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Glück
Der Mann am Ende der Theke dachte über das Glück nach. Konnte er wieder glücklich werden? Er befand sich mitten einer lauten und fröhlichen Gesellschaft, doch er isolierte sich von den anderen in einer Ecke seiner Seele. Reichlich trank er Mojitos, Cuba Libres, um seine Verletzlichkeit vorzutäuschen. Er spielte den alten, herzlichen Kumpel, doch wartete er auf die Erlösung. Die Vernunft sollte endlich ertrinken, damit er das Stadium der Glückseligkeit erreichen möge. Doch die Vernunft ließ sich nur schwer täuschen oder betäuben: je mehr er trank, desto mehr quälte sie ihm. Sie tadelte ihn, wobei er nur armselige Repliken von sich gab. Er versank in seinem Selbstmitleid. Die Vernunft forderte ihn heraus.
Man spricht von Wiedergeburt als Essenz des Christentums, die Geburt des Geistes wird gefeiert, dennoch nicht richtig ernst genommen. Was zählt ist die mystische Bedeutung, aber nicht die geistige. Wie viele Individuen warten auf die Gelegenheit die Chance zu erhaschen, um tatsächlich im Geiste geboren zu werden. Als endlich soweit ist, erlebt man, nicht selten, eine Totgeburt. Man gibt auf und verbringt ein Leben in Alkohol.
Denn es muss nicht unbedingt eine christliche Wiedergeburt sein, sondern eine philosophische, eine literarische. Man erwacht und gleichzeitig stirbt. Oder noch schlimmer: man begeht intellektueller Selbstmord. Denn glücklich ist er, der gestorben ist, noch glücklicher der, der nie geboren wurde. Man lebt, als wäre man tot: lieblose, leblose Gegenden voll von unglücklichen Individuen, die mit dem Leben nichts anfangen können.
Ich denke, also bin ich (Descartes). Was denke ich? Wann bin ich? Was muss ich denken, um zu sein? Ist es überhaupt notwendig, dass ich existiere?
Man schreibt an einem Buch, und glaubt, dass es veröffentlicht werden muss. Da sind aber andere Menschen anderer Meinung: Das Buch wird editiert aber nicht veröffentlicht, kein Mensch will es lesen. Die ganze Energie, die man in das Buch investiert hat, geht verloren. Eine Totgeburt eben. Also als Schriftsteller kann man sein Dasein nicht rechtfertigen. Man muss sein Lebensunterhalt irgendwie doch verdienen. Wenn man eine Arbeit verrichten muss, die man hasst, ist man unglücklich. Man merkt: wir bleiben auf der Stelle. Schuld ist die Wiedergeburt des Geistes. Die Christen, die die Wiedergeburt praktizieren, müssen früher oder später einsehen, dass sie sich doch nicht geändert haben. Man ist immer noch der gute, alte Sünder, die Wiedergeburt hat nichts gebracht, außer, dass man jetzt unglücklicher als vorher ist, denn man erkennt ja das Stadium der Sünde und die Unmöglichkeit der Sünde zu entkommen. Alles andere ist Heuchelei.
Denn, man kann nie wieder glücklich werden, und das davor kann man auch nicht Glück nennen. Oder man schaltet die Vernunft aus …
Der Mensch erlebt also täglich seine eigene Wiederkehr: das ewige Wiederkehr des Gleichen (Nietzsche). Nämlich genau in dem Augenblick, wenn man meint die Sterne berühren zu können, kommt die Enttäuschung: Die Ziele waren doch zu hoch gestellt.
Ein Paradox: man ist ununterbrochen in Bewegung und doch bleibt man auf der Stelle. Der verzweifelte Versuch, aus dieser Lage zu entkommen, heißt nach dem Glück greifen.
Die Suche nach dem Glück gleicht der Suche nach einer Chimäre, einer Fata Morgana. Solange man darauf besteht nach dem Glück selbst zu greifen, wird der Versuch niemals gelingen.
Doch: Diese zwei Prinzipien der Statik (Parmenides) und Bewegung (Heraklit) schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern existieren im Menschen gleichzeitig. Die Wiedergeburt ist eine Bresche in dem Teufelkreis der Illusion. Man bekommt die Chance Erkenntnis zu gewinnen, und man kann davon nur profitieren. Die Suche nach Glück soll eine Suche nach Erkenntnis werden, und dann passiert etwas wahrlich Außergewöhnliches: wo Statik herrschte, kommt endlich die lang ersehnte Bewegung. Man ändert sich, man versteht, man lernt, man gewinnt Erfahrung, man wächst ….
Es ist nicht notwendig die Welt äußerlich mit Gewalt zu verändern, wie Marx forderte, um das Glück besitzen zu können. Glücklich heißt nicht Macht haben. Überhaupt kein Haben, sondern Sein.
Er empfand auf einmal etwas Komisches: er begriff auf einmal die Präsenz der Vernunft als ein Zusatzbonus. Als Geschenk einer höheren Macht. Warum dagegen kämpfen? Wenn die Vernunft gewinnen würde, könnte man von „sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen zu haben“ reden. Er war beim klaren Verstand, als hätte er nichts getrunken.