- Beitritt
- 10.09.2014
- Beiträge
- 1.782
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 31
Grübchen
Dann sollen sie mich am Arsch lecken, auch wenn es die Herren des „Gundel“ sind. Lassen mich nach Budapest kommen, nur um mir zu sagen, dass sie mich in diesem Jahr nicht mehr gebrauchen können.
Haben es aber eleganter ausgedrückt und mir für nächstes Jahr Hoffnung gemacht.
Ja, ich will ins „Gundel“ – unbedingt. Kennt man auch in New York, und wenn die mir ein gutes Zeugnis geben, hab ich eine echte Chance in Amerika. Nur muss ich die Wartezeit leider in dieser Galeere abarbeiten, auf keinen Fall geh ich zurück in die Provinz.
Die Küche ist im Keller, und András, der Küchenchef, führt mich herum und stellt mich der Mannschaft vor.
Máté, ein verdrießlich wirkender Mensch, ist für die Fleischtöpfe zuständig, Vencel mit Kugelbauch und Riesenschnauz kommandiert die Frauen, die flink und unermüdlich den Ruhm der ungarischen Küche verteidigen. Schließlich noch Ödön, der Metzger mit einem ziemlich versoffenen Gesicht und Gyöngyi, die Hauptfrau der Kartoffel- und Gemüseküche.
Sie gibt mir die Hand und sagt: “Wenn dir mal ’n Messer im Bauch steckt“, dabei zeigt sie auf den Sanitätsschrank, „dann komm zu mir. Ich zieh’s wieder raus.“ Ihr Lächeln hat was, so was Spitzbübisches, kommt von den hübschen Grübchen. Sympathische Frau, muss ich sagen. Könnte meine Mutter sein. Aber die hatte keinen Dutt.
Ja, gut. Morgen geht’s los – von Zehn bis halb Drei und von Sechs bis halb Elf.
Hab mich schnell eingearbeitet. Die Kollegen flachsen, wie kühl es im Sommer hier unten wäre – und andrerseits so mollig warm im Winter, dass man hier bestens aufgehoben sei.
Das kann nichts Gutes bedeuten.
Ich find’s bald selbst heraus. Sie haben die Fettfilter ausgebaut, in der Hoffnung, der Küchenmief würde besser abziehen. Aber nein – er bleibt.
Uns tränen die Augen und wir stürzen das Bier nur so in uns hinein.
Nachmittags komme ich schniefend ans Licht der Welt. Muss nur einige Blocks weitergehen und schon bin ich auf den breiten Treppen an der Donau. Endlich frische Luft!
Die Zigarette ist blöd, aber ich häng dran. Zuerst schau ich nach Frauen, bin schon länger solo. Schöne Exemplare laufen herum, leider mit Begleitung. Von Studentinnen halte ich nicht viel, mag nicht deren Hochnäsigkeit und kluges Geschwafel. Aber die Zugänglichen will ich auch nicht, schlimmer noch: Vor denen habe ich Schiss.
Wenn du mit denen quatschst, geben sie dir andauernd recht, egal, was für einen Stuss du erzählst. Die wollen dich einwickeln, suchen einen Blöden, meist haben sie ein oder zwei Blagen am Hals und hätten gerne einen Ernährer, weil ihr Kerl über alle Berge ist.
Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Bin total unzufrieden, immer müde, zu nichts Lust. Und wenn mich „Gundel“ auch nächstes Jahr nicht nimmt? Soll ich in der Galeere weiterschuften, an schönen Nachmittagen den Verliebten beim Küssen und alten Männern beim Angeln zuschauen – bis mal eine der Zugänglichen ihr Netz über mich wirft?
Was mach ich in dieser tollen Stadt, nach Feierabend, wenn sich die beleuchtete Pracht in der Donau spiegelt, alles so großartig wirkt, wie ein Versprechen: Wer es bis Budapest geschafft hat, schafft’s auch nach Amerika.
Allerdings muss ich beim Alkohol aufpassen. Aber was zur Hölle soll ich machen?
Komm ich nachts aus der Tretmühle, bin ich zu aufgedreht, um ‚nach Hause’ zu gehen. In diesem Zimmerchen kann man nur schlafen, mehr nicht. Meist lande ich, schon mit schwerer Schlagseite, in einer Tanzbar. Die gibt’s wie Sand am Meer; Bass, Gitarre, Schlagzeug, schwaches Licht, Knistern in der Luft.
