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Gier
„Würdest du mir bitte den Zucker reichen?“
Charles Greed blickte ausdruckslos von seinem Teller zu der anderen Seite des Tisches auf. Diese verdammte Zicke, dachte er, wie gerne würde ich ihr gleich hier den Hals umdrehen. Amanda schaute ihn an wie eine Schlange ihre sichere Beute, senkte das Kinn und hob verächtlich die Brauen.
„Zu deiner Rechten, Schatz.“
In ihrem Tonfall entdeckte Greed eine ähnliche Färbung. Allein ihr Anblick löste Stress bei ihm aus, dabei hatte sie mit ihren fünfunddreißig Jahren durchaus mehr als nur ein appetitliches Aussehen. Zu seinem Glück beließ sie ihre täglichen Gemeinsamkeiten bei einem Frühstück. Das Personal sollte nicht unangemessen über ihre eheliche Beziehung tratschen, auch wenn es das sicher tat. Greed war dieser äußere Anschein eines respektvollen Miteinander aber durchaus recht. Und ihre gesellschaftlichen Auftritte begrenzten sich auf ein gemeinsames Erscheinen. Jeder hatte seine eigenen Gesprächspartner. Er griff nach der zart dekorierten Zuckerschale und stellte sie mit einer ruhigen Bewegung neben ihre Kaffeetasse.
„Bitte, Schatz.“ Er hielt seinen Ton bewusst neutral.
Amanda nickte stumm, entnahm zwei Stückchen Würfelzucker und ließ sie beiläufig in die schwarze Flüssigkeit plumpsen. Dann widmete sie sich wieder dem Studium eines Klatschblattes.
Greed blickte sie noch einen Moment nachdenklich an. Ihr Gesicht war gleichmäßig, die Haut wirkte weich. Aber ihre Augen waren mit den Jahren hart geworden, die Frisur wirkte wie aus Stein gemeißelt und die übermäßige Verwendung von Make-up erschien ihm billig. Das sie ähnlich abschätzig über ihn dachte, hatte sie in unzähligen wüsten Beschimpfungen schon ausreichend bewiesen. Und Amanda hatte sicherlich schon alle Bezeichnungen für ihn benutzt, zu denen ihr Wortschatz fähig war. Es berührte ihn in der Regel nicht. Die Bezeichnung ´gelecktes Arschloch´ dagegen traf ihn schon. Er war ein attraktiver Mann in einem begehrenswerten Alter. Achtunddreißig Jahre jung, gepflegt, gut gekleidet. Sein Gesicht war nahezu faltenfrei, die Nase dünn und gerade, die wasserblauen Augen von ungewöhnlicher Helle. Diese Beleidigung konnte er ihr bis zum jetzigen Tage nicht verzeihen.
Ja, sie waren mal zwei mit Hormonen vollgepumpte Dummficks gewesen, die keine Ahnung hatten, ob sie sich überhaupt mochten oder miteinander existieren konnten. Nach dem ersten Strohfeuer aber weiteten sich die Abgründe zwischen ihnen zusehends zu einer unüberbrückbaren Kluft aus und fanden ihren Höhepunkt in der Geburt ihres Sohnes und den damit verbundenen leidlichen Pflichten, auch wenn sein rapide steigendes Einkommen dieser lästigen Bürde Grenzen setzen konnte. Und wenn er an diese Zeit zurückdachte, hielt er sich selbst für einen Narren ob seiner jugendlichen Naivität. Sie schickten Garry schließlich im gemeinsamen Interesse in ein angesehenes Internat. Sollten die sehen, wie sie mit dem kleinen Bastard fertig werden. Schließlich hatten sie ein eigenes Leben und so ging jeder dann seiner Wege.
„Ich muss heute zu einer auswärtigen Besprechung und werde im Hotel übernachten“, erklärte Greed trocken.
„Mmmh.“ Sie wusste, was das heißt. Er hatte jugendliches Fleisch aufgerissen oder eine neue unfähige, aber willige Sekretärin. Blutjung, frisch und blühend, so bezeichnete er seine Eroberungen. Amanda hätte bei dem Gedanken an diese Formulierung kotzen können, doch auch sie würde die Nacht zu nutzen wissen. Ein stilles Abkommen, das jedem maximale Freiheit und Befriedigung sicherte.
„Ich benötige noch ein wenig Flüssiges“, raunte sie ohne aufzublicken.
