Gib Gas, ich will Spaß
Was für ein Arsch! Das war doch nicht zu glauben, so ein dämlicher Penner! Merten fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und trat das Gaspedal durch, so daß er noch etwas dichter auffuhr. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! So ein Wichser. Schlich hier auf der Überholspur rum, als säße er auf ´nem verdammten Dreirad.
"Gib doch endlich mal Gas!" brüllte er und wurde fast taub von seiner eigenen Lautstärke. Er umklammerte nervös den Schalthebel und ruckelte auf seinem Sitz herum, als habe er Hämorrhoiden. Er betätigte mehrmals die Lichthupe!
"Nun FAHR DOCH MAL!!!"
Im Radio ließ Huey Lewis verlauten, es habe ihn wie einen Hammer getroffen. Immer und immer wieder. Allmählich ging einem das auf die Eier! Merten drückte am Sendersuchlauf herum und plötzlich waren alle Kanäle weg. Funkloch, oder was? Nix vernünftiges reinzukriegen. Nur weißes Rauschen. Doch dann plärrte unvermittelt ein DJ los und Merten horchte kurz, bevor er sich wieder aufs Fahren konzentrierte.
"...hey, hier ist der Partysender des Nordens, was sage ich, der ganzen WELT! Mit der meisten Abwechslung zwischen Sri Lanka und Norwegen! Wir spielen die Hits der Achtziger und Neunziger und das Beste des neuen Milleniums..."
"Fick´ dich ins Knie!" brummte Merten. "Ich will Musik!"
"...ihr hört bei uns das Beste und Neueste aus der großen, bunten Welt der Musik. Außerdem die neuesten Nachrichten zu jeder vollen Stunde und Interviews mit interessanten Gästen aus der Showbranche! Und es erwartet euch ein höllisch aufgelegter Moderator, harhar...."
"Will ich nicht! Ich will Musik! Aarrrschlooooch!" Das letzte galt dem vor ihm fahrenden Golf, der immer noch damit beschäftigt war, einen Tiertransporter ("Vorsicht, Schweine an Bord!") zu überholen. Jetzt hatte er das Manöver abgeschlossen und scherte nach rechts ein, natürlich ohne zu blinken, der dämliche Pisser. Merten drückte ordentlich auf die Tube, bis er auf gleicher Höhe mit dem Golf war. Am Steuer saß – natürlich – ein alter Trottel mit Hut! Der konnte froh sein, daß er mit seinem faltigen Arsch überhaupt noch scheißen konnte! Warum mußte der noch Auto fahren? Ein Vollidiot ersten Ranges! Merten zeigte ihm den Mittelfinger und zog dann an dem Wagen vorbei.
"...für alle, die ihr jetzt da draußen auf der Autobahn unterwegs seid: Was haben Lady Diana und
Champagner gemeinsam? Na? Beide kommen in Kisten aus Frankreich! Harharhar. Gute Fahrt!..."
"Spielt ihr Blödmänner auch mal Musik?" Merten ließ sich in den Sitz zurückfallen und atmete tief aus. So eine Scheiße! Heute klappte auch gar nichts! Er lehnte sich zum Beifahrersitz hinüber und öffnete das Handschuhfach. Eine Dose Jever rollte darin herum und Merten zögerte nicht lange, fischte sie gekonnt heraus und stellte sie zwischen seine Schenkel, wo er sie schnell mit einer Hand öffnete.
Prost!
Er nickte in den Rückspiegel und hob die Dose.
Auf daß dir dein Scheißhut am Kopf festwächst!
"...und in den nächsten zwei Stunden bringen wir Musik und Berichte aus der Welt der Reichen und Schönen...."
Alles Wichser!
"...und wir haben hier gleich jemanden, der eigentlich so gar nicht in dieses Konzept paßt, denn er ist weder reich noch schön."
Was soll er denn dann da?
"Hallo Merten!"
...
"Hey Merten, was ist? Hörst du mich?"
Was war denn das jetzt wieder für ´ne Kacke?
"Leute, das ist Merten, der arme Irre. Er rast über die Autobahn, ohne Rücksicht auf Verluste. Er trinkt beim Fahren, er übertritt die Geschwindigkeit, er ist eine gottverdammte Gefahr für den gesamten Verkehr."
