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Glück

Naj

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03.03.2017
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Glück

Tom öffnete die Tür und blickte in die kleine Arena. In ihrer Mitte standen ein Tisch und zwei Stühle mit je einem kleinen Eimer. Auf dem Tisch lag im Lichtkegel eines Scheinwerfers gut sichtbar ein Revolver.

Tom fixierte die Rückenlehne des Stuhls und holte Luft. Er ging vier unbeholfene, aber schnelle Schritte und stützte sich mit seinem schweren Oberkörper auf die Lehne wie ein Greis auf seine Gehhilfe. Den Blick fest auf die Sitzfläche gerichtet, umkreiste er den Stuhl und setzte sich. Unwillkürlich legte er seine schwitzigen Hände ineinander, die Ellenbogen auf die Stuhllehnen und starrte auf den staubigen Bretterboden.

Um Tom herum wurde es ruhig - offenbar war es laut gewesen. Erst jetzt bemerkte Tom die Menschen, die an einem Geländer etwa vier Meter über ihm im Kreis standen und nun nach und nach ihre Gespräche ruhen ließen. Weit geöffnet jagten Toms Augen von einer Person zu nächsten, ohne mehr als eine undurchdringliche Wand aus Gesichtern wahrzunehmen.

Als es totenstill war - nur eine Frau sprach noch halbaut vor sich hin oder mit jemand anderem, Tom nahm sie kaum wahr -, öffnete sich in der Wand gegenüber eine weitere Tür, die Tom bis eben noch nicht bemerkt hatte. In ihr stand ein junger Mann. Er war gut gebaut, hatte anders als Tom noch all seine blonden Haare auf dem Kopf und ein auffallend schönes, ebenmäßiges Gesicht. Aber seine Mundwinkel verzogen sich bitterlich auf dem Weg zum Stuhl, die Schultern sackten zusammen und rutschten nach vorne und seine Hände wurschtelten nervös an seinen Hosentaschen herum. Als der Unbekannte seinen Stuhl erreichte, war er von einem Häufchen Elend nicht mehr zu unterscheiden. Kurz trafen sich ihre Blicke. Und sofort wandten sie sich wieder voneinander ab. Tom schluckte.

Aus derselben Tür folgte ein vielleicht sechzig Jahre alter, hagerer Mann im Smoking. In einer Hand hielt er ein rotes Tuch, mit der anderen legte er zwei Patronen auf den Tisch und ließ eine dritte in seiner Brusttasche verschwinden. Ohne zu zögern nahm der Mann den Revolver auf, öffnete die Trommel und legte die erste Patrone in eine der sechs Kammern, schloss die Trommel, zielte auf den Boden und zog ab. Der Knall war ohrenbetäubend. Irgendwo schrie eine Frau - klang es entzückt? -, und Toms Magen drehte sich. Er würgte mit aller Macht, die seinem leeren Magen verblieb, in Richtung des Eimers neben sich, ohne ihn auch nur annähernd zu treffen. Tom starrte auf den kümmerlichen Fleck Erbrochenes, mehr flüssig als fest, gelblich-grüner Schleim.

Der Mann im Smoking kramte ungerührt eine große, goldene Münze aus der Tasche. Er schnippte sie in die Luft, fing sie und klatschte sie mit der flachen Hand auf die Mitte des Tisches. Dann schob er sie langsam in Toms Richtung, bis sie über einer identischen, in den Tisch eingelassenen Münze lag, die Tom erst jetzt bemerkte. Das Profil eines Adligen blickte würdevoll an ihm vorbei.

Plötzlich wurde es unruhig in der Menge oben an der Brüstung. Tom hörte Rufe und sah Hände nach oben schnellen, in ihnen wedelnde Bündel grüner, gelber und lila Geldscheine. "Drei auf Aufgabe des Dicken in Runde zwei! - Seven on the tall guy's death in round one!" Ein Schauer jagte Toms Rücken herunter und er schüttelte sich kaum sichtbar. Mit ein bisschen mehr Glück könnte er dort oben stehen. Stattdessen sah er dem Mann im Smoking zu, wie dieser den Revolver wieder in die Hand nahm und - nachdem das Gewusel von oben nachließ - in die Luft hielt. Er öffnete erneut die Trommel, ließ die leere Hülse herausfallen und legte die zweite Patrone ein. Dann warf er das rote Tuch über den Revolver und drehte darunter die Trommel - ein Mal, zwei Mal, drei Mal -, sodass sie insgesamt vielleicht zehn Sekunden lang surrte. Eine Klingel ertönte und die Zuschauerränge verstummten. Nur eine Frauenstimme hallte noch nach, irgendwo zu Toms Linken, aufgeregt und laut. Der Mann im Smoking reichte Tom den geladenen Revolver.

Geschmeidig glitt der hölzerne Griff in Toms glitschige rechte Hand. Der Revolver wog sicher zwei Kilo und strotzte vor Gewalt. Toms Mund war trocken und schnappte nach Luft, ohne sich zu öffnen. Fünf zu eins standen seine Chancen, Runde eins zu überleben. Was hätte er für solch eine Quote gegeben, als er noch versuchte, das Ersparte seiner Mädels zurückzugewinnen. Beider Leben hatte er verspielt. Und jetzt saß er da, und kriegte die Waffe nicht hoch.

Tom runzelte die Stirn und starrte mit kalter Wut auf das Ding in seiner Hand. Dann führte er es mit einer stockenden Bewegung nach oben, sein Herz in der Panik seines Lebens, presste die Mündung gegen seine verschwitzte Schläfe, um das Zittern seiner Hand zu stoppen, sog Luft durch seine zusammengepressten Zähne, kniff die Augen zusammen, erfühlte den Abzugshebel mit seinem Zeigefinger - und erstarrte. Und so saß er da, fertig angerichtet, nahm nichts wahr als das viel zu heiße Scheinwerferlicht auf der Glatze und das kalte Metall an der Stirn. Sein Kopf war leer, als hätte er Platz geschaffen für die Kugel im Lauf des Revolvers.

