glücklicher Tod
Ich nehme mir das Leben. Mein Beschluss steht. Ich sitze hier im vierten Stock eines Wohnhauses, in mitten anständiger Leute- und ich begehe Selbstmord. Das Leben ist sinnlos. Ich wollte kämpfen. Ich habe 52 Jahre lang gekämpft, doch heute ist die Energie aufgebraucht. Der Kampf ist gekämpft, er ist verloren. So viel gelitten, um mir dann selbst ein Ende zu setzen. Doch so erscheint es mir würdiger: kein anderer, kein Gott beendet mein Leben- nur ich. Ich habe mein Leben gelebt, die wenigen schönen Momente genossen, die Härte erfahren und auch ich bin es, der es jetzt auslöscht. Mein Blick fällt auf das Bild meiner verstorbenen Eltern neben der Tür. Vor zwei Jahren ist mein Vater gestorben, meine Mutter schon früher. Sein Tod ermöglicht meinen. Ich brächte es nicht übers Herz ihm meinen Suizid zuzumuten. Niemandem, der mich liebt, möchte ich das zumuten. Doch niemand liebt mich mehr. Seit Jahren verlasse ich diesen Raum nur um zu arbeiten und um einzukaufen. Zweimal im Jahr habe ich meinen Vater besucht: an seinem Geburtstag und an Weihnachten. Ihm bedeutete Weihnachten viel- mir nicht. Ich glaube nicht. Ich glaube nicht an Gott. Ich erwarte das Nichts; nicht mehr. Ich vegetiere dahin, sinnlos. Mein menschlichen Kontakte bestehen darin, dass mein Chef mir mein Monatsgehalt überweist und die Kassiererin im Supermarkt mir noch einen schönen Tag wünscht. Ich erwidere dann, ich wünsche es ihr auch. Doch diese Worte sind so aufrichtig wie ihre. Mein Blick kommt wieder zurück auf den kleinen Holztisch. Ich sitze auf dem Sofa davor, beuge meinen Oberkörper leicht nach vorn. Auf dem Tisch, ein Wasserglas. Die tödliche Substanz darin. Ich wünsche, es käme jemand. Jemand, der die Tür öffnete. Jemand, der sagte er oder sie brauche mich, meine Hilfe. Jemand, der sagte, tu 's nicht, du bist wertvoll. Doch niemand wird kommen. Seit drei Wochen ist niemand gekommen. Damals hat sich einer in der Tür geirrt, ein Bekannter meines Nachbarn. Das leben ist trostlos. Ein schöner Schlusssatz, meine rechte Hand nimmt das Glas führt es zum Mund, ich sehe hinein. Das soll mich umbringen? Meine Lippen berühren schon den Rand des Glases. Was ist, wenn mich nicht das Nichts erwartet? Wenn doch ein Gott kommen sollte, um über mich zu richten? Wenn mich ein Gott in seine glühende Hölle verbannen würde bis in alle Ewigkeit? Ich müsste schmoren. Ich wäre verdammt, schlimmere Qualen zu erleiden, als mein irdisches Gehirn sich vorzustellen in der Lage ist. Die Ewigkeit ist mir zu lange für die Hölle. Aber wäre die Ewigkeit nicht auch zu lange für ein immerwährendes Nichts? Spürte ich im Nichts mich selbst oder ist das ein Zustand gleichsam dem vor meiner Geburt? Hier auf der erde weiß ich, was geschieht. Ich stehe früh morgens auf, arbeite, esse, schlafe und bin einsam, bin melancholisch. Doch ich lebe, meine zu existieren. Ich stelle das Glas zurück. Ich spüre Schweißperlen auf meiner Stirn, ich spüre, wie sie langsam an meiner Nase herunterrollen. Mir ist heiß, fast übel. Ich muss an die frische Luft, denke ich, öffne die Tür, gehe die Treppe hinunter, einen Aufzug gibt es nicht. Nicht einmal so frei bin ich, mich selbst umzubringen, mich selbst zu erlösen. Ich bin ein Versager. Ich schäme mich. Ich bin im Erdgeschoss angekommen. Ich gehe hinaus auf den Gehsteig, überquere die Straße. Ein Auto kommt. Ich bemerke es nicht. Ich stehe währenddessen mitten auf der Straße. Das Auto ist schnell, sehr schnell. Eine Frau, die einen Kinderwagen schiebt, stößt einen entsetzlichen Schrei aus, meinetwegen. Nur meinetwegen. Ich sterbe glücklich.