"Was soll die Scheiße?" Warum redete das Radio mit ihm? Warum zum Teufel redete sein beschissenes Radio mit ihm? Er nahm einen großen Schluck Bier. Was ging hier ab?
"...und um mal einen guten Einstieg zu erwischen, einer der absoluten Smash-Hits dieses Jahres: Madonna mit "Music"! Vieeeel Spaß!..."
Merten blickte auf sein Radio. Was zum Geier war das gewesen? dachte er. Er hob die Bierdose dicht vor seine Augen und blickte sie an. Hangover! Das war´s. Zu viel Party, zu wenig Schlaf.
Scheiße, ich muß schlafen!
Er sah auf die Uhr. Wenn er sich beeilte, konnte er in zweieinhalb Stunden zu Hause sein.
Drück´ drauf! Er leerte die Dose mit einem weiteren langen Zug und schmiß sie dann achtlos in den Fonds. Alles Scheiße heute. Mal wieder! Aber bis die Simpsons anfingen, konnte er tatsächlich locker zu Hause sein. Und an der nächsten Raststelle mußte er sich noch ein Bier oder sowas kaufen, einen Energydrink oder ´ne Cola, irgendwas. Die Sonne knallte durch die Windschutzscheibe und brannte auf das Armaturenbrett seines schwarzen 3er BMW.
Scheißparty! Zuviel gesoffen. Zuviel rumgemacht. Das hatte Sabine nicht gefallen. Junge, war die sauer gewesen! Ob er sie heute Abend noch anrufen sollte? Das würde ihm den Abend vermiesen, hundertprozentig! Er würde bis morgen warten. Oder besser: bis zum nächsten Wochenende. Es war nicht zu befürchten, daß er vorher ihre riesigen Titten zu Gesicht bekäme. Merten, würde sie jammern, so geht das nicht weiter mit uns! Ich kann nicht mehr und blablablabla. Tausendmal gehört, tausendmal ist nichts passiert. Irgendwann würde er das richten.
"...ja, und das war verdammt noch mal Madonna! Spitzenscheibe, die neue!..."
Wo war die nächste Raststätte?
"...kommen wir wieder zu unserem Kandidaten: Merten! WAZUUUUUUUUP?................"
Scheiße, ging das wieder los!? Hatte er Halluzinationen? Waren das überhaupt Halluzinationen, wenn er was hörte? Oder wie nannte man das dann?
"...jaaaaaaaaaaa, er brettert volle Kanne über den fucking heißen Highway! Hallo, Merten, sag´ doch mal was!....."
Allmählich machte es ihm Angst.
"...und dabei weiß er ´s nocht nicht! HA!...."
Nachwirkungen. Nachwirkungen vom Alkohol, von dem Scheiß-Ecstasy. Ich bin noch drauf, verdammt noch mal, ich bin drauf! Was half dagegen? Wasser? Ich muß Wasser kaufen, unbedingt. An der nächsten Tanke!
"Merten, hör´ mal...."
"Schnauze!" Gott, er redete mit seinem Radio!
"...da ist was wichtiges, was du wissen solltest!...."
"Halt´s Maul! Scheißkasten!" Merten war jetzt wirklich sauer. Und er hatte Angst. Aber das würde vorbeigehen. Und er würde kürzer treten. Kein Scheißstoff mehr. Nur noch ein oder zwei Bierchen die nächsten Wochen. Keine verfickten Drogen. Vielleicht sollte er überhaupt mal auf keine Parties gehen? Er könnte sich am Samstagabend ein paar Videos besorgen und gemütlich zu Hause bleiben. Mal ausspannen. Sein Körper war kaputt. Er fühlte sich, als habe er Fieber, schwitzte und mußte immer wieder die Augen zusammenkneifen. Aber die Hitze war wie ein fester Gegenstand. Man rannte dagegen und schlug sich den Schädel ein.
Durchhalten Mann, durchhalten. Du hast es bald geschafft!
"Merten, hör´ mir zu! Du bist nicht mehr im Spiel, schon lange nicht mehr!"
Spiel? Was für´n Spiel? Was für´n Scheißspiel? War das ´ne neue Quizshow?
"Du...bist...raus!"