Und wieder diese Frauenstimme, erst unverständlich, dann laut und gebieterisch: "Drück ab, du Feigling!" Und Tom drückte ab, mit Wucht, der Hahn der Waffe holte aus und schnellte zurück auf eine der sechs Kammern und - "klick" - nichts geschah. Tom riss die Augen auf und hämmerte die Waffe vor sich auf den Tisch. Er beugte sich in Richtung des Eimers neben sich, würgte kurz, aber spuckte nicht. Mit dem Ärmel seines besten Jackets wischte er sich den Schweiß von Stirn, Wangen und Oberlippe. Er spürte, wie sich Atem und Herzschlag ganz langsam beruhigten und das Zittern seiner Hand nachließ. Aber das Adrenalin war noch da. Und er kannte es, kannte es nur zu gut, diese Droge seines Lebens. Wie eine Insel nach einem Erdbeben stieg aus einem Meer aus Todesangst ein Funke Lust in ihm auf. Ganz zart erst, aber doch unverkennbar, dieselbe Lust, die ihn die letzten Jahre ins Casino und zum Pokern in Hinterzimmer in ganz Europa trieb. Die Lust am Alles-oder-nichts.

Auf den Rängen brach wieder Hektik aus. Tom hob seinen zurückgewonnenen Kopf und suchte den linken Teil der Ränge vorsichtig nach der Frau ab, die ihn eben herausgefordert hatte. Sein Blick strich vorbei an wohlgekleideten Männern zwischen vierzig und siebzig, vorbei an aufreizenden jungen Frauen und kleineren Gruppen junger Männer. Alles war in Aufruhr, alles bis auf ein Augenpaar, das Tom offenbar schon eine Zeitlang fixiert hatte, und ihn nun mit Spott und Abscheu erwartete. Sie hatte ein bildhübsches Gesicht, trug ein hautenges, knallrotes Kleid über einem schlanken Körper und hielt lässig eine Zigarette in der rechten Hand. Tom wusste sofort, dass sie ihn heute sterben sehen wollte. Nicht irgendjemanden, sondern ihn.

In Toms rechtem Augenwinkel machte sich der Mann im Smoking daran, den seit Toms Etappensieg geschrumpften Schönling gegenüber in den Abgrund zu schicken. Die Trommel surrte, das Publikum verstummte, der Schönling ergriff den Revolver und Tom wünschte sich gar nicht so insgeheim einen lauten, einen gewaltigen, einen alles zerreißenden Knall. Sein Gegenüber tat sich noch schwerer als Tom. Er hielt den Revolver mit etwas Abstand zur Schläfe und die Waffe wand sich wie ein wilder Schlangenkopf in der Luft. Tom ertrug es nicht und blickte zur Seite, unwillkürlich in Richtung des kalten Augenpaars über dem roten Kleid. Es hatte wieder auf ihn gewartet, und gerade als Tom es gefunden hatte, hörte er ein sanftes "klick", und der zarte Mund unter den harten Augen brach in ein schallendes Lachen aus, noch bevor Tom sich zum Tisch zurückdrehen konnte.

Mit dem Ende von Runde eins stieg Toms Puls wieder an. Aber sein Kopf war klarer als noch zuvor. Er begann zu kalkulieren. Hunderttausend hatten sie ihm versprochen, plus fünfundzwanzigtausend Bonus, falls sie bis Runde drei kämen. Für jedes freiwillige doppelte Abdrücken kämen fünfundzwanzigtausend hinzu. Runde zwei würde so ablaufen wie Runde eins. Die Chance, dass er davon käme, lag an sich wieder bei fünf zu eins. Würde er zwei Mal hintereinander abdrücken, läge sie nur noch bei zwei zu eins.

Als Tom den Revolver wieder in der Hand hielt, war er schon leichter als beim ersten Mal. Trotzdem schmerzte sein Rücken vor Anspannung, als er wieder mit geschlossenen Augen dasaß und Luft holte. Die Waffe lag in seiner Hand vor ihm auf dem Tisch. Er versuchte, seinen Atem zu kontrollieren und alles um sich herum auszublenden. So wie er es unzählige Male vor wichtigen Turnieren getan hatte. Toms Gesichtszüge entspannten sich ein wenig und seine Atemzüge wurden ruhiger. Er suchte nach dem Funken Lust und versuchte, sich die Kugel im Lauf als eine leichte Roulettekugel aus Plastik vorzustellen. Wenn er sich schon nicht unter Kontrolle hatte, würde er wenigstens simulieren. Wie viele Gegner hatte er so schon besiegt? Tom öffnete seine Augen und hob die Hand mit dem Revolver. Nichts zitterte. Während er die Waffe an den Kopf führte, blickte er in die verängstigten Augen einen Meter vor sich. Toms Mund war gleichgültig, die Stirn glatt und mit nicht mehr benetzt als ein paar Schweißtropfen direkt am Haaransatz, einmal rund um den Kopf. Sobald die Waffe an Toms Schläfe ruhte, drückte er ab, ohne zu zögern. Nichts als ein "klick". Und sofort noch einmal. "Klick." Der Schönling verlor noch mehr Blut im Gesicht, während die Schickeria über den Doppelschlag in große Aufregung ausbrach. Tom blickte nach links oben, fand die Frau in Rot und starrte sie regungslos an, bis er in den noch immer spöttischen Gesichtszügen leise Zweifel zu erkennen glaubte – oder war es Angst? Langsam legte Tom die Waffe ab, als wäre sie eine viel zu teure Vase, die er in einem Geschäft aus Versehen in die Hand genommen hatte.

