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Glas
Die grünen Flecken schieben sich am Himmel immer weiter Richtung irgendwo. Kubkala weiß, dass es Wolken sind. Weiter unten sind die Straßen voller Menschen. Das Licht macht sie schön. Ein alter Mann hat die Sonne im Gesicht, er lacht und zerreibt die Strahlen auf seiner Haut. Alles ist grün und eigenartig weich.
Kubkala geht zurück zum Tisch. Er legt das kleine, grüne Glasstück wieder zu den anderen. Bald wird der Haufen noch höher sein. Der Mann aus dem Laden unten im Haus hat ihm noch mehr Scherben versprochen. Es sind noch lange nicht genug, das weiß er.
Im Laden gliztert und flimmert es aus allen Ecken. Zwischen Glastischchen und bunten Fensterscheiben irrt Kubkala umher. Das Licht tanzt und taumelt zwischen Spiegeln, ist grell und blendet ihn. Erst nach einer Weile findet er den Mann, dem der Laden gehört. Er sitzt auf einem Stuhl am Fenster und zuckt zusammen, als Kubkala plötzlich neben ihm steht.
Dann wird er wütend und schimpft. Es sind schlechte Zeiten für Glaser, nichts geht mehr zu Bruch. Kubkala sagt nichts und versucht, seine Ungeduld zu verbergen. Dann ist es endlich soweit, der Mann steht auf und bringt aus dem Hinterzimmer ein kleines Säckchen mit, das er ihm wortlos in die Hand drückt. Kubkala lächelt und bedankt sich. Der Mann schüttelt nur den Kopf und beachtet ihn nicht weiter, er geht wieder ans Fenster.
Die Tür zum Zimmer des Mädchens ist offen, Kubkala bleibt stehen. Er klopft und geht hinein. Es ist kalt, der Wind weht durch das Zimmer. Das Mädchen steht zwischen den wirbelnden Gardinen auf dem Balkon. Sie hat ein leeres Glas in der Hand und hält es mit der offenen Seite in den Wind.
Als sie ihn bemerkt, dreht sie sich lächelnd um und tritt ins Zimmer. Das Licht streift ihre Schultern und brennt Kubkala in den Augen. Er sieht nur ihre Silhouette und muss blinzeln. Sie gehen in einen anderen Raum, wo ihm das Mädchen ihre Sammlung zeigt. Was sie sammelt, sind Geräusche und Worte in kleinen, runden Gläsern. Alle sind fest verschlossen. Kubkala hat nicht gewusst, das es so viele sind. Überall stehen Regale und jedes ist bis zu den obersten Fächern vollgestellt. Sie bleibt stehen und legt den Finger an die Lippen. Es ist still, Kubkala kann nichts hören. Er betrachtet die Regale. Matt bricht das Licht durch die Gläserreihen. Manche schimmern und funkeln, andere sind voller Staub.
Als er wieder in seiner Wohnung ist, leert er gleich das Säckchen, das ihm der Glaser gegeben hat, auf dem Tisch aus. Die Scherben rieseln auf die Tischplatte und glitzern wie ein kleiner Lichtregen. Sie stoßen klirrend aneinander. Sogar ein paar Rote sind dabei. Kubkala grinst, weil er weiß, dass sie selten sind. Er spürt die Wärme des Glases, als sich seine Finger behutsam durch die Scherben tasten. Er entdeckt ein besonders schönes Glasstück und zieht es heraus. An einen Kristall muss er denken, als er die Scherbe näher untersucht und an Blut, als er die Farbe sieht. Er wird sie dem Mädchen zeigen.
Sie ist wunderschön, sagt er und sie sagt es ist eine Scherbe. Kubkala ist ein bisschen verwirrt. Scherben, sagt er, sind wie Sterne. Sterne sind die Scherben des alten Mondes. Das Mädchen geht in das Zimmer mit den Regalen. Kubkala folgt ihr. Sie deutet auf die Gläser und lächelt. Dann legt sie den Finger wieder an die Lippen. Kubkala zuckt die Schultern, er kann immer noch nichts hören. Sie greift nach einem Glas und hält es an sein Ohr. Er schüttelt den Kopf und versucht zu lächeln. Auf einmal will sie, dass er geht.
