Was ist neu

Gott sei Dank!

Mitglied
Beitritt
20.12.2016
Beiträge
8

Gott sei Dank!

Er saß jede Nacht auf dem Kasten. Starrte einfach nur aus dem Fenster. Ich hatte immer das Gefühl, dass er mich gar nicht wahrnahm, wenn ich im Zimmer war. Nicht einmal, wenn ich direkt neben ihm stand. Ich habe mich nie getraut ihn anzufassen. Ich arbeite auf der psychiatrischen Abteilung und man weiß ja nie was sich die Patienten so alles einfallen lassen. Erst neulich hat ein Patient einen minutenlangen Schreianfall gekriegt bloß, weil eine Krankenschwester sein Lieblingsstofftier in die Hand genommen hat. Nur damit Sie mich nicht falsch verstehen, ich will hier gar nicht schlecht über meine Patienten reden. Sind ehrlich gesagt mehr sowas wie Familienmitglieder für mich, sie gehen einem manchmal fürchterlich auf die Nerven und doch hat man sie gern.
Schon komisch, wie einem manchmal die Gesellschaft dieser Menschen, die angeblich nicht mehr funktionieren, vor Augen führt, wie krank die Welt eigentlich ist. Ich will mich jetzt auch gar nicht über die Welt beschweren, die kann ja auch nichts dafür wie absurd sie eigentlich ist. Die Gesellschaft, mit ihren Normen und Regeln, die ist schuld. Alles muss ins Muster passen, alles muss „normal“ sein. Wenn ihr mich fragt, die wirklich Verrückten findet man nicht in der Psychiatrie, außer vielleicht beim Betreuungspersonal. Und in dem Fall mache ich mich wohl gerade selber schlecht. Ich hatte heute nicht die beste Nacht. Viel Geschrei, eine Patientin wollte sich ständig den Katheter raus ziehen und dann noch der Neuzugang aus der Neuro. Schlaganfall, die Arme wird wahrscheinlich nie mehr ohne Stütze gehen können und weigert sich vehement zu schlafen. Sitzt nur da und hält die anderen Patienten wach, weil sie ihre Nachttischlampe nicht ausmachen will. Naja, ein bisschen Sturheit sei ihr gegönnt, schließlich wüsste ich auch nicht, wie ich reagieren würde, wenn man mir sagt, dass ich für den Rest meines Lebens mit einem Rollator herumschleichen müsste.
Also Sie sehen, bis jetzt war es eine lange Nacht. Ich hasse die Nachtschichten, ich höre dann immer förmlich mein Bett nach mir schreien. So, aber zurück zu meinem Lieblingspatienten. Er sitzt jede Nacht auf seinem verdammten Kasten und starrt aus dem Fenster. Ich weiß nicht einmal auf was genau er starrt, die Fenster sind vergittert und viel gibt’s dort draußen nicht zu sehen. Andererseits ist das Unterhaltungsangebot des Krankenhauses jetzt auch nicht gerade berauschend. Entweder starrt man in irgendeine Illustrierte, schaltet das Radio an oder kritzelt die Wände voll. Ja, wir haben auch Künstler unter uns, mehr oder weniger. Vielleicht sieht er die Gitterstäbe auch gar nicht, vielleicht starrt er auch einfach nur ins Leere, wer weiß. Ich habe schon lange aufgegeben, irgendeinen Sinn in dem zu suchen was meine Mitmenschen machen. Klar, betrinken wir uns mal und steigen ins Auto. Natürlich kann ich meine Frau und Kinder blutig schlagen, wieso nicht? Was, ich hab‘ doch bloß die letzten 40 Jahre geraucht, wieso hab‘ ich bitte Lungenkrebs?
Ja, da ist mir unser stiller Beobachter schon lieber. Trotzdem, komisch ist er schon. Ich frage mich nur, was da bei ihm so im Kopf vorgeht. Jetzt nicht was da falsch läuft, sondern eher woran er denkt. Schließlich muss er ja an irgendetwas denken, oder? Manchmal denke ich, er stellt sich vor, dass er nicht hier ist, in diesem trostlosen Zimmer, sondern irgendwo anders oder irgendwer anderes ist. Jemand der nicht still aus dem Fenster starrt, der nicht an ein Gebäude, ein Zimmer gefesselt ist. Oder vielleicht auch einfach jemand der als freier, „normaler“ Mensch durch diese Flure geht. Ohne dieses weiße Band um sein Handgelenk, das ihn als „Kranken“ brandmarkt. Als beschädigte Ware sozusagen, bei der der Kassenbon verloren gegangen ist und die jetzt hier gelagert wird. Vielleicht redet er auch deshalb nicht mit mir, weil ich ihn dann aus seiner schönen kleinen Welt herausreißen würde, in der er ein normales Leben führt. So wie man es sich vorstellt halt. Mit dem Job, der Freiheit und allem Drum und Dran. Ich schätze, er wäre schon zufrieden, könnte er wie ich sein. Ich bin zwar auch an dieses Gebäude „gefesselt“, ist ja schließlich mein Job, da kann ich schlecht abhauen, aber ich bin kein Patient, ich bin nicht krank. Ich stecke nur mit einem Haufen Irrer, und ich meine nicht nur die Patienten, in dieser Station fest. Ich drehe mich um und gehe auf den Flur hinaus. Weit und breit keiner zu sehen. Als ich mich umdrehe liegt er im Bett. Fast bewundernswert wie schnell er das hinbekommen hat. Als hätte er darauf gewartet, dass ich endlich aus dem Zimmer gehe. Aber gut, das erinnert mich daran wie müde ich bin. Ich glaube ich könnte gleich im Stehen einschlafen. Ich schaue rauf zu Decke, an der sich bereits einige Risse im Anstrich befinden. Das Licht flackert beständig, wie wir es alle aus den Horrorfilmen kennen, kurz bevor der Psychokiller sich sein nächstes Opfer krallt. Psychokiller, ich liebe Ironie.
Nein, ich könnte hier nie Patient sein, so viel ist sicher. Mit all‘ dem gesagt, drehe ich mich um und lege mich ins Bett, diese Müdigkeit macht dich fertig. Dieser Laden macht dich fertig, dieses gottverdammte Fenster mit seinen Gittern macht dich fertig. Gott sei Dank, bin ich nicht er. Gott sei Dank, bin ich „normal“ und funktioniere noch. Nicht defekt, keine Ausschussware. Denkt er sich und schläft ein, während die Gitterstäbe vor seinem Fenster ein Muster auf sein Gesicht werfen und das weiße Band um sein Handgelenk leise im Dunkeln zu schimmern scheint. Gott sei Dank.

