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Gift

Seniors
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15.03.2008
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Gift

Art hielt sich an der Plörre fest, die hier jeder soff, und überredete sich zu jedem Schluck aufs Neue. Umgeben von Kidpunks, die ihn fast alle schief ansahen. Er lächelte geduldig, wo es eher einen dreisten Spruch gebraucht hätte, um das Eis zu brechen. Ein paar Mädels warfen ihm scheele Blicke zu, kicherten mit zusammengesteckten Köpfen und zeigten deutlich genug auf seine Hochwasserhose, damit er trotz des Lärms auch etwas davon hatte. Ab und zu hob er den Plastikbecher, freundlich lächelnd, und prostete ihnen zu. Die Band feuerte die Klänge in die Menge, akustische Stahlmantelgeschosse, man konnte kein gesprochenes Wort verstehen. Art war eigentlich hergekommen, um Anschluss zu finden, wusste bei der Lautstärke aber nicht mal, wie er den ersten Kontakt herstellen könnte.

Im Laufe der nächsten Stunden geriet die Kleinstadtjugend durch Bier, Mucke und Körpereigenes in Tanzwut und durchfegte den kleinen Saal wie farbsüchtige Derwische auf voller Mischpalette. Einer von ihnen, Kaal, schlenkerte aus seinem Orbit und rammte Art in die rätselhafte Schicht Irgendwas, die den Boden bedeckte. Kollateralschaden. Kaal schüttelte den Kopf und kam zu sich. Es tat ihm leid. Er reichte Art die Hand, zog ihn mit Schwung auf die Füße und etwas langsamer an den Tresen, wo er ihm zur Wiedergutmachung ein Bier ausgab.

Auf dem Hocker neben Kaal saß eine junge Rothaarige mit klarem, offenem Gesicht und moosgrünen Augen. Sie nickte ihnen kurz zu, sagte in höflichem Ton "ihr Arschlöcher" und drehte sich wieder weg.
Art sah sie an. 'Schlicht und edel', dachte er. Nicht wie die anderen Mädchen auf dem Saufgelage. Punkerinnen und Gotische, behangen wie Christbäume. Sie hatte keine Nieten in dem schlichten grünen T-Shirt oder Stahlketten an Armen und Hals, keine Piercings und keine Tätowierung. 'Nicht schlecht', dachte Kaal und nahm einen langen Zug vom Bier. 'Hübsches Ding.'

"Moment", fragte er. "Was hast du gesagt?" Ana zog die Nase kraus, nahm den Kopf ein Stück zurück, lächelte und schüttelte den Kopf. 'Wahrscheinlich soll dieses Verhalten bedeuten, nicht nachzuhaken,' dachte Art. Kaal runzelte die Stirn. "Du hast uns nicht gerade Arschlöcher genannt, oder?" Da konnte sie bequem nicken. Er schien zu überlegen, sein Gesicht erhellte sich. "Gut." Kaal fragte, wie sie heiße, was sie mache und ob er richtig läge, wenn er auf 75 C tippe. Sie antwortete ein- bis keinsilbig, immerhin verriet sie ihren Namen, Ana. Und sagte mit leichtem Lächeln, dass man ihren Namen von hinten wie von vorne lesen könne. Kaal streckte die Arme zur Decke und sagte bedeutungsschwanger "o, palindromischer Abendstern", woraufhin sie lachte und sich an ihrem Bier verschluckte. Art schlug ihr etwas zu heftig auf den Rücken und sagte, dass man auch seinen Namen von hinten lesen könne.
Nurmehr hüstelnd fragte sie, wie sein Name laute. Art machte ein feierliches Gesicht und sagte "Tra". Das wollte er wie einen Fanfarenstoß klingen lassen und wenn er keinen Frosch im Hals gehabt hätte, wäre es ihm vielleicht gelungen. So erinnerte 'Tra' an den Ruf einer lispelnden Krähe, die in einen winterlichen See gefallen war. Ana war nicht beeindruckt.
"Und von hinten?", fragte sie. Entschuldigte sich und querte die hopsende und pogende Masse Richtung Toilette.
"Die ist was Besonderes", stellte Art fest.
"Besonders jagenswert", konkretisierte Kaal. Er rieb sich die Hände wie ein schmieriger Händler in der Asterix-Welt. Sprach davon, sie haben zu wollen, kriegen zu müssen, besitzen zu werden. Kann sein, dass Kaal schon überlegte, welche Musik er auflegen würde und welches Öl für ihre helle Haut geeignet wäre. Art war nicht so siegesgewohnt und weniger -sicher. Eher überhaupt nicht.
Der war so ein Typ, für den es keine Phrasen und Floskeln gab, er hatte das Prinzip irgendwie nicht verstanden. Als wäre er durch die Jahrhunderte gefallen oder lebe inmitten einer romantischen Sphäre, die ihn vor der Gegenwart schützte wie Superplasthüllen hydroponische Farmen auf dem Mars. Er schob schöne Worte oder was er dafür hielt in seinem Kopf hin und her, als wären sie die einzelnen Felder eines Rubik-Kubus, aus dem die Frau stiege, wenn die Fläche passte.

Vom Organisatorischen her sahen sie kein Problem. Art hatte keine Freundin. Kaal hatte zwar eine, dürfe aber rummachen und mehr. Ein Konzept, das Art so rätselhaft wie anregend fand. Zugleich war er der Meinung, dass Kaals offene Beziehung ihn in Sachen Ana disqualifizierte. Schließlich hätte Kaal jemanden. Es sei nur fair, dass er Ana bekäme.
"Fair?", fragte Kaal. Er wirkte ehrlich verwundert. Als wäre ihm dieses Konzept in Bezug auf Frauen so fremd, wie es das einer offenen Beziehung für Art gewesen war.

Ana betrachtete sich während des Wartens im Spiegel, streckte die Zunge raus, verlängerte ihre Nase mit zwei Händen und machte noch was Clowneskes. Prüfte dann ihre Schönheitsfehler. Der Leberfleck usw. Alle da. Sie tippte eine SMS an Joy.

Ich werde Ma nie verzeihen, dass wir in dieses Kaff gezogen sind. Fühle mich schon am zweiten Tag wie seit Jahren gefangen. Bin hier auf etwas, das die Landeier Party nennen. Zwei Typen aufgegabelt. Ein Aufreißer und ein Träumer. Beide geil auf mich. Weiß noch nicht, von wem ich mich schnappen lasse. PS: Der Arschloch-Trick funktioniert.

Art fasste sich ein Herz oder seine Eier trieben ihn dazu, der zurückgekehrten Ana zu sagen, wie sehr sie ihm gefiele. Dass er kaum schlafen könne und wenn er doch Schlaf fände, träume er von ihr.
Auf Kaals Stirn steilten Falten des Unglaubens, er schämte sich für Art, der ihm trotz der kurzen Bekanntschaft sympathisch war. Und machte sich bereit, seinerseits Ana anzugraben, wischte Bier vom Tresen in die Haare, damit sie hübsch glänzten und krempelte unauffällig beide T-Shirtärmel hoch. Jetzt waren auch die Tätowierung auf dem rechten Oberarm und die hügeligen Gelände rund um Tri- und Bizepse zu sehen.

Ana reagierte auf Arts hilflose oder mutige Anmache anders als Kaal gedacht hätte. Antwortete stimmlos, aber überzeugend. Als sie ihre Zunge für einen Moment aus Arts Mund nahm, sagte er, wie wunderschön und außergewöhnlich sie sei. Ana kicherte und antwortete mit einem noch längeren Kuss. Kaal rang sich ein hölzernes Lächeln ab und legte den Eroberungsplan ad acta.

Deine Alte ist echt so was von unentspannt. Dass sie dich mir weggenommen hat werd ich ihr nie verzeihen. Lass dir den Träumer schmecken ... kenn dich doch. Kisses, Joy

Kaal, die urbane Legende. Mit dem prächtigsten Iro der Stadt und einer verwegen aussehenden Tätowierung auf dem für einen Sechzehnjährigen erstaunlich muskulösen Oberarm. Und da er wusste oder zu wissen glaubte, was er dem eigenen Ruf schuldig war, nahm er die Niederlage durch Nichtantritt sportlich, und statt Art böse zu sein, nahm er ihn unter seine Fittiche.
Der so fast zeitgleich zur ersten Freundin auch noch einen besten Freund gewann. Kurz darauf den zweitprächtigsten Iro der Stadt hatte, die ersten Nichtschulbücher seines Lebens las und erstaunliche Erkenntnisse über das Zueinanderpassen von Anas und seiner Anatomie gewann.

Für Art bedeutete die Nacht im stickigen, heißen Klubhaus, wo er zweimal umgehauen wurde, die Eintrittskarte in eine neue Welt. Genauer gesagt waren es sogar zwei Karten für drei Welten.

Die von Kaal und Art beschränkte sich anfangs auf tage- und nächtelanges Abhängen in von öligem Rauch vernebelten Zimmern, deren Ränder sich im Takt der Sitar-Improvisationen ins Marijuana zu lösen schienen. Sie vernichteten mit den anderen Couch-, Gras- und Videosüchtigen riesige Vorräte von Tiefkühlpizzen, Literpackungen Eis, Schokolade in allen Form- und Geschmacksvariationen; zogen sich Asterix und Obelix auf Schwäbisch, Kölsch und Plattdeutsch rein, lachten bis nichts mehr ging, diskutierten die drängenden Probleme der Menschheit, entwickelten Masterpläne zur Rettung von Universum und gutem Geschmack und hatten am nächsten Morgen alles vergessen.

Inhalier den Rauch und knips dich weg, verwandle dich in ein audiovisuelles Eingabegerät mit kitzligeren Sensoren, als sie betrunkene Dreizehnjährige haben. Tage- und nächtelang hocken wir neben den anderen Sensoren auf schäbigen Couchen und lassen uns reinziehen, ziehen mit kölsch quatschenden Galliern los, um Piraten und Römer zu verprügeln.
Sehen tausend Todesarten. Zitternde Menschen auf elektrischen Stühlen, denen Qualm aus Köpfen steigt; einen apathisch wirkenden, bis zu den Ellbogen eingegrabenen Schwarzafrikaner, der von hasserfüllten Fratzen auf Storchenbeinen gesteinigt wird; einem zum Tode verurteilten Orientalen bricht aufgrund mangelnder Fallhöhe nicht das Genick, er zappelt mit den Beinen. Wie lang Sekunden sein können. Der erigierte Penis drückt gegen die Stoffhose, auf der sich bald ein dunkler Fleck ausbreitet. Pisse, die von seinen Schuhen tropft.
Neues Eis im Bong, der nächste Zug. Die Reise geht weiter. Ein Blick auf den analogen Wecker: 11 Uhr. Durch die Jalousien in der Küche schneiden Lichtgarben in die Rauchschwaden. Also vormittags. Jemand schließt die Küchentür und legt eine neue DVD ein. Die einzige Lichtquelle ist jetzt das Ausgabegerät. Erneute Vereinnahmung.

Die Art und Ana Welt bestand wochenlang nur aus Zungen auf zarter Haut, leisen Melodien und harten Rhythmen, aus Schweiß und anderen Feuchtigkeiten. Das vierarmige und -beinige Doppelkopfwesen Art und Ana war nach stundenlangem Spiel so ineinander verschlungen, dass manchmal erst der zweite Blick verriet, wo der eine aufhörte und die andere begann.

Der Typ ist irgendwie süß. Denkt wirklich dass es wahre Liebe und son Scheiß gibt. Pass auf dich auf. Love, Ana black widow, howgh!

Als erste Menschen entdecken wir zum ersten Mal die Landschaften des anderen Geschlechts. Da ist keine höhere Wesenheit, die uns aus dem Garten vertreibt, kein Heine, der die Romantik bricht. Alles ist nur aus dem Grund da, um für uns da zu sein. Jedes Wort wahr, weil wir es uns sagen.
Stundenlang ziehen wir unsere Konturen mit den Fingern nach und erforschen Hügel und Täler. Wir beschnüffeln die Höhlen, probieren uns und alles aus, leben Tierzeiten und wissen: Das alles sind wir, das einzig echte Wunder auf der Welt.
Stehen mitten beim Geburtstagsessen deines Vaters kurz nacheinander auf und tun es in dieser Besenkammer von Klo, bis deine Mutter klopft und durch die Sperrholztür zischt, dass wir vermisst würden.
Und was wir uns in den Nächten zuflüstern, alles, was uns in den Sinn kommt, ist grenzenlos, wir sind unendlich und unsterblich. Wir sind all das und jedes Wort ist wahr, weil es das erste Mal gesagt wird.

In der dritten Welt, einer Gemeinschaftsproduktion von Art, Ana und Kaal, sprangen sie nackt von den vielen Brücken der kleinen Stadt, taggten Parolen wie 1-2-3-alletierefrei! und ALLEFARBENDIEICHWILL an die grauen Wände der Hochhaussiedlung. Als sie die falsche Hauswand besprühten, wurden sie von fünf bulligen Faschos durch nachtleere Straßen und über Zäune in die Kleingartenanlage gejagt. Sie versteckten sich in einer leeren Laube und hörten ewige Minuten nur die tiefen Stimmen der Glatzen, die durchs Reich der Gartenzwerge stampften und ihren eigenen Herzschlag.

