Glaubt Gott auch an euch?
Oh Trinitas, mein allmächtiger Gott.
Ich bitte dich um mein täglich Schutz, auf dass ich mich deiner unterwerfe.
Ich bitte um deine Fürsprache und die Hilfe deiner Mitbrüder und Mitschwestern, auf dass ich mich deiner unterwerfe.
Ich bitte dich um meine Erlösung, auf dass ich mich deiner unterwerfe.
Oh Trinitas, mein allmächtiger Gott.
Regen prasselt auf das gläserne Dach des Vorplatzes. Das vertraute Geräusch der einzelnen Regentropfen, die auf dem Glas zerschellen, wird von mehreren Stimmen übertönt. Kira sitzt am Rande unseres Sitzkreises, doch ist Hauptteil unserer Konversation. Ihre blonden Haare verdecken, aufgrund des Windes, Teile ihres Gesichts und ihre Arme, eingehüllt in ihrer schwarze, durchnässte Regenjacke sind vor Kälte verschränkt. Ihre blassen Lippen formen ein durchweg gerades Lächeln und ihre Augen erstrahlen in einem tiefen, hellen Blau. Wir haben eine bunte Decke auf den steinernen Boden gelegt. Das Glasdach wird von zwei weißen Wänden gestützt – die eine mit Flyern bedeckt, die andere ist der Eingang zur Kirche der Glaubensgruppe Trinitas. Am linken Ende führt eine Treppe hinunter zum Keller und am rechten befindet sich ein Parkplatz auf marodem Grund. Daneben ranken zahlreiche Wohnhäuser in die Höhe, in denen Kira und ich unser Zuhause finden.
''Würdet ihr nicht auch euer Leben geben, um Trinitas einmal zu begegnen?'', fragt Finja, ein Mädchen mit orangenen Haaren in die Runde.
Tjark, ein breit gebauter Junge mit freundlichen Augen, springt auf. ''Und wie, wenn ich könnte jetzt sofort!'', schreit er, schüttelt seine braunen, mittellangen Haare zur Seite und stimmt seiner Schwester zu.
''Fahrt mal alle wieder einen Gang runter…'', meint Kira ungläubig in die Runde und versucht sich vergeblich die Haare aus dem Gesicht zu streichen.
''Aber wenn es doch wahr ist!'', antwortet Tjark und ballt die Fäuste. ''Ich unterwerfe mich Tag für Tag und ernte dafür seinen Schutz, warum sollte ich nicht so weit für meinen Gott gehen?''
Ich schalte mich ein. ''Tjark... es ist doch auch wieder gut jetzt, oder?''
''Ist es das, Sami? Ist es das?'' Aufbrausend läuft er mir entgegen und lässt durch Pressen unschöne Knackgeräusche aus seinen Fingern entweichen. Ohne zu Zögern ergreift er meinen Hemdkragen und zieht mich zu sich herauf. So weit, dass ich seine Nasenhaare beben sehe und das Grün in seinen Augen in drei Stunden noch genau aufzeichnen könnte.
Krachend fällt er zu Boden. Kira hatte ihm mit einem gewaltigen Tritt die Beine weggezogen. ''Vergreif dich noch ein Mal an Sam und wir haben ein gewaltiges Problem miteinander'', droht sie ihm, während sie auf ihn herabblickt.
Wenige Tage waren vergangen. Ich verlasse die Wohnung, die ich mir zusammen mit meiner Mutter teile. An der Wand gegenüber lehnt Kira und schaut mich erwartungsvoll an. ''Und?'', fragt sie.
''Ich habe mich noch nicht entschieden'', antworte ich und beginne in Richtung Treppenhaus zu laufen.
''Warum?'' Kira hält meine Hand fest und blickt mich besorgt an.
''Warum?'', beginne ich, kratze mir am Kopf und weiche ihrem Blick aus, ''Weil mir das alles etwas zu krass ist, glaube ich.''
