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Grün

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25.09.2002
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Grün

Grün

"Scheiße. Oh Scheiße", stöhnt Guido. Er gibt Gas.
Die Räder des Nissan drehen durch. Sie wühlen auf dem losen Waldboden und finden keinen Halt.
Es ist wieder 1998. Es ist das Jahr des Waldmanns. Das Jahr eines unwirklichen Alptraums, in dem die Zeit stehen blieb.

Der Waldmann. Das ist eigentlich nicht unbedingt ein Mann. Genau genommen ist es nicht einmal ein Mensch. Aber sprechen kann sie sehr wohl, die Ausgeburt des Waldes.
"Gebt mir das Kind", schnarrt der Waldmann. Seine Stimme erklingt aus den Lautsprechern des Wagens. "Gebt mir nur das Kind und ich lasse euch gehen." Das Kind heißt Clara und sitzt verkrümmt auf der Rückbank des Wagens. Clara kreischt und hält sich vehement die Ohren zu, als könnte sie damit das Auftauchen des Waldmanns ungeschehen machen.
Die Räder greifen und das Fahrzeug setzt sich endlich in Bewegung. Einen Augenblick lang sieht es so aus als könnten die Brachts dem Zugriff des Waldmanns entkommen. Doch dann spüren sie einen Schlag auf acht Uhr und der große Wagen bricht mit dem Heck aus. Heftiges Gegensteuern Guidos erweist sich als nutzlos, als sich der Nissan querstellt und in die schlammige Böschung des Waldwegs schlingert. Dort verfängt er sich endgültig. Die Räder graben sich in das aufgeweichte Erdreich und der Motor erstirbt nach einem letzten verzweifelten Urschrei.
Im Inneren des Wagens ist es jetzt sehr still, denn Clara hat ihre lautstarken Gebärden eingestellt. Hannas flehende Grimasse sieht Guido an. Sie wirkt wie ein Mädchen, das jeden Augenblick eine drakonische Strafe ihres Vaters erwartet. Natürlich ist Guido nicht ihr Vater. Er ist ihr Mann. Clara ist ihre neunjährige Tochter. Der vierte Darsteller an diesem grausigen Set ist der groteske Waldmann. Er hat sich inzwischen an die linke Seite des Wagens geschoben. Geschoben deshalb, weil er nicht geht. Seine Art des Wandelns läßt sich am ehesten vergleichen mit dem Schieben einer Schachfigur. Guido stellt eine verrückte Überlegung an. Wer schiebt diese gräßliche Schachfigur? Welcher Gott kann die Existenz dieses Waldmanns überhaupt verantworten?
"Ich bin der Jesus des Waldes" gesteht der Waldmann den Brachts wie auf ein Stichwort. "Ich bin der dunkelgrüne Missionar der Natur. Gebt mir das Kind! Ich befehle es euch, Auswärtige."
Die Beine des Wesens wachsen aus dem matschigen Erdreich einem moosbewachsenen Torso entgegen. Die Extremitäten sind von grauer Farbe und durchsetzt mit grünlichen Pusteln. Sie haben eine rindenartige Beschaffenheit. Das grobschlächtige Gesicht weist einen blaßgrünen Teint auf, als beziehe der Waldmann seine Energie aus Photosynthese. Sein Haar besteht aus unirdischem Blattwerk, das ihm wild aus dem Schädel wuchert. Ein knorriger Zweig dient ihm als Zeigefinger und er berührt damit zaghaft die hintere Seitenscheibe.
Puk
Das Geräusch beendet Claras Schweigen. Sie kreischt ihren Vater an.
"Papa! Er kommt mich holen! Du wolltest mir nicht glauben, dass es ihn gibt. Jetzt holt er mich zu sich!" Mit diesen Worten vergräbt sie sich im Rechten Fußraum des Fonds. Hannas Erstarrung löst sich. Sobald die hysterischen Schreie ihrer Tochter verklingen, herrscht sie Guido in der selben Tonart an. "Los! Unternimm doch was. Mach endlich, dass er weggeht. Sei doch einmal ein Mann!"
Guido sieht sie ungläubig an. Hanna spricht von dieser Kreatur, als wäre sie eine Ratte, die sie in der Waschküche gesichtet hat. Kein Problem, Schatz. Ich hole mal eben den Besen jage sie fort. Zufrieden?
