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Glücksstein
Der Malereiprofessor strich sich über seinen Bauch. Er gehörte zu den gemütlich aussehenden Endvierzigern, die schnell ungemütlich werden konnten. Mara spürte seine hellen Augen unter den blonden Wimpern lauernd über sie wandern. Auch die Klasse bemerkte es und wurde still.
Klasen näherte sich Maras Staffelei und betrachtete ihre Leinwand, ein Steinstillleben, ganz in Schwarzweißgrau.
„Ich wette, wenn man Ihnen einen grünen Apfel hinhält, treffen sie nicht einmal die Farbe“, sagte er und blickte süffisant in die Runde, doch nur zwei Mädchen erwiderten sein Grinsen. Arlette und Liv, die ganzjährig braunen, allerdings bisher erfolglosen Professorenknackerinnen.
Und während sein Blick fast unauffällig an Arlettes Dekolleté hängen blieb, sagte er: „Ich gebe Ihnen eine letzte Chance. Sie malen ein Bild, ganz in Blau, und in 6 Wochen treffen wir uns wieder. Ansonsten können Sie ihr Vordiplom vergessen.“
Als alle den Raum verlassen hatten, setzte Mara Teewasser auf. Draußen dämmerte es schon, eine blaue, bald schwarze Wand hinter den hohen Atelierfenstern, Januarblau.
Lena kam und setzte sich neben sie auf die fleckige Couch, strich Mara über den Arm. „Lass den Idioten. Mal einfach, was er möchte, dann lässt er dich in Ruhe.“
„Das schaff ich nicht. Ich bekomm die Steinserie sonst nicht fertig.“
„Vergiss mal deine Steine, Mara, die laufen dir nicht davon“, sagte Lena. „Weißt du, dass sie dich schon Steinchen nennen?“
Das war Mara neu und ein wenig erschrak sie darüber. Nicht, dass sie der Spitzname störte - er war durchaus liebevoll - aber sie mochte nicht, wenn man über sie nachdachte. Sie liebte ihre Ruhe, das Malen im still gewordenen Atelier bis spät in die Nacht - allein, sie und ihre Steine. Fundstücke vom Rügener Feuersteinfeld. Schwarzweiß, architektonische Stillleben, Schlagschattenstudien, Heimweh-Linder-Steine.
Natürlich würde sie sich mit Farben auseinandersetzen, aber zu einem Zeitpunkt, den sie für richtig hielt. Das blaue Bild. Eine Idee wie aus dem Kindergarten. Sollte sie ein blaues Flaschenstillleben malen oder ein Meer mit Himmel darüber? Blau in blau, das gab nur Klischees. Glockenblumenwiesen. Blau, blau blüht der Enzian.
Doch als Lena weg war, kam die Angst hoch, sie durfte Klasen nicht unterschätzen.
Mara betrachtete ihre Farben. Sie besaß nur sechs Tuben, mehr hatte sie nie gebraucht. Sie ging zu Tobias Teewagen, auf dem über 60 Farbtuben lagen, viel zu viele wie Klasen meinte. Mara hob vorsichtig einige hoch, sie waren klebrig, ölig, farbverschmiert, die Etiketten kaum lesbar, weil Tobias nie die Deckel zuschraubte. Wie viele Blautöne er besaß: Ultramarinblau, Preußischblau, Pariserblau, das fast genauso aussah, Kobaltblau, Königsblau (wunderbar hell), Coelinblau (ein grünstichiges Himmelsblau) und Indigo, tief wie die Nacht draußen.
In einem Glas sammelte er Baumarktfarbmuster: taubenblau, sturmblau, enzianblau, kornblumenblau, Mara zählte, bevor sie aufgab, 25 Töne und verließ das Atelier. Sie fürchtete auf ihrem Heimweg überall Blau zu sehen, in Form von Mützen, Handtaschen, Schals, aber das einzige Blau war ausgerechnet die Butterbrotdose eines Fahrgasts in der Straßenbahn.
In den folgenden Tagen gelang es ihr, Klasen zu vergessen, sie sah weniger Blau, wozu das Februarwetter seinen freundlichen Beitrag leistete. Alle stöhnten über vereiste Wege, den schon vergrauten Schnee, auch der Himmel war grau, aber Mara freute sich über die schwarzweiße Welt, die zu ihren Steinen im Atelier passte.
Und dann gab es den Streich.
Ein eher unauffälliger Streich, in Form eines Steins (vielmehr eines Steinchens).
Eine winzige Spur Blau in ihrem Schwarzweiß.
Und auf der Unterseite des Störenfrieds: Mal mich!
Sie malte ihn tatsächlich. Sie nahm etwas von Tobias Königsblau und begann.
Später musste sie zugeben, dass es sogar Spaß machte. Der Neue ließ die alten Steine noch grauer erscheinen, ein subtiler Kontrast, der ihr gefiel.
Bis in die Nacht arbeitete sie, dann versteckte sie das frische Bild in ihrem Malschränkchen.
Das wurde in den folgenden Wochen immer voller.
Mara zog ein Holzkästchen heraus, das zwischen ihren Bildern lag.
Als sie es öffnete, glitzerte es. Blaublaublau. Matt, glänzend. Trommelsteine, Handschmeichler.
Jeder Tag ein neuer Stein.
Von wem kamen sie bloß?
Mittlerweile kannte sie alle Steine, dank dem Edelsteinführer aus der Hochschulbibliothek.
Aber auch dank der immer frecher werdenden Aufkleber unter den Steinen.
Aquamarin, blassblau, glasklar – halb so schön wie deine Augen.
Blautopas – ich inspiriere dich!
Calcit, blaugrau, milchig – dein Glücksstein.
In Mexiko glauben die Indianer, dass er an besonders heißen Tagen vom Himmel auf die Erde fällt.
Und da war der Blaufluss, ein synthetischer Stein wie Mara etwas enttäuscht nachlas, aber er war so schön - wie Sternenstaub am Nachthimmel, funkelnd, übermütig und der Lapislazuli war wie aus Tausend und einer Nacht, wie ein Versprechen, sinnlicher Goldglimmer, Pyriteinschlüsse.
Dann kam die Prüfung. Alle machten sich gegenseitig nervös. Arlette und Liv waren unerträglich und wollten den Hochschulfasching doch tatsächlich in Maras Atelier vorbereiten. Weil es dort so viel Platz gab. Und Tobias half ihr nicht. Die Arlette-Liv-Invasion bestand aus Pappmaché in Eimern, Hämmern, Feilen, Gekicher, Geflüster und Mara glaubte, dass die beiden vor allem über sie lachten.
Als sie spät in der Nacht noch in ihr Atelier wollte, war es viel wärmer als sonst und als sie ihren Schank öffnete, traute sie ihren Augen nicht.
Ihre Arbeiten, die Steine, alles war weg, nur ein paar Vorstudien hatten sie ihr gelassen.
Das war kein Scherz mehr! Das war schlimmstes Mobbing.
Und es war halb drei in der Nacht.
Am nächsten Tag zitterte sie, als der erste der Prüfungskommission ihre Ateliertür hinunterdrückte.
„Wo ist denn bei Ihnen der Lichtschalter?“
Es war nicht nur stockdunkel, sondern auch völlig überheizt.
„Warum haben Sie nicht den Hausmeister verständigt“, schimpfte Klasen und Mara ärgerte sich noch mehr, als sie ein leises Kichern hörte.
Dazu ein Plätschern wie von Wasser.
Alle wollten schon gehen, als die Wunderkerzen aufflammten.
Ein Spot ließ ein Schild aufleuchten „welcome to Maras blue universe“. Mara fühlte sich unangenehm berührt. Dann tauchten aus dem Dunkel Pappmachéskulpturen auf, raumhoch, ein ganzer Zoo aus blauen Tieren, in der Ecke vergnügten sich Arlette und Liv in einem Planschbecken (deshalb die Wärme), ihre Meerjungfrauenkostüme ließen keine Wünsche offen.
Klasen raunte „Donnerwetter, Mara, was für eine Performance“, und dann wurden Cocktails gereicht, die Bar war ein Papp-Hai mit geöffnetem Maul und blinkenden Zahn-Lichterketten, darunter ein Mini-Sushi-Fließband (Tobias Werk?), Klasen nahm Mara in den Arm, ließ sein Glas gegen ihres klirren, „auf Ihr Vordiplom!“ und küsste sie feucht auf die Wange, während sie auf eine Art white cube zusteuerten, worin wunderbar präsentiert Maras Bilder hingen. Sie weinte fast vor Rührung; in einer Schale lagen ihre Steine und es war einer mehr, aber das sah nur sie. Rasch steckte sie ihn ein.