Toms plötzlicher Mut beflügelte die Spekulationen der Zuschauer. Verluste wollten mit riskanteren Wetten oder höheren Einsätzen wieder wett gemacht, Gesichter vor der weiblichen Begleitung gewahrt werden. Tom war nun im Spielermodus und hatte seine Mimik unter Kontrolle. Der Hund gegenüber mied seinen Blick und knetete wahlweise seine Hose oder den eingezogenen Schwanz. Tom war zu allem entschlossen. Das Spiel seines Lebens gehörte ihm.

Der Junge war wieder dran - und hatte Glück. Leer hallte das Echo des Hahns durch den Raum - wieder ein Jauchzen von den Rängen -, aber alles wartete ab, ob er ebenfalls ein zweites Mal abdrücken würde. Doch einen Augenblick später lag der Revolver wieder mutlos auf dem Tisch. Runde drei also, seufzte etwas tief in Tom.

Die Aufregung im Saal stieg noch einmal an. Denn Runde drei würde das Spiel definitiv entscheiden. "Klassisch" hatten sie Runde drei genannt. Oder vielmehr er, der Russe. Tom hatte nach schmerzlosen Selbstmordvarianten gesucht, nach denen ihn Bine nicht von der Straße oder dem U-Bahn-Gleis würde kratzen müssen. Dann schrieb ihm in einem Forum "TheRussian" an und fragte, ob es um Geld gehe. Tom bejahte. "How much?" - "800K in total, at least 200K to survive. Euros." Zweihunderttausend Schulden hatte er mittlerweile bei verschiedenen Rockern. In wenigen Tagen würden sie durchschauen, dass er das Geld nicht würde zurückzahlen können. Er war ohnehin so gut wie tot. Und bevor sie sich gegen seine Familie wandten, sie bedrohten und ihn unter Druck setzten, da doch lieber freiwillig den Abgang machen. "I might have a solution for your troubles", hatte der Russe geantwortet, und erzählte Tom von einem "exklusiven" Glücksspiel mit hohen Chancen für den Sieger. "... And finally, round three is classic: one bullet, gun passes from one player to the other until the gun blows, without in between spinning. Double clicks are possible in round three also."

Tom würde auch in Runde drei beginnen. Er war nun nach außen vollkommen ruhig und hatte sich einen Plan zurecht gelegt, an den er sich - das war essentiell - unbedingt halten würde: Erst zwei Mal hintereinander, dann Schuss drei durch den Jungen, wenn der sich traute, Schuss vier durch Tom, Schuss fünf durch den Jungen. Vor Schuss sechs würde Tom aufgeben. Denn gewinnen könnte er dann nicht mehr - und dann doch lieber ohne Publikum den Abgang machen. Wenn er dann noch lebte.

Ein letztes Mal brachte der Mann im Smoking den Revolver zum Surren und überreichte ihn Tom. Tom führte die Waffe an den Kopf, drehte sich dabei in Richtung der Frau in Rot und beschoss sie mit Genugtuung, während der Hahn wieder eine leere Kammer traf. Mit seinem breitesten Grinsen wandte er sich dem Jungen gegenüber zu und drückte ein zweites Mal ab. Wieder geschah nichts.

Die Menge tobte. Sowas hatte sie noch nicht gesehen. Tom war zufrieden. Die fettesten Männer schrieen neue Wetten durch den Saal. Der Mann im Smoking zupfte etwas nervös an seiner Fliege und machte unwillkürlich einen kleinen Schritt vom Tisch zurück. Tom schob die Waffe betont langsam über den Tisch. Er war sich sicher: Der Junge würde nun aufgeben. Das wäre ihm zu viel. Und tatsächlich rutschte sein Gegenüber noch nervöser auf seinem Stuhl herum als bislang. Nur noch zwei zu eins stehen deine Chancen, du kleiner Welpe, wollte Tom ihm zurufen. Aber Sprechen war verboten. Stattdessen starrte Tom ihn unentwegt an, ohne dass der seinen Blick erwiderte. Nachdem die Wetten platziert waren, griff der Junge zur Waffe und drückte ab. Nichts passierte. Und Tom begann wieder zu schwitzen. Denn der Verräter machte keine Anstalten, die Waffe wieder auf den Tisch zu legen. Er hielt sie in der Hand und schien sich zu sammeln. Je länger er so verharrte, umso lauter wurde das Publikum. Keiner hatte mit einem weiteren Abdrücken gerechnet. Würde er es noch einmal wagen, stünden Toms Überlebenschancen beim nächsten Versuch nur noch bei eins zu eins. Und viele Leute im Saal hätten viel Geld verloren.

Aber der Junge ließ nicht locker. Tom sah zu, wie er sich in einer mutigen Idee festbiss. Nur die Fassung bewahren, dachte Tom, nur cool bleiben. Sein Gegenüber hob langsam wieder die Waffe in Richtung seiner Schläfe. Sein Blick war so entschlossen wie den ganzen Abend noch nicht. Aus dem Publikum kamen zornige Beleidigungen. Nur die Frau in Rot schrie dem Hund Mut zu. Tom ignorierte sie und starrte durch sein Gegenüber hindurch auf die karge Steinwand dahinter. Nur verschwommen nahm er wahr, dass der Junge ein zweites Mal abdrückte.