Guido wendet sich ab und betätigt den Türöffner. Seiner Verzweiflung folgt ein frischer, beinahe trotziger Zorn. Er fixiert den Waldmann mit bösem, aber unsicherem Blick.
"Was fällt ihnen überhaupt ein uns so zu erschrecken. Sehen sie nicht das sie der Kleinen Todesangst eingejagt haben? Sie ruinieren unseren Familienausflug mit ihrem verrückten Auftritt, sie dämlicher Öko."
Mit diesen Worten steigt Guido aus dem Auto und versetzt dem baumstammartigen Bein des Waldmanns einen festen Tritt.
Langsam wendet ihm das Wesen das Gesicht zu. Auf diesen Anblick aus nächster Nähe hätte Guido gerne verzichtet. In den Augenhöhlen seines Gegenübers liegen Augen, die am ehesten die der Oberfläche von Likörkirschen ähneln. Sie sind rot, stumpf und lassen die Pupillen vermissen. Aus dem unregelmäßigen Spalt des Mundes strömt ein intensiver Grasgeruch., der Guido sofort benebelt. Die Zornesfalte auf Guidos Stirn glättet sich. Er setzt eine entspannte Mine auf und nickt.
"Ich bin sicher, wir können uns einigen wie das vernünftige Männer halt so tun." sagt Guido.
Hanna beobachtet die Ereignisse zuerst mit Verblüffen, dann mit Entsetzten. Sie hat ihren Mann noch nie so reden hören. Davon abgesehen war sie auch noch nie in so einer Situation.
Jetzt dreht sich Guido zu ihr um und betrachtet sie mit einem ausgesprochen dümmlichen Grinsen. "Schatz! Sie mich nicht so entgeistert an", sagt er. "Wir haben uns in ihm wohl getäuscht. Vorschnelles Urteil! Davor ist keiner gefeilt. So ein übler Kerl ist er gar nicht. Nur ein Bißchen ungepflegt von der äußeren Erscheinung her. Vielleicht hat er auch eine etwas unkonventionelle Weltanschauung. So verkehrt kann das aber nicht sein. Schließlich sind bei uns sogar solche Politiker an der Macht."
Während seines Plädoyers hat sich Guido wieder auf dem Fahrersitz niedergelassen. Ohne den Blick von ihr zu nehmen streckt er die Hand aus und stellt das Autoradio an. Guido bevorzugte einen Sender, der die "Golden Oldies" seiner Jugend spielt. Er ist nicht überrascht "San Francisco" in angenehmer Lautstärke aus den Boxen dringen zu hören.
Einen Augenblick ist Hanna perplex und sprachlos. Diese Episode ihres Lebens nimmt immer mehr surreale und alptraumhafte Züge an. "Was ist los mit dir? Was hat er mit dir gemacht?" Ihr Gatte schenkt ihr ein verklärtes Lächeln. Zuerst sieht es so aus, als gedenke er nicht zu antworten. Dann seufzt er ein glückliches "Mmhh."
"Mensch, Guido! Reiß dich zusammen. Ich habe Angst, verdammt noch mal. Du machst mir Angst", sagt sie.
"Schön. Schön. Prima.", erwidert er.
"Was redest du da? Prima? Findest du es prima, dass dieses Ding unsere Tochter..."
"Ich wußte, dass man mit dir reden kann. Du bist ja so vernünftig und brav", unterbricht er sie. Er hat jetzt einen geschäftsmännischen Ton angeschlagen und steigt wieder aus dem Auto. "Wir können ja eine neue haben", fügt er leise hinzu.
Er geht um den Wagen und öffnet die rechte Fondtür, hinter sich Clara verbirgt.
In Erwartung eines heftigen Einschlags hat Clara die Arme um ihren dunkelblonden Kopf geschlungen. Guido tätschelt zärtlich ihre Schulter. Ganz langsam blickt sie zu ihrem Vater auf. Ihre furchtsamen grauen Augen mustern ihn.
Das ist nicht richtig, denkt Clara. Papi guckt nicht richtig. So guckt Papi nie. Auch wenn Papi besoffen ist, guckt er nicht so. Nie nie. Sie weicht vor ihm zurück und ein leises protestierendes Stöhnen entringt sich ihrer Kehle. Das ist nicht mein Papi. Das ist der Waldmann. Er hat ihn entführt. Und gleich entführt er mich.
Mit dieser Erkenntnis kreischt sie: "Mami, das ist ein Trick. Papi weiß nicht was er tut. Der Waldmann ..."