Das benötigte sie immer. Greed machte sich darüber keine ausschweifenden Gedanken mehr. Seine finanzielle Situation ließ es ohne Probleme zu. Lieber wäre es ihm jedoch, sie einfach vom Hals zu haben. Aber so leicht ging das eben nicht. Ein beträchtlicher Teil seines Vermögens würde ihr zugesprochen werden. Mal abgesehen von ihrem Wissen über ihn. Die gehörnten Ehemänner aus seinem Geschäfts- und Freundeskreis, seine zuweilen wenig geschmackvollen sexuellen Begierden. Selbst in einige seiner mehr als zweifelhaften Geschäftspraktiken hatte sie Einblick. Sie könnte ihm ohne Probleme das Genick brechen. Er war gezwungen, sich mit ihr zu arrangieren und hätte er die Möglichkeit, sie beseitigen zu lassen, wäre ihm das einfach zu riskant. Obwohl ihm dieser Gedanke mehr als nur zusagte und er sich im Zorn nur allzu gern mit derartigen Phantasien beschäftigte. Aber sie waren beide abhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung und keiner wollte hier etwas Unübersichtliches riskieren.
„Rechts unten in meinem Schreibtisch liegen Zehntausend, reichen die?“ Er wusste natürlich von ihren wechselnden Affären und auch, dass sie gerne mal einen Callboy bestellte. Sollte sie doch an der Kohle ersticken.
„Ich denke schon. Danke Liebster.“
Greed verabscheute ihre arrogante Gelassenheit. Aber er konnte nicht leugnen, das er sein Leben in vollen Zügen genoss, trotz dieser kleinen, wie er es bezeichnete, Behinderung. Er war ein angesehener Unternehmer und die Geschäfte liefen mehr als nur befriedigend. Gierige Idioten, denen er ihr Geld abnehmen konnte, gab es genug. Sogar mehr als genug, man musste nur wissen, wie man es anstellte. Diejenigen, die ihn verachteten, betrachtete er als neidische Hunde. Er konnte sich alles leisten und das tat er auch. Er genoss es, seine sexuellen Partner zu wechseln wie seine Kleidung. Gerne holte er sich auch mal einen kleinen Stricher. Die waren besonders gefügig, denn sie waren auf ihn als Kunden angewiesen. Und er zahlte ja auch nicht schlecht. In diesen kleinen Muschis herumzuwühlen war so pervers, das ihm dabei fast der Kopf vor Erregung platzte. Das Ausleben seiner Willkür und die Erniedrigung seiner Partner gaben ihm den besonderen Kick.
Er erhob sich und wandte sich der opulenten Eingangshalle zu. Polierter, edelster italienischer Marmor, kunstvoll gearbeiteter Stuck, handgefertigte Designer-Sofas, ein offener Kamin mit antikem Gewände, das Ambiente der Wohnlandschaft stimmte bis ins letzte Detail. Anmutig und fast ein wenig tänzelnd durchschritt er den großzügigen Eingangsbereich. Doch sein augenblicklicher Stolz stand auf der anderen Seite der Haustür. Er griff sein Jackett von einem lederbezogenen Bügel und streifte es über. Hauchfeiner Stoff, maßgeschneidert, wie eine sanfte Brise auf der Haut.
Dann öffnete er die Tür und erblickte seinen Maserati. Bullig und kraftvoll war er, 480 PS Männlichkeit. Schick und doch wuchtig und hart im Design. Wie ein muskelstrotzender Stier, bereit zu erobern. Und so fühlte auch er sich. Greed ließ seinen Blick genüsslich über die ästhetischen Formen des Fahrzeuges gleiten. Mit einer Hand glitt er beinahe streichelnd über den glänzenden Lack, um schließlich sanft die Fahrertür zu öffnen.
„Charles … Chaharles.“ Amanda warf die Haustür hinter sich zu und stöckelte hastig auf ihn zu. Das blau-melierte Kostüm stand ihr perfekt, ihre Bewegungen erinnerten Greed jedoch eher an einen staksenden Reiher. Er sah Unangenehmes auf sich zukommen und das verdarb ihm seine heitere Stimmung. Im Geiste war er schon ganz bei Jolanda, der Tochter eines reichen Kunden. Genauso
verdorben und zügellos wie ihr alter Herr, nur das er den nicht ficken wollte.