Der Knall war noch lauter als der Testschuss des Manns im Smoking. Der Schönling hatte sich sein halbes Gesicht weggeschossen. Der Kopf war aufgeplatzt, das rechte Auge verschwunden, das linke hing halb aus der Höhle heraus. Langsam kippte der große, athletische Körper zur Seite. Es war mucksmäuschenstill.

Tom schmeckte Eisen auf seiner Zunge. Offenbar hatte er mit offenem Mund gestarrt. Er sprang auf und riss die Arme in die Höhe. Mit geschlossenen Augen schrie er, so laut er konnte. Noch nie hatte er sich so großartig gefühlt, noch nie einen solchen Sieg errungen. Er öffnete die Augen und drehte sich, die Arme weiterhin erhoben, wie ein Boxer um die eigene Achse, ekstatisch. Vereinzelt ließen sich die Zuschauer zu anerkennendem Klatschen bewegen. Die Frau in Rot war verschwunden - oder lag sie nur zusammengesackt auf dem Boden? Tom meinte, durch die Menge hindurch einen Rotschimmer zu erkennen, aber was interessierte es ihn. Triumphierend blickte Tom zum Mann im Smoking, der ihn mit einem Nicken in Richtung der Tür lotste, aus der Tom vor zwanzig Minuten gekrochen war. Nach einem kurzen Blick auf den schönen toten Mann am Boden wandte sich Tom zur Tür und schritt mit einem Lächeln aus der Arena.

Er lächelte auch noch, als er eine Minute später tot in seinem eigenen Blut auf dem Boden der Katakomben lag, hinter ihm der Mann im Smoking mit dem Revolver in der Hand.

 

Liebe Wortkrieger,

ich bin neu hier und starte mit einer Geschichte, mit der ich mich am Aufbau von Spannung und an der inneren Entwicklung einer Figur versuchen wollte.

Ich bin gespannt auf Eure Kritik!

Viele Grüße
Naj

 

Hej Naj,

ich hab eingangs mal beim Lesen mitgeschrieben:

und nun nach und nach ihre Gespräche verdampfen ließen
Klingt in meinen Ohren ohnehin merkwürdig, liegt vielleicht an der aktiven Form. Vielleicht wäre es besser, wenn ihre Gespräche verdampfen würden.

Mit dem Blick einer in die Ecke getriebenen Maus
Hab noch nie eine in eine Ecke getrieben und dann auf ihren Blick geachtet.

öffnete sich vor ihm eine weitere Tür.
Klingt, als wäre diese Tür gerade aufgetaucht, nicht als hätte er sie bisher nur nicht wahrgenommen.

Er war gut gebaut, hatte anders als Tom noch all seine blonden Haare auf dem Kopf und ein auffallend gleichmäßiges, schönes Gesicht.
Trotz dieser Beschreibungen sehe ich den nicht.

Er übergab sich mit aller Macht
Sozusagen in einem Schwall? Da scheint mir der kümmerliche "Fleck Erbrochenes" nicht zu passen.

Er wartete darauf,
Glaub ich nicht. Auch wenn ich hier noch keine Ahnung habe, worauf das hinaus läuft, Tom scheint es zu ahnen oder zu wissen. Er hat Angst. Da finde ich dieses Warten auf Schamgefühl nicht glaubwürdig.

Er chippte
schnippte?

sein Herz in der Rage seines Lebens
das habe ich nicht verstanden

Ich fand angenehm zu lesen, obwohl ich es nicht so sehr spannend fand. Das lag vielleicht daran, dass die Beweggründe, sich auf so ein Szenario einzulassen oder es zu müssen, nicht weiter erklärt werden. Du nennst zwar Namen aber hinter denen wird für mich nichts lebendig, Du erwähnst zwar Geldmangel aber der erklärt im Grunde auch nichts. Zur inneren Entwicklung der Figur würde für mein Empfinden auch gehören, dass man etwas mehr versteht, woran das alles hängt, was dieser Tom für ein Mensch ist.

Nicht schlecht geschrieben aber etwas mehr Hintergrund würde der Geschichte gut tun.

Ich wünsche Dir viel Spaß hier.

Gruß
Ane

 

Haj Ane,

vielen Dank für die Kritik! Die Anmerkungen zu Sprache und den richtigen/konsistenten Bildern habe ich sogleich versucht umzusetzen.

Was die Spannung angeht: Ich hatte gehofft, dass sie durch die Situation allein kommt, und habe deshalb nur so viel Informationen gestreut, um seine Teilnahme plausibel zu machen. Aber die Hoffnung war offenbar verfehlt.

Dürfte ich vielleicht noch mal nachfragen: Sind nach Deiner Meinung die Bezüge zu seiner Frau und Tochter, zu seiner Verschuldung und den Selbstmordgedanken zu spärlich, zu spät oder sogar als Motivation nicht ausreichend?

Viele Grüße und noch einmal danke!
Naj

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Naj,

eine interessante Geschichte ist das, mal abgesehen von dem enttäuschenden Ende, aber der Reihe nach:

Erste Stolperfalle in Absatz 2

Unwillkürlich legte er seine schwitzigen Hände ineinander, die Ellenbogen auf den Stuhllehnen. Durch ihre nervösen Verrenkungen hindurch starrte er auf den staubigen Bretterboden.

"ihre" kann sich auf die Stuhllehnen, maximal auf die Ellbogen beziehen, nicht aber auf die Hände, die schon "zu weit weg" sind. Ich habe zweimal lesen müssen, um den Bezugspunkt zu finden. Insgesamt finde ich die Formulierung "nervöse Verrenkungen" unglücklich, da gibt es für die Bewegungen von Händen bessere. Dessen ungeachtet hatte er sie ja vorher ineinander gelegt, was auf (sich selbst aufgezwungene) Ruhe schließen lässt, während die nervösen Verrenkungen im folgenden Satz auf sehr viel Bewegung hindeuten. Hierzu passt auch das Hindurchsehen nicht, da sie ja ständig in Bewegung sind. Daran vorbei sehen dürfte in praktischer Hinsicht zutreffender sein.