"Schhht!", macht Guido. Er blickt Clara verzückt an. "Schhhht. Kein Grund zur Aufregung, Kleines."
Clara zwängt sich zwischen den Vordersitzen hindurch und krabbelt auf den Schoß ihrer Mutter, wo Hanna sie mit einer innigen Umarmung empfängt. Ihr Kreischen hat sich in ein hysterisches Schluchtsen verwandelt.
"Na na. Artige Kinder machen doch nicht so einen lauten Kuddelbutz, Schätzchen", sagt Guido. Er wirkt jetzt ungehalten und auf eine alberne Weise empört. Seine Augenlieder befinden sich nunmehr auf Halbmast. Seine Augen versprühen die Lebendigkeit einer mit Rauch betäubten Biene. Ein akutes Jucken in seiner Nase macht sich breit. Er holt drei Mal tief Luft, doch der Reiz bleibt. Er unterdrückt das unvermeidliche Niesen.
Über das Dach des Nissan hinweg betrachtet er den Waldmann. Dieser nickt ihm fast unmerklich zu. Dabei schürzt er leicht die wächsernen Lippen. Als Resultat empfängt Guido eine weitere intensive Probe des gräsernen Mundgeruchs.
Klar doch, er ist Vegetarier, denkt Guido zusammenhangslos. Weidet den lieben langen Tag wie eine Kuh. Und nachmittags spielt er Schreckgespenst und springt aus einem Brombeerbusch, um den ein oder anderen Familienausflug zu krönen. So lebt der grüne Jesus.
Einen Augenblick macht sich Verwirrung auf Guidos Gesicht breit und er scheint die Einflußnahme des Waldmanns beinahe greifen zu können, dann kehrt das idiotische Grinsen zurück.. Er nickt dem Waldmann ergeben zu.
Hanna stößt die Tür mit einem Ruck auf . Sie schiebt ihre verstörte Tochter vor sich her, während sie den schlammigen Waldweg hinunterhastet.
Guido scheint sich darüber keine Sorgen zu machen. Er lehnt sich ans Auto und betrachtet verträumt den grauen Himmel.
Der Waldmann schließt seine Likörkirschaugen und legt die blaßgrüne Stirn in Falten.
Clara, die jetzt von sich aus Schritt aufgenommen hat, stolpert über eine Wurzel und geht zu Boden. Hanna wiederum stolpert über Clara und landet im Dreck. Beim Versuch sich wieder aufzurappeln knicken Hanna ihre weichgewordenen Beine weg. Sie kauert auf der Erde und stößt ein Heulen aus, das jede Hoffnung begräbt. Schützend legt beugt sie sich über Clara und umklammerte sie, wie ein gestürzter Footballspieler das Leder nach einem mühsamen Raumgewinn von zwanzig Metern.
"Warum willst du mein Kind. Mein einziges geliebtes Kind", heult sie den Boden an.
Hanna spürt wie jemand sie behutsam an den Füßen packt und sie langsam nach hinten zu schleifen beginnt. Sie windet sich, schüttelt die Beine aber die Umklammerung des Schleifers verstärkt sich im gleichen Maße. Er ist sehr stark und entschlossen.
Guidos Gesicht ist nicht mehr verträumt. Er lächelt nicht mehr. Seine Mimik vermittelt am ehesten Gleichgültigkeit.
"Es nützt doch nicht", beschwichtigt er. "Du hast sie doch jetzt lange genug gehabt. Laß endlich los. Mach es uns nicht schwerer als nötig. Du Dummerchen mußt ..."
Von diesen aberwitzigen Argumenten aufgepeitscht, mobilisiert Hanna all ihre Kräfte und wuchtet das rechte Bein in den Bauch ihres Mannes. Ein beigefarbener Freizeitschuh verformt Guidos wohlgenährten in ein blaues Hemd gehüllten Bauch.
"Uk", macht Guido.
Er taumelt rückwärts und sinkt nach Atem ringend auf die Knie. Sein Mund schnappt wie der eines Fisches im Trockenen.
Hanna reißt Clara auf die Füße und leitet einen weiteren Vorstoß ein. Der Waldweg schlängelt sich zu einer Grillhütte ins Tal hinab. In einem halsbrecherischen Sprint jagen sie den rutschigen Hang hinab wie lebensmüde Mountainbiker.
Wir können es schaffen denkt Hanna mit dem finalen Mut der Verzweiflung. Reine adrenalintriefende Todesangst ist ihr Antrieb. Neben ihr Claras japsende Atemzüge. Durch den unregelmäßigen Laufschritts in diesem Gefälle nimmt sie den Weg nur in einer Abfolge verwackelter Bilder war. Wir können es ...