Ohne ein weiteres Wort von ihr zu geben, läuft sie voran. Sie richtet die Kapuze ihrer Jacke und springt in sportlicher Manier die Treppe herunter. Sie war schon immer besser als ich, ohne Ausnahmen. Wir kennen uns schon seit dem Kindergarten und doch konnte ich sie noch nie in irgendetwas schlagen. Sei es im Sprintwettbewerb unserer Schule, im politischen Wettkampf unserer Freizeitgruppe oder den moralischen Ansichten dieser Welt.
''Sam, du bist ein Weichei, weißt du das?'' Sie dreht sich um und sieht mich finster an. ''Wir haben es alle gesehen. Tjark hat uns nicht angelogen. Er hat uns bewiesen, dass Trinitas exisitiert. Warum zögerst du noch?'' Tränen füllen ihre zusammengekniffenen Augen. ''Warum kannst du nicht einfach mit mir kommen?''
Still schweigend laufe ich zu ihr und nehme sie in den Arm. ''Hör auf zu weinen.''
''Warum entfernst du dich dann immer weiter von mir, nur um mir dann so etwas zu sagen? Dir ist es doch egal, ob ich weine oder nicht!'' Sie schreit in den Kapuzenpullover, der meine Brust umhüllt.
''Na gut...'', fange ich an.
Im nächsten Moment streckt sich Kira empor. Lange und intensiv berühren sich unsere Lippen. Grinsend steht sie nun vor mir.
''Ich komme mit dir, Kira.''
Die Dunkelheit der Nacht kann meine Glücksgefühle nicht ansatzweise unterdrücken. Auf einem Hügel hinter der Kirche hatten Tjark und die anderen bereits ein Feuer entfacht. Stolz steht er davor und betrachtet sein Werk. Als er uns sieht, winkt er uns erfreut zu.
Erneut sitzen wir im Kreis, dieses Mal um das Feuer herum. Tjark steht davor und spricht leise Worte vor sich hin. In seinen Händen liegt ein braunes, altes Buch, welches er zwischenzeitlich küsst. Ab und zu kniet er vor dem Feuer nieder und fasst sich an beide Schultern.
''Oh Trinitas!'', schreit er.
''Mein allmächtiger Gott!'', antwortet der Rest. Sogar Kira stimmt mit ein und lächelt mir zu.
''Oh Trinitas!'', ruft er.
''Wir unterwerfen uns deiner Herrlichkeit'', lautet die Antwort. Zeitweise versuche ich stotternd mit einzustimmen. Kira hält meine Hand fest und hat sich an meine Schulter gelehnt. Ihre blonden Haare schimmern im Licht des Lagerfeuers und das Flackern in meinem Herzen erwärmt meinen gesamten Körper.
Abwechselnd stehen nun die Teilnehmer unserer Runde auf und laufen im gleichen Rhythmus zu Tjark. Wie eine Marionette steht Finja vor ihm und grinst über beide Ohren. Er streicht ihr über die Stirn und malt mit weißer Farbe ein Symbol über ihre Handinnenflächen.
''Ich unterwerfe mich deiner Herrlichkeit.''
Nachdem sie das sagte, bewegt Finja ihre Hand immer weiter ins Feuer hinein. Sie schreit vor Schmerzen und ihre Pupillen wenden sich dem Himmel zu. Sie zuckt zusammen und ihre Knie geben nach. Die Flamme streckt sich immer weiter empor.
''Seht her! Das ist Trinitas Werk!'', flüstert Tjarks inmitten des Leidens seiner Schwester.
Immer und immer weiter wird Finja vom Feuer erfasst. Niemand steht auf. Niemand tut etwas. Ich zittere am ganzen Leib.
Verkohlt liegt ihr Leichnahm vor seinen Füßen. Emotionslos blickt er auf sie hinab.
''Sie war nicht auserkoren. Schade.''
Ungläubig blicke ich Kira an. Ihre leeren Augen sind starr auf das Feuer gerichtet. Schön, dass ihr daran glaubt, doch glaubt Gott auch an euch?