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Gleich Morgen

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02.06.2006
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Gleich Morgen

Jetzt war es wieder passiert.
Und dabei hatte ich mir doch ganz fest vorgenommen, dass es diesmal keinesfalls wieder geschieht!
Langsam war ich wirklich am Verzweifeln. Wenn nicht ich selbst dieser Misere ein Ende setzen konnte, wer denn dann?!
So saß ich nun da, vor dem dumpfen Schwarz meines kleinen Fernsehapparats, und starrte noch weiter in die Bildröhre, gerade als ob sie immer noch sinnlose bewegte Bilder flackern lassen würde.
"Ach, Kacke!", sagte ich entnervt vor mich hin, "ich krieg´s einfach nicht auf die Reihe, ich krieg´s nicht hin! Ich bin doch wirklich ein Idiot." Ich stieß einen hoffnungslosen Seufzer aus. Obwohl ich schon durch das regelmäßige Zappen aus Langeweile in den Videotext im Laufe der letzten dreißig Minuten ganz genau wusste, was die Stunde geschlagen hatte, (aus lauter Hoffnung, doch noch irgendetwas interessantes zu erspähen, hatte ich sogar immer wieder einen Blick auf die Zeitanzeige am oberen Bildschirmrand geworfen,) drehte ich meinen Kopf wie automatisch zur Uhr an der Wand. Viertel nach drei in der Nacht. Fast genauso spät wie gestern. Großartig.
"Wie in aller Welt soll ich, wie bitte schön, jemals etwas schaffen, was der Nachwelt im Gedächtnis bleibt?! Scheiß Glotze!!"
Mit einem wütenden Ruck riss ich den Fernsehstecker aus der Anschlussleiste und warf ihn verächtlich auf den Boden daneben. Wäre die Fernbedienung nicht so empfindlich gewesen, dann wäre ihr auch kein besseres Schicksal beschehrt gewesen; so hatte sie Glück und ich legte sie behutsam wieder auf ihren Platz zurück, anstatt sie gegen die Wand zu pfeffern. Aber was sollte das? Eigentlich war ich doch schuld. Schuld, dass mein Leben in etwa genauso produktiv war wie ein Faultier, dem man Valium verabreicht hatte; und ich war schuld daran, dass die Anzahl der Dinge, die mir an einem durchschnittlichen Tag Freude bereiteten, die Zahl zwei seit Jahren nicht überstieg, nämlich den Fernseher einschalten und dann den abgenutzten Knopf der Fernbedienung drücken. Was war mit all den Plänen, den Ideen, die ich in Kurzgeschichten umsetzten wollte? Durch die ich eine literarische Karriere einschlagen und Lob und Ruhm ernten wollte? Was war mit meiner Zukunft in den Analen der Kulturgeschichte, durch die ich noch vielen Generationen nach mir in Erinnerung bleiben sollte? Was war mit meinem Platz neben Goethe, Schiller und Adorno?! Ach, wenn ich doch nur nicht so himmelschreiend faul gewesen wäre!
Ich gab dem Papierkorb einen leichten Tritt, gerade so schwach, dass er nicht umfiel. Was hätte ich in all den vergangenen Jahren schon zu Papier bringen können, wie enorm hätte ich mich schon weiterentwickeln können, würde ich nicht die ganze Zeit in dieser versifften zwanzig Quadratmeter Bude vergammeln? Und wann hatte ich eigentlich zum letzten mal dieses Zimmer aufgeräumt, oder etwas anderes als Fertigpizza gegessen?!!
Ich kam mir wie ein mickriger kleiner Verräter vor. Ein Verräter, der seine Berufung verkauft hatte, nämlich das Schreiben von Kurzgeschichten, mit denen er dann über eine spezielle Seite im Internet, nämlich www.kurzgeschichten.de, alle Menschen an seinem Geist hätte teilhaben lassen. Und für was hatte ich all das verkauft?! Für ein paar billige Handywerbespots, Gerichtsshows und die neusten Prominenten-News! Und morgen würde ich es wieder machen. Vormittags meine "Zu-Erledigen"-Liste abchecken, mir sagen: "So, und das wird heute endlich alles gemacht!", dann doch nur mal kurz für fünf Minuten die Mattscheibe anschalten- und das dann bis in die Abendstunden so belassen. Wie bereits gesagt, ich habe die Welt in all der Zeit ärmer bleiben lassen. Und der einzige Aufpasser, der mein träges, bequemilich Ich an diesem Lebenswandel hätte hindern können, wäre meine vernunftbegabte Seite gewesen. Ich hatte mich immer wieder auf sie verlassen. "Heute hab´ ich mich ja wieder total gehen lassen, aber gleich morgen, ja, da reiß´ ich mich mal ein bisschen zusammen und bring mein Leben in die Gänge!", hatte ich mir schon an jedem Abend gesagt. Jedesmal hatte ich einen Vertrag mit mir selbst geschlossen, dass ich am nächsten Tag alles besser machen würde. Und dann war ich getröstet, denn ich verließ mich auf mich selber. Aber dann wurde daraus doch wieder nichts. Blöd, aber dann eben am übernächsten Tag! Diesmal gilt´s! Und so weiter. Wie lange sollte ich, nein, die Menschheit, denn noch auf den kreativen Funken, auf meine göttliche Inspiration warten? Es drehte sich doch immer und immer wieder alles im Kreis! Ich ließ mich selbst immer und immer wieder im Stich!
Aber diesmal nicht.
Meinem Ich, das mich dauernd selbst verriet, würde ich nun Einhalt gebieten. Ich würde mit diesem läppischen Kerl nie wieder einen Vertrag abschließen. Jetzt würde meine tatsächliche Vernunft das Ruder übernehmen! Und dieses mal würden es nicht wieder leere Versprechungen sein! Nein, ab jetzt würde ich der Herr meiner selbst werden! Dann würde ich rauskommen aus diesem Sumpf, ich würde endlich mein Zimmer auf klarschiff bringen, anschließend meiner Inspiration freinen Lauf lassen, und dann würde ich endlich so erblühen, wie es mir schon immer für mich vorgesehen war! Ha! Dann wäre ich endlich nicht mehr auf Papis Finanzspritzen angewiesen, und es würden die Leute wieder etwas mit mir zu tun haben wollen, statt immer nur zu sagen: "Verschwinde, du Penner, ich hab keinen Euro für dich!" Dann würde ich endlich leidenschaftliche Geschichten schreiben! Und ich würde vielleicht sogar wieder anfangen, mich zu waschen!
Aber jetzt war es schon spät. Ich wollte mich aber noch ein wenig schriftstellerisch betätigen, bevor ich ins Bett gehen würde, aber für eine große Geschichte war die Zeit bereits zu weit voran geschritten. Was sollte ich stattdessen machen? Ach, ich schrieb einfach eine kurze Beschreibung meines ereignislosen Alltags, und dann stelle ich eben das ins Internet, war ja für den Anfang immerhin etwas. Morgen würde es dann ja richtig los gehen. Und diesmal würde ich ernst machen! Gleich morgen, ja, da reiß` ich mich mal ein bisschen zusammen. Wirklich, gleich morgen!