Clara stöhnt plötzlich laut auf und zerrt abrupt an ihrem Arm. Ein flutschendes Pflügen gewinnt an Lautstärke. Sie blickt nach rechts. Der Waldmann persönlich blickt sie unverwandt an, als er mühelos neben ihr gleichzieht. Er wächst nach wie vor aus dem Erdreich. Alle physikalischen Regeln verhöhnend pflügen die Stämme seiner Läufe den Boden vor ihm auf. Die zurückbleibenden Furchen verschließen sich selbständig als hätten sie nie existiert.
Hanna verlangsamt den Sprint, bleibt stehen. Stürzt auf die Knie. Eine Flucht ist unmöglich.
Die Luft schmeckt auf einmal verdächtig pflanzlich und im nächsten Augenblick ist ihr sehr schwindlig. Abstruse Gedanken kapern ihren Kopf. Na ja. So schlimm ist er wirklich nicht. Was habe ich mir dabei überhaupt gedacht? Weglaufen ist keine Lösung. Reden ist eine Lösung. So machen das erwachsene vernünftige Menschen. Kinder verstehen das noch nicht.
"Schätzchen du gehst jetzt mit dem Onkel mit", lallt sie ihrer Tochter zu. Sie spricht in einem regressiven Kleinkindjargon. Ihr geistiges Spektrum hat sich auf eine niedere Ebene verlagert. Sie kichert einen humorlosen Laut.
"Er hat dich vergiftet Mami. Dich und Papa." sagt Clara. Sie ist jetzt sehr ruhig. Tränen trocknen auf ihrer sonnengebräunten Wange. Sie schiebt ihre Mutter beiseite.
"Waldmann, ich bin bereit. Nimm mich mit."
"Artiges Kindchen", schnalzt der Waldmann. "Du bist mir schon vor langer Zeit versprochen worden und das weißt du." Falls eine solche Kreatur überhaupt dazu fähig ist, zeigt sie das was Menschen als Güte bezeichnen.
"Ich kenne dich aus meinen schlimmen Träumen. Mama und Papa sagen immer so etwas wie einen Waldmann gibt es gar nicht. Nur im Traum.. Sie haben ihr Versprechen gebrochen."
Sie mustert ihn von oben bis unten.
"Und jetzt bist du da."
Unterdessen ist Hanna hinter einem nahe gelegenen Busch gekrochen. Dort kauert sie und verfolgt die Übergabe ihrer Tochter mit nervösem Interesse. Ihre Augen pendeln wild. Sie wirkt wie ein Urmensch, der die Ankunft einer hochentwickelten außerirdischen Rasse erlebt. Der Mann, der noch vor einer halben Stunde ihr geliebter Gatte und glücklicher Familienvater war, lehnt am Hinterrad seines Wagens. Er ist so ausgelaugt wie ein ungeübter Sportler nach einem Waldlauf. Seinen Kopf dominieren nebulöse halbbewußte Gedanken. Als er aufblickt, sieht er Clara an der Hand eines Monsters. Er kann es auf diese Distanz kaum erkennen. Es trägt schließlich den weltbesten Tarnstrich.
Dieses Monster hat sie sich doch selbst ausgedacht. Wie ist es bloß aus ihrem Kopf entkommen?
Der Waldmann schiebt sich mit moderatem Tempo auf den Waldrand zu. Clara geht gehorsam neben ihm. Guido ist sich plötzlich sicher das er sie nie mehr wieder sehen wird. In seinem jetzigen Zustand kann er sich noch nicht einmal an ihr Gesicht erinnern. Er schließt die Augen. Senkt den Kopf. Nicht mehr hinsehen. Lieber nicht.
Hanna verspürt weniger Skrupel. Ihre unruhigen Urmenschenaugen verfolgen Clara und ihren neuen Mentor bis zuletzt. Clara dreht den Kopf zum Waldmann und lächelt. So verschwindet sie im grünen Dickicht des Thüringer Waldes. Und auf den letzten Metern ist das Wesen neben ihr nicht mehr vom Hintergrund zu unterscheiden. Sie hätte die Schwelle ebensogut alleine überschreiten können.
Clara Bracht, neun Jahre Alt, am 25.8.98 lächelnd im Wald verschwunden, Vater paralysiert, Mutter vorübergehend regrediert. Clara Bracht ist mit einem Lächeln auf den Lippen aus der rationalen Welt geschieden. Clara Bracht ist bis heute nicht in die rationale Welt zurückgekehrt.

