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Gier
Es war zu der Zeit, in der Wirklichkeit und Legende noch eins waren, da konnte man ein seltsames Männlein beobachten, wie es des Nachts durch den tiefen Wald von Hölltal stiefelte. Seinen dunkelroten Filzhut ins runzelige Gesicht gezogen hielt es einen Sack auf dem Rücken und blieb alle paar Schritte stehen, um voller Sorge umher zu spähen, wie als wäre es vor jemanden auf der Flucht. An einer Lichtung angekommen ließ es sich erschöpft auf einen Baumstumpf nieder. Es war sehr in Eile gewesen, denn es wollte noch vor dem Morgengrauen in seiner Behausung angekommen sein.
„Da brat mir doch einer einen Storch, der alte Knollenblätterknilch, …“
Das Männlein zuckte zusammen. Die Stimme, die seinen Namen gerufen hatte, kannte es nur zu gut: Sie gehörte einem Zwerg namens Klatschnase und mit diesem Wissen hielt es sein Säcklein noch fester umschlungen.
„… was führt ihn denn um diese Zeit in den Wald, wenn man fragen darf?“
„Och, der alte Klatschnase …“, erwiderte der Knollenblätterknilch, „… kann er sich nicht um seine eigenen Angelegenheiten scheren?“
„Da unsere Wege sich nun einmal gekreuzt haben, handelt es sich hier um meine Angelegenheit, deshalb entschuldige meine Neugierde und verrat mir lieber, was du da versteckt hältst“, sagte der Zwerg.
„Das geht dich einen feuchten Dreck an, elender Zwerg!“ schrie der Knollenblätterknilch und rannte so schnell er konnte davon.
Der Zwerg sprang nun aus dem Dickicht und machte sich an dessen Verfolgung und so ging die Hetzjagd einen Weile, bis Klatschnase, da unbesackt und flinker zu Fuß, sich auf das Männlein drauf gestürzt und es zu Boden gerissen hatte.
„Her damit, sonst schlitz ich dich auf!“ geiferte Klatschnase und hielt die Klinge eines Dolchs an des Männleins Kehle. Dieses versuchte sich aus dem festen Griff zu befreien und dachte gar nicht daran aufzugeben. So machte Klatschnase kurzen Prozess.
Es dämmerte schon, als der Zwerg frohlockend mit der Beute in seiner Hand sich in Richtung der Berge davon machte, wo tiefe Höhlen seinem Volk als Behausung dienten. Er riskierte aber keinen Blick in den Sack, denn hierfür musste er sich zuerst weit genug von dem Ort seiner Bluttat entfernt haben.
Schließlich erreichte er eine Schlucht an deren Fuße sich ein Fluss durch das Gebirge schlängelte. Nachdem er sich umgeschaut hatte, begann er den Knoten des Sackes zu lösen. Dies stellte sich aber als äußerst schwierig und auch als vergeblich heraus.
„Verflixt und zugenäht, da hat dieser vermaledeite Knilch wohl einen Hexenspruch drauf gesprochen!“ fluchte er. Als er mit seinen Dolch den Stoff des Sacks durchtrennen wollte, führte das auch zu keinem Erfolg. Voll des Zornes und etwas ratlos warf er alles hin und trat gegen einen Felsen. Was sollte er nun tun?
Nach einer Weile sagte er zu sich: „Ich werde den Sack dem Hexer Krall bringen. Der wird mich sicherlich hierfür reichlich belohnen, denn schließlich muss da etwas ganz Wertvolles drin sein, sonst wäre keine Magie im Spiel.“
Mit seinem Plan zufrieden machte er sich auf den Weg zu Krall, der in einer Festung auf dem Donnerberg hauste. Um dorthin zu gelangen, musste er einige Meilen auf der Hauptstraße zurücklegen, die sich ganz in der Nähe befand. Sie führte ihn durch das felsige Gebiet der Trolle, vorbei an den Wipfeln des Schwarzen Waldes. Der Zwerg war zwar geübt in der Kunst des Versteckens, wollte aber doch lieber die Nacht abwarten, denn der Zusammenstoß mit einer Eskorte des Menschenfürsten hätte ihn mit Sicherheit seinen Schatz, wenn nicht gar seinen Hals gekostet.
Als der Mond über den Wäldern erschien, machte er sich daran aufzubrechen. Er hatte sich gute zwei Meilen durch das Dickicht nahe der Hauptstraße geschlichen, da vernahm er den Ruf eines Trolls. Erstarrt hielt er inne und drehte dann langsam den Kopf. Er erblickte einen baumhohen Troll flinken Schrittes auf ihn zueilen. Der Zwerg rannte los, doch es war zu spät: Der Troll würde seine Witterung, auch des Gestankes wegen, welcher der Zwerg dank seiner jahrelangen Abneigung gegen jedes Bad sich hatte angedeihen lassen, nicht mehr verlieren.
„Bleib auf der Stelle stehen, oder ich fresse dich mit Haut und Haaren“, dröhnte der gewaltige Troll.