Erst jetzt bemerkte Tom die Menschen, die etwa vier Meter über ihm an einem Geländer im Kreis über ihm standen

Dopplung von "über ihm".

öffnete sich vor ihm eine weitere Tür

Klingt, als würde Tom direkt davor stehen, er sitzt aber auf seinem Stuhl. Ich denke, Du meinst sowas wie "in der Wand gegenüber", oder "hinter dem anderen Stuhl".

ein auffallend gleichmäßiges, schönes Gesicht.

Diese Formulierung stört mich. "gleichmäßig" bedeutet in Zusammenhang mit einem Gesicht "symmetrisch", und Symmetrie ist in der Natur weitaus verbreiteter, als Asymmetrie. Ich will damit sagen, dass die meisten Gesichter im Wesentlichen symmetrisch sind, weil der natürliche Bauplan das so vorsieht. Kleinere Abweichungen sind in der Regel nur bei genauem Hinsehen wahrnehmbar, größere dagegen sind seltener. Daher müsste sich das Adverb "auffallend" auf "schön" beziehen und nicht auf gleichmäßig. Ich würde "gleichmäßig" durch "ebenmäßig" ersetzen, was auf harmonische Proportionen hindeutet (eine große Nase würde beispielsweise die Symmetrie eines Gesichtes nicht zerstören, es wäre immernoch gleichmäßig, aber nicht mehr ebenmäßig, da die Proportionen nicht mehr stimmen): "ein auffallend schönes, ebenmäßiges Gesicht".

Und Tom drückte ab, mit Wucht, der Hahn der Waffe holte aus und schnellte zurück auf eine der sechs Kammern und - "klick" - nichts geschah.

Die Lust am alles oder nichts.

Streng genommen ist dieser Satz grammatikalisch falsch, da "am" der Dativ folgen müsste. Nun ist "alles oder nichts" eine Redewendung, die Du hier substantivierst. Ich würde Folgendes vorschlagen: 1. Alles und Nichts groß schreiben. 2. "Alles oder Nichts" in Anführungszeichen setzen. Ob das grammatikalisch so geht, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, vielleicht findet sich ja noch jemand ( Friedrichard ?), der hier für Klarheit sorgen kann.

Tom wusste sofort, dass sie ihn heute sterben sehen wollte. Nicht irgendjemanden, sondern ihn.

Du führst hier eine gutaussehende Frau in die Geschichte ein, die es anscheinend auf Tom abgesehen hat. Es wird leider bis zum Ende nicht klar, warum. Ihre Motive bleiben ebenso im Dunkeln, wie ihre Identität, sodass sie am Ende von der Bildfläche verschwindet, ohne die Handlung in irgendeiner Form beeinflusst zu haben. Da frage ich mich natürlich, wozu Du sie überhaupt eingeführt hast. Wenn Du auf eine Art Psycho-Duell der beiden hinauswolltest, hättest Du einen stärkeren Fokus auf ihre nonverbale Interaktion legen müssen, ihre Mimik detaillierter beschreiben, ihre Arroganz und Herablassung sichtbar machen müssen.

und Tom wünschte sich gar nicht so insgeheim einen lauten, einen gewaltigen, einen alles zerreißenden Knall.

Verstehe ich nicht. "gar nicht so insgeheim"? Klingt fast so, als hättest Du mehrere Varianten dieses Satzteils ausprobiert und vergessen, eine oder zwei zu löschen. Ich mache das gern, wenn ich mich nicht gleich entscheiden kann, trenne die Varianten dann aber durch Schrägstriche voneinander ...

Nichts als ein "klick". Und sofort noch einmal. Klick.

Zweites "klick" konsequenterweise auch in Anführungszeichen setzen.

Tom blickte nach links oben, fand die Frau in Rot und starrte sie regungslos an
drehte sich dabei in Richtung der Frau in Rot und beschoss sie mit Genugtuung

"beschoss sie mit Genugtuung" klingt so gar nicht rund. "beschoss sie mit Blicken der Genugtuung".

Mit seinem breitesten Grinsen wandte er sich dem Jungen gegenüber zu und drückte ein zweites Mal ab.

Das "breiteste Grinsen" ist jetzt bissl arg dick aufgetragen, immerhin kann er sich nach wie vor bei jedem Abdrücken das Hirn wegballern.

Nur noch zwei zu eins stehen deine Chancen, du kleiner Welpe, wollte Tom ihm zurufen.

Nach einem kurzen Blick auf den schönen toten Mann am Boden wandte sich Tom zur Tür und schritt mit einem Lächeln aus der Arena.

Der Schönling ist während der ganzen Geschichte "der Junge", hier ist er plötzlich ein Mann. Das wirkt so, als würde man ihm Anerkennung zollen für seinen "Mut" in Runde drei, während ich nur Mitleid habe und die Bezeichnung "Junge" daher passender gefunden hätte, weil er, fast noch ein Kind, zu jung zum Sterben war.
Für mich hätte die Geschichte an dieser Stelle enden können. Was Du mir mit dem letzten Satz sagen willst, verstehe ich nicht. Hat er sich erschossen? Hat ihn die Frau in Rot abgeknallt? Oder der Schiri? Welchen Sinn hat sein Selbstmord (ich gehe jetzt mal von Selbstord aus), wenn er doch gerade unter Einsatz seines Lebens das Geld zum Begleichen seiner Schulden aufgetrieben hat? Sehr enttäuschend, ja wirklich. Ich finde die Story durchaus spannend, wenngleich ich mir etwas mehr Hintergrundinfos über Toms Motivation gewünscht hätte. Die Maßnahme, die Tom ergreift, ist extrem, und Du fertigst seine Motivation mit zwei Sätzen ab. Da muss mehr kommen, die Zwangslage muss für mich greifbar, erlebbar sein, sonst macht Deine Version des Russisch-Roulette kaum Sinn. Kein vernünftiger Mensch würde sich darauf einlassen. Da müsste schon eine direkte Bedrohung der Familie vorliegen, Gefahr für Leib und Leben und so weiter. Simple Geldprobleme reichen nicht aus.

