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Glau'k oder der Traum von ewiger Herrschaft
Glau'k saß händereibend auf seinem Thron.
Tatendrang hatte ihn gepackt. Hatte er doch soeben einige Ketzer, die es wagten, an seiner Gerechtigkeit zu zweifeln, zur öffentlichen Auspeitschung bringen lassen.
Bevor sein Aktivismus abebben konnte, ließ er seinen Phantasten rufen. "Phata’k!" drang seine, Erhabenheit suggerierende, Stimme gut gelaunt durch den prächtigen Saal. "Erfinde mir einige neue Wörter!"
Ein leicht gekrümmt gehendes Männchen kam aus einer Seitentür und näherte sich dem Thron. Sein Körper schien sich während der Fortbewegung immer weiter zusammen zu kauern. Man hätte fast denken können, er wolle sich hinter sich selbst verstecken. Phata’ks Gesicht war von der Erinnerung an Schmerz gezeichnet. Der Boss, Seine Erhabenheit, Glau'k der Erste, war der - in seinen Augen - genialen Idee verfallen, das Geld für Kerker und Gefangenennahrung einzusparen. Statt dessen ließ er jeden, der gegen sein Gesetz verstieß, pauschal auf dem zentralen Platz vor seinem Palast auspeitschen. Zehn Hiebe für einen Mord, Einhundert für eine Majestätsbeleidigung. Und natürlich einige Abstufungen dazwischen. Schließlich war er gerecht und hielt sich streng an das Gesetz.
Uneinigkeit herrschte unter den Gelehrten, was das Gesetz war. Es existierte nur in Glau'ks Kopf. Versuche, aus seinen Verurteilungen auf das zu Grunde liegende Regelwerk zu schließen, schlugen fehl. Es war wohl zu komplex, um gewöhnlichen Sterblichen verständlich zu sein. Willkür wurde dennoch zur Sicherheit - vor allem der eigenen - allgemein ausgeschlossen.
Phata’k stand, nun vollkommen in sich zusammengesunken, neben dem Thron und hoffte auf Eingebungen. "Präfrontale Neokortex-Verschalung?" äußerte er zögerlich, auf eine Reaktion seines Herren wartend.
"Hatten wir das nicht schon einmal?" Eine Spur Mißgunst schwang in Glau'ks Stimme, und wer immer der Ansicht gewesen war, Phata’k könne nicht weiter in sich zusammen sinken, wurde eines Besseren belehrt.
"Oh .. ähm .. ja, Herr. Sie hatten es in die Kategorie: 'Titulierungen für offensichtlich unfähige Rechtsgelehrte' aufgenommen."
Sein Gehirn arbeitete nun fieberhaft. Wenn ihm nichts Neues einfiel, würden mit ziemlicher Sicherheit fünfundzwanzig Peitschenhiebe fällig.
"Quantensingulärer Picoprozessor!" entfuhr es ihm. Beinahe hätte eine Spur zu viel Stolz in seiner Stimme gelegen. Diese Eigenschaft war Glau'k vorbehalten.
"Wahrlich, wohl gesprochen!" Der Throninhaber war sichtlich zufrieden und Phata’k ging nun gänzlich zu Boden. Nicht so sehr als Unterwerfungsgeste, sondern vielmehr aus erleichterter Kraftlosigkeit. Glau'k, dies nicht wissend, dankte ihm und entließ ihn in sein Denkerkämmerchen. Das Wort der Stunde war gefunden. Nun sollte es mit Technik gefüllt werden. Kibni’k, der mit seinem Reißbrett bereits in einer entlegenen Ecke des Thronsaales wartete, eilte herbei.
"Erfinde mir einen Quantensingulären Picoprozessor! Es muss eine echte Innovation sein!"
Glau'k war nun voll in seiner Vision. Quantensingulärer Picoprozessor. Computertechnik hatte ihn schon immer besonders fasziniert. Mit seiner neuen Erfindung würde er endlich seinen Geist in die Maschine übertragen können und so unsterblich werden.
Dass die Erfindung bisher nur aus einem Wort bestand, das er sich nicht mal selbst ausgedacht hatte, spielte keine Rolle. Kibni’k fing sofort an zu zeichnen. Er wusste um den Unsterblichkeitswunsch seines Herren und gab sich Mühe, diesen zu berücksichtigen. Er erfand nebenbei noch den "Nanosynaptischen Übertrager", der die Gehirnmuster des Erhabenen in die Rechenmaschine transferieren würde, und erläuterte Glau'k seinen Plan.
