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Gottes Joint
Ringo konnte nicht fassen, was sich da durch seinen Gehörgang schlängelte.
Kopp und er hatten sich eine Eispizza gekauft und fraßen nun schon seit geraumer Zeit daran.
Erst mal zum Mund geführt, wurden die leckeren Stückchen von ihren kalziumhältigen Kauwerkzeugen zerkleinert, und von der angeregten Speichelproduktion eingeschleimt, um sie schlüpfrig zu machen.
Das schlauchartige Zusammenziehen der Peristaltik beförderte die glitschigen Brocken schließlich über die Speiseröhre in den Magen, wo ein Säurebad auf sie wartete.
Die Klappen von Kopps Luft- und Speiseröhre spielten dabei ein gefährliches Spiel- wie die Klappen einer Querflöte waren sie imstande Melodien und Mißtöne hervorzubringen, wobei eine einzige Kakaphonie das Leben ihres Besitzers zerreißen könnte.
Ihnen zuzusehen wäre so, als würde man den Kammern eines halb geladenen Revolvers beim drehen zusehen- mitten in einer Partie familiären, gemütlichen, heimeligen und vor allem russischem Roulette.
Leben- Tod.
Klappe auf- zu, auf- zu.
„Und dann explodierten die Gedärme meiner Großmutter.
Der Typ hatte wirklich Probleme, kannste glauben. Er hatte das beschissenste Karma, das ich jemals gesehen habe. Abgefahrener Nimbus- ungefähr so wie der Geruch von Scheiße oder Kotze der einen umgibt, oder ein Schwarm Fliegen.
Abgefuckte Aura.“
Zwischen seinen Zähnen konnte Ringo ein brodelndes Meer aus braunem Essensbrei beobachten, wie es durch die erste Instanz der Verdauung gedroschen wurde.
„Vor seinem Kopf schwirrte einmal tatsächlich eine Fliege. Stinknormales Vieh.
Er schaute sie kurz an, und schon – bumms!- explodierte sie.
Wortwörtlich in der Luft zerrissen. Wie ein kleiner Silvesterkracher- einfach so!“
Jetzt war Ringo richtig in Fahrt. Das Raubtier in ihm kam immer mehr zum Vorschein.
Zwar mit gekämmten Haaren und gefeilten Fingernägeln- trotzdem immer noch ein Raubtier.
„Erzähl mir mehr!“ sagte er mit vermeintlich glänzenden Augen, und an seinen Lippen hängend.
Mit Genugtuung beobachtete er aus den Augenwinkeln, wie Kopp seinen Löffel im Eis versenkte, und einen Patzen zum Mund führte.
Fast schon manierlich wartete Kopp mit reden immer solange, bis er etwas im Mund hatte, und sprach niemals mit leerem Mund.
Wohl aus Prinzip. Es funktionierte so gut, das Ringo es fast mit der Angst zu tun bekam.
Auf der anderen Seite des Tisches war Kopp richtig warm geworden:
„Dann nahm er sich die Katzen vor- eine war gerade aufgewacht und ihr Körper schlief noch zur Hälfte auf dem Teppich. Ein Blick und – zack! Bumm!
Was für eine Sauerei- überall verteilt!
Der zweiten Katz war das ganze unheimlich. Er erwischte sie, als sie gerade um die Ecke wollte- krach!
Alles rot!“
Er schilderte das alles mit gesteigerter Spannung, und einer Stimme die von Eis gedämpft war.
„Ich frag mich wo der Typ herkommt- kann Gott persönlich so ein Monster geschaffen haben? An dem Tag hatte er wahrscheinlich zu viel geraucht- haha!“
Ringo unterdrückte ein Stirnrunzeln und einen Augenverdreher.
Stattdessen lehnte er sich vor, wie es Leute tun, die vor Spannung auf Nägeln sitzen- in Wirklichkeit war das Gegenteil der Fall.
Nein, Spannung war bei Kapps Geschichten die Ausnahme- höchstens vor Wut auf diesen infantilen Fleischhaufen.
„Mehr!“ rief er dem Erzähler zu.
„Bitte!“ diese Worte waren wie brennende Holzscheite in einem verdorrten Wald.
Mit der obligatorisch vollgestopften Fresse sprach Kapp weiten.
Ein gewisse Ekstase in seiner Stimme war nicht zu überhören.
„Alles voller Blut und Gedärme!“
„Ja!“
„Was für ein Haufen Scheiße!“
„Ja, Scheiße!“
„Blutige Sauerei!“
„Voll!“
„Dann sah er das Aquarium! Ein Blick und schon- ZACK! Bumm! Bäng!
Alle Fische gingen hoch wie U- Boot Bomben. Das Wasser schwabbte über den Rand, das Glas bekam Risse und dann ergoss sich alles...“
„Jawohl sowas geiles! Erzähl weiter verdammt nochmal!“
Kapps Enthusiasmus blühte auf durch Ringos gestellte Begeisterung.
Hätte er doch nur gewußt, das alles nur zu Schau war- ein Pappfassade.
Hinter all dem Lärm verbarg sich nichts.
Seine Stimme verließ das geordnete Reich eines pädagogisch wertvollen Kindererzählers und tauchte ein ins wirre Chaos.
Kein Wort war mehr zu verstehen, kein Sinn war mehr aus diesem wild mit Gestikuliererei aufgeblasenen Wirrwarr aus gespuckten Essensresten und geröchelten Lauten auszumachen.
Ringo versuchte gar nicht erst, dieses Hardcore- Spektakel noch mehr anzuheizen.
Er nahm die Beine in die Hand und warf seine Füße auf den Asphalt.
Er kam keine drei Meter weit, bevor Kapp hinter ihm explodierte und sich Gedärme, Exkremente und Unmengen von Blut über ihn ergossen.
Der perfekte Mord