 

Hallo jackmouth,

das ist ja mal ein netter Einstieg hier. Herzlich Willkommen ;)

Als Satire würd ich es zwar nicht sehen, aber recht unterhaltsam fand ich die Geschichte allemal, vor allem originell, weil es dein erster Beitrag hier war.

Dann bin ich mal gespannt, wie denn die Kreativität so ausschaut, auf die die Welt bisher gewartet hat und wünsche dir noch viel Spaß auf dieser Seite.

Viele liebe Grüße,
Sebastian

PS: Ein klein wenig Textkam:

Und für was hatte ich all das Verkauft?!
verkauft klein

würde ich nun einhalt gebieten.
Einhalt groß

 

Hallo Sebastian!
Erstmal danke für das Lob, war schon gespannt, wie wohl die erste Kritik ausfallen würde! :)
Was die Gattung angeht: Ich wusste nicht, wie ich die Geschichte einordnen sollte, aber ich dachte, einer Satire käme sie am nächsten...
Wann die "göttlich Inspiration" wieder zuschlägt, kann ich noch nicht sagen, denn ich bin gerade im Vordiplomsstress, hab also nen Haufen zu tun, aber mal sehen, was sich so ergibt. ;)
Gruß,
jacksmouth

 

Willkommen bei KG jacksmouth,

deine Geschichte oder besser gesagt, Darstellung der Eigenbetrachtung des Protagonisten ist zum Glück kurz genug, um nicht ganz langweilig zu wirken.
Insgesamt, denn immerhin passiert ja herzlich wenig in dieser Geschichte, würde ich noch mehr kürzen und somit straffen.
Satire verkraftet auch noch mehr Überziehung und Übertreibungen. Du hättest also noch skurriler werden können.

Mir fiel auf, dass du jede Menge Wortwiederholungen in dem Text stehen hast, als Beispiele seien die Worte "aber" und "dann" genannt. Das klingt aber dann etwas hölzern, wenn sie so häufig auftauchen. ;)
Meist kann man solche Wörter ersatzlos streichen, ohne dass dadurch der Text inhaltlich leidet.

Ob deine Geschichte eine (wenn, dann allenfalls sehr seichte Form) Satire ist oder mehr in den Alltag passt, vermag ich nicht abschließend zu beurteilen, ist aber auch nicht so wichtig, denn auch Grenzfälle muss und kann es in diesem Forum geben. Mag sie also hier bleiben.

Deine Geschichte, die mir vom Genre her gefällt, hätte noch mehr an Lebendigkeit und Ironie enthalten können. Das Problem bei Protagonisten, die in selbstbetrachtender Form von sich berichten, liegt meist darin, dass wenig oder gar keine wörtliche Sprache vorkommt und der Text schnell in der Stimmung eines Besinnungsaufsatzes versinkt und dann monoton wirkt.

Lieben Gruß
lakita

 

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