Das kommt von den Frauen, von ihren Blicken, wie sie sich bewegen.
Das sind keine leichten Mädchen, die arbeiten in allen erdenklichen Berufen, tanzen gern, lieben gern – aber natürlich wären sie nicht hier, wenn sie glücklich wären.
Irgendwann lässt der Schlagzeuger erkennen, dass dies der letzte Tanz war. Überrascht oder benommen reiße ich die Augen auf: Sie ist weg, und ich dachte .... War ein Konkurrent schneller, war sein Vorteil meine Langsamkeit? Bin ich verzagt und gehemmt? Egal, es ist ihre Entscheidung.
Nur die Notbeleuchtung brennt noch, die Musiker verstauen ihre Instrumente, die Kellner sammeln Gläser und Aschenbecher ein. Ich ziehe noch Zigaretten und stehe wackelig in der milden Nachtluft. Nach Hause schaff ich es nicht mehr, die Bank an der Haltestelle tut es auch. Mir wird sauübel. Ich fantasiere vom Waldorf Astoria, dessen Küchenchef ich am Ende meines Lebens sein möchte.
Jemand rüttelt mich. „Ja, was?“ – mehr krieg ich nicht raus.
„Kannst nich hierbleibn“, sagt sie und zieht mich langsam hoch. Grübchen? Ich halluziniere, aber sie sagt: „Ich mach dir ’n Tee, hak dich bei mir ein.“
Völlig im Tran schlurfe ich neben ihr her. „Kannst froh sein, dass ich noch so spät unterwegs bin“, sagt sie, „unser Chor hat den ersten Platz gemacht und wir konnten gar nicht genug feiern.“ Wir durchqueren Hinterhöfe und ich bin froh, als sie eine vergitterte Tür aufschließt und mich die Treppen hochschiebt. Da hänge ich in einem harten Sessel und muss Tee trinken. Ein böser Husten schüttelt mich, fast bekomme ich keine Luft. Sie gibt mir ein Dragee, pult mich aus meinen Klamotten und schon liege ich im Bett. Ich rolle auf die Seite und spüre, wie sie mich zudeckt.
Wonach riecht es? Sie hat Kaffee gemacht; prima Idee, noch besser mit Zigarette.
Langsam komme ich zu mir, nehme den Regenhimmel wahr, die unsägliche Lampe über uns, das verdrehte Laken, das aufgeschüttelte Kissen. Sie bringt mir eine Tasse, setzt sich im Morgenrock an meine Seite und sagt: „War ziemlich spät geworden.“
„Hör mal, Grübchen“, druckse ich herum, „ich muss mich bei dir sehr bedanken. War total neben der Spur, weiß auch nicht, wie das gekommen ist.“
Sie streicht mir übers Haar, nein, nicht wie meine Mutter. Die kannte das gar nicht.
„Ach, Ákos, ihr Kerle seid so verrückt wie die Weiber. Ich kenn’ das. Wir wollen alle bisschen was vom Leben, aber man kann’s nicht erzwingen.“
Mit dem Kaffee im Leib fühle ich mich etwas besser, kann die Hand heben und ihre Schulter berühren. Diese Nähe tut mir gut, so möchte ich es immer haben.
Dann geh ich höher und massiere ihren Nacken. Sie hält nicht nur still, sie stemmt sich ein wenig dagegen. So richte ich mich auf und massiere ihre Schultern mit beiden Händen ganz gleichmäßig, gerade so, wie ich mir das bei einem Masseur vorstelle.
Dieser zarte Rhythmus überkommt uns beide, auch sie legt ihre Hände um meinen Hals, knetet und streichelt. Dabei haben sich unsere Gesichter genähert und streifen die Haut des anderen mit halboffenen Lippen. Wir rücken näher, genießen die Wärme, werden hektisch. Grübchen hat einen wunderbaren Busen, die Kartoffelschürze hatte ihn verborgen.
Ihre Augen sind wirklich schön. Graublau und ganz klar, die Brauen wie mit dem Lineal gezogen. Die Haut spannt sich glatt über das hübsche Gesicht. Sie macht die Augen zu – ein Signal? Wir küssen uns, zaghaft und unsicher.