"Wunderbar!" Der Herr war begeistert. "Beginne sofort mit der Realisierung!" Kibni’k entschwand mit einer tiefen Verbeugung in die noch tieferen Labore. Glau'k malte sich seine Unsterblichkeit aus. Für immer und ewig Herr der Welt sein...
Es war einfach gewesen, die Macht zu übernehmen. Doch noch steckte er in einer sterblichen Hülle, was ihn betrübte, denn niemand außer ihm konnte sein mit so großer Weitsicht aufgebautes Reich würdig weiterregieren. Er musste unsterblich werden. Schon um das Wohlergehen seines Volkes zu sichern, musste er dieses Opfer erbringen.
Sicher würde er einige hundert Millionen hinrichten lassen müssen, die ihn nicht anerkennen wollten. Man kann es eben nicht allen recht machen. Aber die übrigen Milliarden würden ihm huldigen, arbeiten um seinem ewigen Geist die nötige Elektrizität zum Weiterregieren zu verschaffen.
Vielleicht sollte er Phata’k und Kibni’k ebenfalls die Gnade der Unsterblichkeit zuteil werden lassen? Schließlich waren sie ihm treu ergeben und ausgesprochen nützlich. Wer sollte ihm sonst Neues erfinden? Doch er kam zu dem Schluss, es würde seine Herrlichkeit schmälern, wenn es weitere Ewige gäbe und verwarf die Idee.
Es würde neue kreative Köpfe geben, die er sich zu Nutze machen konnte.
Wo blieb Kibni’k nur mit dem Quantensingulären Picoprozessor? Er war doch schon eine dreiviertel Stunde im Labor. Glau'k wurde ungeduldig und beschloss, dass es ohnehin Zeit wurde, Kibni’k zu ersetzen. Er war eindeutig zu langsam.
Die aufkeimende Wut verpuffte, als Kibni’k schließlich mit einem großen, grauen Kasten zur Tür herein kam und diesen als die gewünschte Erfindung vorstellte. Er hatte sogar an einer Seite eine kleine Steckdose, zum Anschluss des Nanosynaptischen Übertragers.
Glau'k war begeistert. "Kibni’k, du hast dich selbst übertroffen. Lass' es uns sogleich ausprobieren." Sprach's, und ergriff den Helm, aus dem viele dünne, sich zu einem Kabelstrang vereinigende, Drähte herausführten. Kibni’k verband derweil Übertrager und Picoprozessor. Auf Glau'ks Geheiß aktivierte der Ingenieur das Gerät.
Glau'k spürte, wie sein Geist unter wilden Zuckungen den Körper verließ.
Er hatte es geschafft.
Er würde in der Maschine unendlich lang weiter leben und herrschen können.
Sein nicht schallendes, da immaterielles Gelächter verhallte ungehört in den Weiten des Quantenraumes.
***
Erik ließ resigniert den Kopf sinken, als er nach dem Öffnen der Zellentür den leblosen Körper, auf dem Boden liegend, vorfand.
Wieder ein Irrer weniger.
Wieder nervige Aufräumarbeiten.
Er wusste, dass dieser Gedanke unprofessionell war. Aber warum durfte er das als Pfleger nicht auch mal sein. Um diesen "Kunden" mit seinen cholerischen Herrschsuchtsanfällen, war es nicht schade.
Er musste eine seiner Wahnphantasien ausgelebt haben. Sein Kopf steckte im Schirm der Leselampe und deren Stecker in der Dose. Die rechte Hand des Leichnams umklammerte noch den Schalter.
Erik ging ruhigen Schrittes durch den langen, weißen Gang zum Stationszimmer, vorbei an den vielen kleinen Kämmerchen mit den vielen Gescheiterten. Mit jedem Menschen, den sie aus ihrem Leben vergraulten, hatten sie sich weiter in ihren Wahn gesteigert, bis sie schließlich einsam in den Zellen der psychatrischen Anstalt gestrandet waren.
Er nahm den Telefonhörer ab und rief den zuständigen Arzt an. "Nummer zweiundachtzig hat's hinter sich," gähnte er in die Sprechmuschel.
"Okay. Ich komm gleich. Stell schonmal die Aluschüssel bereit. Wir müssen die Zelle möglichst schnell für den nächsten frei machen."