Guido Bracht schreit laut und anhaltend. Anstatt leiser zu werden schwillt seine Stimme wie eine Sirene an. Eine Nadel sticht in seinen Arm. Sie gehört zu einer großen Spritze. Kurz darauf: Stille.

Es war wieder 2002. Guido Bracht machte wenig Fortschritte. Seine geistige Verfassung hatte sich seit seiner Einweisung eher noch verschlechtert.
Ein junger Pfleger führte ihn auf sein Zimmer. Das heutige Treffen mit seiner Frau hatte ihn zu sehr aufgeregt und so kam es zum Schreikrampf. Doktor Jodler hatte ihn ruhiggestellt.
Guido setzte sich auf einen weißen Stuhl und starrte konzentriert ins Nichts. Er bemerkte Jodler erst, als er sich ihm gegenüber niederließ. Er hatte die Kartei bei sich.
"Was ist mit ihrer Tochter passiert, Herr Bracht?", war die erste Frage. Jodler fragte es seit vier Jahren jede zweite Woche. Jede zweite Woche war die große Fragestunde angesagt. Zuerst hatte Guido noch versucht zufriedenstellende Antworten zu geben. Hatte sich redlich bemüht. "Hören sie Doktor, der Waldmann hat meine Tochter. Er lauerte am Wanderweg. Er hat uns erwartet. Dann hat er zugeschlagen. Ich konnte es nicht verhindern. Sie müssen die Polizei ..." Jodler hatte ungehalten den Kopf geschüttelt. Solche Antworten mochte er gar nicht. Sie führten nur zu einer Erhöhung der Medikamentendosis. Seit über zwei Jahren verweigerte Guido die Aussage. Der chemische Koktail blieb.
Hanna Bracht besuchte ihren armen Mann regelmäßig. Sie hatte den Verlust ihrer Tochter wie es schien fast schadlos überstanden. Ihre Version der Fragestunde hatte nur die ersten fünf Wochen nach Claras Verschwinden angehalten. Der Polizeikommissar hatte sie eingehend vernommen. Ihre Antworten waren nicht sehr aufschlußreich und gar nicht phantastisch.
"Sie mußte mal kurz austreten, wissen sie? Also ist sie ins Gebüsch gegangen. Als sie nach fünf Minuten nicht wiederkam, ging mein Mann der Sache auf den Grund. Aber sie war einfach weg. Spurlos verschwunden....Mein Mann war außer sich. Er wollte sofort die Polizei alarmieren. Er fuhr wie verrückt mit dem Auto los und landete prompt im Straßengraben." Ob sie denn irgendwelche verdächtigen Personen im Waldstück gesehen hätte? "Nein", beeilte sie sich zu sagen. Nach einer Pause: "Oder doch. Da war einer von diesen Ökos. Der ist uns auf dem Parkplatz aufgefallen. Er war vielleicht einsachzig groß und wirkte ziemlich ungepflegt. Lange fettige Haare, schrille Kleidung, sie wissen schon."
Eine Fahndung nach einer solchen Person blieb bis heute erfolglos. Der Fall Clara Bracht wurde zu den Akten gelegt.
Hanna Bracht traf sich neuerdings mit einem Geschäftsmann aus Erfurt. Sie sah in einer möglichen Beziehung Perspektiven. Sie besuchte Guido aber weiterhin regelmäßig, auch wenn es ihr auf eine schwer ergründliche Weise unangenehm war ihm in die medikamentengetrübten Augen zu sehen. Sie hatte sich eigentlich nichts vorzuwerfen. Und es konnte ihr eigentlich niemand verübeln nach vier Jahren Trauer das Leben wieder aufzunehmen.
Doktor Jodler saß an diesem Abend über die dicke Akte von Guido Bracht gebeugt. Er glaubte insgeheim nicht so recht an die Version der Frau. Das taten die Leute von der Polizei auch nicht. Das spielte im Endeffekt keine Rolle. Es war, als ob Clara Bracht vom Erdboden verschluckt worden sei.
Der Ökotyp, den die Frau erwähnt hatte, war der Knackpunkt. Immer, wenn Jodler den Ökotypen in den Therapiegesprächen erwähnte, flippte Bracht komplett aus. Er stimmte dann immer dieses Schreien an, das immer lauter wurde und entweder mit Brachts Bewußtlosigkeit oder einer Beruhigungsspritze endete.
Jodler schüttelte den kahlen Kopf.