Es ist fantastisch, wir sind völlig übergeschnappt. Es ist so unglaublich, dass es mich ernüchtert.
Ich hab mir so oft gewünscht, nach dem Höhepunkt weiterzumachen, mehr aus Zärtlichkeit, der Frau zuliebe – aber nein, schon hab ich irgendeinen Scheiß im Ohr, der nichts zu tun hat mit dem wundervollen Erlebnis vor wenigen Momenten.
Ein Riesenberg Kartoffeln will geschält, zu Püree, Kroketten, zu was weiß ich verarbeitet werden. Sie ist schon da, neugierig schaut sie mich an. Ich hebe die Hand, nicke ihr zu, aber wegen der misstrauischen Blicke der anderen Frauen verdrücke ich mich.
Ich sehe sie erst zum Feierabend, als sie die Schälmaschine saubermacht. „War viel los heute, oder?“
„Kann man sagen“, erwidert sie.
Warum wird sie nicht deutlicher? Ich frage fast wie in Not: „Morgen ist Ruhetag. Haste was vor?“
„Ich werd’ viel schlafen, letzte Nacht war ziemlich kurz“, antwortet sie, „aber wunderbar.“
Ich muss etwas sagen, weiß aber nicht was. Da frag ich zögernd: „Darf ich dich besuchen?“
„Meinst du das wirklich?“
„Aber ja! Welche Frage!“, entrüste ich mich, obwohl ich merke, wie ich herumscharwenzle.
„Dann komm“, sagt sie, „egal wann.“
Auf dem Weg zu ihr kaufe ich Veilchen. Je näher ich ihrer Tür komme, desto langsamer werden meine Schritte, dann bleib ich stehen. Ich betrachte die zarten Blumen in meiner Hand, drehe sie hin und her, soll ich sie wegwerfen und nach Hause gehen? Aber ein gegebenes Wort muss man halten.
Die Tür ist unverschlossen, ich gehe nach oben, räuspere mich.
„Komm nur rein, hab dich schon gehört.“
Sie trägt das Haar offen. Ich weiß nicht so recht, so wirkt es fast grau. Sie zeigt auf zwei altmodische Gläser. „Tokajer magst du doch?“
Ja, dann ... Wir kommen direkt zur Sache. Und wie auch nicht? Zweimal war sie verheiratet, und dazwischen hat sie auch nicht nur im Beichtstuhl gesessen.
Der Rausch ist vorbei, wir rauchen. Sie lässt nur ein Lämpchen brennen. Meine Eltern taten es in völliger Dunkelheit. Das hat mich erstaunt, weil Geräusch und Finsternis nicht zusammenpassen.
Ich studiere die Linien in ihrem Gesicht, beim ersten Mal hatte ich sie nicht wahrgenommen. Ganz fein, wie mit der Klinge gezogen, überziehen sie die Stirn, umsäumen die Augen und markieren Mund und Kinn. Sie dreht sich hinüber zum Nachttisch, um die Zigarette auszudrücken. Der Rücken ist ein bisschen rundlich geworden, aber sie ist ein netter Kerl. Und mit den Grübchen einmalig.
Ich kann sie wirklich gut leiden, aber ich hätte nicht herkommen sollen. „Ich hab Durst“, sage ich verlegen.
„In der Küche steht der Siphon. Bedien dich.“
„Möchtest du auch?“
„Nein, hab kein' Durst“, antwortet sie.
Das Wasser schäumt ins Glas, schmeckt aber nicht. Abgestanden, fad. Ich spüle mir nur den Mund und spucke es aus.
In der Tür zwischen Küche und Schlafzimmer bleibe ich stehen. „Ich lass dich jetzt in Ruhe schlafen ...“, sage ich zögerlich. Eine Sekunde schaut sie mich überrascht an – dann antwortet sie gedehnt, als ob sie furchtbar müde wäre: „Ach ja, das ist lieb. Bist ein Schatz.“
„Tja dann ...“, sage ich konfus, „schlaf schön.“ Ich will ihr einen flüchtigen Kuss geben, um meine Unbeholfenheit zu überspielen, doch als ich den ersten Schritt zu ihr mache, wehrt sie ab:
„Nein, nein, lass nur ...“
Leise ziehe ich die Tür hinter mir zu und gehe fast auf Zehenspitzen die Treppe hinunter, weiß auch nicht warum.