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Golf von Thailand, nachts
Dunkel lag der Bungalow vor ihm, hob sich nur leicht von der Silhouette des Dschungels ab, der direkt dahinter zu beginnen schien. Milchiges Mondlicht durchbrach phasenweise die schwarzen Wolken und trug zur gespenstischen Szenerie eher bei, als sie zu verdrängen. Zweige bewegten sich lautlos in einer nicht zu spürenden Brise vom Strand. Ihm war kalt. Kälter als es ihm jemals war in diesem Urlaub.
Sein Name war Jack. Jack aus England. Seit zwei Monaten tourte er nun schon durch Asien. Laos, Vietnam, Kambodscha und nun war er in Thailand. Ein paar Tage Bangkok und danach Beach Urlaub im Süden. Strände, Mädchen und jede Menge Drogen.
Ein Knacken aus seinem Bungalow ließ Jack zusammen zucken. Da war die Angst. Angst vor dem, was drinnen auf ihn warten könnte. Der rationale Teil seines Verstandes redete ihm immer wieder ein, dass nichts in seinem Bungalow sein würde. Er hatte den Schlüssel und niemand konnte hinein, ohne das Schloss zu entfernen oder ein Fenster zu zerschlagen. Sollte er sich vorsichtshalber das Fenster zur Rückseite ansehen? Nein, denn das würde bedeuten, noch weiter in die Dunkelheit vordringen zu müssen.
Klar, er konnte auch zurück zur Bar gehen und einen der Iren bitten, ihn zu seinem Bungalow zu bringen. Er könnte ihnen erzählen, er habe einen Einbrecher gesehen oder einen großen Hund. Die Iren waren zwar wie jeden Abend stockbesoffen, aber wahrscheinlich würden sie, nach ein paar Frotzeleien, seiner Bitte nachkommen. Da ist nichts. Der rationale Teil...
Zitternd (vor Kälte?) kramte Jacks rechte Hand in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel. Erschrocken stellte er fest, dass er bereits auf der kleinen Veranda stand, direkt vor der Tür.
Jack stellte sie sich vor. Er konnte nichts dagegen tun. Sie erschien einfach vor seinem geistigen Auge.
In ein weißes Nachthemd gehüllt liegt sie in seinem Bett. Dunkles Haar breitet sich auf der Matratze aus. Ihre Haut ist fast so hell wie Milch, als würde kein Blut in ihren Adern fließen. Sie richtet sich auf, fixiert ihn mit ihren dunklen Augen. Er kann erkennen, dass die graue Netzhaut von dünnen roten Adern durchzogen ist, die unnatürlich stark schimmern. Durch das wenige Licht, das durch das Fenster hinter ihr in das Zimmer einfällt, zeichnen sich ihre Haare ab. Sie stehen bizarr von ihrem Kopf ab und erinnern ihn an Holzfasern, die aus einem geknickten Streichholz ragen. Krank und elektrisiert.
Jack riss sich zusammen. Er nahm das Schloss in seine linke Hand und führte den Schlüssel ein. Ein Dreh, ein Klick, und mit einem Knarren, das Jack eine Gänsehaut einjagte, öffnete sich die Tür nach außen.
Das Hauptzimmer des Bungalows war zur Hälfte von einem großen Bett ausgefüllt. Es stand rechts an der Wand und grenzte mit dem Kopfende an ein kleines Fenster, dessen Scheibe, so schien es, eine Ewigkeit nicht mehr geputzt worden ist. Mondlicht erleuchtete das Kopfkissen sowie das Fußende. Dazwischen lag die Dunkelheit und machte es sich bequem. Ohne die Tür zu schließen trat Jack ein und ging zum Lichtschalter, der an der Wand links von ihm angebracht war. Kurz vor der Tür zum Badezimmer. Er hielt inne. Wollte er das Licht überhaupt einschalten? Wollte er sie sehen? Auf dem Bett liegend, sich hinsetzend und zu ihm herüber rutschend. Ihre toten Blicke in ihn bohrend. Er überlegte es sich anders.
Jack knipste das Licht im Badezimmer an. Unter der Tür erschien ein gelber Schimmer. Schnell sprang Jack zur Bungalowtür, zog sie zu, hämmerte den Riegel vor und verschwand hinter der Badezimmertür. Er atmete aus. Er schien eine Ewigkeit nur auszuatmen. Als er wieder einatmete, bemerkte er einen Gestank. Fäule, erkannte Jack. Nein, sagte der rationale Teil. Doch Jack wusste es besser. Als Kind hat er beim Spielen im Wald ein totes Schwein gefunden. Das hatte genauso gerochen. Als er einen Stock durch die lederne Haut bohrte kamen Maden hervor gekrochen, Tausende von Maden. Erschrocken lief er weg. Wie das Schwein ausschaute, hatte er vergessen, aber niemals den Gestank von Tod.
