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Gib´s auf (Anna und die Bilder)

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31.03.2003
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Gib´s auf (Anna und die Bilder)

Gib´s auf (Anna und die Bilder)

Es war nichts Ungewöhnliches. Wir waren es gewohnt, dass Gäste, die unsere Wohnung nicht kannten, die Augen verdrehten. So wohnt ihr? Nur Raufaser? Habt ihr keinen Schrank? (Der schwarze Schrank mit dem Plattenspieler wurde als solcher nicht akzeptiert) Nein, nicht mal eine Anrichte. Aber ihr müsst doch irgendwo das Geschirr unterbringen... Ja, geht schon, ich hab nur ein Service für Sonntags und Alltags. Aber dein Mann verdient doch nicht schlecht, ihr könntet euch doch etwas leisten! Tun wir auch. Reisen, Auto und genau die Möbel, die uns gefallen.
Kopfschütteln. Einrichtung schwarz/weiß, Regale, ungezählte Bücher und Bilder.
Über die schlichte Einrichtung hätte Anna ja noch hinwegsehen können.
Aber die Bilder.
Nach zwei Gläsern Rotwein konnte Anna sich nicht mehr zurückhalten.
„Also, ich wollt ja vorhin gar nichts sagen“, begann sie etwas zögerlich.
„Habt ihr noch mehr solche Bilder?“
Das Wort Bilder zog sie verächtlich in die Länge.
Ich bejahte. Auch die obere Etage war recht gut damit ausgestattet.
„Und...“, Anna zögerte.
„Was, und?“
Anna schaute sich ängstlich um, als befürchte sie, die nun folgende Frage könne jemand mit anhören.
Sie flüsterte jetzt.
„Und, ist auf denen auch nischt druff? Ich mein auf den anderen Bildern. Oben.“
Sie wies mit dem Kopf Richtung Decke.“
„Nichts drauf?“
„Ja, guck doch mal, da is doch gar nischt druff auf euren Bildern.“
„Natürlich ist da was drauf, sonst wären sie ja weiß.“
„Ich seh nix. Nur Farben und Striche. Und hier sind noch nicht mal Striche druff.“
Sie stand jetzt vor dem blauen Bild mit der strukturierten Oberfläche. Zugegeben, es war fast monochrom. Blau in verschiedenen Abstufungen. Ich wollte gerade erklären, dass ein Bild nicht unbedingt eine Abbildung von etwas darstellen müsse, dass Bilder auch Stimmungen, Anreize für den Betrachter, Assoziationen wecken....
„Guck mal hier.“ Anna ging jetzt zu dem roten Bild, das in der Mitte durch ein schräg gesetztes Viereck in kaum merklicher Farbabstufung zum Hintergrund eine räumliche Tiefe ahnen ließ.
„Ein schönes Rot.“
Na, wenigstens das.
„Aber wieder nischt druff.“
Es hatte keinen Sinn, Erklärungen über abstrakte Malerei abzugeben. Anna litt offensichtlich unter einem Mangel an Gegenständlichkeit auf unseren Bildern.
„Wer malt denn bloß solche Bilder?“ wollte Anna jetzt wissen.
„Unser Sohn, der hat das schon...“
„Ach sooooo, jetzt verstehe ich“, wurde ich von Anna lebhaft unterbrochen.
„Die sind noch gar nicht fertig? Wann malt er sie denn fertig?“
„Er malt sie nicht fertig. Die bleiben so.“
Für Anna konnte das nicht gelten.
Wenn ich mal Zeit hab, dann komme ich vorbei und dann mal ich dir was Schönes druff, versprach mir Anna ganz spontan und war von der Idee regelrecht begeistert.
Sie hätte für ihre Enkeltochter auch schon öfter mal Geburtstagsbilder gemalt und Weihnachten und Ostern die Dekorationen gestaltet, ganz unbegabt sei sie da nicht.
Der Himmel möge mich bewahren, dachte ich.
Anna erzählte nun jedem Mitglied unseres Kegelclubs, dass bei uns nur eingerahmte Farbe an der Wand hing, aber sie würde das schon richten.
Man müsse ihr das nur einmal richtig erklären, lachte mein Sohn am Telefon, als ich ihm die Geschichte erzählte.
Gut gesagt. Aber wie? Bis zum nächsten Kegelabend musste ich mir etwas einfallen lassen.
Ich hatte Glück.
Zwei Wochen später gingen wir ins Kino. Pollock wurde gezeigt. Das Leben eines von uns sehr geschätzten Künstlers, der im Alter nur noch abstrakte Werke schuf. Wie ich, geriet Pollock im Film in Erklärungsnöte. Er kleckselte emsig eine riesige Leinwand voll mit Farbspritzern. Da fragte ihn ein Besucher, was das denn nun bedeuten solle. Entnervt unterbrach der Künstler seine Arbeit.
„Warum wollen Sie das wissen?“ gab er zurück. „Fragen Sie auch, wenn Sie eine schöne Blumenwiese sehen und Sie sich daran erfreuen, was die Farben der Blumen denn bedeuten sollen?“
Das war die Erklärung. Das würde Anna verstehen.
Beim nächsten Kegeltreff erzähle ich Anna von Pollock und der Blumenwiese.
Sie reagierte prompt.
„Ja sicher versteh ich das. Aber bei euch sind ja noch nicht mal Blumen druff.“
Ich suchte den Blick meines Mannes. Das konnte nicht sein. Mein Mann schüttelte den Kopf. Gib´s auf, gib´s auf lächelte er mir zu. Dann wandte er sich ab und ging zur Kegelbahn.

 

Das gefällt mir! Schöner Stil, interessantes Thema. Wunderbar alltäglich (nicht abwertend, sondern positiv). Einfacher Text, tiefe Aussage.
Aber was mir fehlt, wäre ein richtiger Höhepunkt. Die Tatsache, dass Anna glaubt, die Aussage zu verstehen, aber das nicht mal ansatzweise tut, zeigt ihre Haltung, aber ich finde, aus der Geschichte hätte man mehr machen können. Wenn du ein bisschen nachdenkst, vielleicht fällt dir dann ein richtig "knallender" Schluss ein. Eine Umkehrung vielleicht?

cu xka

 

Hallo xkaxre,
danke für Antwort und die Anregung.Diese Geschichte ist mir wirklich so passiert.Ich habe sie nur aufgeschrieben. Und dann habe ich an die Geschichte von Kafka "Gibs auf" denken müssen. Daher kein spektakulärer Schluss. Aber du hast recht, man hätte es anders machen können....ich gehe in mich.
Liebe Grüße
malaika

 

Hallo malaika,
schöne Worte hast du da auf das Papier gebracht. Die lassen Bilder hochsteigen von den Bildern mit "nichts druff". Und von den Blicken.Ich sehe verständnislose Kulleraugen, höre die endlosen Fragen.
Für mich ist der Schluß stimmig, aber das ist ansichtssache.
Ein schöner Text auf jeden Fall, hat mir gut gefallen.
***Merlinwolf*********

 

hallo malaika,

eine wunderschöne geschichte, die, auch wenns authentisch ist, den "kunstverstand" vieler menschen trefflich karikiert. die feststellung "Aber bei euch sind ja noch nicht mal Blumen druff" hat mich umgehauen... :) ich überlege, ob die geschichte nicht damit enden sollte, bin mir aber nicht ganz sicher. dein schluss ist auch schön.

gruß
bobo

 

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