Schick mir die Jungs mal vorbei. Vielleicht kann ich den andern gebrauchen. *zwinker Muss auf Entgiftung sagt der Kadi. Oder in Knast. Aber keine Sorge, ich schlag mich schon durch. Kennst mich ja. Amüsier dich fein in Bukarest. Forever yours, Joy

Ana-Verlust durch Schüleraustausch. Sie reiste in ein schrecklich klingendes Land Osteuropas. In der Nähe von Absurdistan wahrscheinlich, meinte Kaal. Tränenreicher Abschied ihrerseits. Art wusste gar nicht, wie ihm geschah. Sie würde eine Weile weg sein, erzählte sie Art. Der wirkte verloren, als wäre er eines Morgens auf dem roten Planeten aufgewacht und käme mit dem marsianischen Toasterpatent nicht klar. Sie drückte ihm eine kleine Kiste Erinnerungen in die Hand und einen wilden Kuss auf den Mund. Dann drehte sie sich abrupt um und ging.

Noch schnell vor dem Abflug erledigt! Hab Kaal die Suprarealisten nahe gebracht. Der ist so ein wilder Junge und war sofort Feuer und Flamme, als ich von deren Feldzug gegen die etablierte Literatur erzählte, dass die Lesungen gestürmt haben und so fort. Na, wem sag ich das? Kann sein, dass die mal im Bermuda auftauchen. Mach mit ihm was du willst, achte aber bisschen auf Art, ja? Ist eh nicht dein Typ, bei dir würd er wahrscheinlich ohnehin nicht sprechen. *lächel Muss jetzt Tasche packen. Kuss, Ana PS: Übertreibs nicht.

"Mehr braucht es nicht", sagte Art. Er steckte immer noch in der Ana-Art-Wesenheit, ohne zu realisieren, dass über den Daumen gepeilt die Hälfte des Doppelkopfwesens fehlte. Fest verankert im Nirgendwo und nur von der Unendlichkeit begrenzt, die er mit dem Zeigefinger anstupsen könnte, wenn er sich auf Zehenspitzen stellen würde. Art sagte häufig ihren Namen vor sich her. "Ana", sagte er in den leeren Raum, zu einem Buch oder einem Lied und setzte manchmal "mehr braucht es nicht" hintenan. In den nächsten Tagen löste sich die Ana-Silhouette auf, er stemmte sich gegen die zunehmende Unvollständigkeit, fiel auf den Boden der Tatsachen, blieb etwas trotzig sitzen und wartete, dass ihm jemand die Hand zum Aufstehen reiche.

"Mir reicht das nicht", sagte Kaal. "Das ewige Rumgehänge kotzt mich an. Immer dieselben Fressen, aus denen die gleichen Schwachheiten kondensieren. Ich ersticke in diesem Nebel aus Dummheit." Er kramte in seinem Rucksack, zog ein paar zerfledderte Bücher heraus und knallte sie auf den Tisch. "Hier", sagte er, "Martin Eden, Hunger und Nachtwachen. Das sind Ausblicke, nach denen du keine Halbheiten mehr zu leben wagst. Lies das."
Kaal verließ Arts Jugendzimmer grußlos. Und Art las. Geschichten von autodidaktischen Freigeistern, die sich zum Erfolg boxten, die satirisch, luzide oder wahnhaft an den Gitterstäben der Vernunft rütteln. Nichts außer echter Liebe zu Menschen und Wahrheit galt ihnen etwas. Sie wüteten hungrig gegen die vollgefressene und gleichgültige Welt; schufteten tags und lernten nachts , um der Geliebten aus der besseren Gesellschaft würdig zu werden. Einer zeugte im Irrenhaus einen Narren.
"Und jetzt?", fragte Art.
"Ja, und jetzt?", äffte Kaal ihn nach. "Das muss halt mal wieder aktualisiert werden. Wir müssen die Menschen wissen lassen, was sie sein könnten. Doch erst brauchen wir Stoff. Lesen ist die eine Seite des Schreibens."
Art fragte sich, ob Kaal die Bücher nicht ausgelesen hatte. Der zum Schluss erfolgreiche Schriftsteller begeht mittelbaren Selbstmord. Kreuzgang, der Irrenhäusler, ruft statt der Zeit die Ewigkeit aus, was in Arts Ohren auch nicht gut klang, obwohl er es nicht so ganz verstanden hatte. Einzig der Hungrige erlebte ein wenigstens offenes Ende.

Kaal stahl Dostojewski, Borges und Kafka aus der Bibliothek. Art klaute Bernhard und die ersten übersetzten Werke Bolanos aus der örtlichen Buchhandlung. Sie gründeten einen Orden, den sie zeiten- und ortevereinender Extrakt aller jemals auf diesem Planeten geschriebenen Poesie nannten, kurz Z.U.O.E.A.J.A.D.P.G.P.
Den leiteten sie direkt von chilenischen Suprarealisten her, einem lyrischen Orden, dessen Entstehung und Existenz bisher kaum aufgearbeitet sind und dessen einziger Gedichtband laut Ana nur im Besitz einer Freundin sei. Ein paar Gedichte hatte die per Hand kopiert. Nachrichten aus anderen Welten. Lyrische Unmöglichkeiten: Das seltene Phänomen gleichzeitigen Sonnenauf- und untergangs, das einen schelmischen Inkapriester auf die Idee brachte, daraus eine absurde Prophezeiung über das Apokalypsedatum abzuleiten, das von einem Maya-Spion gestohlen wurde; eine Wolkenformation über Macchu Picu, die das Geheimnis von perfektem Lamaeintopf und Unsterblichkeit verriete, wenn man die Wolkensprache zu entschlüsseln vermochte; der letzte Avatar auf Erden, dem das Wissen um die göttliche Abstammung abhanden gekommen war und der seit Jahrhunderten durch die patagonische Tundra streift, wo er mit übermenschlicher Geduld und Besessenheit mittelmäßige Zeichnungen in den Permafrostboden ritzt.

Um das Buch zu bekommen, mussten sie in die Stadt des Nordens reisen, irgendwo dort sollte sich dieses Mädchen rumtreiben. Ana hatte ungefähre Koordinaten ausgegeben. "Drei Stunden Fahrt für ein Buch?", fragte Art. Der Anlass erfordere besonderes Engagement, sagte Kaal.
"Okay, eine Wallfahrt", dachte Art laut. Joy sei sicher auf der Partymeile zu finden, hatte Ana gesagt. "Aus Recherchegründen ins Nachtleben", sagte Art, "klingt schick."
"Nicht schick. Unbedingt nötig! Die andere Seite des Schreibens heißt Leben. Man muss von der Realität nehmen, um Literatur zu machen. Und dazu gehören auch die weniger gut ausgeleuchteten Orte. Hinein in Kneipen, Puffs und Drogenhöhlen! Überleben, um davon zu erzählen!"

Zeitgenössischer Literatur fehle Echtheit, behauptete Kaal, als sie auf ihren Streifzügen am Hafen angekommen waren und das Wuseln ein- und aussteigender Fährgäste beobachteten. Art nickte, etwas müde von Kaals Literaturtheorie. Außerdem konnte er diesen Gedanken nicht schlüssig nachvollziehen. Literatur sei ohnehin eine andere Realität, wie könne sie da nicht echt sein? Kaal hielt sich mit dieser Frage nicht auf, sondern schimpfte über eine kritisierende Journaille, die Authentizität verlangt und trotzdem Autoren feiert, deren Bücher bei aller Unterhaltsamkeit selbst die Tendenz zur Realitätsnähe vermissen ließen.

Der Mahlstrom ihrer Interessen saugte sie spiralförmig tiefer in die Eingeweide der Stadt, zu den Orten, wo zwar keine Scheiße und Messer durch die Luft flogen, aber Fäkalsprache und Fäuste.
Bei der offenen Lesebühne in einem stickigen Kellerloch schrieb Kaal seinen Namen auf die Schiefertafel. Er würde den letzten Auftritt an diesem Abend haben. Art war verblüfft. "Du hast doch noch nie was geschrieben!", sagte er. Kaal öffnete seinen Kurzmantel, lächelte grimmig bis ironisch und zog einen beidseitig beschriebenen DIN-A4-Zettel heraus. "Doch."

Etwas mehr als zwei Stunden später war die Zuhörerschaft leicht angetrunken und satt vom Gehörten und davon, sich die Beine in den Bauch zu stehen. "Sitzt das Outfit? Dies ist mein Auftritt!", sagte Kaal und stratzte zur niedrigen Bühne. Sie war den Sitzbänken so nah, dass man von dort den Schweiß auf der Stirn der Dichter sehen konnte.

"Zuhörer! Ich bin das erste Mal in dieser Stadt und seiner Literatur und muss euch sagen, was ich sehe, missfällt mir. Es werden Bücher junger Autoren gefeiert, in denen vor allem oder fast ausschließlich Ausschweifungen geschildert werden! Laster- und triebhaftes Verhalten, von dem man nur hoffen kann, dass die eigenen Söhne und Töchter diese Erfahrungen nicht machen. Diese Situation ist, nun ja, etwas schade, aber altbekannt. Neu ist hingegen die Absurdität der Situation. Der Umfang, in dem die Geschichten auf das Leben rückwirken! Wie wir auf unseren jüngsten Streifzügen festgestellt haben ..." Kaal zeigte auf Art, der spontan Sehnsucht nach einer tragbaren Teleportationsmaschine entwickelte. " ... Hier und überall in den großen Städten trollen sich Nachwachsende, maskiert mit übergroßen Brillen, aufgepeppter Hippieklamotte und affektiertem Künstlerhabitus. Und zumeist höchstens halb so kaputt, wie sie zu sein vorgeben.
Auf den Parties in den besseren Vierteln, wenn die Eltern ausgeflogen und ihre Stadtvillen sturmfrei sind, ziehen sie sich im Gefühl jugendlicher Rebellion und abgrundtiefer Verruchtheit mickrige Joints rein und haben verkrampften Teenagersex. Das tut freilich vor allem den Betroffenen weh. Der Knackpunkt ist ein anderer. Was setzt den falschen Underdogs die Strass-Krone auf? Dass sie sich mit fremden Federn schmücken wollen, die weder Schmuck noch echt sind ... "
Kaal machte eine kurze Pause und checkte die Lage. Er besaß ungeteilte Aufmerksamkeit. Art überlegte, ob er aus dem Keller ungesehen entkommen könnte. Aber die Leute standen dicht an dicht, schwitzend und rauchend. Er hätte sich durchdrängeln können, das aber hätte Aufmerksamkeit erregt ...
" ... Freie Liebe und Bewusstseinserweiterung durch Drogen? Darüber lachen die überlebenden 68er heute noch. Wie wäre es mit neuen Irrtümern - einer Abwechslung?"

Weckerklingeln. Fünf Minuten Redezeit hat jeder Lesebühnenaktivist. Die waren um. Danach zeigen die Zuhörer den Daumen nach oben oder unten. "Weiter!", riefen ein paar. "Aufhören!", ein paar weniger. Stehen blieben sie alle, aufmerksam wie den ganzen Abend nicht. "Danke, danke!", sagte Kaal. Zog etwas Flaches, in eine Tüte Eingewickeltes, aus der anderen Tasche des Mantels und legte es auf den Boden hinter sich. "Ein Präsent", sagte er. "Als Dank für eure Aufmerksamkeit. Ihr merkt sicher, wie sehr mir das Thema am Herzen liegt."
"Mach schon!"
"Schon gut", sagte Kaal, "der Schluss liegt ohnehin nahe. Denn was bitte produzieren diese Milieus für Geschichten?", fragte er. "Die letzten Durchsagen können doch nicht alles sein. Müssen wir uns mit tagebuchartigen Schnulzen begnügen, realitätsferner Institutsliteratur, pointengeilen Slamtexten oder den überspannten Fantasien von bildungsbürgerlichen Wochenendkiffern, die ihre fiktive Zerschossenheit feiern? Die alles mit der Sex-, Drogen- und Gewaltsoße übergießen ... ob fix zusammengeschriebener Schnellkochtopf oder literarisches Dreisternemenü – überall Ketchup rüber oder wie? Gibt es denn keine echte Haltung, ja, gibt es denn wirklich keine Helden mehr?"

Kaal verließ die Bühne, ging seelenruhig durch ungefähr fünfzig Spalier stehende Lesebühnen-Fans. Man verfolgte gespannt seine Schritte hin zu Art, der noch einmal die Taschen nach dem tragbaren Teleporter absuchte. Kaal sagte zu Art, in einer Lautstärke, die den Satz an jeden richtete, dass er kurz frische Luft schnappen wolle und gleich wiederkäme.
Oben angekommen, nahm er Art bei der Hand und fing an zu laufen, rannte, was das Zeug hielt, über die Partymeile der Seilerbahn. "Stinkbombe", keuchte er lachend, als sie viele Ecken weiter verschnauften. "Du solltest wenigstens irgend etwas geschrieben haben, bevor du solche Töne spuckst", empörte sich Art. "Hab ich doch", sagte Kaal und hielt grinsend seine Streitschrift hoch. "Was eigenes." Kaal winkte ab. "Kommt schon noch, keine Sorge."

"Und jetzt?", fragte Art. Kaal sagte, dass er ihn zum Trinken einlade. Der Barmann vom vier Ponys machte ein langes Gesicht, als wäre er selbst ein kleines Pferd, als Kaal zwei Apfelschorle bestellte. "Wo kriegen wir jetzt die Geschichten her?", fragte Art. Kaal gestand, dass er auch keine Ahnung habe, wo die sich rumtrieben. "Ich bin aber sicher", sagte er, "die kommen zu uns, wir müssen nur ausdauernd genug nicht nach ihnen suchen." Am besten funktioniere Nichtsuchen im Dunstkreis von Drogen, Parties und durchgemachten Nächten.