Zahlen werden immer ausgeschrieben. Du machst es mal so und mal so. Ich war zu faul, um sie alle aufzulisten. Die Frau in Rot habe ich mit kleinem rot noch zweimal gesehen, aber nicht mehr rauskopiert. Insgesamt ein angenehm fehlerarmer Text, ich glaube, ich habe keinen einzigen Kommafehler gelistet. Ich habe Deine Story gerne gelesen, wenngleich das Ende, wie schon gesagt, enttäuschend war. Aber das mag wohl Geschmackssache sein. So oder so hoffe ich, Du kannst mit meinem Feedback etwas anfangen.

VG Kassiopeia

 

Hi Kassiopeia,

wow, was für eine großartige Kritik! Danke! Ich bin überwältigt von Deinem Auge fürs Detail und Deinem Gespür für Unstimmigkeiten.

Zu Deinen sprachlichen Anmerkungen: Habe ich fast alle umgesetzt. Das Alles-oder-nichts habe ich genau so statt mit Anführungszeichen geschrieben (die ich generell nicht so schön finde). Mit Blicken der Genugtuung zu schießen fände ich zu explizit, ich wollte die Genugtuung selbst aktiv werden lassen; wenn das aber auch andere stören sollte, werde ich das ebenfalls ändern. Und der Junge wird wieder Mann, nicht weil er mutig war, sondern weil nach seinem Tod nur noch der (männliche) Körper da und die kindliche Angst verschwunden ist.

Zum Inhalt: Ich habe es wohl insgesamt bei zu vielen Andeutungen belassen: Die Frau in Rot gehört zum Schönling. Tom schuldet den ganz falschen Menschen Geld, er ist ohnehin dem Tod geweiht und sorgt sich darüberhinaus um seine Familie (die er in den Ruin getrieben hat). Und am Ende töten ihn die Veranstalter des Roulettes, weil man im Glücksspiel immer nur verliert. Alles das habe ich jetzt versucht, klarer darzustellen.

Tausend Dank!
Naj

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo und herzlich willkommen hierorts,

Naj,

Kassiopeiarief mich

Streng genommen ist dieser Satz grammatikalisch falsch, da "am" der Dativ folgen müsste. Nun ist "alles oder nichts" eine Redewendung, die Du hier substantivierst. Ich würde Folgendes vorschlagen: 1. Alles und Nichts groß schreiben. 2. "Alles oder Nichts" in Anführungszeichen setzen. Ob das grammatikalisch so geht, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, vielleicht findet sich ja noch jemand ( @Friedrichard ?), der hier für Klarheit sorgen kann.
und der Deibel kütt!

„Es ist bei diesem wichtigen wort, das in unsere sprache und rede tief
eingreift, auf die form, bedeutung, stellung und zusammensetzung zu achten“,​
heißt es unterm Stichwort „all“ im Deutschen/grimmschen Wörterbuch, dass der Abschluss des Absatzes
Er spürte[,] wie sich Atem und Herzschlag ganz langsam beruhigten und das Zittern seiner Hand nachließ... Die Lust am Alles-oder-nichts.
(Das Komma ist zu setzen, weil die vergleichende Konjunktion „wie“ einen vollständigen Satz einleitet.)

Aber zur Redensart „alles oder nichts“ hab ich selbst über MetaGer nix gefunden, was zu dem Groß-/Kleinschreibungsproblem oder überhaupt relevant wär. Also gehen wir vor nach einer andern Redensart aus dem Dreißigjährigen Krieg, „hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!“ und zetteln so etwas wie eine grammatische Guerilla an, was ja dem Glücksspiel,

lieber Naj

und

liebe Kassiopeia,

aber leider, leider, leider müssen wir der einfachheithalber das Pferd von hinten aufzäumen, denn „nichts“ ist tatsächlich, wonach es nach der deutschen Grammatik aussieht, eine Genitivbildung des Adverbs „nicht“ im Singular und wurde bis in die Neuzeit hinein zur Redewendung „nihtes niht“ (das h war kein Dehnungs-h wie heute, sonern unser heutiger Reibelaut „ch“), ins nhd. übersetzt schlicht „nichts von nichts“. „Nichts“ wird seit dem 16. Jh. mit dem entsprechenden Artikel (das) substantiviert.

„Alles“ klingt zunächst nach ziemlich viel und wie ein unbestimmtes (eigentlich: unbestimmbares) Zahlwort und umfasst heute „alle“ Leute wie Zeit und Dinge.

Tatsächlich ist es mit der Wortgruppe um „alt“ verwandt, das got. „alþeis“ (þ wäre wie das angelsächsische tea-aitsch auszusprechen, das der teutschen Zunge abhanden kam, aber eigentlich noch wie im „Thron“ erhalten blieb, ohne dass wir es korrekt aussprechen. Gotisch wird deshalb gewählt, weil es die ältesten schriftlichen Zeugnisse germanistischer Zunge hinterlassen hat) „aufgewachsen“, dem zwoten Partizip eines auch im Deutschen untergegangenen Verbs in der heutigen Vieldeutigkeit von „wachsen (machen), aufziehen“ und „ernähren“ (ähnlich im lat. altus).

