abends draußen, rauchen, trinken Kaffee, die Umgebung fällt auseinander, Baumwurzeln reißen den Asphalt auf, Schlaglöcher, der HIT-Markt dahinter, da sitzen sie mit Bierdosen vor dem Engang zum Getränkemarkt, es wird gebettelt ... also ist nicht so, dass ich mir dieses Bild wie en Tableaux aus den Fingern sauge, aber ich weiß, was du meinst. Ich werde das im Mittel auf jeden Fall reduzieren.

Ein ähnliches Gefühl habe ich manchmal, wenn ich die Nachrichten schaue und danach den TV ausschalte. Ich will schon wissen, was geschieht, aber dann auch wieder nicht oder nicht so genau. Du wirst die TV-Passage am Schluss nicht ohne Grund eingefügt haben.
Ich glaube, man lügt sich selbst in die Taschen, also ich zumindest: Man ist so umgeben von Information, und alle haben sie mit Leid und Tod zu tun, und immer hat man das Gefühl, oder es wird einem auch untergeschoben, dass man irgendwie eine Mitschuld hat, dass man sich rechtfertigen muss, dass man etwas ändern muss. Es geht immer auch im Verzicht und Konsum, dabei sind wir alle Konsumisten und belügen uns auch dabei selbst: die meisten konsumieren gerne, ich auch, ich kaufe mir gerne neue Dinge, eine neue Flasche Whiskey, Wein, Bier, Urlaub, Kleidung, dies das, aber man darf es natürlich nicht zugeben, dass ist wie bei Mäcces essen: im Grunde verboten!

Ich fahre ja gerne alles runter auf den Mikrokosmos, was macht das Weltgeschehen mit dem Einzelnen, wie wirkt sich das aus?

Ich weiss nicht, für meinen Geschmack könntest du hier schon raus aus dem Text. Ich würde das "schon zu weit weg" automatisch auf seine Beobachtungen übertragen. Den letzten Abschnitt brauche ich nicht unbedingt, ich finde ihn aber auch nicht störend, ausser ...
Ja, mein persönlicher Gordon Lish Impuls hat das auch gesagt! Ich weiß nicht, warum, aber n der letzten Zeit hatte ich ein paar Texte, wo ich dazu neige, zuviel zu erklären. Ich hatte bei einigen Texten davor das Gefühl, dass ich vielleicht nicht so verstanden werde, wie intendiert, und deswegen wollte ich die Echokammer, wo die Resonanz des Leser wie so ein Geist herumirren könnte, dementsprechend verkleinern! Mal im Ernst, man ist sich ja manchmal unsicher, wie weit einem der Leser folgt. Oft ist es ja so, dass nur ein vages Andeuten reicht, aber hier im Forum wird auch anders gelesen; oft, wenn ich mal in Leseproben von Gegenwartsliteraturtiteln reinlese, denke ich, boah, das ist ja total Holzhammer! Und so will ich es eben nicht machen, weiß aber, dass viele normalere Leser da eventuell nicht mitgehen - was egal sein sollte. Du hast wahrscheinlich Recht, ich hau das Ende raus, fällt mir gerade auf. Fliegt bei der nächsten Überarbeitung raus. Bin nebenbei noch bei Bulfro dran, das wird allerdings ein größeres Unterfangen.

Der erste Abschnitt hat in meinen Augen noch nicht denselben flow wie der Rest des Textes. Schuld daran könnte dieser lange und etwas sperrige Satz ("Disponenten" , "Dienstschluss", "nach", "noch", "eingekehrt") sein, der so rein gar keine Atmosphäre schafft.
Bin ich dran! Der Rest wird auch ausgebessert, man überliest doch so vieles, verdammt. Ich muss wieder aufmerksamer werden.

Ein starker, sehr unterschwelliger Text! Er lässt mich wahrscheinlich, wenn ich mich später ins Bett lege, noch eine, zwei Minuten in die Dunkelheit starren.
Danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar, Peter, hat mich sehr gefreut.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @jimmysalaryman

ich weiß nicht, ob von dir so konkret gewollt, aber ich hatte beim Lesen den Gedanken, was Schuld hier für eine Rolle spielt. Unter anderem deshalb finde ich deinen Text auch gelungen, weil er es schafft, dass ich mir im Nachklang darüber einige Gedanken mache. Und zwar unabhängig davon, was jetzt konkret in der Geschichte passiert.

Ich fahre heute Morgen zum Sport und denke, solche Situationen wie in dieser Geschichte, wo man irgendetwas mitbekommt, einen Streit, eine unangenehme Situation, etwas, was man vielleicht gar nicht richtig greifen kann im ersten Moment, die hattest du doch auch schon, oder? Wo man plötzlich mit der Frage konfrontiert ist: Muss man vielleicht was tun? Muss man eventuell eingreifen, sich irgendwie verhalten? Klar hattest du solche Situationen! Und wie hast du dich verhalten? Hast du weggesehen? Hast du hingesehen, aber nicht gehandelt, weil du gehofft hast, dass wer anders etwas tut? Hast du zwar gehandelt, aber warst dann froh, als die Situation sich dir wieder entzogen hat? Hast du die nächsten Tage aktiv versucht, nicht mehr dran zu denken? Das sind die Fragen, die zumindest mir beim Lesen deines Textes (und vor allem danach) kamen und die mich jetzt auch weiterbeschäftigen.
Guter Text!

