Gottes Engel
Was definiert den Charakter einer Stadt? Sind es die Sehenswürdigkeiten? Die Postkartenmotive, die die Scharen von Touristen in ihren Tourbussen abfotografieren, um sie dann zu Hause ihren Liebsten zu zeigen? Hier das Parlamentsgebäude, da das Einkaufszentrum, dann noch ein schnelles Familienfoto auf einem der großen Plätze. Oder sind es die besonderen Orte die so versteckt sind, oder oberflächlich betrachtet so gewöhnlich wirken, dass sie nur von den Einheimischen wirklich geschätzt und gewürdigt werden? Das kleine Café in einem Hinterhof, in dem der beste Tee der ganzen Stadt serviert wird? Der abseits gelegene Park, überwuchert und längst vergessen von der Stadtverwaltung und dennoch ein Ort voller unzähliger kleiner Wunder?
Ich persönlich habe immer geglaubt, dass beide Arten von Orten zu der Seele einer Stadt beitragen. Auch wenn die Einheimischen die Nase rümpfen über die Touristen, die wiederum auf ihren minutiös geplanten Wochenendtrips keine Zeit und keinen Platz für die vielen kleinen Wunder um sie herum haben und sich mit den sterilen, auf postkartenniveau herausgeputzten Sehenswürdigkeiten zufrieden geben. Doch was man auch immer denken mag, ich glaube, dass kaum ein Ort die Seele Londons so gut widerspiegelt, wie Piccadilly Circus um zwei Uhr an einem Dienstag morgen.
Ich stand mit dem Rücken an eine kalte Hauswand gelehnt, halb im Schatten verborgen und blickte hinüber auf die großen Leuchtbildschirme und Neonreklamen, die den Platz in ein wechselndes, künstliches Licht tauchen. Natürlich war auch dies ein Postkartenmotiv. Tausendfach abfotografiert von den unzähligen Touristen, die jeden Tag hier herströmten. Doch jetzt, in dieser frühen Morgenstunde gehörte der Platz mit den sternförmig zu allen Seiten abgehenden Straßen einer anderen Art Menschen. Jetzt war er das pulsierende Herz des Londoner Nachtlebens. Die teuren Nachtclubs von Mayfair im Westen, die Bars und verwinkelten Gassen von Soho im Osten, befand sich dieser Ort direkt an der Halsschlagader des nächtlichen Londons. Aus den Schatten der Häuserwand heraus verfolgte ich die Bewegungen der Menschen, die über den Platz eilten. Sie waren wie ein Querschnitt durch alle Bevölkerungsschichten der Stadt.
Eine Gruppe junger Frauen zog an mir vorbei. Die kurzen Röcke, knappen Tops und hochhackigen Schuhe zeigten jedem Beobachter, dass sie feiern gewesen waren. Genauso wie ihre lauten Stimmen, ihr heiteres Lachen und ihre unsicheren Schritte jedem verkündeten, dass sie getrunken hatten. Nicht, dass ich solche Hinweise gebraucht hätte. Der Alkoholgeruch hing wie eine dichte Wolke über ihnen und stach in meiner Nase.
Ich blickte einem schwarzhaarigen, zierlichen Mädchen nach das in der Mitte der Gruppe lief. Langsam streckte ich meine Gedanken aus und berührte ihren Geist. Eine Flut von Eindrücken stürzte über mich hinweg. Ihr Name war Amy und heute war ihr zwanzigster Geburtstag. Letzte Woche hatte sich ihr Freund von ihr getrennt und deshalb hatten ihre Freundinnen sie heute in einen Nachtclub geschleppt, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Ich spürte, wie sehr der Alkohol sie beeinträchtigte. Ihr Magen rebellierte und sie wusste, sobald sie in ihrem eigenen Bett lag, würde sie sich übergeben müssen. Dennoch war sie in diesem Augenblick glücklich. Denn die Mädchen, die sich links und rechts bei ihr eingehakt hatten und sie halb schoben, halb trugen, gaben ihr das Gefühl, nicht alleine auf dieser Welt zu sein.
