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Glück trinken
Das Glasperlenspiel zwischen den Wolkentürmen ist müder geworden.
Ein paar Splitter Goldstein sind noch über dem Rollfeld gestreut. Der Flugsteig dämmert im Irgendwo und das tut er ganz hinten, versteckt hinter Glas. Die Stimme ist geleierte Monotonie. Ein Aufruf wie viele davor Gewesene. Über eine Stunde lang in den Gewittern und dem Gestöber hängen, ganz oben, ganz frei, steht bevor. Druckausgleich, anders atmen müssen, wenn es in den Ohren knackt. Das Flugzeug klettert an den Wolkenhängen empor, schon mit der Nacht auf den Flügeln und einem Mond, der kaum den Rücken wärmt. Die Welt ist voll mit schwarzen Vögeln und der Bestimmung zu leben. Kaltes Lukenglas schirmt ab gegen dieses Vogelschwarz und die Winde draußen vor der Tür sind mächtig und stark. Neben den Sternen geht es weiter und alles wird.
Sie hatte sich in den Sitz gepresst, die Gurte waren ausnahmslos verheddert und schlossen sich später peinlich berührt. Ihr Gesichtsteig schrie nach einer Form und alles an ihr, all das unaussprechlich Hässliche, raste mit ihr in einer Nacht, die sich zu schämen begann.
Ich sah weg und begann die Sterne zu suchen. Doch in der Luke und wie es schien, auch zwischen den paar mutigen Sternen und sogar darauf, spiegelte sich ihre Unzumutbarkeit. So ließ ich das Davonlaufen meiner Blicke bleiben. Wohin auch laufen lassen und was, wenn sie mit den ihren hinterher lief? Wenn sie dahinter kam, dass ich ihre Person, so knapp und hässlich neben der meinen, nicht ertrug? Sie begann den roten Wein zu schlürfen, biss leidenschaftlich in das Käsesandwich und ich war fassungslos ob ihrer Aufgeräumtheit und des Platzanspruchs, mit dem sie mich, neben mir sitzend, in dieser Nacht begleitete.
Oben am Himmel und darüber, und immerfort weiter so, ist die Zeit nicht zu besiegen. Obwohl alles fliegt, fliegt doch die Zeit schneller und einem davon. Die Ruhe des Sitzens hat das Rasen inne. Und doch. Glühend rote Punkte im Schwarz sind einziger Ansatz zum Erkennen von Bewegung. Hinter dem Mond und der Sternenstarre glitzert ein anderes rasendes Flugzeug mit Sitzenden darin. Vor den Sternen sind wir und das unsere, das den Mondschatten trägt. Reicht dazu eine Vorstellung?
Ihre Kopfhörer drücken das Haar gegen die Schläfen. Lippen murmeln Worte aus der Hitparade, aus dem Kommerz. Sie äffen nach. Ich weiß, wohin sie führen.
Ihre Speckwülste erschaffen den Kinnberg neu, demonstrieren Macht und Unnachgiebigkeit für mich. Das Porenfeld auf ihren Wangen glänzt. Es wird Kaffee gereicht. Schwarze Tröpfchen hängen im Flaum ihrer Oberlippe. Ich habe den Kaffee verweigert, muss beobachten, will nicht nachher zugeben müssen, nicht alles an ihr erkannt zu haben. Sie hat unendlich gebogene Wimpern. Ihre Brüste hinter braunem Flanell lassen Größe ahnen. Großmut vielleicht. Die Stunde ist vorbei. Landeanflug und das Rauschen und Brüllen der Triebwerke.
Wir im Vogelschwarm. Wer wartet?
Sie beginnt ganz ruhig damit. Mit Methode. Sie verwandelt sich. Sie bestellt das Porenfeld auf ihren Wangen, glättet, tüncht, deckt zu, macht weg. Sie ist ganz in sich und mit ihr und sie lässt mich teilhaben. Wie rot ihre Lippen plötzlich sind, wie konturiert, wie selbstverliebt. Wie aufreizend. Sie macht sich wunderbare Lippen. Sie macht und malt und ihre Augen sind grüne und blaue Teiche, Türen zur Neuwelt. Der Vorhang fällt. Was für ein Gesicht dahinter!
Es erregt, regt auf. Sie weiß, dass ich zusehe. Ich spüre mich als den Vorhang, durch den sie blickt. Luken dicht, hier oben, ja?
Sieh’ mich an, denke ich, wünsche ich jetzt. Ein paar Worte mit dir, ein Blick. Der Kinnberg ist nicht mehr. Oder doch, denke ich, und alles geht so rasch. Die Maskerade war das Vorher.
Sie schüttelt das Haar, streicht den Rock glatt. Irrtum, das alles, wieder in der Sackgasse, schreien die Vögel und dann landen wir und die Nacht ist oben geblieben bei den Wolkenschwärmen.
Sie geht vor mir, wiegend in der Hüfte und mit all ihren Sinnen, und ihre Blicke kreisen wie die eines Spähers.
Spät ist es geworden und viel später als erwartet. Die Geduldigsten der Wartenden treiben in der Halle, angenagtes Zeitbeiwerk, verschrobenes Volk, viel zu müde schon und nur noch auf wenig Bein.
Doch dann.
Er steht dort, späht auch, hält Blumen bereit.
Ich weiß es und spüre schlagartig, dass er zu ihr gehören will und dass sie noch nicht entschieden hat, dass aber er es ist, der immer dort auf sie warten wird. Sie ist die Königin so kurz davor, so kurz vor seinem Atem. Es ist ihr Schein, der das Sein des Wartens für ihn kurz hält. Er muss der Mann sein, den sie sich aufgehoben hat, für Augenblicke wie dieser einer ist. Ich erkenne ihn als eben den und die Liebe treibt sie zu ihm, zärtlich und geradewegs und unaufhaltsam.
Ich ertrage kaum den Neid. Wer war die Frau oben im Nachtgewitter?
Sie, sie dort. Das witternde Tier.
Sieh’ hin. Dort fällt sich die Liebe an wie ein Rudel Wölfe.
Es bedarf so wenig und die Erkenntnis danach ist einfach.
Ich bin am Rande gegenwärtig und schon längst auch Vergangenheit; vielleicht dort oben nie gewesen für sie. Mag sein. Ich weiß aber von allem und was oben war.
Sie trinkt in seinen Armen ihr Glück, so als ob dieses schwarzer Kaffee im Haarflaum wäre, und sie ist die schönste, entfernteste Frau meiner Welt in der einen Ankunftsnacht