„Der Fahrer ist mit Einkäufen unterwegs. Du fährst doch in die Stadt, oder?“
Ihren naiv dümmlicher Tonfall empfand Greed wie eine zynische Beleidigung. Am liebsten hätte er sie einfach wortlos stehengelassen, aber warum unnötig böses Blut schaffen. Ohne einen boshaften Streit wäre er sie ohnehin nicht losgeworden. Den Stress konnte er sich ersparen und auch alles, was danach zweifelsohne noch kommen würde. Amanda war äußerst nachtragend. Er deutete lässig auf die Beifahrertür.
„Sei mein Gast. Wohin möchtest du?“
„Setz mich einfach bei Armani ab, dann habe ich es nicht mehr weit.“
Also shoppen oder vögeln. Hauptsache, er wurde Amanda schnell wieder los. Beiläufig warf er einen kurzen Blick in ihren tiefen Ausschnitt. Was er gleich in die Finger bekommen würde, war mindestens genau so saftig. Die spontane Erregung erhöhte nicht nur in seinen Blutdruck.
Die Fahrt gestaltete sich unkomplizierter als erwartet. Keiner sprach ein Wort und Greed hielt sich peinlichst an die vorgeschriebene Geschwindigkeit, damit Amanda auch gar nicht erst den Mund aufmachte. Auch der böige Wind, der den Wagen gelegentlich erfasste, riss sie zu keinerlei Kommentaren hin. Greed lächelte zufrieden und blickte auf der langgezogenen Talbrücke in Richtung City wie gewohnt auf die ausgedehnten Gehölze und das kleine Dorf hinab. Der Anblick faszinierte ihn immer wieder.
„Charles“, Amanda schrie lauthals auf. Er blickte aufgeschreckt nach vorn und sah den massigen Kühler eines ausgescherten Lastkraftwagen vor sich.
Charles Greed hörte langgezogene Schreie, grell und durchdringend wie ein nervtötender Alarmton. Eine Frauenstimme. Seine rechte Hand begann zu brennen. Dann schrie auch er. Ein bestialischer Schmerz war von seiner linken Hand aus die Knochen hinaufgeschossen und hatte seine Schulter überflutet. Er stöhnte mit zusammengepressten Zähnen und riss die Augen auf. Sein Blick fiel auf nackten Fels. Als der qualvolle Schmerz abflaute, bemerkte Greed verstört, das er den Kopf nach oben gerichtet hatte. Er senkte den Kopf und sah …
Das abstoßende Gesicht war nur Zentimeter entfernt von seinem Gesicht. Die Haut war grau und ledern, durchfurcht von tiefen Runzeln. Der Mund zog sich schief hinauf bis zu einem der Wangenknochen und entblößte zwei Reihen unregelmäßiger, dünner Zähne. Stirn und Seitenkopf waren haarlos, darüber stand weicher, grauer Flaum.
Der jähe Schreck ließ Greed japsend nach Luft schnappen. Auf der Zunge schmeckte er den stinkenden Atem der Kreatur. Angsterfüllt glotzte er auf die schaurigen Gesichtszüge.
„There is no cure ...“, sang das abstoßende Wesen gurgelnd. „... for this hunger.“ Dabei bewegte es seinen Kopf in langsamem Takt hin und her. Die Augen wirkten belustigt, aber auch neugierig. Greed blickte auf seine unerträglich schmerzenden Hände hinunter. Klobige Eisennägeln waren durch sie hindurch in die Lehnen eines unförmigen Holzstuhles getrieben worden. Er wagte nicht, wieder aufzublicken.
„Was habe ich dir getan?“ Stoßweise, halb gehaucht entflohen die Worte Greeds Lippen. „Warum tust du mir das an?“
„Mir getan?“ Die Kreatur richtete sich schlagartig auf und warf schallend lachend den Kopf in den Nacken. Sie war nackt und so grau wie das Gesicht. Der gesamte Körper war von einem dünnen Flaum überzogen. In einer Hand hielt der Graue einen wuchtigen Hammer.
„Ihr Menschen seid so amüsant“, sprach er erheitert. „So überheblich, so selbstgerecht, so ignorant für all den Schaden, den ihr anrichtet. Was hast duu getan?“ Ansatzlos zerschmetterte der Hammer Greed einige Finger.