Ich lächelte und blickte der jungen Frau namens Amy nach, während sie und ihre Freundinnen auf die Bushaltestelle zusteuerten, um den nächsten Nachtbus nach Hause zu nehmen. Dann schüttelte ich den Kopf und ließ meinen Blick wieder über den Platz streifen. Es war nicht Amy, weswegen ich hier war. Andere Menschen strömten an mir vorbei. Mal vereinzelt, meist in kleinen Gruppen. Männer in Hemden mit hochgestellten Kragen, ihren Arm eng um eine Nachtclubbekanntschaft gelegt und auf dem Weg nach Hause. Gegenüber von meiner Position, auf dem Boden vor der neu eröffneten Barclays-Filiale saß ein Obdachloser. In der Hand hielt er ein Schild, dem die vorbeilaufenden Passanten keinen Blick schenkten. Der Mann war gute dreißig Meter entfernt und doch hatte ich keine Schwierigkeiten, zu sehen was auf dem Schild stand. Es war von einem Galgenhumor, den nur der Schlag von Menschen aufbringen konnte, die alles verloren hatten. Frau und Tochter von Ninjas entführt. Brauche Geld, um Kung-fu Unterricht zu nehmen. Ich machte mir nicht die Mühe, in seinen Kopf hineinzusehen. Ich wusste, was ich dort finden würde.
Ich atmete tief ein, ließ meinen Hinterkopf gegen den kalten Stein sinken und lauschte für einen kurzen Moment den Geräuschen der Stadt, die auch um diese Uhrzeit niemals verklangen. Die lauten Stimmen, das Lachen, die Motoren der Autos, das Hupen der Taxis. Irgendwo etwas weiter weg spielte ein Mann Saxophon. Ich nahm alles in mir auf und verharrte für einen kurzen Augenblick. Ich zog an meiner Zigarette, dann schnippste ich den glühenden Stummel achtlos zur Seite und stieß mich von der Wand ab. Ich griff nach der braunen Ledertasche zu meinen Füßen. Es war Zeit.
Ich schritt über den Platz hinweg auf die großen Leuchtreklamen zu. Shaftesbury Avenue mit ihren vielen Musicals und Theaterhäusern lag zu meiner Rechten. Kaum war ich aus dem Schutz der Häuserwand herausgetreten, erwartete mich der scharfe Februarwind. Ich stellte den Kragen meines Mantels auf, zog den Kopf ein und fragte mich innerlich, wie die Gruppe junger Frauen von eben es wohl in ihren Miniröcken aushielt. Die Nacht war klar, es konnte nicht viel wärmer als fünf Grad sein. Ich sah kurz zu dem dunklen Nachthimmel hinauf. Sterne konnte ich keine ausmachen, zu hell brannten die Leuchtreklamen und Scheinwerfer auf dem Platz. Doch den Mond sah ich, der rund und voll am Himmel stand. Ein Jägermond. Wer hatte ihn immer so genannt? Ich wusste es nicht mehr. Es spielte auch keine Rolle. Und doch passte der Name. Denn auf der Jagd war ich.
Ich bog nach rechts in die Shaftesbury Avenue ein. Mehr und mehr Menschen kamen mir entgegen. Viele von ihnen strömten aus einem Nachtclub einige Schritte die Straße herunter. Ihr angetrunkenes Gelächter erfüllte die Luft. Schweigend schritt ich an ihnen vorbei, nur um mich etwas weiter erneut an die Wand zu lehnen und mir eine Zigarette anzuzünden.
Ich beobachtete die Taxis, die in die Straße einbogen. Sie fanden ihre Kunden unter den Reicheren der Nachtclubbesucher, die nicht die Muße hatten, auf einen der roten Doppeldeckerbusse zu warten, um nach Hause zu kommen. Es ist schon seltsam. Sogar tagsüber oder in den frühen Abendstunden hat man in vielen Teilen Londons das Gefühl, es wären weit mehr Taxis als andere Autos unterwegs. Nachts um zwei in der Shaftesbury Avenue sieht man nur noch einen Strom von charakteristischen schwarzen Wagen mit dem orange Leuchtzeichen auf dem Dach, nur selten einmal unterbrochen von der ein oder anderen Limousine.