„Al(le)t kapiert?“, sagt man so im Ruhrlatein.

Aber die Redensart "alles oder nichts" passt zum Glücksspiel wie die Faust aufs Auge in seiner Bedeutung: Du wirst eben alt („alles“) oder eben nicht, wirst was oder eben ein Nichts.
Was die Schreibweise anbelangt, will mir die Variante

Die Lust am Alles-oder-nichts
wie von Dir,

lieber Naj,

jetzt verwendet, als korrekt und treffend (wobei die Bindestriche zumindest nicht notwendig sind). Die Alternative ohne Artikel wäre „an Allem oder nichts“, was viele befremden wird (weil vom gewohnten Bild der Redensart stark abweichend, was schwächer ja schon in jedem Fall durch die Substantivierung geschieht. Aber beim Lesen zugleich zu denken sollte ja keinem Schaden zufügen,

meint der Friedel,

der euch beiden noch ein schönes Wochenende wünscht!

 

Hola Naj,

möge es Dir wohlergehen bei den Wortkriegern und willkommen!

Deine erste Kurzgeschichte im Forum ist erkennbar nicht Deine erste Geschichte als Verfasser. Da ist schon Übung zu erkennen, für meinen Geschmack gut geschrieben; der Text ist mit klarer Struktur angenehm zu lesen.
Aus Deinem Profil:

Naj: schrieb:
...starte mit einer Geschichte, mit der ich mich am Aufbau von Spannung ... versuchen wollte.
Ja, hat mich überzeugt. Ist ja eh ein rasantes Thema – das Finale zwischen Leben und Tod: Du hast diesen Vorsatz aus meiner Sicht überzeugend umgesetzt, diese Teufelsidee hat es in sich.
Dann die Steigerung durch den Doppel-Klick – klasse!
Auch das Ende hat mir zugesagt, denn warum sollte man einem Dahergelaufenen soviel Geld in die Hand drücken? Eine Patrone ist da allemal preiswerter.
Hier hingegen
Naj: schrieb:
... mit der ich mich am Aufbau ... der inneren Entwicklung einer Figur versuchen wollte.
hat mich der Text weniger überzeugt. Vielleicht ist dieser Versuch auch nicht sinnvoll bei einem Prot wie Tom, denn was entscheidet der noch als Individuum? Der wird doch wie ein schlecht gesteuertes Kajak bei der Wildwasserfahrt gegen die Felsen geknallt, die Hormonflut ist einer Entwicklung, die ja vom Kopf ausgehen muss, eher im Wege.
Reine Privatmeinung, jedenfalls fand ich Deine Geschichte wirklich gut – und auch, wenn ich mich wiederhole – von der Wahl des Themas, der Idee, über die Ausführung bis zum Schluss.
Prima!

Viele Grüße!
José

 

„Das Glück ist eine leichte Dirne,
Und weilt nicht gern am selben Ort;
Sie streicht das Haar dir von der Stirne
Und küsst dich rasch und flattert fort.

Frau Unglück hat im Gegenteile
Dich liebefest an’s Herz gedrückt;
Sie sagt, sie habe keine Eile,
Setzt sich zu dir an’s Bett und strickt.“*​


Alles war in Aufruhr, alles[,] bis auf ein Augenpaar, das Tom offenbar schon eine Zeitlang fixiert hatte, und ihn nun mit Spott und Abscheu erwartete. Sie hatte ein bildhübsches Gesicht, trug ein hautenges, knallrotes Kleid über einem schlanken Körper und hielt lässig eine Zigarette in der rechten Hand. Tom wusste sofort, dass sie ihn heute sterben sehen wollte. Nicht irgendjemanden, sondern ihn.

Hallo Naj,

Du entführst uns in eine heillose Welt, die dem trefflichen Gedicht Heines so fern liegt wie sie mir fremd ist und reduzierst die Bedeutung des Wortes „Glück“ über das mörderische Glücksspiel auf die mittelalterliche (mhd. gelücke, erst im 12. Jh. taucht das Wort auf, vordem galt z. B. „heil“ i. S. von „unversehrt“ fürs Glück ) Bedeutung des „Geschicks“ als Schicksal/smacht und Zufall, „gelücken“ (nhd. „glücken“) als „gelingen“.

Triviales

Hier stolper ich ein wenig – obwohl ich weiß, dass die „Rückenlehne“ des Stuhles gemeint ist -

Tom fixierte den Stuhl, der mit dem Rücken zu ihm stand, und holte Luft.

Hier mein ich, solltestu den „Ellenbogen“ wie zuvor den „schwitzigen Händen“ den Akkuativ zugestehen
Unwillkürlich legte er seine schwitzigen Hände ineinander, die Ellenbogen auf den Stuhllehnen, und starrte auf den staubigen Bretterboden.
Also statt „… auf den ...“, „… legte er … die Ellenbogen auf die Stuhllehnen ...“ (daynamisch), auf „den(en)“ sie dann lagen (statisch, Dativ).

Um Tom herum wurde es ruhig - offenbar war es laut gewesen.
Warum der Appendix, wenn „… wurde es ruhig“ ja schon verschwiegen behauptet, dass es gerade eben noch laut(er) war als jetzt?