„Aber sicher doch, mein Herr. Ich hatte ja keine Ahnung, wie sehr Ihm an meiner Wenigkeit gelegen ist. Und noch dazu möchte ich anmerken, dass ich bestimmt gar übel zu verzehren bin und dem Herrn ein fürchterliches Sodbrennen bereiten würde.“
„Was erlaubst du dir, nachts durch mein Revier zu schleichen. Ich kann deine Angst riechen. Hast du etwas verbrochen? Sag, was ist in dem Sack da?“
„In dem Sack? Ihr meint in diesem? Oh, da sind nur unbedeutende Zwergendinge drin, gänzlich uninteressant für einen solch majestätischen Troll wie Ihr es seid. Ich war auf den Weg diese Dinge, es sind übrigens Kartoffeln, meinen Schwager Blähranzen zu bringen. Er hat nämlich einen unbändigen Appetit auf ranzige Kartoffeln und …“
„Schweig, deine Lügen stinken noch mehr als einer meiner Haufen! Gib schon her, oder ich nehme ihn mir samt deines Lebens!“ geiferte der Troll, der um die Gerissenheit der Zwerge nur zu gut Bescheid wusste. Schon oft war er ihrem Geschwätz auf den Leim gegangen.
„Das einzig Wertvolle, was ich besitze, ist dieses Fläschchen, ich schwöre es!“
Und der Zwerg hob einen schimmerndes Fläschchen mit einer bläulichen Flüssigkeit in die Luft. Der Troll drehte den Kopf auf die Seite, und wischte sich sein Haargestrüpp aus der Fratze, die eine riesige Knollennase krönte. Er konnte nicht wissen, dass es Einhornblut war, was der Zwerg ihm mit zittriger Hand darbot. Klatschnase hatte es in der Stadt einem fahrenden Heiler aus der Tasche stibitzt. Selbst nicht wissend, was der Inhalt bewirkte, benutzte der Zwerg es nun, um des Trolls Aufmerksamkeit vom Zaubersack weg zu lenken.
„Darin, verehrter Herr, ist ein Trank, der unbesiegbar macht. Schaut her, nur ein Tropfen davon, und diese Säcklein wird fester als Stein.“
Der Troll riss ihm den Sack aus den Händen, nachdem der Zwerg so getan hatte, als ob, und konnte ihn selbst mit seiner ganzen Kraft nicht aufreißen. Nach einer Weile begann der Troll aus vollem Halse zu lachen und freute sich schon über die verdutzen Gesichter seiner Trollbrüder, welche er dank seiner bald erworbenen Unbesiegbarkeit einer nach dem anderen zu Boden werfen würde. Schnell schnappte er sich das Fläschchen und verschluckte es. Doch bald musste er merken, dass sich ein stechender Schmerz in seinen Eingeweiden breit machte. Es war nämlich so, dass das Blut eines Einhorns aus der Essenz des Sonnenlichtes bestand. Und da Trolle bekanntermaßen dem Tageslicht nicht gewachsen waren, musste er mit ansehen, wie er Stück für Stück zum Felsen erstarrte.
Triumphierend über seinen unerwartenden Erfolg tanzte der Zwerg um den Felsen herum und zog zufrieden von dannen.
Endlich war er am Fuße des Donnerberges angekommen, auf dem Krall in seiner Festung hauste. Klatschnase hatte einige Mühe, den Sack und sich selbst dort hinauf zu schleppen. An dem riesigen schwarzen Eisentor angekommen, wurde ihm ziemlich mulmig zu mute. Was wenn er nicht die richtigen Worte fände oder der Hexer ihn einfach in eine abscheuliche Kreatur verwandelte? Aber die Gier nach Gold überwog seine Angst und er polterte an das Tor.
Unter einem gewaltigen Knarzen öffnete es sich und eine in dunklen Gewändern gekleidete Gestalt trat langsam auf den Zwerg zu.
„Tritt ein, du wirst von meinem Meister schon erwartet“ ,hallte eine blecherne Stimme unter der Kapuze hervor.
Verdutzt folgte der Zwerg der Gestalt. Sie betraten einen großen Saal, der mit mannshohen Spiegeln verziert und mit lodernden Fackeln beleuchtet war. Am Ende befand sich ein Thron auf dem Krall, der Hexer, saß.
Mit gebeugtem Haupt schlich sich Klatschnase vor den Thron.
„Seid gegrüßt, O mächtiger Krall. Ich bin Klatschnase von Zwergenfels und möchte Euch diesen überaus wertvollen Schatz überreichen. “
Er wartete ab, bekam aber keine Antwort.
„Vielleicht wollt Ihr mich ja für meine Mühen entlohnen, denn es war für mich kein Leichtes, denn Schatz hier her zu Euch …“
Da begann der Hexer grässlich zu lachen, dass es dem Zwerg Angst und Bang wurde. Krall blickte den Zwerg mit feurig blitzenden Augen an und sagte:
„Du Narr, dies ist mein Beutel. Ein törichter Dieb hat in mir des Nachts entwendet. Ich hatte ihn damit auf die Probe gestellt, in dem ich behauptet hatte, es wäre etwas gar Wundervolles darin enthalten. Bevor ich dir nun deinen gerechten Lohn zukommen lasse, da du ihn mir zurück gebracht hast, will ich dir noch zeigen, was es so Wertvolles ist, nach dem du so gierig warst.“
Klatschnase riss die Augen auf und erblickte eine rote Schlange, die ihm aus dem von Zauberhand geöffnetem Sack entgegenschnellte. Ihr tödlicher Biss wirkte schnell, sodass der Zwerg leblos und mit dem Schrecken im Gesicht da lag.
Krall aber murmelte zu seinem Schüler:
„Dies war die vierzigste Kreatur, die wegen des Zaubersacks in den Tod ging. Meine aber nicht, mein Fluch habe ihr Ende besiegelt, viel mehr ist es die Gier gewesen, welche die Welt in Dunkelheit hüllt.“