Es war genau der Ort, wo Kaal sein wollte. Dort sei alles, was für ihre Literatur benötigt würde. Die Unendlichkeit hätten sie in sich, die andere Seite müsse ins Boot geholt werden. "Erst dann können wir den Styx hinaufrudern und Nachricht vom Urquell in die gegenwärtige Sprache übersetzen", sagte Kaal. Sie suchten das Abgefuckte im Dienste ihrer höheren Macht, der Kunst. Vielleicht gingen sie auch einfach nur verloren.
Zwischen harten Typen und verwirrten Schwätzern, den Geschichten von der Legendenhure und dem König der Landstreicher, die bald Hochzeit feiern werden, wie in den Bars geflüstert wurde. Zwischen Gestalten, die Spitznamen hatten als entstammten sie pastelligen Comicwelten, mit Lebensläufen aus düsteren Graphic Novels.

Da war Doc Snyder, ein alter Säufer, der auf Krücken an die Bar humpelte und jeden mit dem Blick des alten Fuchses musterte, der alles gesehen und fast alles getan hatte. Und Vorträge hielt über die Unzurechnungsfähigkeit einer Regierung, die von einer Frau geführt wird. Über die Gefahr der Überfremdung und dass man deutschen Jungs Arbeitsplätze wegnähme, dabei blinzelte er verschlagen zu Jaan Kolibri, der vom Chef des Amore aus Bukarest nach Deutschland geholt worden war, damit Jaan für ihn anschaffte. Er berichtete von den Problemen mit einem Mitbewohner, der sich über die Frequenz der Freier aufgeregt hatte, die Klo und Dusche blockierten. Aber der mache keinen Ärger mehr, seitdem er wisse, wer sein Zuhälter sei. Man nenne ihn nicht umsonst das beste Pferd im Stall, vertraute er Art mit glänzenden Augen an. Vielleicht bewegte ihn das leise Lied von Linn Bo-Hei Meyer. Einer deutsch-chinesischen Schauspielschülerin, die stets eine billige Federboa um ihren schlanken, porzellanweißen Hals trug und jeden Abend eine schier endlose Zahl Mentholkippen durch ihre Zigarettenspitze rauchte. Wenn sie betrunken war, sang sie manchmal chinesische Liebesweisen, die das Herz öffneten, obwohl oder weil niemand ein Wort verstand.

Dutzende mehr, die er immer wieder traf und erkannte, ohne dass ihm ihre Namen einfielen. Art vergaß sie schnell oder merkte sie nicht. Das war ihm unangenehm, bis er feststellte, dass sich auch kaum jemand an ihn erinnerte.
Sie hingen auf einem Teil der Partymeile ab, der nicht ohne Grund Bermudadreieck genannt wurde. Hier gingen alle verloren, die nichts mehr zu suchen hatten, und wer dort einmal verloren gegangen war, fand sich lange nicht oder nie mehr wieder. Kaal und Art jedes Wochenende mittendrin. Zu Beginn fragten sie noch nach Joy, die jeder zu kennen schien, ohne dass sie jemand in letzter Zeit gesehen hätte. Sie riefen ein paar Mal unter der Nummer an, die Ana ihnen gegeben hatte, erreichten aber nur die Mailbox, auf der Kaal Namen und Handynummer hinterließ.

Am dritten Wochenende meldete sich Joy und verabredete sich mit den beiden irgendwo im Bermuda. Sie sei gerade aus der Entgiftung gekommen, sagte sie und müsse unbedingt feiern. "Entgiftung?", fragte Art. Joy winkte ab. "Nicht dass ichs nötig hätte. Die ham mich bei ner Razzia im Stundenhotel erwischt und dann bin ich lieber dahin als in Knast." Weder Kaal noch Art wollten glauben, dass sie Hure sei. Joy fluchte zwar wie ein neapolitanischer Müllwagenfahrer, redete aber genauso eloquent und kenntnisreich über gesellschaftliches Tagesgeschehen wie über die asklepiadeische Odenstrophe. "Na Jungs, ich bin ja auch keine richtige Nutte. Fick halt gern und krieg Geld dafür. Irgendwie will so ein Studium ja finanziert werden. Macht doch heutzutage jeder."
"Echt?", fragte Art.
"Du bist süß. Wenn ichs doch sage."
Art sah sie mit großen Augen an. Versuchte das zu verdauen. Wechselte das Thema. "Hast du das Buch?", fragte er. Joy wirkte das erste Mal überrascht, erinnerte sich dann an Anas SMS und die Geschichte mit den Suprarealisten. "Nicht hier", sagte sie, "heute wird gefeiert."
Sie schnappte sich Kaal, zog ihn auf die Tanzfläche, sie waren in einem dieser vollgestopften Clubs, die die ganze Nacht Minimal-Techno spielen, und betanzte ihn wie eine Go-Go-Tänzerin ihre Stange. Kaal stellte sich als ihr perfekter Partner heraus, es schien ihm zu reichen, ihre Titten und den Arsch zu begrabschen und als Eigenleistung minimale Beinbewegungen.

"Joy ist meine Femme fatale", sagte Kaal, "die hat vom Leben was gesehen, das abgebrühte Ding. Genau was ich brauche." Sie sei auch äußerlich genau sein Typ. Rabenschwarzes Haar und ozeanblaue Augen. Als sich herausstellte, dass die Haare getönt waren und sie farbige Kontaktlinsen trug, meinte er lapidar, dass es wohl kaum auf Äußerlichkeiten ankäme.

Kaal verbrachte die Zeit mit, auf und in Joy, wovon er detailliert erzählte, wenn er Art mal traf, was immer seltener geschah. Führte aus, was genau sie in welcher Stellung getan hätten, wer wie oft gekommen sei und welche Geräusche sie gemacht habe. Art nickte, lächelte und vergaß. Kaal rauchte jetzt Opium, was in Joys Kreisen en vogue war. Dort wurden Partner getauscht, schwarze Klamotten getragen und Kurzhaarschnitte, Sartre, Crowley und Baudelaire verehrt. Das Ganze zu einem antibürgerlichen Lebensstil stilisiert, den zumeist gutbürgerliche Eltern bezahlten, der Staat oder, wie in Joys Fall, Freier.

Art durchstreifte die Bars im Bermudadreieck auf der manischen Suche nach Transen und Ladyboys, in denen er die verkörperte Sehnsucht nach Vereinigung von männlichem und weiblichem Prinzip zu sehen glaubte. Er meinte in deren Gesichtern etwas entdeckt zu haben, das ein Schlüssel zu gewissen Geheimnissen sei und zeichnete sie, um sich diesem Schlüssel anzunähern. Studien für die Produktion des neuen Helden.

Von Woche zu Woche sah er Kaal vor seinen Augen verfallen. Joy steckte tiefer in der Scheiße als sie wahrhaben wollte, wie man im Dreieck munkelte und rauchte Opium wie ein chinesischer Mandarin. Und Kaal? Er sei schließlich ihr Mann, und als dieser müsse er auf Joy achtgeben. Sein Gesicht wurde schmal und schmaler, die Wangenknochen traten hervor wie bei hungernden Lagerinsassen, riesige Augenringe. Zombiefizierung. Er werde zu einem lebenden Toten, einem todesverliebten Schreckgespenst, wie Art ihm vorhielt.
"Leben kann man das nicht mehr nennen", sagte er, "das ist kaum mehr Instandhaltung!"
Kaal lachte freudlos. "Ich blicke in die Abgründe", sagte er. "Es geht alles um das große Werk."
"Mittlerweile", sagte Art, "blickt der Abgrund aus dir heraus. Und du hast noch immer keine einzige Zeile geschrieben." Kaal zuckte die Schultern und wendete sich ab.
Art packte und riss ihn herum und schlug ihm immer wieder die flache Hand ins Gesicht. "Wach auf!", rief er, "wach auf!" Kaal hob behäbig die Hand wie unter großer Anstrengung oder als verstände er die Aufregung nicht und hielt damit Arts Hand fest. "Entspann dich", sagte er, "lass gut sein."

Wenige Wochen später

Ana und Art hatten ihr Wiedersehen auf einer Freiluftgoa gefeiert. Nach 48 Stunden grünem Tee, durchtanzten Nächten, langem Imarmhalten und Indieaugenschauen und ununterbrochener Beschallung durch sphärische Beats standen sie kurz vor der Transformation zu Klangkörpern.
Auf dem Heimweg hielten sie an einem See und sahen die Sonne aufgehen. Rotorangenes Licht luscherte durch die Wolken, stieg höher, flutete den Wasserspiegel und ließ tausend Goldboote über den See tanzen. Da war sie wieder, die Unendlichkeit. Beide wussten es, spürten es. Und wer unendlich ist, der fürchtet nichts. Auch keinen Zug von Kaals Pfeife. Ana freute sich tierisch, Joy zu treffen, die ihr in langen Nächten erzählte, was alles geschehen war. Vor allem Geschöntes und Erfundenes, manchmal auch falsch Erinnertes.

Um das Geld für den Konsum zu organisieren, begann Kaal das Zeug im Städtchen zu verkaufen. "Opium", sagte er, "ist feinste Biokost." Er verteilte Gratisproben und hatte bald genügend freakige Goanauten und von ihrer A-Droge gelangweilte Kiffer als Absatzmarkt gefunden. "Damit sie nicht mehr anschaffen muss", sagte er und gab die Scheine Ana, die einmal in der Woche zu Joy fuhr. Sie brauche eine Auszeit von Kaal, hatte Joy gesagt und den direkten Kontakt abgebrochen.
Die gewonnene Zeit und Kaals Scheine investierte sie in Heroin, Morphium, Polamedon, Methadon, Buprenorphin, Codein, vorzugsweise flüssig, also injizierbar. Sie war wirklich froh, Kaal zu haben, denn die Freier zahlten nicht viel für Wracks.
Ana hatte einen Zweitschlüssel zur Wohnung und brachte jedesmal den Einkauf mit, also das, was Joy noch zu essen bereit und imstande war. Erdbeermilch, Joghurt und Schokoriegel.

Einmal fand sie Joy mit der Spritze in der Armbeuge gegen die Couch gelehnt. Kinn auf der Brust, ein dünner Speichelfaden hing aus dem Mundwinkel. Ana fühlte ihren Puls. Herzschläge eines Kolibris. Ana drehte Joy in die stabile Seitenlage, in ihrer Hilflosigkeit wusste sie sich nicht besser zu helfen, rief den Krankenwagen, hielt ihre Hand und weinte.

Sorry Ana baby, war keine Absicht. Joy

Schreib einfach ne Nachricht bevor du solchen Blödsinn machst. Will dich nicht verliern! Umarme dich, Ana

Beim nächsten Mal kam sie zu spät. Ana beatmete Joys kalte Lippen, legte sie auf den Boden und machte eine Herzmassage, wie sie es in irgendeiner Krankenhaus-Sitcom gesehen hatte. Stand dann auf und ging kopflos durch die kleine Wohnung, lief dort stundenlang umher. Ich habe einen Geist gesehen, dachte sie, nein, ich selbst bin einer. Auf dem Tisch lag ein Zettel. 'Injizierte mir hochprozentiges Gift. Bei Bewusstlosigkeit: 112. Küsse, Joy.'
'Sie hat die Nachricht geschrieben', dachte Ana mit unheimlicher Gemütsruhe. Sie sah auf ihre Hände und hatte den Eindruck, dass sie aus großer Höhe auf die Greifwerkzeuge eines Androiden oder einer mechanischen Puppe schaute.
Ana hockte sich wieder über ihre tote Freundin, zog ihr mit Puppenhänden die Nadel aus dem Arm, legte Joy auf den Rücken, faltete ihre Hände über der Brust und schloss die Augenlider.
'Tot, tot, tot', hallte es in ihr. Sie fürchtete um ihren Verstand, verließ die Wohnung und tippte den Notruf.

"Ich will sie nicht mehr vor mir sehen", sagte Ana, "wie sie daliegt. Die Nadel im Arm, bleich und wächsern die Haut."
"Nimm." Kaal reichte ihr die Pfeife. "Ich muss sie auch vergessen", sagte er und rauchte.
Art sagte nichts oder sehr wenig, hockte nur in seinem Sessel, sah das Kommen und Gehen von Kaals Kunden, die ein paar Züge nahmen und feststellten, dass es ein Jammer sei mit Joy. Ihre glänzenden Augen mit den Stecknadelpupillen erinnerten ihn an Reptilien. Wenn Art rauchte, spürte er keinen Unterschied zu vorher. Alles war geisterhaft. Er hatte das Gefühl, hinter sich zu schweben, während er hörte, wie über die Tote und andere gesprochen wurde, die am Gift krepiert waren.

Der eine hatte sich im Vollrausch übergeben und war an seiner Kotze erstickt. Ein anderer war auf einer Allee in Sekundenschlaf gefallen und hatte das Auto mit zwei Beifahrern um einen Baum gewickelt. Nur ein Hund hatte überlebt, dem musste ein Bein amputiert werden. Den sähe man manchmal durch die Stadt humpeln, an der Leine vom Vater des Toten. Der Alte hätte so ein graues Gesicht bekommen. Ein Mädchen war von ihren Eltern in der Badewanne gefunden worden. Überdosis Kokain, Herzstillstand. Auf einem Beistelltisch war ein spanisches Gedichtbuch von Neruda gelegen und die Notiz, dass alles ungerecht sei und das Leben eine einzige Falschheit. Sie verfluchte, dass sie gezeugt und geboren worden war. 'Küsse, eure euch liebende Tochter' habe darunter gestanden. Und der eine ... und der andere. Alle tot.

