Gottesblick
Die Sonne stach auf die Steinplatten. Zum Teil schon zerbröckelt, gesprungen, Gräser hatten sich in den Ritzen breitgemacht. Doch sie waren schon lange nicht mehr grün, ausgebleicht, vertrocknet von der Hitze, fahl boten sie dem leichten Wind keinen Widerstand. Mitten auf den Steinen lag eine Gestalt, ein ironisches Grinsen verzog das, was ursprünglich mal ein Gesicht gewesen war, zu einer gefühllosen Maske. Jetzt hatte sie es ihm gezeigt. Sie, sie allein, war als Sieger aus diesem Kampf hervorgegangen.
Er blickte von oben herab auf sie hernieder und musste seine eigene Schwäche spüren. Das Wissen um seine Niederlage gab ihr ein unheimliches Gefühl der Macht. Ha, er dachte, er sei stark, herrsche über Leben und Tod, halte die Schicksalsfäden in seinen Händen!
Und sie war immer noch da. Regungslos verharrte sie. Ein kleiner schwarzer Käfer krabbelte unschuldig in Eile über ihren Arm. Er hatte aufgeben müssen, hatte ihrer Hartnäckigkeit nicht standgehalten. Zum tausendsten Male verfluchte sie ihn; er, der ihre letzte Rettung hätte sein sollen, ihr letzter Hafen und nun musste er machtlos zusehen, wie sie hier unten lag und keinen Millimeter wich. Die Arme und Beine von sich gestreckt, den Kopf zur Seite geneigt, die Lippen halb geöffnet; die Farbe ihrer Haare hatten denselben fahlen Ton der Gräser angenommen und hätte er nicht um ihre Existenz gewusst, er hätte sie nicht bemerkt. Doch ihre Anwesenheit hatte sich in sein Hirn gebohrt, die leeren, fordernden Blicke waren zu ihm herauf gedrungen und so sehr er auch versucht hatte sie zu bannen- sie war geblieben. Erst noch aufrecht, dann war sie unter der Last seiner Schuldzuweisungen in die Knie gegangen bis sie am Ende bewegungslos auf den Steinplatten lag. Er hatte sie mit Regen durchnässt, mit Wind geschüttelt, mit der Sonne versengt und verbrannt. Die Steine hatten mit der Zeit ächzend und knackend aufgegeben; jahrelang hatte er sie beobachtet, sie war da und trotzte widerwillig seinen Bemühungen, lebte! Welch Blasphemie!
Voller Zorn wandte er sich von ihr ab.
Als sie merkte, wie er seinen Blick von ihr nahm, krampfte sich jeder Muskel. Ihre Stimme überschlug sich als der Ruf ihre Kehle verließ.
„Mein Gott, warum hast du mich verlassen.............“