Kleine Anmerkungen:

Vor der Unterführung nach Lind wurde der Kadett langsamer, der rechte Blinker sprang an, ein grelles, orangefarbenes Pulsieren in der Dämmerung, dann hielt der Wagen auf dem Seitenstreifen neben der Fahrspur. Wolfgang Bramenkamp fuhr durch die Unterführung, behielt das Tempo bei, auf der anderen Seite des Tunnels wieder Felder
suchte in den stillen Nebenstraßen, in den mit Giersch überwucherten Parkbuchten.
Im Prinzip ist das die einzige Stelle, die mich ein wenig rausgeworfen hat, weil ich mir zunächst nicht sicher war, ob er den Kadett jetzt überholt, ob er wieder dreht, um noch mal zu schauen oder ob er wirklich weiterfährt. Und mir war dann auch nicht ganz klar, warum er dann überhaupt noch in den Seitenstraßen sucht. Vermutlich hat mich da einfach das Wort suchen gestört.

Trägst ja noch deine Jacke.
Ja?, sagte er und blickte an sich herunter. Ja, stimmt … aber nee, ich wollt eigentlich nich mehr weg.
Sie lächelte. Wieviel Kölsch hattest du denn, sag mal?
Ach, machte er. Doch nicht, wenn ich fahre.
Wolfgang Bramenkamp dachte an das kleine, schmale Ding, das der Mann in den Händen gehalten hatte, an die Frau und den Kadett. Ihm fielen die Augen zu, und jemand im Fernsehen lachte über etwas, das jemand anderes sagte, doch es war schon zu weit weg.
Später redete er sich ein, dass alles nur ein Traum gewesen war, einer dieser Träume, die so klar wie Wasser sind, in denen man selbst die Handlung bestimmt. Doch er wusste, dass das nicht stimmte.
Mir geht es so (das wurde ja auch schon angemerkt), dass du früher aussteigen könntest. Ich bräuchte den letzten Teil nicht. Du stellst da in meinen Augen nur noch mal heraus, wie es Wolfgang Bramenkamp beschäftigt und welche Lösungsstrategie (der Traum) er sich da versucht einzureden. Aber weil du es vorher schon so gut aufbaust, wird (in meinen Augen) völlig klar, wie es ihn beschäftigt. In meinen Augen würde der Text davon profitieren, den letzten Teil zu streichen und hier
Hinter dem satinierten Milchglas der Haustür zuckte das grelle Licht des Fernsehers.
auszusteigen. Für mich würde sich das dann runder und abgeschlossener anfühlen. Andererseits hast du dir sicherlich auch was dabei gedacht, diesen Teil noch hinten anzuhängen.

Viele Grüße
Habentus

 

ich weiß nicht, ob von dir so konkret gewollt, aber ich hatte beim Lesen den Gedanken, was Schuld hier für eine Rolle spielt.

Moin @Habentus, und danke dir für Zeit und Kommentar!

Ja, Schuld. Das steckt da auch mit drin, klar. Ich weiß gar nicht, ob ich das jemals geplant habe, etwas ganz Konkretes in einer meiner Texte zu verarbeiten, das sind ja eher oft Stimmungen, die einen verleiten, weiterzumachen oder überhaupt erst anzufangen. Dieses ganz konkrete Beispiel habe ich selbst beobachtet, das ist schon Jahre her, ein Paar in einem Auto, nur hatten die noch ein Kind dabei auf dem Rücksitz. Und das war so bizarr, dass mich das nie wieder losgelassen hat. Ich denke, so etwas passiert ja eher selten, also Dinge, die wirklich entrückt sind, das Leben verläuft doch im Großen und Ganzen recht gleichförmig, und hier dient diese Situation ja auch dazu, dass sich der Protagonist aus dieser Bahn entfernt, es wirkt wie ein Abenteuer.

Vermutlich hat mich da einfach das Wort suchen gestört.
Ich verstehe, sehe ich mir an. Ist etwas mißverständlich, gebe ich dir Recht.

Du stellst da in meinen Augen nur noch mal heraus, wie es Wolfgang Bramenkamp beschäftigt und welche Lösungsstrategie (der Traum) er sich da versucht einzureden. Aber weil du es vorher schon so gut aufbaust, wird (in meinen Augen) völlig klar, wie es ihn beschäftigt. In meinen Augen würde der Text davon profitieren, den letzten Teil zu streichen und hier
Dein Vorschlag ist radikal. Mir gefällt das, so superminimalistisch. Die Frau, also Bramenkamps Ehefrau, wollte ich aus folgenden Gründen drinnehaben: Das ist ja eine Spiegelung zu der Frau um Kadett. Sie wird ja auch noch einmal genauer beschrieben, sie wirkt etwas leblos und apathisch, desinteressiert, die andere Frau in dem Kadett nicht, die ist das Gegenteil, das sollte noch einmal verdeutlicht werden. Mal schauen, ob das so aufgeht, wie ich mir gedacht habe! Ansonsten hat deine Lösung aber was, finde ich gut.

Gruss, Jimmy

 

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