Mitglied
- Beitritt
- 24.04.2002
- Beiträge
- 5
grüne sterne
In einer sternklaren nacht stand einmal jemand auf dem dach eines hauses und versuchte, das mühsam erkämpfte gleichgewicht nicht zu verlieren.
Ein paar dachpfannen lösten sich und rutschten schlitternd zu boden. Eine Katze schlenderte vorbei, besah sich die roten scherben und hielt nicht viel davon.
Unter einem jemand stellen sich die leute für gewöhnlich einen mittelgroßen mann mit blonden kotelettenansätzen und kreide an den fingerspitzen vor (basiert allerdings nicht auf nachweisbaren statistischen umfragen), dem war in diesem fall aber nicht so.
Diesmal war alles anders. Fangen wir mit der frisur an; ein roter haarschopf, dessen einzelne haare wie züngelnde flammen aus der kopfhaut empor sprossen.
Die statur; eher klein, trotzdem schlaksig, im großen und ganzen vermittelte er den eindruck, jeden moment vom winde verweht, jedoch immer und zu jeder zeit in einer rettenden baumkrone hängen bleiben zu können. In erinnerung blieb auch sein name, Grün.
Wind kam auf und veranlasste Grün dazu, sich flach auf den bauch zu legen, den halt zu verlieren und, die insgesamt recht stark vorhandene schräge des daches ausnutzend, mit einem überraschten „hoh!“ das dach herunterzurutschen. Eigenartigerweise hatte er gerade noch zeit, „mein gott, die regenrinne ist ja voller nasser blätter, dabei hat es schon seit monaten nicht mehr geregnet!“ zu denken, bevor er die regenrinne passierte und seine welt auf einmal nur noch aus rauschender luft und immer näher kommendem boden bestand. Verflixt.
Eine andere perspektive: Ein kastanienbaum befand sich auf der gegenüberliegenden straßenseite und wiegte seine zweige in der sternwarmen nachtluft. Ein rettungssaurier beobachtete die welt mit scharfen augen. Leider sah er in die falsche richtung, von der seite war also keine rettung zu erwarten. Nochmal verflixt.
Währenddessen hatte sich die lage wohl kaum gebessert. Ein freier fall ist fast immer eine heikle situation, welche äußersten scharfsinn und konzentrierteste konzentration erfordert. Denn, und das ist eine nur wenigen bekannte regel im universum, es gibt immer eine chance, gerettet zu werden. Immer. Natürlich übersieht man sie in den meisten fällen, aber manchmal, da fällt einem etwas auf, ein winzigkleiner rettungsring, nach dem zu greifen eine der schwierigsten angelegenheiten der welt ist. Für manche, na ja, seien wir ehrlich, für die meisten zu schwierig. Aber Grün war weder manche, noch die meisten, er war einer, der den rettungsring nicht nur wahrnahm, sondern ihn auch überstreifte und sich ihm anvertraute. Das ist nämlich das, worauf es ankommt, man muss sich ihm vollständig und hunderprozentig anvertrauen. Der rettungsring in diesem fall war ein kleines gelbgrünes blatt, dass wie ein seestern geformt war. Es schwebte an grün vorbei, machte sich ganz flach und bot dem wind so viel oberfläche wie möglich, damit er es trug. Es schien Grün zuzuzwinkern, während es kokett seinen linken augenwinkel passierte. Grün machte sich ganz flach und bot dem wind so viel oberfläche wie möglich. Er lächelte das blatt an und das blatt lächelte zurück und nutzte eine plötzliche windböe, um sich nach oben zu schwingen und für immer aus Grüns leben zu verschwinden. Für immer, aber doch nie ganz. Grün schaukelte zu boden und blieb auf dem bauch liegen. Die rauhe straße fühlt sich unglaublich toll unter den händen an, wenn man weiß, dass es auch hätte sein können, sie mit sämtlichen eingeweiden zu spüren. Grün grub seine fingerspitzen in den asphalt und stand dann auf. Er sah sich um und beschloss, nicht wieder auf ein dach zu klettern, um die sterne zu beobachten. Denn er hatte gerade festgestellt, dass einen die höhe des hauses den sternen nicht näher bringt.