Als er an der Tür ist, dreht er sich noch einmal um. Das Mädchen steht am Fenster und hat Tränen in den Augen.
Wenig später hört Kubkala ein schepperndes Geräusch. Eine Weile wartet er noch ab, dann geht er auf den Flur und schaut zum Zimmer des Mädchens. Die Tür ist noch immer offen, durch den kleinen Spalt fällt Licht auf den Gang. Kubkala macht ein paar Schritte auf die Tür zu und versucht, etwas durch den Spalt zu sehen. Die ganze Wohnung liegt im Dämmerlicht, bald wird die Sonne untergehn. Kubkala schiebt seinen Kopf in den Raum, er klopft und macht einen Schritt ins Zimmer, als keine Antwort kommt.
Was er sofort bemerkt, ist die Unruhe, alles ist in Bewegung, überall tuschelt und raschelt es, Schatten huschen über die Wände. Er hält inne und versucht zu verstehen, doch es sind zu viele Stimmen, zu viele Geräusche, zu durcheinander. Irgendwo fährt ein Zug, direkt dahinter rauscht das Meer, Kinder lachen, Regen prasselt auf Steine, leise Musik, ferner Donner, Hundebellen, Wind, ein Fluss, unverständliches Geflüster. In der Ecke liegt ein lebloser Körper. Kubkala stürzt herbei, auf einmal sind seine Hände voller Blut, der Boden ist ein Scherbenteppich, darüber liegen die Deckel zerbrochener Gläser.
Er geht zurück in seine Wohnung und lässt sich auf den Stuhl fallen. Die Scherben liegen immer noch auf dem Tisch. Rot wie der Abend. Das Licht bricht sich an ihrer Oberfläche. Kubkala starrt auf das kleine Leuchtfeuer. Ein Knistern und Brodeln hört er. Winzige Funken springen in die Augen und an den Wänden empor. Die Hand greift nach einer Scherbe. Was die Hand tut, ist egal. Kubkala spürt den Biss, unmerklich und zärtlich wie der Wind ist er. Stumm betrachtet er das Blut auf seiner Hand, schließlich führt er die Scherbe an sein Auge.
Erst ist alles rot, dann entwickelt sich ein Schemen. Ein Zittern fährt durch seinen Körper, als er sein Spiegelbild im Glas erkennt. Was?
Die Fenster werden dunkel, die Scherben werden matt, vor dem Fenster geht die Sonne unter. Am Himmel schimmert umrisshaft der Mond. Kubkala steht auf und fegt die Scherben von der Tischplatte. Weich versinken sie im Teppich und hinterlassen keinen Laut.
Er steht auf und macht sich auf den Weg.
Die Stufen beachtet er nicht, als er die Treppe hinunterfliegt. Mit einem Ruck reißt er die Tür zum Laden auf und stürmt hinein. Das Zittern und Klirren des Glases übertönt er mit einem Schrei. Der Mann in seinem Stuhl zuckt diesmal nicht zusammen, er wirft die Hände in die Luft. Kubkala´s Augen flimmern krank und fieberhaft, er taumelt wie auf Schienen bis zum Tisch. Seine Worte stolpern und fallen wie Idioten. Alles ist ein wenig hilflos.
Der Mann schüttelt nur den Kopf und schweigt.
Kubkala schreit, das Glas bekommt Risse oder leblose Adern. Unter Hieben und Tritten fallen die Scheiben wie Blütenblätter, zerbersten in Scherbenwolken. Kubkala´s Augen sind voller Splitter oder Tränen.
Er schleudert seinen Schatten an die Wand und stürzt armerudernd auf die Straße.
Kubkala steht in der Nacht und blickt zu Boden, hebt den Kopf und erstarrt. Das Auseinanderbrechen geschieht lautlos. Der Mond zerfällt.
Blätter rauschen in den Bäumen. Es klingt nach Wind und Kristallen. Kubkala lauscht. Dann öffnet er die Augen. Im Ladenfenster betrachtet er sein Lächeln.
Irgendwann steigt der Ladenbesitzer über die Scherben nach draußen und deutet mit dem Finger auf den Himmel. Was übrig bleibt, ist ein Regen von Sternen. Die Scherben des alten Mondes, sagt er.