Wieso raus? Mann, ich fahre hier Auto, ich muß mich konzentrieren! Merten kurbelte die Scheibe herunter. Er hatte das Gefühl, als würde ihm das Lenkrad unter den Händen wegschmelzen. Heiß, dachte er, beschissen heiß! Er schwitzte wie ein Schwein. Aber es wehte kein Lüftchen. Er fuhr beschissene 198 Kilometer pro Stunde mit offenem Fenster und es regte sich kein Lüftchen?!
"Merten...."
Ich brauch´ Frischluft, verdammt noch mal! Frischluft! Sonst...sonst werde ich hier verrückt! Scheiße noch eins!
"...Mertennnnnn...."
"WAS?"
"Hör´ mir doch mal zu, bitte...."
"SCHNAUZE!"
Drückend schob sich die Hitze in das Innere des Wagens. Das waren mindestens hundert Grad da draußen! Er schaltete die Lüftung ein, aber es kam kein erfrischender Luftstrom heraus. Nur ein sengender Fön, und Merten stellte sie sofort wieder ab. Alles Scheiße hier! Wenigstens hatte er freie Fahrt! Kein anderer Wagen war in Sichtweite, weder hinter noch vor ihm, er konnte richtig Gummi geben! Wenn es nur nicht so verteufelt heiß wäre hier! Verteufelt heiß, genau! Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und überlegte, ob er noch irgendwo etwas zu trinken im Wagen hätte und suchte mit seinen Händen hinter dem Sitz herum.
"Ein letzter Versuch!"
NEIN!
"...also, Merten, hörst du jetzt zu?"
"Ich...will...nichts...hören!"
"Ich mach es auch kurz, das verspreche ich dir!"
Merten spürte, wie ihm der Schweiß in Bächen das Gesicht hinabfloß. Ich werde verückt, dachte er. Ich drehe durch. Ich muß schlafen, muß, muß, muß! Scheiße, ich hab´ Durst!
"Tja, das wird nicht einfach werden, harhar. Die nächste Raststätte ist....warte, ich seh´ nach....fünf Millionen Kilometer von hier. Harhar..."
"WAS ZUM GEIER IST HIER LOS?" Verwirrt blickte er um sich. Verdammt, Was war das? Wo war er? Raus! Er mußte raus! Irgendwo hier mußte es doch eine Abfahrt geben. Er fuhr die Strecke zum hundertsten Mal oder so. Die nächste rechts raus, und dann anhalten, Pause machen! Die Abfahrt mußte jeden Augenblick auftauchen.
"...und hier kommt der gute alte DJ Bobo und bringt uns "Freedom"..."
Das Auto fuhr schneller. Merten sah auf den Tachometer und beobachtet die Nadel, wie sie langsam aber stetig über die Geschwindigkeitsangaben strich, eine nach der anderen. 210....220....230....
Er nahm den Fuß vom Gas. Bremsen! Nichts übertreiben! Ich will ja heile zu Hause ankommen.
Er lachte schwach.
Da war die Abfahrt. Er setzte den Blinker, scherte rechts aus, bremste ein wenig und tauchte in die weite Kurve ein. Seine Hände zitterten. Er hielt das Lenkrad krampfhaft umklammert und schaltet noch einen Gang herunter. Endlich Pause machen! Vielleicht irgendwo was essen und was zu trinken kaufen! Unbedingt. Im nächsten Ort mußte ja ein Supermarkt sein oder sowas.
Verdammt, wo hörte diese Scheißkurve auf? Immer noch ging es in einem scharfen Bogen nach rechts, weiter und weiter. Er hatte jetzt auf fast vierzig Kilometern pro Stunde gedrosselt. Wo war die beschissene Bundesstraße, die Kurve nahm ja kein Ende! Doch, jetzt. Endlich. Es ging leicht bergab und Merten lehnte sich etwas nach links, versuchte etwas zu sehen, aber immer noch versperrten ihm ein paar vertrocknete Büsche die Sicht. Dann schien die Kurve zu Ende zu sein. Es ging wieder geradeaus.
Dann war er wieder auf der Autobahn.
"...und wir haben noch einen a-b-s-o-l-u-t-e-n Klassiker im Angebot! Leute haltet euch fest, es geht tierisch los, hier sind AC/DC mit "Highway to Hell"! Haut rein, Jungs! Hier ist 66,6 FM, wir hören voneinander!... "
Der BMW schoß über das leere Asphaltband und schien geradewegs in die Sonne zu fahren, die eben hinter dem Horizont zu versinken begann.