Art saß in seinem Sessel und überlegte, warum er sich so unwirklich fühle. Ob er zuviel oder zuwenig geraucht habe. Er ging zu Ana ins Nebenzimmer, legte sich neben sie und zeichnete ihre Gesichtszüge mit seinem Zeigefinger nach. Sie riss ihm die Hose runter.
Er sah auf das schlaffe Schwengelchen. Anas Finger im funzeligen Licht begrabbelten sein Geschlecht, er spürte, wie sie es in den Mund nahm. Art dachte, sie habe den Penis eines Toten im Mund und konnte sich gerade noch zurückhalten, das zu sagen.
Irgendwann bekam er doch eine Erektion. Sie drehte ihm den Rücken zu, zog ihre Jogginghose knapp unter den Hintern, schob den Slip beiseite und zerrte ihn rein. Er reagierte mechanisch, stieß zu, stieß auf Widerstand, sie verkrampfte sich, er wollte aufhören. Sie fauchte, dass er nicht wagen solle aufzuhören, sie müsse ihn spüren, das Leben. Ana heulte, verkrampfte immer wieder, schrie, flehte, beschwor ihn, aufzuhören, weiterzumachen, bis sie zitternd und heulend zusammenbrach. Später in dieser Nacht klingelte die Polizei. Man hatte eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Die Polizisten nahmen alle drei mit.

Ana bekam immer öfter ihre Heulanfälle. Art wurde stiller, zog sich zurück und sagte wirre Sätze, wenn er mal sprach. Kaal kotzte jeden Morgen, nachdem er den ersten Kopf geraucht hatte. Sie beschlossen aufzuhören. Nachdem sie das Opium in einem letzten Exzess ausgekostet hätten.

Die Eltern waren verreist. Ana, Art und Kaal hatten das Haus auf dem Land für sich, rauchten, gingen spazieren, sahen Filme von Fritz Lang und lasen sich Gedichte von Whitman, Boudet und Lerner vor. "Wo ist eigentlich das Buch der Suprarealisten?", fragte Art. Ana und Kaal sahen ihn an als wäre er ein Marsmensch, und antworteten nicht.
"Das ist das Leben", sagte Kaal einmal, "das wahre Leben. Vis a vis der Tod. Nur wenn man dem Tod ins Auge blickt, spürt man das wahre Leben." Art kam die Sprache bekannt vor, aber die Worte ergaben keinen Sinn. Er nickte müde und schlief bald darauf im Sitzen gegen die Wand gelehnt ein.

Ana weckte ihn mit einem Kuss. Ob es okay sei, wenn sie mit Kaal schliefe, fragte sie, sie habe so große Lust darauf. Art nickte stumm, ohne dass ihn die Bedeutung der Worte erreichte. 'Alles ist hohl', dachte er, 'die Welt eine einzige Phrase'. Sie stand auf und ging, drehte sich noch einmal um und lächelte ihn an. "Du weißt, dass ich dich liebe, oder?"
Das hatte sie noch nie gesagt. In einem Moment der Klarheit sah er Ana wie auf einer Bühne. Der auf den Oberarm verrutschte Hemdausschnitt zeigte ihre Schulter, die Falte zwischen Oberschenkel und Pobacken lugte knapp unter dem Saum hervor, er betrachtete sie, bis Ana vom dunklen Flur verschluckt wurde.

Nieselregen wehte gegen die Fenster. 'Hyperralität', dachte Art zusammenhanglos. Er driftete weg, wenige Minuten Schlaf oder Bewusstlosigkeit. Dann eine Bö wie ein Sturmdämon, schwere Regenfracht peitschte gegen das Panoramafenster, schüttelte das Grünzeug und drückte es gegen die Scheibe.
Aschegeschmack auf der Zunge. Art fühlte sich kraftlos und Sorge um die andere Hälfte, spürte etwas wie die Ahnung von doppeltem Alleinsein, Einsamkeit. Und schlafwandelte zu Anas Jugendzimmer, öffnete die Tür und hörte das Keuchen.

Anas Hinterkopf bewegte sich mit gleichmäßigen Rucken über Kaals Mitte und erinnerte Art an eine Maschine, die er noch nie gesehen hatte. Zwei ihrer Finger rutschten im selben Rhythmus bis zum Knöchel in Kaals Anus und wieder hinaus. 'Hat sie bei mir nie gemacht', registrierte Art.
Er spürte Flüssigkeit in die Augen steigen, kämpfte gegen die Tränen, aber der Körper gehorchte nicht. Art setzte sich auf einen Stuhl und heulte hemmungslos. Ana stoppte das Lutschen und fragte, die Finger in Kaals Arsch, was los sei. "Komm doch zu uns", sagte sie. Art schüttelte den Kopf, stopfte sich eine Pfeife und sah zu, wie Ana küssend und leckend Kaals Körper hinaufwanderte. Als sie bei seinem Oberkörper angekommen war, drückte Kaal sie auf die Matratze, griff mit der Hand nach ihrem Geschlecht und streichelte die kleine Spitze. Sie machte diese leisen Geräusche - etwas zwischen Stöhnen und Schnurren, das Art bisher nur unter vier Augen gehört hatte - zog Kaals Kopf zu sich herab und flüsterte ihm etwas.
Er positionierte sich über ihrer langsam aufgehenden Schere. Anas forderndes Flüstern. Ihre Beine umklammerten seinen Hintern und drückten ihn hinein. Art wollte eingreifen und den anderen Mann von seiner Geliebten reißen. Er war schon halb aufgestanden, da fiel ihm ein, dass alles abgesprochen sei und also seine Richtigkeit habe. Dachte zerstreut, dass Kaals Anatomie genauso gut zu Ana passte wie seine eigene.
Nach abgeschlossenem Akt krabbelte er aufs Bett und legte sich rechts neben Ana, die in der Mitte lag. Sie legte die Arme um Art und Kaal und sagte leise, dass sie ihre beiden Männer liebe. Bald schlief er trotz des störenden Arms ein und bis zum nächsten Morgen durch.

Er hatte von einem brennenden Schloss auf einer hohen Klippe geträumt, gegen die ein dunkelblaues Meer brandete. In dem Schloss war er auf einem schlanken Stuhl ohne Armlehnen gesessen und hatte in einen leeren Saal gestarrt. Nun, nach dem Aufwachen, war er mit dem Nichts der Nüchternheit und der noch schlafenden Ana allein.
Art ertrug die Vorstellung nicht, sie anzusehen oder zu berühren, von ihr angesehen oder berührt zu werden, kletterte leise vom Hochbett und ging in die Küche. Auf dem Tisch lag eine Nachricht.
Ich hätte es nicht ausgehalten, Euch nach der letzten Nacht ins Gesicht zu sehen. Trampe zum Meer und werfe mich den Haien zum Fraß vor wie Martin Eden. Das letzte Gift lasse ich hier. Mit dem Teufelszeug will ich nichts mehr zu tun haben. Ich werde nicht mit ansehen, wie nach Joy meine besten Freunde zugrunde gehen.
'Haie?', dachte Art und hätte fast gelächelt. Er nahm den Giftbrocken, setzte sich auf die Veranda und sah über das weite Feld hinter dem Haus.

Es war ein warmer Morgen im Spätsommer. Die Luft roch nach dem nächtlichen Regen frisch und die kultivierte Landschaft glänzte unter der Sonne. Grillen zirpten durch die dörfliche Ruhe. Trotz dieses ganz und gar üblichen Anblicks dachte Art, der Himmel wäre kurz davor, etwas Unglaubliches zu tun: Sich umstülpen vielleicht oder auf die glänzenden Felder sinken und alles Land und jeden Menschen unter sich ersticken. Art wartete, bis das Gefühl im Morgen versickert war.
Dachte kühl, dass es auch für ihn Zeit sei, einmal eine Entscheidung zu treffen. Er zerhäckselte den Brocken, füllte das rauchfeine Pulver in eine Fotodose und ging auf Klo. Kippte es in das Becken, pisste drauf und drückte die Spülung.

 
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Hallo Kubus,

ich hab fast geweint am Ende. Das ist alles so tragisch, auf ganz leise Weise. Erzaehl mir nicht nochmal, dass Du grob gestrickt bist. Du hast so einen zarten Art geschrieben. Das Thema, diese Suche nach dem "authentischen" Leben, das man dann zu "authentischer" Literatur machen kann, bis man sich dran kaputtmacht und immer noch nichts geschrieben hat, ist nicht neu, aber wie Du das auf diese beiden Maenner verteilst ist wunderbar. Und das was mir so das Herz zerissen hat, ist die Tatsache, dass Art das alles gar nicht gebraucht haette, dieses Lese- und Lebensprogramm, weil er von Natur aus keine Phrasen kennt und ihm tatsaechlich jede Entdeckung mit Ana neu und jedes Wort wahr ist. Wie beneidenswert. Und dann kommt zum Schluss das raus:

'Alles ist hohl', dachte er, 'die Welt eine einzige Phrase'. Sie stand auf und ging, drehte sich noch einmal um und lächelte ihn an. "Du weißt, dass ich dich liebe, oder?"
Und das:
Dachte zerstreut, dass Kaals Anatomie genauso gut zu Ana passte wie seine eigene.
Das ist wirklich das Traurigste, was ich hier jemals gelesen habe, dieser Verlust der Einzigartigkeit von Erleben und Sprache (boeh, wie doof das klingt, wenn ich das schreibe, aber das ist eben das Gute an der Geschichte, dass es da nicht doof klingt).
Ich bin mir auch nicht ganz sicher, aber einen Gutteil des Kursiven schreibe ich Art zu. Und wenn das stimmt, ist diese Progression von nur scheinbar phrasenhafter Romantik ("Wir sind all das und jedes Wort ist wahr, weil es das erste Mal gesagt wird.") zu stereotyper Moderne ("wir folgen dem weißen Kaninchen werden im Wunderland eindimensionale Figuren Märchenpersonal Neonlichter zeitgenössische Altarkerzen beleuchten die Kirche vorübergehend Verlorener schmilzt im Wachsland brennen herunter Gesichter zerfließen Orte und Zeiten") auch total schlimm. Allerdings irritiert mich bei meiner Interpretation das hier:
Da ist keine höhere Wesenheit, die uns aus dem Garten vertreibt, kein Heine, der die Romantik bricht.
Und dann das "ohne Kitsch". Denn wenn das noch der Art ist, der keine Phrasen kennt, muss er sich doch auch nicht distanzieren.

Die Geschichte ist natuerlich auch sehr sehr lustig, mit vielen grossartigen Bildern (besonders der Ponybarman) und Ironie natuerlich auch. Aber eben nicht im Grunde albern, sondern im Grunde Ernst, so fand ich es zumindest. Der Ablauf war gut, man spuert schon, wie es zum Schluss hin immer kaelter wird, weniger Witzchen und so. Ich wollte mich trotzdem noch ueber den Einstieg beschweren. Den hat diese Geschichte nun echt nicht verdient.

Art verbrachte den Abend allein und verquält neben wummernden Boxen, sich an der Plörre festhaltend, die hier jeder soff.
Wenn ich schon "wummernde Boxen" lese und dann noch diese Partizipialkonstruktion, da erwarte ich eine hundsgewoehnliche Diskoaufreissgeschichte.

Ich habe so sehr gelacht ueber "tra", ueber Kaals grossartige Rede (passte gut, hab ja grad den Wanderlurch durchgelesen) aber auch ueber sowas

Sprach davon, sie haben zu wollen, kriegen zu müssen, besitzen zu werden.
Dass er kaum schlafen könne und wenn er doch Schlaf fände, träume er von ihr.
Für Art bedeutete die Nacht im stickigen, heißen Klubhaus, wo er zweimal umgehauen wurde, die Eintrittskarte in eine neue Welt. Genauer gesagt waren es sogar zwei Karten für drei Welten.
Sie versteckten sich in einer leeren Laube und hörten ewige Minuten nur die tiefen Stimmen der Glatzen, die durchs Reich der Gartenzwerge stampften und ihren eigenen Herzschlag.
Das sind nur Beispiele fuer so viel Schoenes

Aber manchmal tust Du der Geschichte ein bisschen Gewalt an mit Kalauern, Neologismen und Witzischkeit.

Liste:

Rülpskünstler und Scheißefresser hatten einen gemeinsamen Auftritt, die ganze Kleinstadt von cool-rockig bis lustvoll-räudig war auf den Beinen, hatte sich hübsch hässlich gemacht, um brutal viel Spaß zu haben.
Und wenn ueberhaupt dann huebsch-haesslich

Sie antwortete ein- bis keinsilbig

Sozusagen ein Solitär. Er dafür Solo, das passe doch gut zusammen.

lachten bis die Gesichtsmuskeln schmerzten,
solche Gewoehnlichkeiten lasse ich Dir aber nicht durchgehen

Der wirkte verloren, als wäre er eines Morgens auf dem roten Planeten aufgewacht und käme mit dem marsianischen Toasterpatent nicht klar.

