Glück (Prosa)
Glück
Rücken an Rücken stehen wir in unserem Kahn, mein Geliebter und ich, als wir die Wogen durchqueren.
Menschen treiben durch das tosende Wasser, Hände recken sich mir entgegen, ich sehe Münder von beschwörenden Rufen verzerrt – allein ich kann ihnen nicht helfen. Schon früh haben mein Gefährte und ich erkannt, dem beständigen Flehen könnten wir nicht lange standhalten, so verschlossen wir unsere Ohren mit Wachs. Unsere Liebe gibt uns die Kraft für unser Glück zu kämpfen, den Fluten zu trotzen, unseren Nachen zu schützen.
So wehre ich die Verlorenen mit dem Ruder ab, schlage auf die Hände, die am Bootsrand Halt suchen und uns zum kentern bringen könnten. Eine alte Frau versucht sich mit kraftlosen Greisenfingern festzukrallen, ihr Gesicht von Trauer der Heimatlosigkeit entstellt, ruft mir Worte zu die ich nicht höre. Ein leichter Schlag mit dem Ruderblatt lässt sie in der Tiefe versinken. Über ihren ertrinkenden Körper hinweg versucht ein Mann sich emporzuziehen, seine vor Hass und Hunger brennenden Augen sind das letzte was, ich von ihm sehe, als ich ihn mit einem heftigen Stoß der Alten hinterher schicke. Plötzlich werde ich einer kleinen Gestalt gewahr, ein Kind, der Kopf zu schwer für den verhungerten Körper, bereits dem Tode geweiht, versucht es dennoch, nach meinem Ruder zu greifen. Mitleid überkommt mich, ich zögere, ihm den Halt zu entreißen, aber da spüre ich die Wärme meines Gefährten in meinem Körper, ich wende mich um, sehe in seine Augen – unsere tiefe Liebe lässt uns einen Augenblick die Welt vergessen. Als ich mich wieder der See zuwende, ist das Kind verschwunden. Ein vertrautes Antlitz taucht aus dem Wasser auf, ein alter Freund, den das Schicksal jetzt ebenfalls ereilt hat. Er hat sein Glück nicht sorgsam genug gehütet, ließ andere in sein Boot – wir haben ihn alle gewarnt, er wollte nicht hören. Jetzt treibt er zwischen den anderen Unglücklichen, es macht mich traurig, nur kann ich ihm nicht helfen. Wenn ich damit anfinge, kein Ende wäre abzusehen und bald wären wir auch dort wo er jetzt ist. Langsam senke ich das Ruder über sein Haupt, er lächelt dankbar – wie langsam dieses Lächeln verschwindet als ich ihn nach unten drücke, erst im letzten Augenblick macht es einem ungläubigen Erstaunen Platz, bis er schließlich die Augen demütig schließt.
Wie sehr liebe ich meinen Gefährten, wir werden unser Glück bewahren, den Stürmen trotzen und ewig leben.