Natürlich könnte ein Hund unter der Hütte gestorben sein oder eine Ratte oder irgendeins von den Tieren, die man in Europa gar nicht kennt, aber das war nicht der Fall. Jack wusste, woher der Gestank kam. Sie war es. Sie war hier. Er stand immer noch mit dem Rücken zur Tür. Sein Blick glitt über das Waschbecken rechts von ihm. Es deutete in das rechteckige Badezimmer, an dessen Ende ein Duschkopf in die Wand geschraubt war. Auf halber Höhe stand ein Klo im Raum. Jack glitt herüber an das Waschbecken, drehte den Hahn auf und beugte sich herunter, um sich kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Er wusch sich den Schweiß aus den Augen und betrachtete sich im Spiegel. Hier ist nichts, sagte der rationale Teil. Hier ist nie etwas gewesen. Je mehr Wasser er sich ins Gesicht rieb, desto ruhiger wurde Jack. Er begann, dem rationalen Teil zu glauben. Ein letzter Blick in den Spiegel, noch mal Wasser schöpfen und dann würde er bereit sein, ins Bett zu gehen, wo er allein bis mittags schlafen würde, um bei Tageslicht über seine kindliche Angst zu lachen.
Das Licht ging aus. Es war einfach wag. Jack drehte gerade den Hahn zu, als es plötzlich schwarz um ihn wurde. Gedanken schossen durch seinen Kopf. Stromausfall. Strom abgestellt. Sie.
Auf den kleineren Inseln im Golf von Thailand wird nachts manchmal der Strom abgestellt, versuchte es der rationale Teil. Jack hörte sein Herz schlagen. Dann hörte er noch etwas.
Die Dusche wird aufgedreht und Wasser prasselt hinter Jack in der Dunkelheit zu Boden. Der Gestank nach verrottetem Fleisch wird intensiver. Jacks Hände krallen sich um das Waschbecken, jeden Moment mit dem Tod rechnend. Dann geht das Licht wieder an. Die Dusche läuft noch. Im Spiegel sieht Jack sich über die Schulter und sieht sie im Strahl des Wassers stehen. Ihr Rücken ist ihm zugewandt. Nasse schwarze Haare kleben auf dem feuchten Nachthemd. An Stellen, wo es gerissen ist, schimmert weiße Haut durch, fast blendend, wie Neonlicht, das plötzlich eingeschaltet wird. Blaue Flecken sind stellenweise auf der Haut zu erkennen. Wasser fließt über ihren Rücken, den Po, die Beine herab Richtung Abfluss, der sich in Form eines Loches im Boden unter Jacks Füßen befindet. Tropfen berühren seine Haut, so unglaublich kalt, dass sie ein Brennen verursachen. Hinter ihm dreht sie sich um. Langsam und unaufhaltsam. Das erste, was ihm auffällt, ist ihre steife Brustwarze, die grün durch das Nachthemd schimmert. Eine Flüssigkeit scheint ihr zu entweichen, denn das Nachthemd ist direkt unter ihr dunkel verfärbt. Schwarze Zehennägel zeigen in Jacks Richtung. Aus ihnen tritt etwas rotfarbenes aus, das sich mit dem Wasser vermischt und auf Jack zuströmt. Ob ihre Lippen schwarz oder blau sind, kann Jack nicht einordnen. Es ist eine Farbe die irgendwo dazwischen liegt, er aber noch nie gesehen hat. Aus tiefen Rissen in ihnen fließt die Farbe am Kinn vorbei, den Hals hinab. Die Augen kann Jack nicht erkennen, weil sie durch zu viele nasse Haare verdeckt werden.
Sie setzt sich in Bewegung. Langsam kommt sie auf ihn zu. Das einzige Geräusch ist weiterhin das Prasseln der Dusche. Starr vor Angst kann Jack nichts tun, außer mit weit aufgerissenen Augen in den Spiegel zu starren. Sie ist auf Höhe der Toilette, hat das halbe Badezimmer durchquert und scheint schneller zu werden. Er kann ihre schwarzen Zähne sehen. Sie scheint zu grinsen unter ihrem Haarschopf. Ein dämonisches Antlitz bleckt ihn an. Sie öffnet ihren Mund ein Stückchen weiter. Ihre Zähne wirken unnatürlich groß und gehen nahtlos in das ebenfalls schwarze Zahnfleisch über. Langsam streckt sie ihre rechte Hand nach ihm aus, versucht, ihn zu berühren. Das gibt Jack Kraft. Er dreht sich um doch es ist bereits zu spät. Sie steht direkt vor ihm. Erst jetzt fällt ihm auf, dass sie ihn um einiges zu überragen scheint. Ihr stinkender Atem kriecht unaufhaltsam in seine Nase und auf seine Haut regnen rot-schwarze Tropfen einer undefinierbaren Flüssigkeit herab. Mit ihrer rechten Hand will sie seine Schulter greifen, ihre langen Fingernägel in sein Fleisch bohren, ihn mit der Aura des Todes infizieren. Das Licht ist aus. Jack schreit. Dunkelheit