 

Also, die Geschichte ist eine Ansammlung von Floskeln, auf die nie näher eingegangen wird. Beispiel:

Wenn ihr mich fragt, die wirklich Verrückten findet man nicht in der Psychiatrie, außer vielleicht beim Betreuungspersonal

Das wird einfach vom Prot hingerotzt und nicht weiter erklärt. Er redet lieber über einen Mitpatienten, der mMn die Definition des Wortes "verrückt" abdeckt.

Der Twist im letzten Satz erklärt die Ahnungslosigkeit, die der Protagonist an den Tag legt - er hat keinen Schimmer davon, was Pflegepersonal den ganzen Tag mitmacht und wie Therapie abläuft. Er beklagt sich lieber darüber, dass Patienten wie Objekte behandelt werden - was absolut unwahr ist - aber aus dem Gesichtspunkt eines psychisch kranken Menschen ist das nur zu gut vorstellbar. Diese Teile haben mir gut gefallen.

Was ich nicht so gut fand, war die Inkohärenz, die zuweilen aufgetreten ist. Klar, du kannst jetzt mit dem Finger auf die psychische Erkrankung des Protagonisten zeigen, aber ich glaube, dass das einfach kleine Schlampereien sind, die dir durch den Lappen gegangen sind. Beispiel?

Ich habe schon lange aufgegeben, irgendeinen Sinn in dem zu suchen was meine Mitmenschen machen.

Ein paar Sätze später;

Ich frage mich nur, was da bei ihm so im Kopf vorgeht. Jetzt nicht was da falsch läuft, sondern eher woran er denkt.

Das deckt sich nicht.

Außerdem stecken viele kleine Kommafehler in deinem Text, auf die du nochmal gezielt Jagd machen solltest.

Insgesamt fand ich das gar nicht schlecht.

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

An NWZed

Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast meinen Text durchzulesen.

Zu deinem ersten Punkt. Die Aussagen im Text sind bewusst überspitzt. Mir ist durchaus bewusst, dass das Pflegepersonal in Krankenhäusern einen harten Job hat und viele wirklich ihr Bestes geben. Leider ist es aber egal, wie sehr sich jemand anstrengt, wenn die Ressourcen nicht da sind (also in Bezug auf Gelder und Anzahl der angestellten Personen). Ich habe öfters mit psychisch Kranken zu tun gehabt (sowohl durchs Studium als auch privat) und es leider auch schon gesehen, dass Patienten auf der Strecke bleiben. Häufig einfach weil nicht genug Leute da sind, die sich um sie kümmern...

Ein Grund warum sich der Protagonist so auf diesen einen Mitpatienten fokussiert, ist weil er eigentlich sein Alter-Ego darstellen soll. Er "sieht" sich quasi selbst zu. Ich weiß, die Idee ist vermutlich zu schwammig umgesetzt, aber so war es intendiert.

Ganz besonders Dankeschön für den Hinweis mit der Inkonsistenz! Das war Schlamperei auf meiner Seite. Und was die Beistriche angeht, versuche ich in Zukunft noch mehr darauf zu achten. (Ich hatte leider schon immer Probleme mit Beistrichen, aber ich gebe mein Bestes)

Liebe Grüße! Und noch einmal danke für das Feedback! :)
Rasil

An Meister Reinhard

Auch an dich ein Dankeschön, dass du dir meinen Text durchgelesen hast!

