- Beitritt
- 31.08.2008
- Beiträge
- 594
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Goldfisch
Ravi parkte seinen Wagen vor der schmalen Düne, die den Weg vom Strand trennt. Er nahm die Flaschen aus dem Kofferraum und trug sie an den Strand. Beim zweiten Gang trug er Atemgerät, Brille und Flossen. Die Sonne brannte auf das Meer. Er ließ seinen Blick schweifen und träumte für einen Augenblick. Seine dunklen Haare wehten leicht im Wind, sein schlanker brauner Oberkörper glänzte unbeachtet in der Einsamkeit der Küste.
Etwas irritierte ihn, er fühlte sich beobachtet. War er wirklich allein? Ravi ließ den Blick umherschweifen, unauffällig; er wollte seine Unsicherheit nicht preisgeben. Niemandem.
Er montierte den Atemregler an die Flaschen. Dann setzte er sich und zog sich die Flossen an. Als er die Flaschen schulterte, hatte er für einen Bruchteil einer Sekunde den Eindruck, dass ein Augenpaar ihm zuschaute, zwei dunkle, glitzernde Augen, die in seinem Kopf die Erinnerung an glitzernde Sterne zurückließen. War er zu lange in der Sonne gefahren? Er ärgerte sich wieder darüber, dass die Autowerkstatt die Klimaanlage nicht repariert hatte. War er wirklich fit genug um zu tauchen? Die Frage verwarf er sofort wieder. Nun setzte er die Maske auf und schritt ins Wasser. Elegant ließ er sich voran gleiten, sobald es tief genug war. Nun umfing ihn die dunkelblaue, kühle Welt des Meeres.
Der Sand glitt unter ihm hinweg, bald begegneten ihm die ersten Fische. Langsam ging er auf Tiefe, bei 10 Metern war es dunkel und kühl. Eine Muschelbank weckte seine Aufmerksamkeit. Bunte Fische sammelten sich hier; ein Oktopus saß in seiner Höhle und schaute ihn durchdringend an. Er wich dem Blick aus und sah sich erneut um. Da waren die dunklen, sternglitzernden Augen direkt neben ihm. Hatte er seinen Tagtraum bis hierher mitgenommen? Stimmte die Einstellung des Atemreglers nicht? Er war erst wenige Minuten unter Wasser, ein Tiefenrausch konnte es nicht sein. Ein Blick auf die Uhr versicherte ihm das, aber beruhigt war er dadurch nicht. Sein Herz pulsierte heftig bis in die Halsschlagadern. Das Augenpaar sah ihn immer noch unverwandt an. Heftiges Kribbeln durchfuhr seinen Körper. Die Frau kam jetzt ganz nah. Ihre Lippen liebkosten seine Schultern, dann seinen Hals. Er musste sich auf die Atmung konzentrieren, ganz bewusst befolgte er die Regeln und atmete in das Gerät. Sie umfing ihn. Sobald sie ihn aufgenommen hatte, schloss sie ihre langen Beine und vollführte Schwimmbewegungen wie ein Delphin. Ihr Blick bedeutete ihm, es ihr gleich zu tun. Er gab sich ihrem Rhythmus hin und glitt mit ihr in ruhigen, langsamen Schlägen durch das unendliche Blau. Sein Bewusstsein verlor sich, er löste sich auf.
Er wusste nicht, wie lange er so dahin getrieben war, da blickte er zu ihr. Sie schwamm jetzt neben ihm. Ihr langes Haar wirbelte in der Strömung über ihrem Rücken. Fischschwärme wichen ihnen aus. Sie stiegen auf. Auf dem Strand hatte er das unbändige Bedürfnis, gleich wieder mit ihr zusammen zu sein. Sie umarmte ihn und zusammen sanken sie in den heißen Sand. Als sie wieder zu sich kamen, sah sie ihn glücklich an. Ihr Bauch war nun geschwollen. „Komm!“, sagte sie. Hand in Hand gingen sie in das Meer zurück. Sie setzte sich in die Hocke; presste, er hielt sie und sah zwischen ihren Beinen erst Blut austreten, dann einen großen Goldfisch leicht und flink herauskommen und davon schwimmen.
Jemand klatschte seine Wangen. Er schlug die Augen auf. Da waren sie wieder, diese dunklen Sternaugen.
„Hallo.“
„Hallo.“
„Was ist passiert?“
„Wir sind uns beim Tauchgang begegnet. Du hattest Probleme mit dem Atemregler, da habe ich dich an Land geholt. Ein paar Minuten hast du so da gelegen, dann habe ich versucht, dich zu wecken. Offensichtlich mit Erfolg.“
Verwirrt setzte er sich auf und sah sich um. Der Strand lag unberührt vor ihm.
„Haben wir … ?“ fragte er.
„Nein, … wo denkst du hin. Da ginge es mir wie einem Fisch in der Sahara.“
Er sah sie ungläubig an. Sie setzte nach:
„Da ginge es mir schlimmer als einem Kamel unter Wasser.“ Sie lachte.
Er brauchte einen Augenblick, bis er begriff.
„Wie heißt du eigentlich?“
„Ich heiße Sirene. Und du?“
„Ravi“.
„Ich muss jetzt los.“ Sie stand auf.
„Treffen wir uns wieder?“
„Wir sind ja in demselben Hotel; wir werden uns sicher sehen. Du solltest mal Apnoetauchen lernen. Dann können wir uns vielleicht auch treffen.“
Ihr Blick drang tief und kühl in ihn. Sie wandte sich um und ging.