Ich wusste nicht, wie lange ich gegen die Häuserwand gelehnt dastand. Meine Zigarette war längst aufgeraucht, der Wind zerrte an meinem Mantel und meine Finger waren eiskalt, obwohl ich sie tief in meinen Taschen vergraben hatte. Ein Penner trat an mich heran, um mich um ein wenig Wechselgeld zu bitten. Sein früh ergrautes Haar stand wirr zu allen Seiten ab, die Augen waren gerötet, die Pupillen erweitert. Die Bettelschale in seinen Händen zitterte. Ich wusste nicht, welches Gift er regelmäßig in seinen Körper pumpte, doch dass es ihn bald umbringen würde war für jeden klar zu sehen. Ich berührte seinen Geist und schickte ihn weg. Ich konnte ihn nicht retten. Er war schon viel zu weit auf seinem persönlichen Pfad der Verdammnis gegangen und hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen. Ich sah dem Mann hinterher, wie er an mir vorbeiwankte, um ein paar andere Leute am Ende der Straße anzusprechen und verbannte ihn dann aus meinen Gedanken. Heute Nacht hatte ich wichtigeres zu tun.
Wieder bog ein Taxi in die Straße ein. Wieder leuchtete das Zeichen über der Windschutzscheibe in einem schwachen orange um anzuzeigen, dass es keine Fahrgäste hatte. Und obwohl das Taxi äußerlich genauso wirkte wie all die vielen davor, die in diese Straße eingebogen waren, spürte ich doch, dass es ganz anders war. Das Taxi verlangsamte sein Tempo. Ein Mann zu meiner Rechten, der eine junge Frau im Arm hielt, steuerte auf es zu. Eine kurze Berührung seiner Gedanken und er überlegte es sich doch anders. Ich trat an die Straße und streckte den Arm aus. Das Taxi blinkte und fuhr neben mir an den Bürgersteig. Ich beugte mich zum Fahrerfenster herunter.
Das Innere des Wagens lag im Dunkel. Auch den Fahrer konnte ich kaum ausmachen. Im schwachen Licht des Armaturenbretts sah ich eine Mann mittleren Alters, der mich anblickte. Seine Gesichtszüge blieben mir verborgen, doch das Licht spiegelte sich in seinen Augen wieder. Sie waren blau, entschied ich. Vielleicht auch grau. Kein Zweifel, er war es.
„Wo soll’s denn hingehen?“, fragte er.
„Battersea.“, war meine knappe Antwort.
Er nickte. „Steigen sie ein, Sir.“
Er betätigte einen Mechanismus und ich hörte, wie die Fahrgasttür von innen entriegelt wurde. Ich stieg ein, ließ mich auf dem Sitz auf der Rückbank links von dem Fahrer nieder und stellte meine Tasche neben mich. Der Mann blickte mich kurz im Rückspiegel an, nickte mir zu und gab dann Gas. Die nächtliche Stadt flog an uns vorbei. Ich lehnte mich zurück und entspannte mich.
Ich fragte mich, wofür der Taxifahrer mich wohl hielt. Ein Blick auf die schwarzen Schuhe, die dunkle Stoffhose und meinen schwarzen Burberry-Mantel hatten sicherlich sofort ein Bild in ihm hervorgerufen. Ein aufstrebender Karrieremensch, vielleicht ein Banker. Jung, unverheiratet, Single. Der Typ Mensch, der eine der besten Universitäten des Landes mit Bestnoten verlassen hatte und nun unaufhaltsam die Karriereleiter hinaufkletterte. Der sechzehn-Stunden-Tage hatte und die Wochenenden durcharbeitete, nur um dann irgendwann spät in der Nacht in seine hundertfünfzig Quadratmeter Wohnung zurückzukehren. Eine Wohnung, in der außer seinen teuren Designermöbeln niemand auf ihn wartete. Vermutlich hielt der Mann mich für einen dieser Menschen, deren soziale Interaktionen sich auf den gelegentlichen Cocktail mit ein paar Kollegen nach Ende der Arbeit beschränkten. Einen Mann, der immer größere Mengen an Geld auf seinem Konto anhäufte, ohne wirklich zu wissen, wofür. Kurz gesagt, einen Menschen wie es hunderte in London gab.
Ich hatte nicht vor, irgendetwas an diesem Eindruck zu ändern. Mehr noch, er war beabsichtigt. Und richtig, während das Taxi sich durch die breiten Straßen von Westminster und Chelsea schlängelte und auf den Fluss zuhielt, ging der Fahrer auf mein Spiel ein.
„Sind sie feiern gewesen?“ Seine grauen Augen musterten mich durch den Rückspiegel.
Gespielt überrascht hob ich den Kopf, lächelte und schüttelte dann den Kopf.
„Nur ein paar Drinks mit den Kollegen. Morgen muss ich wieder um neun an meinem Schreibtisch sitzen.“
Mein Fahrer nickte verständnisvoll. Die Albert Bridge tauchte vor uns auf. Auf der anderen Seite lag das Südufer der Themse. Rechts von der Brücke erhoben sich dort die Wohnblocks mit ihren teuren, voll verglasten Apartments, die genau von dem Typ Menschen bewohnt wurden, den ich heute Nacht mimte. Die linke Seite des Südufers lag im Dunkeln. Dort erstreckte sich Battersea Park.
Der Fahrer fuhr über die Brücke. Links und Rechts von uns konnte ich die Lichter sehen, die sich im schwarzen Wasser der Themse spiegelten. Ich beugte mich nach vorne.
„Bitte fahren sie geradeaus, am Park entlang“, sagte ich. „Fahren sie bei der dritten Straße rechts rein. Dort können sie mich rauslassen.“
Wieder nickte mein Fahrer, zum Zeichen dafür, dass er mich auch durch die dicke Plexiglasscheibe, die den Fahrer- vom Fahrgastraum abtrennte, verstanden hatte. Das Taxi überquerte die Brücke und fuhr die Straße hinunter. Links von uns ragten die Bäume des Parks auf, rechts von uns reihten sich einige der teuersten Häuser südlich der Themse aneinander. Die Straßenbeleuchtung tauchte alles in ein schwaches, gelbliches Licht, doch kein Scheinwerfer eines anderen Autos war vor uns in Sicht. In diesem Teil der Stadt waren um diese Uhrzeit nicht viele Menschen unterwegs.
Mit einem Mal bremste mein Fahrer ab, blinkte und fuhr links an den Straßenrand. Wir waren noch einige hundert Meter von der Stelle entfernt, an der er mich eigentlich hätte absetzen sollen. Neben mir lag nur ein kleines Tor zum Battersea Park. Ich drehte den Kopf und warf einen schnellen Blick aus dem Rückfenster. Die Albert Bridge lag hinter uns, doch noch immer konnte ich keine Scheinwerfer eines anderen Autos ausmachen.
„Warum halten wir?“, fragte ich. Ich klang beunruhigt. Das war eine meiner Eigenschaften, auf die ich immer schon stolz gewesen bin. Ich kann jedes Gefühl in meine Stimme legen, das ich nur will. Vielleicht hätte ich Schauspieler werden sollen. Ich bin sicher, dafür hätte ich Talent.
Mein Fahrer stellte den Motor aus. Das Scheinwerferlicht erlosch. Dann drehte er sich auf dem Fahrersitz um und sah mich an. Seine Augen blitzten und er grinste.
„Keine gute Nacht für dich, mein Freund!“
Ich spürte, wie er seine Gedanken nach mir ausstreckte. Ich ließ den Strom von Einflüsterungen für einen kurzen Augenblick über mich hinwegspülen. Ruhig... keine Angst... bleib sitzen... beweg dich nicht... keine Angst... Geflüsterte Befehle in meinem Verstand, die mich wie ein glückliches Lamm zur Schlachtbank führen sollten. Ich schlug die Tür zu meinem Kopf mit solcher Gewalt zu, dass er zurück zuckte.
„Was...?“, fragte er.
„Ich bitte dich. Das kannst du doch sicherlich besser.“ Meine Stimme zeigte keinerlei Regung mehr.
Verstehen leuchtete in seinen Augen auf. „Du bist...!“
Ich schnitt ihm das Wort ab. „Wie lange glaubst du, hätte diese Masche noch funktioniert? Sieben verschwundene Menschen innerhalb von zwanzig Tagen. Bist du gierig geworden?“
„Was geht dich das an?“
„Irgendwann hätte selbst die Metropolitan Police den Zusammenhang hergestellt.“
„Das ist verdammt noch mal meine Sache!“ Seine Augen waren doch grau, entschied ich. Und gerade brannte heißer Zorn in ihnen. „Was steigst du auch zu mir in den Wagen? Mach dass du rauskommst! Du versaust mir die Jagd!“
Ich sah ihn an und dachte an all die ahnungslosen Menschen, die in diese Augen geblickt haben mussten, kurz bevor sie starben. Die irgendwo im nächtlichen London das Pech gehabt hatten, das falsche Taxi nach Hause zu nehmen. Für einen kurzen Augenblick fragte ich mich, was er wohl mit den Leichen gemacht hatte. Und wie er es jedes Mal geschafft hatte, das Blut aus seinem Wagen zu waschen. Früher hatte ich an diesem Zeitpunkt immer Hass verspürt. Etwas später, als ich so viel mehr gesehen hatte, war dieses Gefühl durch beinahe so etwas wie Mitleid ersetzt worden. Jetzt spürte ich nur noch Gleichgültigkeit.
„Ich soll aussteigen?“, fragte ich. „Ich fürchte, das wird nicht möglich sein.“
Ich stieß mich von meinem Sitz ab und sprang nach vorne. Meine Hände brachen durch das Plexiglas, das mich von meinem Fahrer trennte. Die Splitter zerschnitten mir die Finger, doch ich achtete nicht darauf. Mein Gegenüber sah den Angriff kommen und versuchte ihm auszuweichen. Er war jung, seine Reflexe waren dennoch bereits geschärft. Doch verglichen mit mir war er beinahe lächerlich langsam. Meine Hände gruben sich in seine Haare und schmetterten seinen Kopf gegen das Seitenfenster. Glassplitter flogen in die Nacht hinaus.
Erst jetzt bemerkte er, was für einen Fehler er begangen hatte. Verzweifelt tasteten seine Hände nach dem Türgriff. Ich packte ihn im Nacken und schlug seinen Kopf gegen das Lenkrad. Einmal, zweimal, dreimal. Beim letzten Mal hörte ich Knochen splittern. Stöhnend sank der Mann über dem Lenkrad zusammen. Ich ließ ihn los und zog meine Hand zurück. Ich ignorierte den pochenden Schmerz in meinen Armen, überall wo die Splitter meine Haut aufgeschlitzt hatten und griff in meine Manteltasche. Meine Finger schlossen sich um das Springmesser und zogen es heraus.
Manche Menschen mögen der Meinung sein, Messer seien völlig überholt in den Zeiten von Schusswaffen. Diese Menschen haben niemals ein Wort mit einem Arzt in der Notfallaufnahme eines Londoner Krankenhauses gewechselt. Eine Pistolenkugel hinterlässt einen sauberen Einschusskanal. Der Blutverlust ist minimal. Solange du früh genug in ein Krankenhaus geschafft wirst, hast du eine gute Überlebenschance. Doch wenn dir jemand eine fünfzehn Zentimeter lange Messerklinge in den Bauchraum rammt, dann bist du Geschichte.
Wieder stießen meine Hände in den Fahrerraum hinein. Ich packte meine Fahrer an den Haaren und riss seinen Kopf zurück. Mit der anderen Hand drückte ich ihm das Messer an die Kehle. Er wehrte sich immer noch. Der letzte Schlag gegen das Lenkrad musste seinen Schädel gerochen haben und doch wehrte er sich immer noch. Natürlich. Seinesgleichen stirbt nicht leicht. Vor allem, wenn sie ihr Ende kommen sehen.