"Du hast doch noch nie was geschrieben!", sagte er. Kaal öffnete seinen Kurzmantel – kurz dachte Art, er wolle eine Zahl verkaufen - lächelte grimmig bis ironisch und zog einen beidseitig beschriebenen DIN-A4-Zettel heraus. "Doch."
Das ist auch ohne die Zahl lustig

Dort wurden Partner getauscht wie Kochrezepte
ahem

Ana hatte einen Zweitschlüssel zur Wohnung und brachte jedesmal den Einkauf mit, also das, was Joy moch zu essen bereit und imstande war. Erdbeermilch, Joghurt und Schokoriegel.
und 1 Rechtschreibfehler

Nur ein Hund hatte überlebt, dem musste ein Bein amputiert werden. Den sähe man manchmal durch die Stadt humpeln, an der Leine vom Vater des Toten. Der Alte hätte so ein graues Gesicht bekommen.
Das ist so typisch fuer die Geschichte, so traurig-lustig.

Und wehe Du sagst jetzt, das ist alles nur ironisch und gar nicht traurig gemeint. Dann nehm ich mir nen Strick. Die Ernsthaftigkeit ist mir viel wert.

lg,
fiz

 
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Hey fiz, nein, das sage ich natürlich nicht, es stimmte auch nicht. Da steckt viel Herzblut drin und den Schluss zu schreiben hat mich zwischendurch ganz schön runtergezogen. Ich hab ewig in der Geschichte gehangen und immer wieder was umgeschmissen und umgearbeitet, die bedeutet mir schon was und auch die Figuren. Deswegen freute mich deine kritische Würdigung ganz besonders, hab schon befürchtet, die würde in der Versenkung verschwinden und zur Karteileiche werden und das wär für mich in dem Fall nicht gegangen. War vorhin nach dem Sport kurz davor den Text leerzueditieren. Wusste auch nach dem vielen Rumgefeile an der Geschichte gar nicht mehr, was ich von ihr halten sollte.

Ja, und dass die Beschreibung der jungen Liebe funktioniert ist mir wichtig (Ohne Kitsch streich ich schonmal), da hatt ich nämlich echt Schiss vor Kitsch, und wie treffend, dass du Arts Erkenntnisse Liebe sei Illusion und Wörter seien Phrasen so zielsicher an den Anfang gestellt hast. Er ist natürlich meine Hauptfigur und war bis zuletzt in seine Vorstellungen verstrickt, lass sie schön gewesen sein, aber aus denen musste er befreit werden - außer ihm hätte niemand die Geschichte wenigstens offen enden lassen können. Ich probierte dies und das und war mit dem Ende immer unzufrieden, bei dem aktuellen hatte ich erst das Gefühl es passt. Das hatte ich beim Anfang nie, der jetzige ist nur das kleinste Übel. Mal sehen ob mir was besseres einfällt. Großen Dank für den Kommentar. Der hat mir die Geschichte wieder nahe gebracht.
Herzlich,
Kubus

PS: Ich schau mir morgen früh gleich mal die rausgepickten Stellen an.

 
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Hallo Kubus,

da bin ich erleichtert, dass ich das Herzblut richtig rausgelesen habe. Ich haette mich auch sehr gewundert...

Ich habe den Text gestern Nacht nochmal gelesen und habe noch Dinge nachzutragen.

Weil Du Dir um die Liebesdarstellung Sorgen gemacht hast, wollte ich noch diese Stelle zitieren, die ich in dem Zusammenhang eigentlich am allerbesten gelungen finde, auch weil Art dabei so schoen rauskommt, und alles, was sonst kitschig waere, ist hier fuer ihn glaubhaft ernst und neu und sehr ruehrend:

"Mehr braucht es nicht", sagte Art. Er steckte immer noch in der Ana-Art-Wesenheit, ohne zu realisieren, dass über den Daumen gepeilt die Hälfte des Doppelkopfwesens fehlte. Fest verankert im Nirgendwo und nur von der Unendlichkeit begrenzt, die er mit dem Zeigefinger anstupsen könnte, wenn er sich auf Zehenspitzen stellen würde. Art sagte häufig ihren Namen vor sich her. "Ana", sagte er in den leeren Raum, zu einem Buch oder einem Lied und setzte manchmal "mehr braucht es nicht" hintenan. In den nächsten Tagen löste sich die Ana-Silhouette auf, er stemmte sich gegen die zunehmende Unvollständigkeit, fiel auf den Boden der Tatsachen, blieb etwas trotzig sitzen und wartete, dass ihm jemand die Hand zum Aufstehen reiche.
Und dann kommt der Wilde Kaal und sagt, ihm reiche das alles nicht und keine Halbheiten leben usw. Und da hatte ich eben das Gefuehl, der Arme Art wird da aus seiner paradiesischen Ganzheit (auch wenn sie da grad halb ist) einfach mitgeschleift ins raue Leben. Du sagst, er musste befreit werden, und ewig haette es wahrscheinlich eh nicht gehalten (deutet sich ja schon hier und da an), aber es tat mir trotzdem weh. Also gut, unvermeidlich, aber das macht es mir nur noch trauriger. Aber vielleicht bleibt der Traeumer trotz aller Entzauberung ja auch nicht ganz auf der Strecke:
Trotz dieses ganz und gar üblichen Anblicks dachte Art, der Himmel wäre kurz davor etwas unglaubliches zu tun: Sich umstülpen vielleicht oder auf die glänzenden Felder sinken und alles Land und jeden Menschen unter sich ersticken. Art wartete, bis das Gefühl im Morgen versickert war.
Ich war nur erst so erschuettert von der Entdeckung der Phrasen, dass ich da erst nichts Positives mehr sehen konnte.

Bei der kursiven Liebesstelle glaube ich zwar zu wissen, wo sie hinwill, weil sie es sagt, aber sie ist eben noch nicht artig genug, da fehlt noch ein Quaentchen Selbstverstaendlichkeit, denn der erste Mensch und das erste Wort sind sich ihres Sonderstatuses ja nicht bewusst. Sie darf also eigentlich gerade nicht sagen, wo sie hinwill, sondern muss einfach da sein. Schwierig.

Auch ueber den Aufbau habe ich mir noch mal Gedanken gemacht und ich finde es schon bemerkenswert, dass es zum Schluss hin so merklich unlebendiger wird, obwohl sie sich doch dem vermeintlich echten Leben annaehern, das sich dann allerdings auch unwirklich anfuehlt. Deshalb, vielleicht ist so ein alberner Anfang doch gar nicht verkehrt und Arts Vertraeumtheit kommt ja auch gut raus im ersten Absatz. Nur "wummernde Boxen", das liest man halt so haeufig.

Der Text ist natuerlich lang und ich wuerde jedem Leser empfehlen ihn auszudrucken, sonst spuert man das langsame Erkalten vielleicht nicht richtig. Ich finde ihn absolut grossartig (falls das noch nicht deutlich geworden ist). Mein Heiratsantrag erreicht Dich in Kuerze per pm.

lg,
fiz

 
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Auf dem Tisch lag ein Zettel. 'Injizierte mir hochprozentiges Gift. Bei Bewusstlosigkeit: 112. Küsse, Joy.'

Hallo Kubus,

Du scheinst Dein Thema gefunden zu haben und – es wird immer besser - ohne Ironie & keineswegs mehrdeutig - meine ich. Diesesmal beginnt es in einer kleinbürgerlichen Welt (auf’m Dorf, könnte man sagen), wo die Jugendlichen sich von den „Spießern“ allein schon durch Äußerlichkeiten (Maskerade, vor allem aber:) den Jargon unterscheiden wollen:

an der Plörre … die hier jeder soff …enthemmten Kidpunks … ein paar Mädels …
, bis zu dem Augenblick, da die Mädchen
laut genug über seine Hochwasserhose [redeten] …
Dazu passt dann auch die Heinz Erhardt-Konstruktion
hübsch hässlich
aus dem Mief der Adenauer Ära und das politisch korrekte
Punkerinnen
. Alle angepasst und nur Karneval feiern außerhalb der Saison? Aber nee doch ...

Aber auch Ana, die große Liebe des Prot Art. Die

sagte mit leichtem Lächeln, dass man ihren Namen von hinten wie von vorne lesen könne.
Das ungenaue Zitat stammt aus Schwitters An Anna Blume,
wo’s zum Schluss heißt:„(…), Anna, A----N----N----A!/Ich träufle Deinen Namen./Dein Name tropft wie weiches Rindertalg./Weißt Du es Anna, weißt Du es schon,/Man kann Dich auch von hinten lesen./Und Du, Du Herrlichste von allen,/Du bist von hinten, wie von vorne:/A------N------N------A./Rindertalg träufelt STREICHELN über meinen Rücken./Anna Blume,/Du tropfes Tier,/Ich-------liebe-------Dir!“

Aber die Freunde Art, Kaar und Ana wollen ausbrechen und geraten in einen Sumpf, zu dem dann neben einer bestimmten Musik auch Literatur gehört wie Suprarealismus (es gibt übrigens auch einen S.naturalismus) und Hyperrealität – und da käme meine erste Frage: Baudelaire und Sartre sind geläufig, doch wer zum Teufel wäre Crowley - Clooney als Krähe?

Wenig Anmerkungen der Kleinkrämerseele:

Art war eigentlich her gekommenKOMMA um Anschluss zu finden, …

Dementsprechnend unbeeindruckt Ana.
Welch ein Monstrum , wenn auch nicht falsch. Aber muss nach der Feststellung der kleinbürgerlichen Maskerade auch bürokratisches Deutsch durchschimmern? Reicht nicht: „Ana war [oder besser: blieb] unbeeindruckt.“

Der Typ ist irgendwie süß. Denkt wirklichKOMMA dass es wahre Liebe und son Scheiß gibt.
Für den Nebensatz besser Konjunktiv I: ... Scheiß gebe.

Trotz dieses ganz und gar üblichen Anblicks dachte Art, der Himmel wäre kurz davorKOMMA etwas unglaubliches zu tun: …
und
Unglaubliches groß

Kurz: Du bringst den Text so rüber, dass selbst Beschreibungsliteratur wie das Ficken der Fingernägel einen bei der Stange hält!

Gruß

Friedel

 
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doch wer zum Teufel wäre Crowley - Clooney als Krähe?
Ich dachte mir, das wird dieser Herr sein. Eben auch nur Dorfpunkrebellion in der Grossstadt.

An Schwitters ist ja grad so schoen, dass Art das eben nicht als Zitat erkennt und wahrscheinlich ganz unabsichtlich seinen tra-Witz bringt. Fuer ihn ist das neu und besonders.

 

Bedankt,

großer Bruder,

wie der Niederländler so sagt - da is' ja all das, was das Herz so begehrt incl. Carneval Okkultist, Kabbalist, Magier, Mystiker, Poet und freischaffender Unternehmer, pardon, Verleger.

Gruß von dem,

der durch das Tal geht!

 
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Hi fiz, ja, also ich denke und wollte rüberbringen, dass es wirklich ein offenes Ende ist und unbestimmt, in welche Richtung sich die Geschichte weiterentwickeln würde. Ebenso was von den einzelnen Figuren bleibt und den Beziehungen untereinander. Da ist halt schon ne Menge kaputt und was genau da übrigbleibt und ob nach solchen Erlebnissen Freundschaft oder Liebe wieder entstehen könnte lässt sich wohl schlechterdings nicht sagen. Na ja und Art war der einzige, der eine "unverdorbene" Entscheidung noch treffen konnte, weil er zwar wie die anderen in der ganzen Sache drin steckte, aber eben von dieser schützenden Sphäre umgeben, die sein Urteilsvermögen sozusagen konservierte, das erst beim Zusammenbruch dieses Schutzes aktiviert wurde. Er ist halt das, was man einen Träumer nennt, einen Schläfer, der nicht handelnd in den Vordergrund tritt, sondern die Dinge geschehen lässt und mitmacht und im besten Fall im richtigen Augenblick erwacht und dann doch handelt. Und so ganz zerstört ist da ja niemand außer Joy. Art und die anderen sind zwar schwer angeschlagen, aber bestimmt regenerationsfähig. So sehe ich das wenigstens rückblickend, während des Schreibens habe ich das nicht so genau bedacht.

Die kursive Szene mit der Liebe muss unbedingt nochmal bearbeitet werden, ich hab da auch an Art gedacht, deswegen steht da "Wir tun es in dieser Besenkammer von Klo ..." also dieses etwas verschämte "es tun". Aber ohne Kitsch und doppelten Boden ist echt Mist. Da äußert sich wohl die Autorenstimme, die dem Leser sagt, wie das bitte verstanden werden soll.
Und das andere, was du über diese Stelle sagst, sehe ich auch so. Alles, das schwierig einbegriffen.

Mir fiel auch auf, wie der Text immer schattiger wurde, das hat sich mit der Entwicklung der Geschichte von selbst ergeben. Bei anderthalbfachem Zeilenabstand warens bei mir ungefähr 18 Seiten, und nach Seite acht und 13 wurde die Geschichte jeweils merklich unerfreulicher.

Herzhaft, Kubus -> Huch, der erste Heiratsantrag! Wie süß. (Angenommen!) :)

Hey Friedel, hoffentlich nicht das einzige echte Thema, aber eins, das mich immer wieder umtreibt, haste Recht. Find ich klasse, dass du die Geschichte mit deinem Gefallen ehrst, ich weiß noch, wie groß dein Widerwillen bei vorherigen Geschichten mit verwandten Themen manchmal war.

Genau, A-N-N-A kommt von Schwitters und nicht von Freundeskreis! Ich mag das Gedicht sehr gern, obwohl der sonstige Dadaismus nicht so mein Ding ist, diese Verse sind einfach nur geil und auch ein bisschen schön.
Okay, von Supernaturalismus habe ich noch nicht gehört, aber -ismen gibts auch wie Sand am Meer. Ich war schon erstaunt, dass es den Superrealismus (auch Hyperrealismus) gibt, denn eigentlich wollt ich den chilenischen Dichtern diesen Ordensnamen unterjubeln.

Zu den Anmerkungen komm ich noch, einen Moment bitte.

Der Typ ist irgendwie süß. Denkt wirklichKOMMA dass es wahre Liebe und son Scheiß gibt.
Da geht kein Konjunktiv. Das ist ne SMS!

Dementsprechnend unbeeindruckt Ana.

Welch ein Monstrum , wenn auch nicht falsch.

Ich lass da mal bisschen Luft ab.

Grüße
Kubus

PS: Ein- bis keinsilbig und das Mars & Toasterpatent-Ding habe ich behalten wollen. Sonst alles übernommen, bequem wie ich bin. Den Anfang ein bisschen, die kursive Liebe kaum geändert. Dass man die kursive, "stereotype Moderne" logischerweise auch aus Arts Perspektive liest, ist ein Problem. Das passt ja nun gar nicht zu ihm. Hm.

 

Toll, diese Geschichte, echt. Ein bisschen viel der (literarischen) Zitate und des Namedropings, aber das Leben, das da drumherum pulsiert, macht das vergessen. Anfangs (und dann noch einmal gegen Ende mit umgekehrten Vorzeichen) dachte ich, es würde eine Geschichte von Kain und Abel werden, aber dann wurde eine Geschichte von hier und heute, obwohl sie so ähnlich auch in meiner Jugendzeit spielen könnte.

Die Hauptbestandteile sind ja immer die gleichen: Rebellion gegen alles Bestehende, und die Ohnmacht, nicht wirklich etwas verändern zu können. Sich groß fühlen wollen, aber nicht können, weil andere schon vor ihnen Großes geleistet haben. Die Provinz wie die Großstadt sind auch heute das, was sie schon immer waren - Menschen ändern sich eben nicht grundlegend, weder im Aussehen, noch im Denken oder ihrem Tun.

Das Erwachsenwerden ist nirgendwo leicht. Primitive Gesellschaften veranstalten oft schmerzliche Riten, um dies zu kanalisieren und zu erleichtern, wir aber haben nichts dergleichen. Wir überlassen unsere Jugend ihr selbst: Wer stark ist, findet selbst den richtigen Weg, wer schwach ist, geht unter. Dabei sind Drogen nicht das eigentliche Problem – Drogen scheinen essentiell für die menschlichen Gesellschaften zu sein -, sondern der Umgang mit ihnen.

Und hier muss ich auch ein wenig Kritik anbringen: Du malst ein wenig zu sehr schwarz-weiß. Es gibt Leute, die trotz oder gerade mit Drogen Großes vollbracht haben, die alt, weise und geachtete Mitglieder der Gesellschaft wurden. Was ich sagen will: Drogen müssen nicht notwendiger Weise zerstören, oder, um ein Bild aus deiner Geschichte aufzugreifen, man muss nicht auf sie pissen, um zu überleben.

Sicher, das kann alles in diesem Fall so gewesen sein, ist auf jeden Fall vorstellbar, aber ein wenig mit moralischem Zeigefinger winkt die Geschichte schon: Zwei gehen an Drogen zugrunde, zwei überleben, weil sie ihnen entsagen. Aber sei’s drum – es muss auch politisch korrekte Geschichten geben. ;)

 

Hey Dion,

schön dass du mal wieder vorbei schaust und danke fürs toll, das geht runter, und auch für den Hinweis, dass es der Zitate zu viel sein könnte und des Namedroppings. Ich streich ja schon immer ne Menge, bevor ich poste, lass' die Geschichte ne Weile liegen und versuch mich zu disziplinieren. Eigentlich sollte sie diesmal auch etwas schlanker werden, stattdessen wurde sie noch opulenter: mehr Zitate, Namen, Subgeschichten ... Tja, die platzt wirklich aus allen Nähten. Aber sie wollte es so! Kann ich nichts machen. :)

Sich groß fühlen wollen, aber nicht können, weil andere schon vor ihnen Großes geleistet haben.
Das kann man gut auf die Literatur übertragen. Die großen Werke können so beeindruckend wirken, dass man sich nicht zu schreiben traut, weil man denkt, alles sei gesagt.

Das Erwachsenwerden ist nirgendwo leicht. Primitive Gesellschaften veranstalten oft schmerzliche Riten, um dies zu kanalisieren und zu erleichtern, wir aber haben nichts dergleichen. Wir überlassen unsere Jugend ihr selbst: Wer stark ist, findet selbst den richtigen Weg, wer schwach ist, geht unter. Dabei sind Drogen nicht das eigentliche Problem – Drogen scheinen essentiell für die menschlichen Gesellschaften zu sein -, sondern der Umgang mit ihnen.

Ja, der Umgang ist es. Klar. Alkohol zerstört ja auch viele Menschen, der weitaus größere Teil hat aber keine Sorgen damit. Das mag auch daran liegen, dass er legal, also dort konsumiert werden kann, wo die Gesellschaft ein Auge drauf hat. Das Korrektiv der sozialen Kontrolle. Ich hab' die Prots hier in Parallelgesellschaften angesiedelt, wo es im Regelfall kein Korrektiv gibt.

Drogen müssen nicht notwendiger Weise zerstören, oder, um ein Bild aus deiner Geschichte aufzugreifen, man muss nicht auf sie pissen, um zu überleben.

Nein, nein. Es gibt ja immer Ausnahmen.

Sicher, das kann alles in diesem Fall so gewesen sein, ist auf jeden Fall vorstellbar, aber ein wenig mit moralischem Zeigefinger winkt die Geschichte schon: Zwei gehen an Drogen zugrunde, zwei überleben, weil sie ihnen entsagen. Aber sei’s drum – es muss auch politisch korrekte Geschichten geben.

Ey! Nimm das PC zurück! :D Gewollt wäre der Zeigefinger jedenfalls nicht, wie du dir sicher denkst, bisher hab ich das auch nicht so gesehen. Und es stirbt nur Joy. Irgendwie musste ich die Geschichte enden lassen, und ich habe mich schon bemüht, das Ende möglichst offen zu gestalten. Wie es Kaal und Ana gehen wird, wissen wir ja nicht. Aber die Geste von Art setzt schon ein deutliches Statement, ja, aber was wäre die Alternative? Für mich passt das so.

Grüße!

 

Ich streich ja schon immer ne Menge, bevor ich poste, lass' die Geschichte ne Weile liegen und versuch mich zu disziplinieren. Eigentlich sollte sie diesmal auch etwas schlanker werden, stattdessen wurde sie noch opulenter: mehr Zitate, Namen, Subgeschichten ... Tja, die platzt wirklich aus allen Nähten. Aber sie wollte es so! Kann ich nichts machen. :)
Fehlt jetzt nur noch, dass du sagst: Nicht ich habe die Geschichte geschrieben – sie hat mich geschrieben (echt erlebt bei einer Lesung!). :D

Alkohol zerstört ja auch viele Menschen, der weitaus größere Teil hat aber keine Sorgen damit. Das mag auch daran liegen, dass er legal, also dort konsumiert werden kann, wo die Gesellschaft ein Auge drauf hat. Das Korrektiv der sozialen Kontrolle. Ich hab' die Prots hier in Parallelgesellschaften angesiedelt, wo es im Regelfall kein Korrektiv gibt.
Die Konsequenz daraus kann eigentlich nur heißen: Legalize it!

Es gibt ja immer Ausnahmen.
Nein, die Ausnahme ist der Tod durch (illegale) Drogen.

Aber die Geste von Art setzt schon ein deutliches Statement, ja, aber was wäre die Alternative? Für mich passt das so.
Lass dich nicht beirren – das Ende ist schon okay, zumal eine Alternative (eine weitere Person, die unter Drogeneinfluss einen Bestseller :D schreibt?) die Geschichte komplett verändern würde.

 

Nur noch kurz.

Kubus: Es gibt ja immer Ausnahmen.
Dion: Nein, die Ausnahme ist der Tod durch (illegale) Drogen.

Stimmt, mein Lesefehler. Tödlich gehts meist nicht aus. Aber zerstörerisch kanns schnell werden, das wollte ich gesagt haben! :)
Der kann daran liegen, dass es zumindest von mir nichts so angelegt war, dass Art sich durchs "drauf pissen" vor dem Tod rettet. So weit ist es bei denen ja noch nicht gewesen.

 
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Hey Kubus,

um es mit Deinen Worten zu sagen:

Kubus schrieb:
Na ja und Art war der einzige, der eine "unverdorbene" Entscheidung noch treffen konnte, weil er zwar wie die anderen in der ganzen Sache drin steckte, aber eben von dieser schützenden Sphäre umgeben, die sein Urteilsvermögen sozusagen konservierte, das erst beim Zusammenbruch dieses Schutzes aktiviert wurde. Er ist halt das, was man einen Träumer nennt, einen Schläfer, der nicht handelnd in den Vordergrund tritt, sondern die Dinge geschehen lässt und mitmacht und im besten Fall im richtigen Augenblick erwacht und dann doch handelt. Und so ganz zerstört ist da ja niemand außer Joy. Art und die anderen sind zwar schwer angeschlagen, aber bestimmt regenerationsfähig.

Ja, so habe ich Art Deiner Geschichte erlebt und könnte es selbst nicht besser in Worte fassen.
Ich bin gern mit Deinen Vieren das Stück ihres Weg gegangen. Tolle Charaktere hast Du da eingeführt, beleuchtet und zusammengestellt. Es war mir ein Fest.
Und bevor ich jetzt auch feirefiz endlos zitiere, weil sie meinem Leseempfinden sehr nah kommt, mach ich mich lieber in den Text ;).

Die Band schoss Mucke in die Menge, akustische Stahlmantelgeschosse, man konnte kein gesprochenes Wort verstehen.

Finde ich jetzt nicht ganz so geschickt - will mir als Doppelung stilistisch nicht gefallen.

Nicht wie die anderen Mädchen auf dem Saufgelage. Punkerinnen und Gotische, behängt wie Christbäume. Sie hatte keine Nieten ...

wenn schon wie Christbäume (was ich echt altbacken finden) dann behangen wie ...
"auf dem Saufgelage" finde ich auch überflüssig
Besser tät es mir gefallen: Nicht wie die anderen Mädchen; die Punkerinnen und Gotischen. Sie hatte ...

"Und von hinten?", fragte sie. Entschuldigte sich und querte die hopsende und pogende Masse Richtung Toilette.

querte Richtung Toilette?

"Lassen wir das Spiel beginnen!" Säuselte ein mittlerweile leicht angetrunkener Art.

Würde ich streichen, passt nach meinem bisherigen Empfinden auch nicht zu Art.

Prüfte dann ihre Schönheitsfehler. Der Leberfleck usw. Alle da.
:)
Auf Kaals Stirn steilten Falten des Unglaubens, er schämte sich für Art,

steilten Falten? oha - wie immer das aussieht :)
aber - feiner Zug für die Unterschiede zwischen den beiden, mag ich

wischte Bier vom Tresen in die Haare, damit sie hübsch glänzten

Kaal weiß aber schon, dass Frauen/Mädels das eher eklig als erotisch finden, oder?

... und krempelte unauffällig beide T-Shirtärmel hoch. Jetzt waren auch die Tätowierung auf dem rechten Oberarm und die hügeligen Gelände rund um Tri- und Bizepse zu sehen.

Das klingt schon eher nach Gegenangriff, auch wenn man dazu die entsprechenden Ansprechpartnerinnen benötigt ;) Kann er ja noch nicht wissen, dass Ana da die falsche ist, deshalb - schön!

Ana reagierte auf Arts hilflose oder mutige Anmache anders als Kaal gedacht hätte. (Antwortete stimmlos, aber überzeugend.) Als sie ihre Zunge für einen Moment aus Arts Mund nahm, sagte er, wie wunderschön und außergewöhnlich sie sei.

Wer ist er? Ich hab immer noch an Kaal geklebt und war doch irritiert.
Streichungen entsprechen natürlich meinen Vorlieben ... weißt schon

... die ersten Nichtschulbücher seines Lebens las und erstaunliche Erkenntnisse über das Zueinanderpassen von Anas und seiner Anatomie gewann.

Literatur und Sex - dass nenne ich mal ne Kombi :)

... die Eintrittskarte in eine neue Welt. Genauer gesagt waren es sogar zwei Karten für drei Welten.

Schön!

Sie vernichteten mit den anderen Couch-, Gras- und Videosüchtigen riesige Vorräte von Tiefkühlpizzen, Literpackungen Eis, Schokolade in allen Form- und Geschmacksvariationen; zogen sich Asterix und Obelix auf Schwäbisch, Kölsch und Plattdeutsch rein, lachten bis nichts mehr ging, diskutierten die drängenden Probleme der Menschheit, entwickelten Masterpläne zur Rettung von Universum und gutem Geschmack und hatten am nächsten Morgen alles vergessen.

Toll!

Die Art und Ana Welt bestand wochenlang nur aus Zungen auf zarter Haut, leisen Melodien und harten Rhythmen, aus Schweiß und anderen Feuchtigkeiten, seinem Riesenschwengel, wie Ana ihn taufte, und ihrem Geschlecht, das ihn namenlos vereinnahmte. Das vierarmige und -beinige Doppelkopfwesen Art und Ana war nach stundenlangem Spiel so ineinander verschlungen, dass manchmal erst der zweite Blick verriet, wo der eine aufhörte und die andere begann.

Außer, dass ich den Riesenschwengel als reichlich unkreativ ansehe, gefällt mir der Absatz außerordentlich gut.

