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Glücklich und stark....
Jeder in der Schule kannte sie. Sie war jemand, der nie auffällig war und immer im Hintergrund blieb. Die Lehrer und Schüler kannten sie, aber nie richtig.
Natürlich hatte sie Freunde, einen festen Freundeskreis, aber nur um nicht aufzufallen. In Wirklichkeit machte sie sich nie viel aus den Leuten. Warum sollte sie auch?
Sie war irgendwie anders, nicht auffällig, aber anders halt. Nicht richtig normal. Sie ging nicht mit in die Disco, sie kam nie auf Partys. Merkwürdig halt.
Aber sie war glücklich und stark.
Ihre Eltern waren zwar immer da, aber niemals für sie da. Sie lebten aneinander vorbei. Sie war immer das glückliche und starke Kind aus guten Elternhaus. Ihren Eltern war das immer recht. Die Fassade nach aussen hin war perfekt. Die Leute beneideten sie immer um ihr glückliches Familienleben. Ja, die Fassade stand wirklich. Probleme gab es nie, es durfte sie ganz einfach nicht geben.
So war es halt. Ihre Probleme übersah man einfach, sie waren einfach lästig.
Ja, so war ihr Leben.
Aber ihr Leiden bemerkte niemand.
Sie war doch glücklich und stark.
In ihr selbst war es düster.
Sie schnitt ihre Arme und Beine auf, sie wollte sicher sein, dass sie noch existierte.
Sie kotzte, sie haßte ihren Körper und wollte ihn so bestrafen.
Sie trank, sie wollte der Realität entfliehen, in ihrer eigenen Welt ohne Probleme leben.
Sie nahm Tabletten, sie wollte sich ihr eigenes Leben erträglicher machen.
Sie war fasziniert von der dunklen Seite der Macht und gleichzeitig liebte sie Gott.
Doch konnte Gott überhaupt noch existieren?
So war ihr Leben wirklich.
Doch sie war glücklich und stark.
Sie beherrschte das Maskenspiel perfekt, vielleicht zu perfekt. Ihre stummen Schreie gingen im grauen Alltag unter. Vielleicht wollte man sie auch nicht hören.
Sie war doch glücklich und stark.
Doch der Tag der Abrechnung war nahe. Sie wollte wenigstens einmal die anderen leiden sehen. Einmal wollte sie die anderen weinen hören, ihre Tränen hörte schließlich nur ihr Teddybär.
Sie lag wie immer in ihrem Bett, doch diesmal weinte sie nicht. Nein, sie wollte so gehen, wie sie die anderen sahen, glücklich und stark.
Der Vollmond tauchte ihr Zimmer in ein gedämptes Licht. Ihr Spiegelbild zeigte sie im Dämmerlicht noch einmal lächelnd, glücklich und stark.
Da stand sie nun an ihrem Fenster, ihren Teddybär in ihrem Arm, ihr einzig wirklicher Freund und Tröster.
Der Wind spielte mit ihren Haaren und sie hörte ihn ihren eigenen Namen rufen. Er flüsterte ihr leise ins Ohr, dass sie eins werden könnten. Er umschmiegte ihr Gesicht so sachte und vorsichtig, als ob sie zerbrechen könnte.
Ja, da stand sie nun, ließ sich vom Wind streicheln und drückte ihren Teddybär an ihr Herz.
Sie hatte zuviel getrunken, zuviele Tabletten geschluckt. Sie wurde immer schläfriger und der Wind wiegte sie sachte in den Schlaf. Dann fiel sie nach vorne und es wurde schwarz.
Da liegt sie nun in einem weißlackierten Sarg aus Zedernholz. Die Leute waren fassungslos, niemand rechnete damit.
Denn sie war glücklich und stark.