Ende

 

Hallo positron!
Bin zwar selbst noch ein KG-Frischling, aber bevor deine Geschichte hier noch ungelesen auf Seite 2 landet, mache ich jetzt mal den Begrüßer: Herzlich Willkommen auf KG.de! (Will ja keinem Moderator den Job wegnehmen... :D )

Nun zu deiner Geschichte. Also, teilweise gefällt sie mir, teilweise nicht. Beginne ich mal mit dem Unangenehmen: Ich fand sie nicht spannend. Sie zog sich. Woran das liegt, kann ich gar nicht so genau sagen. Ich habe mich auf jeden Fall dabei ertappt, wie ich begann, die Absätze zu überfliegen auf der Suche nach der Stelle, wo endlich was passiert. Kann natürlich eine rein subjektive Empfindung sein. Vielleicht hat hier irgendein anderer Leser noch ne Meinung oder Erklärung dazu?

Was ich gut fand war dein flüssiger, sicherer Stil. Du kannst gut beschreiben, denn ich hatte sowohl die Schauplätze als auch den Waldmann bestens vor Augen. Auch diverse deiner Ausdrücke und Wortkompositionen lassen auf einen fantasievollen "Positron-Kopf" schließen. "Flutschendes Pflügen" ist einfach super! :D

Am Ende der Geschichte zeigst du die Möglichkeit auf, dass das alles gar nicht passiert sondern auch nur ein Hirngespinst des irre gewordenen Guidos sein könnte. Find' ich gut. So kann der Leser selbst entscheiden, ob er an den Waldmann oder doch lieber an den Öko glaubt. (Ich bin für den Öko)

Würde mich freuen, bald mehr von dir zu lesen,
beste Grüße,
sticker

 

Hi Sticker,

danke, dass du mich endlich erlöst. Ich dachte schon ich hätte die Geschichte falsch inseriert und sie wäre für potentielle Kritiker "unsichtbar." Oder noch schlimmer sie werde geächtet.
Ich habe den "Öko - Ableger" hauptsächlich deswegen eingeführt, weil ich nicht direkt in die "fantastische Monster - Fraktion" abrutschen wollte. Die Geschichte sollte eher ironisch denn albern werden.;)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo positron,

ich habe deine Geschichte gerade gelesen und bin noch etwas unschlüssig, was ich davon halten soll. Du hast sie stilistisch und sprachlich routiniert erzählt, wobei ich gestehen muss, dass mir längere Passagen oder komplette Geschichten, die im Präsens verfasst sind, oftmals nicht so gut gefallen. Das ist aber wohl Ansichtssache.