Hier ersetzt die alternative Konjunktion das Komma hervorragend

Als es totenstill war - nur eine Frau sprach noch halbaut vor sich hin[...] oder mit jemand anderem, Tom nahm sie kaum wahr -,

Hier ließe sich das Possessivpronomen einschränken
Und so saß er da, fertig angerichtet, nahm nichts wahr als das viel zu heiße Scheinwerferlicht auf seiner Glatze und das kalte Metall an seiner Stirn. Sein Kopf war leer, als hätte er Platz geschaffen für die Kugel im Lauf des Revolvers.
Wissen wir doch, wessen Glatze, Stirn und Kopf gemeint sind. Gelegentlich tät es auch der Artikel etwa „auf der Glatze“ usw. Klar, fürchtet Tom „seinen“, aber keinen anderen Kopf zu verlieren ...

Eine unglückliche Formulierung

Tom hob seinen zurückgewonnenen Kopf und suchte den linken Teil der Ränge vorsichtig nach der Frauenstimme ab, die ihn eben herausgefordert hatte.
Tom sucht doch „die Frau, die da gerufen/deren Stimme er gehört hat. Der Ruf/die Stimme ist längst verklungen.

Sein Blick strich vorbei an wohl gekleideten Männern zwischen vierzig und siebzig, …
Besser „wohlgekleidete“ zusammen, denn sonst drückt es die Vermutung (es sei wohl so), dass sie auch schon mal nicht bekleidet sind in einer solchen Veranstaltung.
Das ist ja die Möglichkeit im Deutschen, dass Zusammensetzung etwas anderes bedeuten als ihre Einzelteile. „Wieweit“ und „wie weit“, „soviel“ und „so viel“ sind trotz gleichen Klanges alles andere als identisch.

Hier wird üblicherweise ein e eingespart

Die fettesten Männer schrie[...]en neue Wetten durch den Saal.

Hier müsstestu Dich entscheiden unter den Pronomen. Ich würde das Reflexivpronomen vorziehen

Er würgte mit aller Macht, die seinem leeren Magen verblieb, in Richtung des Eimers neben ihm, ohne ihn auch nur annähernd zu treffen.
Tom riss die Augen auf und hämmerte die Waffe vor sich auf den Tisch. Er beugte sich in Richtung des Eimers neben sich, würgte kurz, aber spuckte nicht.

So viel oder wenig für heute vom

Friedel

* Heinrich Heine, aus dem „Romanzero. Zweites Buch, Lamentationen“, 1851,
minimalste Anpassung an die neuere teutsche Rechtschreibung durch mich

 

Hallo Naj

Die überarbeite Fassung deiner Geschichte gefällt mir ausnehmend gut. Da ist der Tag "Spannung" vollauf berechtigt. Insofern hast du dein selbst gewähltes Ziel hundertprozentig erreicht. Und es braucht keinen weiteren Tag.

Mir persönlich gefällt auch sehr, dass du das Suchtpotential, das im "Russichen Roulette" liegt, stärker herausgearbeitet hast. Wenn ich recht informiert bin, waren es ja gelangweilte vermögende junge Adlige, die dieses "Gesellschaftsspiel" gepflegt haben. Mag schon sein, dass darunter auch welche mit Spielschulden diesen Ausweg suchten.

Eine Kleinigkeit noch:

... als er noch versuchte, das Ersparte von Bine und seiner kleinen Mika zurückzugewinnen

Nicht falsch, aber missverständlich. Vielleicht so:

... als er noch versuchte, das Ersparte seiner kleinen Familie zurückzugewinnen

Aber wenn dir die Namen wichtig sind ...

Schöner Text.

Freundliche Grüße
wieselmaus

Lieber Friedrichard,

der Harry hat's mal wieder auf den Punkt gebracht. Ich liebe das 'Romanzero'!

Gruß wieselmaus

 

Lieber Friedrichard

wundervoll, Deine Beiträge finde ich lesenswerter als meine Geschichte :-)

Vielen Dank für die vielen Verbesserungsvorschläge, die ich nicht nur (nahezu) sämtlich übernommen habe, sondern die ich mir auch als Lehre für die Zukunft nehmen will.

Zu einem Satz:

"Um Tom herum wurde es ruhig - offenbar war es laut gewesen."
Warum der Appendix, wenn „… wurde es ruhig“ ja schon verschwiegen behauptet, dass es gerade eben noch laut(er) war als jetzt?

Ich wollte das aus Toms Perspektive schildern: Er tritt in den Raum und bemerkt den Geräuschpegel im Hintergrund nicht, so sehr überwältigt ihn die Situation. Erst als es ruhig wird, bemerkt er, dass es überhaupt laut gewesen ist. Mich überraschen im Leben häufig Geräusche erst, wenn sie verschwinden.


Lieber josefelipe

vielen Dank für die freundlichen Worte, die mich sehr ermutigen! Aber Du hast vermutlich recht: Das Szenario lässt wenig Luft für eine persönliche Entwicklung des Protagonisten. Die einzige Entwicklung, die ich überhaupt versucht habe, war die von der offenen Panik (zurück) in den Spielermodus. Eine charakterliche Entwicklung ist das aber nicht, da bin ich bei Dir.


Schließlich:

Liebe wieselmaus

auch Dir vielen Dank für die bestärkenden Worte! Deinen Verbesserungsvorschlag habe ich - etwas abgewandelt - umgesetzt.

Ich war bei meinen Recherchen über das russische Roulette erstaunt, wie wenig über die historische "Praxis" bekannt ist. Es steht offenbar nicht einmal fest, dass es wirklich russischen Ursprungs ist. Das steht alles in einem starken Widerspruch zu seinem häufigen Vorkommen in Erzählungen und Filmen. Letzteres wiederum überrascht aber wenig, ob der natürlich vom "Spiel" erzeugten Spannung.


Ich bin wirklich begeistert von der Qualität und Intensität Eurer Kritik - danke, danke!

Herzlich
Naj

 

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