„Schrei. Ja, schrei um den erbärmlichen Rest deiner Seele. Reinige dich von deinem abscheulichen Wesen und schäme dich deiner Taten. Kehre in dich, bekenne dich schuldig und empfinde Reue.“ Das Wesen blickte lüstern auf ihn hinunter. „Nur der Geläuterte darf den Pfad der Gerechten betreten.“
Konfus bemühte sich Greed, seine Gedanken zu ordnen. Der Laster hatte die Front seines Wagens eingedrückt und er erwachte hier. Dies war kein Krankenhaus und wo war Amanda? Hektisch glitten seine Blicke umher. Er befand sich in einer felsigen Aushöhlung. Der Boden erschien wie geschliffener Stein. Eine Lichtquelle war nicht zu entdecken. Außer ihm, dem Stuhl und diesem Ding befand sich hier nichts.
„Bin ich ...“, Greed fand es absurd, aber ... „Bin ich in der Hölle?“ Sein Atem ging kurz und schnell. Er versuchte, sich möglichst nicht zu bewegen, um die Schmerzen in den Händen nicht zu verschlimmern.
„In der Hölle?“ Der Graue grinste belustigt. „Es gibt keine Hölle, du dummer Narr. Eine Illusion, die ihr euch selbst erschaffen habt. Es gibt den Garten der Gerechten und Geläuterten … und die Hallen der Bekehrung, der Einsicht und des Bedauerns.“
Greed blickte verwirrt zu dem albtraumhaften Wesen auf.
„Wer bist du?“
„Ich bin deine Strafe und deine Belohnung. Ich zeige dir den rechten Pfad und ebene dir den Weg ins Paradies. Ich bin dein Ankläger und dein Richter.“
„Ich habe nichts getan.“
„Nichts?“ Die Kreatur wandte sich erstaunt ab und trat ein Stück weit zur Seite.
„Amanda. Ist dies ein Mensch von gutem Charakter?“
Die Verblüffung ließ Greeds Gesichtsmuskeln erschlaffen. Ihm gegenüber, fünf oder sechs Meter entfernt, saß Amanda auf einem groben Holzstuhl wie er. Auch ihre Hände waren auf die Lehnen genagelt worden.
Sie hob das Kinn von ihrer Brust und blickte ihn mit glasigen Augen an.
„Er ist ein mieses Dreckschwein.“
„Amanda, bitte.“
„Du hast immer nur an dich gedacht. Du hast schon andere gefickt bevor Garry zur Welt kam. Und dann hast du mich allein gelassen.“
„Du hättest unsere Beziehung beenden können.“
„Beenden? Wohin hätte ich mit dem Kind gehen sollen. Zurück zu meiner versoffenen Mutter? Ich wollte nichts weiter als eine glückliche Familie. Du hast dich von uns abgewendet und bist immer nur deiner Gier hinterhergerannt. Du hast so viele betrogen, sogar deine besten Freunde. Deine Kunden hast du ausgesaugt wie ein nimmersatter Parasit. Binäre Optionen ....“ Sie lachte trocken. „Wetten, bei denen nur du gewinnen konntest. Wie viele hast du um ihre Ersparnisse gebracht? Kannst du sie noch zählen?“
„Du hast nicht schlecht davon gelebt, oder? Also spiele dich hier nicht auf.“
„Mein Leben war nichts weiter als ein Haufen Scheiße. Die ganzen aufgedonnerten Tussies, die auf mich herabschauten wie auf ein dummes Vieh und abfällig über mich tuschelten. Die ganzen verschissenen Kerle, die nichts weiter wollten, als mich zu ficken. Ich wollte lieben und geliebt werden. Du hast mich zu einem einsamen Menschen gemacht, Charles. Ich weiß heute nicht mal mehr, wie sich Liebe anfühlt. Dafür verachte ich dich.“
„Das kannst du mir nicht in die Schuhe schieben, Amanda. Jeder ist für sein Leben selbst verantwortlich. Vielleicht hätte die Kleine besser bei Daddy bleiben sollen, dann...
„Schluss damit“, rief der Graue ärgerlich. Er hatte genug gehört. Er ging auf Amanda zu und blickte ihr streng in die Augen.
„Bereust du deine schlechten Taten?“
Amanda schaute traurig auf.
„Ja, ich bereue mein ganzes verschissenes Leben. Ich wollte nie so sein.“ Sie presste den Mund und die Augen zusammen.
Die Kreatur beugte sich Amanda entgegen. Verängstigt schreckte sie zurück und presste sich gegen die Rückenlehne des Stuhles.