Was die fehlende Handlung angeht, hast du recht. Allerdings war der Text auch weniger als Geschichte und mehr als Situationsbeschreibung gedacht. Der Text beruht auf einer Situation, die mir ein Pfleger, der mit psychisch Erkrankten zusammen arbeitet, einmal geschildert hat. Er ist nachts in das Zimmer eines Patienten gegangen und hat ihn nicht in seinem Bett gefunden, stattdessen saß der Patient auf seinem Kasten und hat ihn angestarrt. Mir ist die Geschichte nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Aus dem Grund habe ich den Text geschrieben.

Ich werde versuchen, mir für die nächsten Sachen, die ich schreibe, mehr Handlung einfallen zu lassen. Ich schreibe ehrlich gesagt auch noch nicht lange Geschichten, bisher habe ich es eher mit Gedichte versucht. Aber ich dachte ich probiere mal was Neues aus.

Noch mal Danke für's Lesen! :)

Liebe Grüße,
Rasil

 

Hi und Willkommen, Rasil!

Durch den Twist am Ende hast du die Geschichte haarscharf rumgerissen. Dadurch, dass sich dein Prot nicht als Mitarbeiter, sondern als Patient entpuppt, relativierst du einige der Aussagen, Ansichten und Beschreibungen einer (geschlossenen) Psychiatrie. Sowohl, was die Patienten angeht, die "Irren", oder die Zustände dort. Ich muss jedenfalls immer über die klischeehaften Bilder und Szenen von Irrenhäusern und Klapsen lachen - prima Horrorstoff, ohne Frage. Allerding nicht allzu nah an der Wahheit - auch dafür ein "Gott sei Dank"!;)

Insgesamt fand ich diese kleine Story hier gar nicht mal schlecht!

Frohes Fest vom EISENMANN

 

Kennst Du "Den Doppelgänger" von Dostojewskij? In dieser Erzählung bekommt man die Wahrnehmung und die Sprache eines Verrückten, einer Person mit klaren Anzeichen der Persönlichkeitsspaltung, zu spüren: mit Satzzeichen, Wortspielereien, widersprüchlichen Ort- und Zeitangaben, die den ahnungslosen Leser in die tiefsten Abgründe des Wahnsinns treiben können. Allerdings eines Verrückten ohne Beruhigungstabletten, als frei laufender Mensch mit dem abgründigen St.Petersburg im Hintergrund! Wenn Du Zeit hast, lies mal diese Erzählung von Dostojewskij. Das ist ein zu Unrecht verkanntes literatisches Meisterwerk!
Wenn man Dostojevskijs Goljadkin mit deinem Protagonisten vergleicht (durch Vergleiche nimmt man die fremde neue Welt besser wahr), so stellt man sehr schnell fest, dass die Erzählerinstanz/dein Held sehr hübsche Zusammenhänge zwischen jetzt und hier und sich bauen kann. Die Sprache als Spiegel der Person ist nicht kaputt oder absurd - also völlig normal. Nur die betonte Angst des Helden oder sein Wunsch, als normal da zu stehen, verleitet hier den Leser, mich, zum Gedanken, dass etwas mit dem Mann nicht stimmen kann. Diese Angst, nciht normal zu sein, ist begründet und bei jedem "normalen" Menschen nachvollziehbar. Erst in Kombination mit anderen Ängsten wird sie krankenhausreif. Was mir hier noch auffällt, ist, dass der Mann alle Ängste der anderen Patienten sehr gut "spiegelt" oder zu "spiegeln" versucht. Also, er verfügt über eine gehörige Portion von funktionierenden Spiegelneuronen im Kopf, die ihn auch als normal charakterisieren.

Also! Gern - ohne Kopfschmerzen - gelesen!

 

Herr Schuster

Das ist ein zu Unrecht verkanntes literatisches Meisterwerk!

Das mag sein, Herr Schuster - aber was in meinen Augen ein noch viel verkannteres Stück russischer Kultur ist: Wodka und die gute alte Автомат Калашникова :D

Friedliche Grüße vom EISENMANN

 

Hallo Rasil

Mir gefällt deine Idee und die Perspektive, aus der du die Geschichte erzählst. Beim Lesen hatte ich allerdings den Eindruck, dass du den Text sehr schnell niedergeschrieben hast. Ich denke, wenn du sorgfältiger schreibst und versuchst dem Erzähler mehr Persönlichkeit zu geben und seine Aussagen differenzierst, kannst du deine Idee viel besser umsetzen.

Die Aussagen lesen sich teilweise wie zufällige Klischees. Du kannst deine Figur über seine Aussagen oder die Art, wie er denkt, charakterisieren.

Grüsse
Corinne

 

Hallo Corinne!

Die Antwort auf den Kommentar kommt viel zu spät, ist mir klar, aber ich wollte trotzdem danke sagen! Die Geschichte habe ich sehr schnell runter geschrieben (in einem Satz um ehrlich zu sein...). Ich hab' versucht mir deine Worte zu Herzen zu nehmen und bei meinen weiteren Geschichten zuerst mehr über die Handlung nach zu denken, bevor ich tatsächlich zu schreiben beginne... Ich denke allerdings, meinen Charakteren fehlt immer noch eine gewisse Tiefe, aber ich arbeite dran.

Liebe Grüße,
Rasil

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom