Goldrausch
Goldrausch
„And the oscar goes to…“ Tatsächlich, jetzt ist es endlich soweit: mein Name! Dann geht alles ganz schnell: Ich werde von meinem Manager und dem Produzenten meines Films umarmt, während mir die ganze Welt dabei zusehen kann.
Ich stehe auf, achte sorgsam darauf, dass mein Kleid richtig sitzt und gehe langsam die Stiegen hinauf zur Bühne. Dort werde ich schon von den zwei Schauspielern erwartet, die mir die Statue überreichen, auf die ich mein ganzes Leben hingearbeitet habe. Ich falte den Zettel auseinander und warte, bis sich das Publikum und meine Kollegen wieder beruhigt haben. Ich ringe nach Worten, zittere am ganzen Körper und die ersten Tränen fließen meine Wangen hinunter. Verstohlen wische ich sie weg und setzte wieder mein Siegerlächeln auf. Dann beginne ich von meinem Zettel ab zu lesen.
Ich bedanke mich bei Allen, die mich auf diesen Weg unterstützt haben: Meine Familie, der Produzent und mein Manager. Immer wieder muss ich meine Rede unterbrechen, weil ich versuche die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.
Freudestrahlend winke ich noch ein letztes Mal in die Kamera und gehe, begleitet von den Laudatoren, von der Bühne. Dieser Auftritt dauerte nur wenige Minuten und trotzdem fühle ich mich immer noch wie in Trance.
Ich suche den Weg zur Maskenbildnerin und lasse noch einmal für die Aftershow Party mein Make-up auffrischen. Ich sehe in den Spiegel und überprüfe, ob meine Frisur noch sitzt. Mein Spiegelbild strahlt mir entgegen und ich beschließe in der Garderobe auf meinen Begleiter zu warten. Nach wenigen Minuten kommt auch schon mein Manager, umarmt mich stürmisch und lobt mich für meinen gelungenen Auftritt. Einige Fotografen halten diese Szene für die morgige Ausgabe fest.
Doch viel Zeit bleibt uns für unser Gespräch nicht, weil nun weitere Interviews und Fotos auf dem roten Teppich folgen. Ich erzähle, wie gerührt ich von dieser wichtigen Auszeichnung bin und wie ich bis zum Schluss gezweifelt hatte, ob ich sie tatsächlich gewinnen würde. Schließlich waren noch viele andere angesehene Schauspielerinnen mit mir in dieser Kategorie nominiert. Umso mehr freute ich mich natürlich, dass gerade ich gewonnen hatte.
Die Tür der Limousine wird mir aufgehalten, noch einmal drehe ich mich für die Fotografen um und steige dann ein.
Sobald auch mein Manager eingestiegen ist, folgt eine gehörige Standpauke von ihm. Ich hätte mein Lächeln natürlicher aufsetzen können und hätte besser auf die Fragen der Interviewer eingehen müssen. Gerade ich sollte doch wissen, wie viel Zeit und Geld wir dafür investiert haben.
Ich nicke nur stumm und nehme einen Schluck von meinem Champagner und lasse ihn einfach reden. Ich schaue aus dem Fenster und sehe den Menschen zu, die gerade spazieren gehen. In diesem Moment wünsche ich mir wieder einmal, mit ihnen tauschen zu können. Sie dürfen ihr Leben selbst in die Hand nehmen und entscheiden, was sie machen und was nicht.
Diese Möglichkeit war mir Zeit meines Lebens nicht vergönnt.
Völlig in Gedanken versunken, bemerke ich erst als wir stehen bleiben, dass wir bereits bei der Aftershow Party angekommen sind. Vor dem Eingang warten wieder viele Fotografen, Ich leere mein Champagnerglas und steige aus.
Mit einem Lächeln auf den Lippen stelle ich mich ein weiteres Mal dem Blitzgewitter. Mein Freund, auch ein bekannter Schauspieler, zieht mich in seine Arme und küsst mich. Natürlich ist auch das wieder ein Moment, den die Paparazzis für die morgigen Zeitungen festhalten.
Wir betreten gemeinsam das Lokal, wo wir als Begrüßung ein weiteres Glas Champagner bekommen.
Wir setzen uns zu unserem reservierten Tisch, wo bereits Kollegen auf uns warten. Ich erhalte weitere Glückwünsche und werde in ein Gespräch verwickelt. Wie immer erfahre ich den neuesten Klatsch und Tratsch über andere Schauspieler. Ich täusche Interesse vor und lasse meinen Blick über die Partygäste schweifen.
Mein Freund steht bei einer mir bereits bekannten Person. Er flüstert ihr Etwas ins Ohr, das sie zum kichern bringt. Nach einigen Minuten sind die beiden verschwunden. Für die Presse waren wir seit Jahren das Traumpaar Hollywoods, nur entsprach dies nicht im Entferntesten der Realität. Schon kurz nachdem wir zusammen gezogen waren, vergnügte er sich mit anderen Frauen. Anfangs warf mich das natürlich völlig aus der Bahn und ich fragte mich, was ich bloß falsch gemacht hatte.
Doch hatten wir mittlerweile ein Abkommen getroffen: Vor der Kamera blieben wir das verliebte Paar und sonst durften wir beide machen, was wir wollten. Um ehrlich zu sein, war es wohl eher ein Abkommen, zwischen ihm und meinem Manager. Ich hatte keine Wahl, schließlich wollte ich meiner Karriere ja nicht schaden. Ich selber beließ es bei kurzen Affären, denn in meinem Terminkalender hatte eine richtige Beziehung sowieso keinen Platz.
Mittlerweile spürte ich bereits den Alkohol, aber ich konnte es ziemlich gut überspielen. Mein Manager sollte schließlich nichts davon mitbekommen, sonst würde eine weitere Standpauke folgen und das war wirklich das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte. Mein Freund schaut kurz bei mir vorbei, drückt mir einen Kuss auf die Wange und verschwindet wieder unter den vielen Gästen.
Ich leere mein Glas um den Gedanken zu verdrängen, wen seine Lippen vorher berührt haben. Durch die blinkenden Lichter wird mir schwindlig und schlecht, deswegen beschließe ich die Toilette aufzusuchen. Zu meinem Glück treffe ich natürlich ausgerechnet jetzt auf meine größte Rivalin: Die Neue meines Freundes.
Sie schminkt sich gerade, als ich den Raum betrete. Sie sieht mich von oben herablassend an und sieht wieder in den Spiegel. Bevor sie geht, kann sie sich natürlich nicht verkneifen mir zu sagen, dass es sie nicht wundert, dass er sich für sie entschieden hat. Sie war die bessere Wahl und es konnte mit uns ja auch nicht lange gut gehen, denn schließlich habe ich ja nichts zu bieten. Hätte ich den Oscar nicht gewonnen, wäre er auch schon längst bei ihr eingezogen und hätte unsere Beziehung beendet.
Dann verschwindet sie und ich stütze mich mit meinen Armen auf das Waschbecken. Ich hebe meinen Blick und sehe mein Spiegelbild. Meine Frisur, oder besser gesagt, was noch davon übrig geblieben ist, löst sich nun völlig auf und einige Haarsträhnen fallen mir ins Gesicht. Meine Schminke ist verwischt und das Siegerlächeln ist längst verschwunden. Ich suche vergeblich das Glitzern in meinen Augen und stelle fest, dass sie Recht gehabt hatte: Ich war nicht mehr als ein Häufchen Elend.
Ich drehe den Wasserhahn auf und nehme einen Schluck von dem eiskalten Wasser. Meine Füße schmerzen, denn ich hatte keine Zeit gehabt die Schuhe einzulaufen. Eine Tür wird geöffnet und eine junge Frau stellt sich neben mich. Mit den Worten „Du siehst aus als hättest du das jetzt nötiger als ich!“ legt sie mir ein Päckchen neben das Waschbecken und verlässt den Raum.
Ich ziehe die Schuhe aus, nehme das Päckchen und sperre mich auf der Toilette ein. Ich sinke zu Boden und lasse meinen Tränen freien Lauf.
Ich hatte in den letzten Jahren sehr hart für den heutigen Abend gearbeitet oder besser gesagt; Eigentlich schon mein ganzes Leben. Bereits als Kind hatte ich Schauspielunterricht nehmen müssen, denn meine Eltern wollten, dass ich auch einmal so berühmt werde wie sie. Ich musste noch nie etwas selber entscheiden, denn mein ganzes Leben bestand aus fixen Terminen und viel Arbeit. Freunde hatte ich nie gehabt, denn hatte ich gerade keinen Unterricht, musste ich meinen Text lernen für Werbespots und kleinere Rollen.
Schließlich bekam ich meinen Manager, der alle meine Entscheidungen und Termine übernahm. Selbst wenn ich nur kurz zum Supermarkt gehen wollte, wurde diskutiert, was ich anziehen sollte und wie ich geschminkt wurde.
Klar wollte ich als Kind berühmt werden, doch bald wurde mein Traum zu einem Alptraum. Doch wenn ich Einwände hatte wurden diese immer sofort im Keim erstickt. Mir wurde eingetrichtert, dass ja alle nur das Beste für mich wollten und ich hatte dankbar dafür zu sein.
Wie ich später herausfand war auch die Beziehung mit meinem Freund eine geplante Sache gewesen. Er hatte mich nicht zufällig auf der Party damals angesprochen, geschickt eingefädelt von meinem Manager.
Das erzählte er mir bei unserem Streit, als er mich das erste Mal betrogen hatte. Es zog mir den Boden unter den Füßen weg, doch als ich meinen Manager darauf ansprach, lachte er nur. Ich wollte doch groß rauskommen und die Beziehung wäre das ideale Sprungbrett dafür. Ab diesem Zeitpunkt mischte ich mich nicht mehr ein und ließ mich nun vollständig zur Marionette machen.
Dann dachte ich, ich hätte eine Freundin gefunden, die mir zuhörte und ich dachte wirklich, dass sie mich verstand. Nun schlief diese sogenannte beste Freundin mit meinem Freund. Der letzte Mensch, der mir noch wichtig war, war genauso falsch, wie die schillernde Welt, in die ich geboren wurde.
Hier in Hollywood bekam der Spruch „Der Schein trügt“ eine ganz neue Bedeutung. Der glückliche, erfolgreiche Star von morgen, sitzt nun zusammengekauert und in Tränen aufgelöst auf dem Boden einer Toilette.
Ich beschließe das Päckchen zu öffnen und betrachte den Inhalt.
Ging es mir schlecht, ertränkte ich meinen Schmerz im Alkohol. Am nächsten Tag hatte ich den schlimmsten Kater, den man sich vorstellen konnte, doch wusste ich so wenigstens, dass ich noch am Leben war.
Ich schiebe den Ärmel meines Kleides hoch und binde mir das Band fest um den Oberarm.
Als ich eines Tages mal wieder völlig verkatert am Filmset erschien, geschah es das erste Mal, dass ihm die Hand ausrutschte. Bis heute kam es immer wieder zu solchen Vorfällen aber eine Entschuldigung hörte ich nie.
Ich musste laut ihm, nun einmal lernen, was Disziplin heißt und er wollte mich ja nur schützen, denn es war doch immer mein Traum gewesen und ich sollte nicht vom Weg abkommen.
Diese Gedanken lassen mich nun sarkastisch auflachen. Mein Traum…! MEIN Traum!? Texte lernen bis spät in die Nacht, täglich stundenlange Torturen meines Fitnesstrainers, Schauspielunterricht und dazwischen Interviews. Ja als ich klein war, mag es so gewesen sein, aber mittlerweile ist mein Traum EUER verdammter Traum geworden, an dem ich jeden Tag mehr kaputt gehe. Ich würde auf den ganzen scheiss Zirkus verzichten, wenn ich dafür endlich selbst entscheiden könnte und nicht länger nur eine Schachfigur bin in diesem abgekarteten Spiel des Lebens.
Ich nehme vorsichtig den Rest des Inhalts aus dem Päckchen und beobachte mit Ehrfurcht die spitze Nadel, die im Licht gefährlich schimmert.
Mittlerweile habe ich aufgehört zu weinen und lehne meinen Kopf gegen die Wand. Würde mein Manager mich so jetzt sehen, würde er vermutlich rot anlaufen vor Wut und mir erklären, wie armselig ich nicht bin und, dass ich so meine Karriere gefährde.
Ich fange an zu lachen. Ein krächzendes, schauriges Lachen, das mich verstummen lässt. Ich krame meinen „Notfallstropfen“ aus der Tasche: Eine kleine Flasche Wodka, die ich immer dabei habe. Ich trinke auf mich und meinen glücklichsten Tag im Leben. Zur Hölle mit allen anderen, ich habe es verdient!
In einem Zug trinke ich den Wodka aus und werfe die Flasche gegen die Tür.
Ich richte mir noch einmal das Band und schnüre es fester um den Arm. Dann lege ich die Nadel an und drücke langsam die durchsichtige Flüssigkeit in meinen Körper.
Es dreht sich alles um mich herum und mein Atem wird unregelmäßig. Ich fange an zu Lächeln: Jetzt habe ich endlich meinen eigenen Weg gefunden.
Am nächsten Tag war in der Zeitung folgendes zu lesen: Die junge Oscargewinnerin wurde gegen Mitternacht auf einer Toilette der Aftershow Party tot aufgefunden. Bis jetzt ist unklar, was sich in der Nacht auf heute wirklich abgespielt hat. Völliges Entsetzen in ganz Hollywood. Ihr Freund sagt dazu: „Wir sind erschüttert. Gestern Abend war sie noch so glücklich und jetzt kehrt sie nie wieder zurück. Ihre Eltern, ihr Manager und ich haben sie immer auf ihrem Weg unterstützt. Ich kann das alles noch nicht wirklich begreifen. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich diese Frau geliebt habe!“
Weiter Untersuchungen werden folgen. Ob es sich hierbei um eine unbeabsichtigte Überdosis handelt oder ob es ein gezielter goldener Schuss war, wird vielleicht niemals völlig geklärt werden können…