„Hab keine Angst, Amanda. Du wirst nichts spüren.“ Dann griff der Graue nach den groben Nägeln und zog sie mit einem Ruck aus dem Holz. Amandas Wunden schlossen sich. Sie blickte unsicher auf den absurden Fremden. Dieser hielt ihr eine Hand entgegen.
„Komm. Ich bringe dich in den Garten.“
Zaudernd ergriff Amanda die runzlige Hand und ließ sich zu einem hölzernen Portal führen, das sich lautlos öffnete. Sie blickte auf einen blühenden Park. Ein paar junge Leute schauten sich nach ihr um.
„Gehe hinein, Amanda“, sagte der Graue sanftmütig. „Sie erwarten jede Seele.“
Amanda schritt zögerlich über die Schwelle. Ihr Kostüm wandelte sich zu einem farbenprächtigen Kleid, ihr Haar glitt herab und wehte leicht in einer sanften Brise. Sie blickte sich um wie eine Verliebte. Sie hatte das Gesicht einer Zwanzigjährigen, als sie still lächelte.
„Was ist mit mir?“ platzte es aus Greed heraus, der die ganze Szene mit einem ungläubigen Staunen verfolgt hatte. Er fühlte sich nun mutiger.
Das Portal schloss sich hinter dem Grauen, als er sich umwandte und auf Greed zustrebte. Er beugte sich hinab und legte seine Hände auf die von Greed. In seinen Augen glänzte etwas Unheilvolles.
„Was hast duu getan?“, wiederholte er.
Greed schaute ihn mit wiedergewonnener Selbstsicherheit an. „Nichts, ich habe nichts getan. Die Welt ist so, wie sie ist. Wir müssen alle überleben."
Der Graue wurde auf einem Schlag nüchtern und wendete ihm sein zorniges Gesicht zu.
„Du hast nichts Verächtliches getan? Gar nichts?“, fauchte er empört. Mit einer knochigen Faust schlug er zu. Der brutale Schlag ließ die Haut platzen. Greeds Mund füllte sich mit Blut, das er einatmete und atemringend aushustete.
„Ihr seid alle schuldig.“ Das dämonische Wesen geriet in unbeherrschte Rage. Es schrie vor Wut und spuckte roten Speichel. „Schuld der Eitelkeit, der Gier, des Mangels an Mitgefühl, der Verachtung.“ Ein weiterer harter Schlag, diesmal auf die offene Wunde. Der beißende Schmerz riss Greed aus seiner Benommenheit.
„Luisa Pride. Zum Zeitpunkt ihrer Selbsttötung 72 Jahre alt. Sie verlor erst ihre Altersversorgung, dann ihr Haus. Du hast sie davon überzeugt, in einen Fond zu investieren und mit ihrem Besitz spekuliert. Willst du das leugnen?“
„Das ist mein Beruf“, stotterte Greed. „Ich kann ...“
Die gewaltige Klaue des Grauen umgriff Greeds Kehle und presste ihm erbittert den Atem ab. Das Gefühl, zu ersticken, jagte Greed eine aufbrausende Welle der Verzweiflung durch das Bewusstsein. Zuckend wand er sich unter dem harten Griff des Grauen und zerrte an den Nägeln, bis er den Schmerz nicht mehr ertrug. Krampfend bäumte er sich auf und fiel erschlafft auf den Stuhl zurück.
„Dein achtjähriger Sohn verbrachte drei Tage ohne Nahrung in einem lichtlosen Kellerraum, weil er dir widersprochen hatte.“ Die Kreatur brüllte Greed unbeherrscht an. „Willst du das leugnen?“
Greed war kaum noch bei Sinnen, als der harte Griff sich lockerte. Geräuschvoll sog er Luft in seine Lungen. Der Graue hob sein Kinn und blickte ihm streng in die matten Augen.
„Nur der Geläuterte darf den Pfad der Gerechten gehen“, sprach er flüsternd. Seine Züge hatten sich entspannt. Er zog die Finger unter dem Kinn hervor und ließ den Kopf auf die Brust fallen. Dann wandte er sich einem Ausgang zu. Er fühlte sich zutiefst befriedigt. Die unersättliche Gier danach, die rasenden Ängste der Menschen zu spüren, hatte sich beruhigt. Seine ungestümen Gewaltakte ließen seine Sinne taumeln. Leise begann er zu singen. „There is no cure … for this hunger.“