Es ging mir ähnlich wie sticker. Auch ich musste mich nach etwa einem Drittel zwingen, nicht ins "Überfliegen" zu geraten. Du erzählst zwar von einer schlimmen Begebenheit, aber sie hat auf mich nicht eindringlich genug gewirkt, um mich zu "packen" bzw. wirklich zu fesseln. Vielleicht würde eine Straffung/Kürzung hier etwas bringen. Auch deine ironischen Ansätze ("Waldmann", "Puk", "hole mal eben den Besen und jage sie fort", "Likörkirschaugen", "benebelnder Grasgeruch"[Dope oder echtes Gras??]etc.etc.) haben wohl etwas dazu beigetragen, dass echte Spannung oder gar Horror nicht aufkommen wollte. Und als "Horrorkomödie" geht die Geschichte auch nicht durch.

Ein paar Anmerkungen noch:

"...halt so tun." sagte Guido.
"...halt so tun", sagte Guido.
Kein Punkt vor den schließenden Anführungszeichen, dafür ein Komma danach. Bei
"Artiges Kindchen", schnalzt der Waldmann.
hast du es auch so gemacht.

Sie mich nicht so entgeistert an
"Sieh"

Nur ein Bißchen ungepflegt
"bißchen" oder "bisschen" (neue Rechtschr.)

Die Geschichte hat was, aber insgesamt ist sie vielleicht zu lang, und der ironische Ton verhindert ein bisschen, dass die Ernsthaftigkeit der Situation rüberkommt. Damit diese Geschichte funktioniert, müsstest du dich vielleicht für eine Linie entscheiden: Spannung/Horror oder augenzwinkernde, ironische Geschichte.

Vielleicht kannst du mit meinen Anregungen was anfangen.

Viele Grüße

Christian

 

Hi Criss,

zunächst einmal danke für das Aufspüren der zitierten Tippfehler. Ich schmeiße sie demnächst raus.
Die Handlung erstreckt sich tatsächlich über einen sehr großen Zeitraum und ich denke über eine Kürzung nach. Den absurd - gräßlichen Charakter der Geschichte wollte ich jedoch beibehalten, da die lächerlichen Elemente den Wahnsinn der Wirklichkeit vermitteln.
Ich finde es interessant, dass mir eine "routinierte" Schreibe bescheinigt wird. Das war mein erstes "Werk." Die Idee gefällt mir mitlerweile nicht mehr so gut. Sie ist mir irgendwie beim Einschlafen gekommen.:p

 

Hallo positron,

auch wenn du bisher keine Kurzgeschichten geschrieben hast, liest sich diese hier nicht wie ein "Erstlingswerk".

Ich gehe aber davon aus, dass du - wenn du noch nichts geschrieben hast - viel liest. Wortwahl und Formulierungen fallen ja nicht vom Himmel, sondern man eignet sich das im Lauf der Zeit - durch Lesen und Schreiben - an.

Den absurden Charakter kannst du ruhig beibehalten. Vielleicht solltest du ihn sogar noch ein wenig betonen, damit der Stil in sich stimmiger wird. Und Kürzen fände ich hier gut, obwohl ich sonst eher ein Fan von längeren Geschichten bin. Aber eine Straffung würde hier sicherlich helfen.

Gruß

Christian

 

Hi!

Ich liege wahrscheinlich richtig, wenn ich vermute, dass ich nicht der einzige im Horror - Ressort bin, der gerne Stephen King liest und aus seinem Werk Inspiration bezieht. Ich will mich aber nicht auf das Horror - Genre vestlegen. Meine nächsten beiden Geschichten thematisieren eher alltägliche Begebenheiten.
Ich beginne momentan mein Germanistikstudium und das Lesen wird demnächst (wohl oder übel) meinen größten Lebensinhalt bilden.

MfG Thomas

 

Ich habe schon sehr viel von King gelesen (eigentlich fast alles), und man kann von ihm sicherlich sehr viel lernen. Allerdings muss ich auch sagen, dass mir nicht alles von ihm gefällt.

Jetzt bin ich fast erleichtert, wenn ich weiß, dass du schon einiges gelesen hast, weil es mich doch überrascht hätte, wenn ein völlig unbelesener "Schreibneuling" sowas zustande bringen würde wie deine Geschichte - auch wenn sie, wie schon gesagt, Verbesserungsmöglichkeiten beinhaltet. :)

Gruß

Christian

 

Hab`mir übrigens mal deine "Saunastory" zu Gemüte geführt (siehe Kommentar.)

 

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