In den nächsten Tagen löste sich die Ana-Silhouette auf, er stemmte sich gegen die zunehmende Unvollständigkeit, fiel auf den Boden der Tatsachen, blieb etwas trotzig sitzen und wartete, dass ihm jemand die Hand zum Aufstehen reiche.

Schön! Könnte ich an so vielen Stellen schreiben übrigens.

schufteten tags und lernten nachts(x), um der Geliebten aus der besseren Gesellschaft würdig zu werden.

Leerzeichen zuviel

Zeitgenössischer Literatur fehle Echtheit, behauptete Kaal, als sie auf ihren Streifzügen am Hafen angekommen waren

klingt komisch für mich

Dutzende mehr, die er immer wieder traf und erkannte, ohne dass ihm ihre Namen einfielen. (Art vergaß sie schnell oder merkte sie nicht.) Das war ihm unangenehm, ...

Braucht es für mich nicht.

Sie schnappte sich Kaal, zog ihn auf die Tanzfläche, (sie waren in einem dieser vollgestopften Clubs, die die ganze Nacht Minimal-Techno spielen,) und betanzte ihn wie eine Go-Go-Tänzerin ihre Stange.

dito -hält irgendwie nur auf an der Stelle

Kaal verbrachte die Zeit mit, auf und in Joy, ...

kurz, knapp und absolut klar :)

Ana hatte einen Zweitschlüssel zur Wohnung und brachte jedesmal den Einkauf mit, also das, was Joy moch zu essen bereit ...

Das Ende hat mich tatsächlich nicht befriedigt. Den Abgang von Kaal fand ich gut. Da kann man sich jetzt vorstellen, er geht ins Wasser und wieder heraus kommt oder er wird Fischer oder Umweltschützer oder Familievater, für ihn lässt Du wirklich alles offen. Den anderen beiden nimmst Du diese Offenheit, besonders Art, indem Du ihn auf die Droge pissen lässt. Das ist ein eindeutiges Statement und will mir nicht gefallen. Für mich könnte auch Art gut die Wohnung verlassen, Drogen und Ana erstmal zurücklassen, ob er wiederkommt, ist ja erst mal nebensächlich. Vielleicht versucht sich ja Art an einer Geschichte, ob er da überhaupt ein Wort zustande bringt - auch egal. Vorschlag.

Sehr gern gelesen! Wäre schade, hättest Du sie wieder raus genommen ;).

Beste Grüße Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Fliege!
Ursprünglich hatte ich ein Ende, in dem Art sich aus dem Staub macht. Aber das war mir zu schwach, außerdem haut Kaal schon ab, Joy ist tot und Ana - keine Ahnung. Art pisst aufs Dope, okay. Eine starke Geste, mehr ist das eigentlich nicht. Was danach kommt, ist nicht vorgezeichnet. Das Ende hat sich dieses Mal aus der Geschichte entwickelt und das find ich auch ganz gut. Als einzige Alternative sehe ich einen bösen Art, der den Traum vom brennenden Schloss wahr macht und das Haus mit Ana und vielleicht sich selbst darin abfackelt.
Freut mich, dass du gern mitgegangen bist und danke für das Lob. Ja, jetzt bin ich auch froh, sie nicht wieder gelöscht zu haben. Ich wollte nur nicht, dass sich jemand erbarmt, weil sie 0 Antworten hat. Dafür hab ich zu viel Arbeit reingesteckt.
Vielen Dank für den Textkram! Ich schau mal, wozu mir gleich was einfällt.

wenn schon wie Christbäume (was ich echt altbacken finden) dann behangen wie
Stimmt, Bezugsfehler. Christbaum hat diesen religiösen touch, deswegen vllt altbacken. Tannenbaum könnt ich nehmen. Aber der klingt karger.
Würde ich streichen, passt nach meinem bisherigen Empfinden auch nicht zu Art.
Na, der ist eben beschwipst. Danach erzählt er Ana ja auch Sachen, die er sonst nicht sagt.
steilten Falten? oha - wie immer das aussieht
Ich denk mir die so fast senkrecht. Ist aber schon ne sprachliche Extravaganz. Weiß nicht, ob ich mir die nochmal abgewöhne oder ob ich das will.
wischte Bier vom Tresen in die Haare, damit sie hübsch glänzten
Kaal weiß aber schon, dass Frauen/Mädels das eher eklig als erotisch finden, oder?
Nee, Kaal denkt, Frauen finden das dufte! ;)
Wer ist er? Ich hab immer noch an Kaal geklebt und war doch irritiert.
Streichungen entsprechen natürlich meinen Vorlieben ... weißt schon
Ja klar. Fühl dich frei. :) Aber da kommt schon noch ein Art dazwischen, habe ich gesehen.
Außer, dass ich den Riesenschwengel als reichlich unkreativ ansehe, gefällt mir der Absatz außerordentlich gut.
Was es da an Bezeichnungen gibt, ist doch alles scheiße.
klingt komisch für mich
Streifzug, ja. Auch nicht so gebräuchlich. Vorschlag?
Die beiden Streichvorschläge weiter unten sehen gut aus. Ich schau morgen nochmal über den Text.

Abhauen fänd ich doof, weil Kaal schon abhaut und zumindest meine Weglaufszene war ziemlich dünn und hat das Ende völlig verwässert. Und ja, er könnte eine Geschichte zu schreiben versuchen, aber das wäre auch ein Sinneswandel, die treibende Kraft war Kaal. Ansonsten wie oben geschrieben.

Danke fürs Vorbeischauen und beste Grüße zurück!

PS: Beides gestrichen. Sein Riesenteil auch -> war ne Verirrung.

 

Hey Kubus,

nach dieser Geschichte bin ich ganz schön erschlagen. Du feuerst hier eine Leidenschaft ab, die wirklich ihresgleichen sucht. Vor vielen gefundenen Formulierungen kann ich nur meinen Hut ziehen.
Aber dieses erschlagen-sein ist nicht nur positiv. So habe ich die Geschichte zum Beispiel nicht in einem und nicht in zwei Durchläufen geschafft. Das ist alles ganz schön dicht. EIn Freudenfeuer des Stils zwar, aber so geballt, dass die Freude am Schreiben zuweilen vor der eigentlichen Geschichte zu stehen scheint. So habe ich das zumindest erlebt. Wie ein grelles Musikvideo, astrein und sauber aufgenommen, aber unheimlich schnell geschnitten und man kommt gar nicht dazu jedes einzelne Bild zu würdigen, weil so viele in so rascher Folge aufeinander folgen. Die Passagen scheinen gegeneinander zu wetteifern. Das ist schon etwas schade. In meinen Augen hätte es hier etwas der Auflockerung bedurft. EIn bisschen runterfahren. Nicht nur upper, sondern auch mal einen downer ;)
Man stumpft sonst beim Lesen etwas ab. Zumindest erging es mir so. Vielleicht ja auch nur mir.
Die Geschichte selbst verdient auch Hochachtung, hast du für mich schlüssig und nachvollziehbar hinbekommen. Das Aufbegehren, den Sog, das Versumpfen. Respekt.
Dass die Geschichte Gift heißt, finde ich etwas unglücklich. Das ist dann wirklich etwas zu sehr Zeigefinger. Und das braucht die Geschichte gar nicht. DIe Message kommt auch ohne zurecht. Bei diesem hier abgegebenen Feuerwerk, glimmt vielleicht noch irgendwo ein Funken, der für den Titel besser geeignet ist?!

grüßlichst
weltenläufer

 

Moin weltenläufer

oh, das klingt ganz fantastisch, was du über die Geschichte zu sagen hast, auch dass sie ein bisschen widerspenstig ist, das find ich gut, die ist halt dicht gestrickt und fordert den Leser. Ja, die Leidenschaft. Leidenschaftliche Menschen faszinieren mich, die hellen das Einerlei jedes Kastratenjahrhunderts auf, ob die jetzt Fixsterne werden, verglühen oder sich mit kleinen Wahrheiten bescheiden. Das Fehlen derselben wird ja von Kaal auch wortreich beklagt, allerdings kommt er ja selbst nicht über die Kritik hinaus. Ich bin ganz beeindruckt, dass du nach zwei Anläufen noch einen dritten genommen hast, so viele Chancen gebe ich einer Geschichte normalerweise nicht. Freut mich umso mehr.

Wie ein grelles Musikvideo, astrein und sauber aufgenommen, aber unheimlich schnell geschnitten und man kommt gar nicht dazu jedes einzelne Bild zu würdigen, weil so viele in so rascher Folge aufeinander folgen.

Deine Beschreibung erinnert mich an irgendeinen Bourne-Teil, den ich im Kino gesehen habe, ich glaube das war der dritte. Ich fand die vielen Schnitte und die Geschwindigkeit auf Dauer ziemlich nervig und anstrengend. In der Literatur geht es mir anders, da mag ich diesen Stil äußerst gern, aber dort kann ich Geschwindigkeit und Häppchengröße auch selbst bestimmen.

Und es ist auch immer der Wille zu Verdichtung und Vielfalt, da noch ne geile Formulierung reinzubringen oder ein starkes Bild und das alles nochmal zu verknappen etc. Aber ich glaube genau zu wissen was du meinst: Ne schlankere Prosa, die Atempausen erlaubt. Versuch ich grad. (Diesmal scheints auch was zu werden, vor Gift hatt ichs ja auch vor.)

Ja, und der Titel, Gift. Das ist natürlich herb und einseitig, schließlich kann ja gleichwelche Substanz nichts dafür, dass die Dosis übertrieben wird. Aber in der Welt der Geschichte sind Opiate Gift und deswegen passt der und wenn das Ende auch als Zeigefinger-Statement verstanden werden kann, ists ja wenigstens rund so.

Dank Dir!

Kubus

 

Hey Kubus,

krass, das Teil.
Habs jetzt in einem Zug gelesen und brauchte nicht mehrere Anläufe wie weltenläufer und trotzdem fühlte ich mich wie er von dem ganzen in den Boden gerammt. Hierbei trägt die Sprache die Schuld, teilweise fand ich sie wirklich schön, gerade bei den Liebesszenen, dann wenn die Prots versuchen besonders geistreich zu sein und besonders authentisch, klingt die Sprache besonders künstlich und unnatürlich konstruiert. Irgendwo passts dann auch, gerade wegen der chemischen Substanzen, bleibt ja nicht nur beim Opium.
Mir gefallen auch die Figuren, Art und seine Artgenossen, höhö.

Thema mag ich nicht so - also Drogengeschichten, fehlende Identifikation und so. Kann mich halt damit nicht anfreuenden, wobei ich jetzt ehrlich gestehen muss, dass einer meiner Lieblingsbücher ein Drogenbuch ist und von einem Drogenkonsumenten geschrieben wurde.

Das Ende fand ich jetzt nicht moralinsauer, es kommt ja auch mal dazu, dass man auf die Drogen pisst, warum darf das mal nicht klar in einer Geschichte geschrieben werden - hat nix mit PC zu tun. Schließlich ist das auch in der Realität der Fall, sonst hätten wir bestimmt mehr Drogenleichen.

Ich bin jetzt paar mal gesprungen, weil ich gar nicht wei´ß, wo ich anfangen soll und wo ich mit meiner Kritik enden soll.
Vielleicht sollte ich damit anfangen, dir zu sagen, was mir am besten gefallen hat: Mir hat Arts Weise gefallen, seine Liebe zu Ana und das Ende, da war alles für mich so schön greifbar, weiß auch nicht warum. Veilleicht weil Kaal nicht mehr da war.
Und das Bermudadreieck? Hab auch schon was davon gehört, ist das nicht in Bochum? Oder war das Bottrop, kann die zwei Städte nicht auseinanderhalten. :D Ich weiß, dass in Bottrop Movie Park ist und Bochum hat die Uni mit den meisten Selbstmördern.

Gute Geschichte. Bis dann!


JoBlack

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Jo

Das Ende fand ich jetzt nicht moralinsauer, es kommt ja auch mal dazu, dass man auf die Drogen pisst, warum darf das mal nicht klar in einer Geschichte geschrieben werden - hat nix mit PC zu tun.

Puh, Schwein gehabt. Mehr muss ich gar nicht wissen. ;) Nee, freut mich ehrlich. Ich habs auch nicht so sehen wollen, aber man ist ja kein guter Beurteiler für den eigenen Text.

In den Boden gerammt klingt ziemlich herb, aber ich finds gut, dass die das hingekriegt hat.

Hierbei trägt die Sprache die Schuld, teilweise fand ich sie wirklich schön, gerade bei den Liebesszenen, dann wenn die Prots versuchen besonders geistreich zu sein und besonders authentisch, klingt die Sprache besonders künstlich und unnatürlich konstruiert. Irgendwo passts dann auch, gerade wegen der chemischen Substanzen, bleibt ja nicht nur beim Opium.

Die Tonarten wechseln um den Persönlichkeitswandel zu illustrieren. Das ist was ich als Kern verstehe: Den Verlust einzigartigen Erlebens und der Sprache, wie feirefiz sagte, hin zu Leere und Künstlichkeit.

Mir gefallen auch die Figuren, Art und seine Artgenossen, höhö.

:D Trotzdem du mit deren Identifikationsproblemen nichts anfangen kannst. Kaal steigert sich voll rein, die anderen wollen einfach nur ihre Scheibe vom Leben abhaben -> die haben keine Vorbilder und kein wohin.

Thema mag ich nicht so - also Drogengeschichten, fehlende Identifikation und so. Kann mich halt damit nicht anfreuenden, wobei ich jetzt ehrlich gestehen muss, dass einer meiner Lieblingsbücher ein Drogenbuch ist und von einem Drogenkonsumenten geschrieben wurde.

Damit muss man sich auch nicht anfreunden behaupt ich mal. :) Die meisten Geschichten die ich in der Richtung kenne sind grottenschlecht. Als Erfahrungsbericht interessant, aber eigentlich reicht es, eins gelesen zu haben. Da wird ja immer das gleiche Thema ausgewalzt. Und wenn ich da an manche unlesbaren Dinger denke schüttelts mich.

Und das Bermudadreieck? Hab auch schon was davon gehört, ist das nicht in Bochum? Oder war das Bottrop, kann die zwei Städte nicht auseinanderhalten.

Alles Pott, ne? Ich habe von ein paar Kneipen in Bremen gehört, die zusammen Bermudadreieck genannt werden. Sind bestimmt nicht die einzigen.

Danke fürs vorbeischauen! Freut mich sehr dass die Geschichte gefallen hat.

Kubus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Kubus!

Das ist ohne Zweifel eine tolle Geschichte. Was mir auffällt: Sie wird mit zunehmender Länge immer besser, was auch heißt, die ersten zwei Absätze find ich nicht so toll, da drückst du zu sehr auf die Tube – als hätte sich Arts Unsicherheit auch auf dich übertragen und du dich mit gewagten Bildern und Vergleichen des Lesers unbedingt versichern wollen. ;)

und durchfegte den kleinen Saal wie farbsüchtige Derwische auf voller Mischpalette
das zum Beispiel

Es ist eine coming-of-age-Geschichte, es geht um den Punkt im Leben, in der Jugend, an dem es um ALLES geht, an dem man alles ausprobieren will, gleichzeitig gibt es auch so viele kleine Geschichten in der Geschichte, Geschichten, aus denen man lernen kann, wie es möglicherweise ausgeht, das Leben.

Es geht nicht nur nebenbei auch um Literatur, ums Schreiben, um das Verhältnis vom Schreiben zum realen Leben. Es geht um die Lebensgeschichten, die man noch vor sich hat, und den NAMEN, den man erhält, der einen kennzeichnet – Kaal ist der Aufreißer, der Aktive und Art der Träumer, der Inaktive, der letztlich Kaal immer folgt, aber doch mehr als Kaal immer ganz bei sich bleibt, sich nie ganz verrät, auch nicht an die Drogen, sich nie ganz auf die Drogenscheiße einlässt. – Es geht um Lebens- und vielleicht auch Kunstprinzipien: das eine Prinzip vertritt Kaal, der Macher, der Aktive, der sich aber verliert, der die Kunst und die Liebe nie ganz ernst nimmt, sie instrumentalisiert, mit ihr handelt, er ist auch der Spieler, der probiert, das andere Prinzip vertritt Art, der Kreative, der, der nahe an der Quelle sitzt, sich sein Leben träumt, (ich nehme mal an, die beiden kursiv gesetzten Texte sind von ihm), aber nicht fähig zum Handeln ist. Er wehrt sich nicht gegen den Verrat, den Kaal und Ana an ihm begehen, aber er beobachtet sie, auch nach dem Tod von Joy beobachtet er einfach nur die Szene. Er ist der ideale Autor, ein großer, aber inaktiver Beobachter, auch ängstlicher, zögerlicher, sensibler als Kaal, alles wie ein Schwamm aufsaugend, was ihm an Leben geboten wird, aber irgendwie auch immer ein Stück weg: Er geht auf Distanz zum Leben mit Kaal (erste kursive Stelle) und zum Leben mit Ana (zweite kursive Stelle), indem er darüber schreibt. Ich hab mich lange gefragt, was alle kursiven Stellen miteinander verbindet: Die SMS von Ana und Joy, der Brief von Kaal am Ende sind immer an jemanden gerichtet, während die Stellen, die offensichtlich Art zuzuschreiben sind, an niemanden Bestimmten gerichtet sind. Ana und Kaal sind kommunikativ, Art bleibt letztlich ganz bei sich, kreist um sich. Er schreibt es um der Kunst willen, wenn man so will. Es ist ganz subjektiv. Bei Art hat man auch das Gefühl, dass er alles (vor allem auch die Liebe) ganz unvermittelt erlebt, was heißt, er übernimmt keine fremden Gefühle, keine fremden Rollen, er bleibt immer er, in seiner Naivität, dem Leben zu begegnen.
Am Ende folgt er Kaal in der Entscheidung, keine Drogen mehr zu nehmen, von sich aus hätte er es vielleicht nie gemacht, er ist zwar immer ganz bei sich, lässt sich aber bei äußeren Entscheidungen von den anderen beeinflussen. Vielleicht auch, weil er zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist.

Was den Aufbau der Geschichte betrifft, so fällt auf, dass ihre Oberfläche ziemlich zersplittert ist, was aber nicht stört, sondern ihr Tempo gibt.


da sind noch einige Fehler drinnen:

und zeigten deutlich genug auf seine Hochwasserhose, dass er trotz des Lärms auch etwas davon hatte
ich würde hier "damit" statt "dass" wesentlich besser finden
Art war eigentlich her gekommen um Anschluss zu finden
zusammen und Komma: hergekommen, um ...
und rammte Art in die rätselhafte Schicht irgendwas
hier groß: Irgendwas
Kaal fragte wie sie heiße
Komma: fragte, wie ...
Nurmehr hüstelnd fragte sie
getrennt: nur mehr
Art war nicht so siegesgewohnt und weniger -sicher
ich finde den Auslassungsstrich hier sehr störend
Kaal hätte zwar eine, dürfe aber Rummachen und mehr
den ersten Konjunktiv weg: hatte zwar eine ... klein: rummachen
und machte noch was clowneskes
groß: Clowneskes
Ana reagierte auf Arts hilflose oder mutige Anmache anders als Kaal gedacht hätte
Komma: anders, als ...
Dass sie dich mir weggenommen hat werd ich ihr nie verzeihen
Ich vermute mal, dass Joy keine Kommas macht in ihren SMS ;)
auf dem für einen sechzehnjährigen erstaunlich muskulösen Oberarm
groß: Sechzehnjährigen
Eingabegerät mit kitzligeren Sensoren als sie betrunkene Dreizehnjährige haben
Komma: Sensoren, als
lachten bis nichts mehr ging
Komma: lachten, bis...
Tage- und Nächtelang hocken wir neben
klein: nächtelang
ziehen mit kölsch quatschenden Galliern los
groß: Kölsch
Die Art und Ana Welt bestand wochenlang
mit Bindestrichen: Die Art-und-Ana-Welt
Durch die Jalousien in der Küche schneiden Lichtgaben in die Rauchschwade
Lichtgarben
Das vierarmige und -beinige Doppelkopfwesen Art und Ana war nach stundenlangem Spiel so ineinander verschlungen, dass manchmal erst der zweite Blick verriet, wo der eine aufhörte und die andere begann
wieso? sieht jemand zu?
Denkt wirklich dass es wahre Liebe
auch Ana macht keine Kommas ;)
alles was uns in den Sinn kommt, ist grenzenlos
Komma: alles, was ...
die durchs Reich der Gartenzwerge stampften und ihren eigenen Herzschlag
Komma: stampften, und ...
Sie drückte ihm eine kleine Kiste aus Erinnerungen
„aus“ würd ich streichen
"Nicht schick. Unbedingt nötig! Die andere Seite des Schreibens heißt Leben. Man muss von der Realität nehmen, um Literatur zu machen. Und dazu gehören auch die weniger gut ausgeleuchteten Orte. Hinein in Kneipen, Puffs und Drogenhöhlen! Überleben, um davon zu erzählen!"
ich dachte, die hängen den Suprarealisten an
was ich sehe missfällt mir
Komma: sehe, missfällt
Laster- und Triebhaftes Verhalten
klein: triebhaftes
Und zumeist höchstens halb so kaputt wie sie zu sein vorgeben
Komma: kaputt, wie
Fünf Minuten Redezeit hat jeder Lesebühnenaktivist
hatte
Zog etwas flaches, in eine Tüte eingewickeltes,
groß: Flaches, Eingewickeltes
rannte was das Zeug hielt über
Kommas: rannte, was … hielt, über
dass er ihn zum Trinken einlüde
entscheid dich durchgehend für den Konjunktiv I
Am besten funktioniere nicht suchen im Dunstkreis von Drogen
groß: Nicht-Suchen
Erst dann können wir den Styx hinauf rudern
zusammen: hinaufrudern
Erst dann können wir den Styx hinauf rudern und Nachricht vom Urquell in die gegenwärtige Sprache übersetzen", sagte Kaal
ein später Romantiker ;)
die Spitznamen hatten als entstammten sie pastelligen Comicwelten
Komma: hatten, als …
Dort wurden Partner getauscht, schwarze Klamotten getragen und Kurzhaarschnitte, Sartre, Crowley und Baudelaire verehrt. Das Ganze zu einem antibürgerlichen Lebensstil stilisiert, den zumeist gutbürgerliche Eltern bezahlten, der Staat oder, wie in Joys Fall, Freier
kommt mir anachronistisch vor – das spielt doch in der Jetzt-Zeit, oder?
Joy steckte tiefer in der Scheiße als sie wahrhaben wollte
Komma: Scheiße, als …
die Wangenknochen traten hervor wie bei hungernden Lagerinsassen, verdeckt durch riesige Augenringe
das ist unlogisch: die Wangenknochen treten hervor und werden gleichzeitig durch Augenringe verdeckt?
Da war sie wieder, die Unendlichkeit. Beide wussten es, spürten es. Und wer unendlich ist, der fürchtet nichts. Auch keinen Zug von Kaals Pfeife
sehr gut!
Ana legte Joy in die stabile Seitenlage
unschöne Wortwiederholung
Gedichtbuch von Neruda gelegen und die Notiz, das alles ungerecht sei
dass
er spürte wie sie es in den Mund nahm
Komma: spürte, wie …
dass er nicht wagen solle, aufzuhören
ohne Komma
Nachdem sie das Opium in einem letzten Exzess ausgekostet haben
ausgekostet hätten
Ana und Kaal sahen ihn an als wäre er ein Marsmensch
Komma: an, als …
Irgendetwas ging kaputt
soviel Erklärung braucht es nicht, würd ich streichen
der Himmel wäre kurz davor etwas unglaubliches zu tun
Komma und groß: davor, etwas Unglaubliches

Gruß
Andrea

Edit: In Wien gibt es auch ein Bermudadreieck, ja, ich denke, es ist sogar die Mutter aller Bermudadreiecke! :D

 

Hi Andrea

So eine umfassende und tiefgehende Kritik ist klasse. Ich hab die echt gern gelesen, du hast ja auch nochmal Anderes ausgeleuchtet, und schreibe mal einfach, was ich zu paar deiner Gedanken denke.

Die sind außer Joy alle an einem Punkt, von dem aus alles möglich ist, aber wenigstens in der Geschichte wachsen sie nicht heran, suchen ja die Schwelle nicht einmal, die vielleicht einen Übergang bedeuten könnte in das Erwachsenenleben. Nur Treibenlassen und Lippenbekenntnisse und Mitmachen. Die zu Beginn vorhandene Echtheit verliert sich immer mehr in den Verstrickungen von Liebe oder was dafür gehalten wird, Literatur und dem Gift. (Opiate werden übrigens tatsächlich auch Gift genannt, wenn das also ein Zeigefingerwort ist, dann zeigen sich die Konsumenten mit dieser Benennung den Finger selbst.)
Man kriegt ja in manchen Gesellschaften mit der Initation in die Gemeinschaft der Erwachsenen einen neuen Namen, das Thema hat Dion aufgebracht, und du hast Namen jetzt so hervorgehoben, da fiel mir ein, dass die hier alle so künstliche Namen haben und dass ich die so benannt habe, damit die in diese übersteigerte Szenerie passen. Wundert mich im Nachhinein, dass sich niemand dran gestört hat.
Das mit den Kursiva ist spannend. Ich schreibe die mittlerweile auch Art zu, obwohl die beiden Stellen nicht zu seinem sonstigen Ton in der Geschichte passen, wo er ja eher über die eigenen Worte und die Naivität stolpert. Aber das kann beim Schreiben anders sein, aye. Während Kaal instrumentalisiert, vielleicht weil er die ganze Sache cool findet, schreibt Art möglicherweise aus einem anderen Bedürfnis heraus, zum Distanz schaffen, wie du sagst, das hatte ich seltsamerweise nicht auf dem Schirm, aber das passt.

Ja, der Aufbau.

er übernimmt keine fremden Gefühle, keine fremden Rollen, er bleibt immer er

Jo schrieb ja auch von fehlender Identifikation. Bis vor kurzem wusste ich mit diesem Wort, Identifikation, gar nichts anzufangen. Jetzt denke ich da manchmal drüber nach.

wieso? sieht jemand zu?

Da sind nur Art und Ana, die geraten durcheinander.

ich dachte, die hängen den Suprarealisten an

Von denen leiten die sich ab. Suprarealismus gibt es im Deutschen nicht, so weit ich das überblicke.

das ist unlogisch: die Wangenknochen treten hervor und werden gleichzeitig durch Augenringe verdeckt?

So soll das nicht sein. Das habe ich gestern glaub ich schon geändert.

Die meisten deiner Punkte übernommen. Danke fürs Rauspicken.

Ich hätte in Wien ja eher die Mutter aller Kaffeehäuser vermutet. Das Muster aller Bermudadreiecke? Nicht so gierig, Oida! :lol:

Grüße
Kubus

 

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