Ich schüttelte seine Hände ab, die nach meinem Arm griffen. Mit einer schnellen Bewegung schnitt ich ihm die Kehle durch. Warmes Blut ergoss sich in einem Strom über meine Hand und ein durchdringender kupferner Geruch erfüllte den ganzen Wagen. Mein Fahrer röchelte, während seine Lungen sich mit Blut füllten. Ich stieß ihn nach vorne gegen das Lenkrad, wo er nun endgültig zusammengesunken liegen blieb.
Ich stieß einen Fluch aus, zog meine Hände zurück und wischte das Messer am Sitz ab, bevor ich es zurück in meine Jackentasche gleiten ließ. Man sollte meinen, dass es mit der Zeit einfacher wurde. Doch so funktionierte es nicht. Es war doch immer das gleiche. Langsam kehrte der Schmerz in mein Bewusstsein zurück, den ich die ganze Zeit ausgeblendet hatte. Ich betrachtete meine Hände, die mit blutigen Schnitten übersäht waren. In vielen der kleine Wunden steckten Splitter von dem Plexiglas. Mein Mantel war ruiniert. Die Ärmel waren zerfetzt und in Blut getränkt. Das mit dem Mantel ärgerte mich mehr als die Schnitte in meinen Händen. Die würden in wenigen Stunden der Vergangenheit angehören. Doch der Mantel war teuer gewesen.
„So eine Schweinerei“, murmelte ich.
Die Scheinwerfer eines Autos tauchten hinter mir auf und machten mir deutlich, dass ich mich beeilen musste. Ich öffnete meine Tasche, zog einen Plastikkanister heraus und schraubte mit zitternden Händen den Verschluss ab. Der kupferne Blutgeruch im Auto wurde sofort ersetzt durch den scharfen Benzingeruch.
„Nicht dein Tag heute“, sagte ich zu meinem Fahrer, während ich den Benzinkanister über ihm ausleerte. Den leeren Kanister warf ich in den Fahrerraum. Dann griff ich nach meiner Tasche, öffnete die Tür und stieg hinaus in die kalte Februarnacht. Ich lehnte mich an die Seite des Taxis und zündete mir eine Zigarette an. Ich nahm zwei, drei tiefe Züge und wartete, bis das Pochen in meinen zerschnittenen Händen nachließ. Dann ging ich langsam zu dem zersplitterten Seitenfenster hinüber und sah meinen Fahrer ein letztes Mal an.
Der Mann lag immer noch gegen das Lenkrad gelehnt und ein stetiger Blutstrom durchnässte sein Hemd und seine Hose. Und dennoch regte er sich. Sein Todeskampf war noch nicht vorbei. Seinesgleichen sterben nicht leicht. Es sei denn man hilft nach.
„Wirklich nicht dein Tag heute“, sagte ich und warf den glühenden Zigarettenstummel durch das zersplitterte Fenster in den Fahrerraum. Die in Benzin getränkte Kleidung des Mannes ging sofort in Flammen auf. Ich bekreuzigte mich. „Ruhe in Frieden, armer Teufel.“ Mit diesen Worten wandte ich mich ab, schlug den Kragen meines Mantels hoch und ging davon. Es war Zeit, nach Hause zu kommen.
Während ich die Straße verließ und links in das Dunkel des Battersea Parks hineinging, weit weg von neugierigen Blicken anderer Menschen, da sah ich noch einmal zum Himmel hinauf. Der Mond stand voll und rund über mir und leuchtete mir den Weg. Der Jägermond. Nur manchmal waren es die Jäger, die zu Gejagten wurden.
___________________________________________________
Mein erster Post hier auf KG.de. Ich wusste nicht genau, wie ich die Geschichte einordnen sollte. Sie hat Horrorelemente, aber ich war hin- und hergerissen zwischen Horror und Fantasy. Naja, ich hoffe hier ist sie richtig. Ich würde mich sehr über eure Anregungen freuen. Ich schreibe schon seit einiger Zeit, aber nur sehr hobbymäßig. Ich hoffe, ein paar von den Experten hier können mir Tipps geben wie ich daraus eine brauchbare Geschichte machen kann. Vielen Dank schonmal im Voraus.