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Ghostwriter
Die Sonne mogelt sich durch eine Ritze im Schlafzimmervorhang und wirft einen Streifen auf Erwins Gesicht. Die Nacht brachte keine Abkühlung und so ist es bereits um acht Uhr morgens drückend heiss. Ein Speichelfaden hängt aus seinem offenen Mund und wandert klebrig feucht übers Kinn. Er dreht den Kopf ins Kissen und wischt den Faden weg. Durchs offene Fenster hinter dem Vorhang dringt schneidend das Quietschen der Strassenbahn herein. Erwin verflucht innerlich die Städtischen Verkehrsbetriebe und wirft das verschwitze Bettlaken zur Seite. In seinem Kopf tanzen die Geister vom letzten Abend Samba. Nackt, mit verklebten Augen und leichtem Schwindelgefühl schleppt sich Erwin in die Küche. Durchs offene Fenster weht schwüle Luft herein und verleiht dem Raum ein mediterranes Ambiente. Erwin mixt sich einen Alkaselzer-Cocktail und versucht sich an die Geschehnisse des letzten Abends zu erinnern.
„Gefällt dir, was du siehst?“, fragt er die Elster auf dem Fenstersims. Aufgeschreckt spreizt sie die Flügel, glotzt aber weiterhin auf Erwins blutverschmierten Körper …
Das Fenster, in dem ich eben noch deutlich die Elster gesehen habe, mutiert zum Flachbildschirm. Der Cursor fliegt über den weissen Hintergrund und zieht einen Schweif aus Gross- und Kleinbuchstaben hinter sich her. Ich lasse die Finger noch kurz über die Tastatur laufen, dann ist es still in meinem Kopf. Keine Elster, kein Erwin, nur Leere. Ich spüre ein Kribbeln auf meiner Schulter, einen sanften Druck.
„Was zum …?“ Ich werfe meinen Kopf herum und sehe die Elster, im Schnabel hält sie Andreas Ehering. Langsam verblassen die schwarzweissen Federn zu Finger und ich erkenne Andreas linke Hand, die auf meiner Schulter liegt.
„Rolf?“
Nur langsam tauche ich auf, erkenne mein Arbeitszimmer. In der Ecke die Campingliege, dahinter die bunte Stehlampe aus den Siebzigern. Dann sehe ich Andreas Gesicht, ihre braunen Augen, die feine Nase, die vollen Lippen. Ihre dunklen Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, so sieht man die schlecht verheilte Narbe auf ihrer Stirn, Zeugnis unseres letzten Streits. Sie hatte mich mitten im Schreiben unterbrochen. Der Termin für die Auftragsarbeit hatte mein Verleger und Freund, Christoph Wielandt, zum letzten Mal verschoben und nun stand ich mächtig unter Druck. Andrea brachte mir ein Glas Orangensaft und regte sich wieder mal über meine Arbeitswut auf, der Streit eskalierte und ich schmiss ihr das Glas an den Kopf. Sie reinigte die Wunde, aber es hörte nicht auf zu Bluten. Widerwillig fuhr ich sie in die Klinik, es gab fünf Stiche und einen zweifelnden Blick des Notarztes.
Es war das erste und letzte Mal, dass wir wegen einer Streitigkeit in der Klink landeten, aber seit dem Vorfall mit dem Glas, bewegten wir uns
– bewegte ich mich –
immer schneller Richtung Abgrund.
Das Déjà-vu packt mich mit voller Wucht, in meinem Kopf prallen die Eindrücke aufeinander. Erwin, Andrea, Christoph, die Elster, alle brabbeln und schnattern, ich presse meine Hände an die Schläfen.
„Ruhe!“, meine Stimme, viel zu laut, viel zu schrill.
„Ist ja schon gut“, faucht Andrea und öffnet das Fenster. Frische Morgenluft flutet das Arbeitszimmer, verwirbelt den kalten Zigarettendunst. Mich fröstelt. Andrea wischt mit dem Staubwedel über die Anrichte.
„Was machst du da? Warum unterbrichst du mich?“
Ich starre auf den Bildschirm und lasse die Hände über der Tastatur schweben.
Der Cursor blinkt hektisch hinter dem letzten Wort.
– schreib weiter –
Die Gedanken nehmen wieder Fahrt auf, in die Küche von Erwin, der hat Kopfschmerzen, leert sein Glas in einem Zug.
„Er fröstelt – trotz Hitze, das ist es!“
Meine Finger legen wieder los, doch Andrea unterbricht schon wieder.
„Stopp – hör mir zu, aber vorher …“
Sie greift sich die Boxershorts von der Campingliege und schleudert sie mir vor den Bauch.
„Zieh dir gefälligst was an!“
Jetzt erst wird mir bewusst, dass ich nackt bin. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann
– und wozu –
ich mich ausgezogen habe. Ich stehe auf und streife mir etwas ungelenk die Boxershorts über. Meine Finger gehorchen nur widerwillig und mein Rücken fühlt sich an, als wäre er voller Glasscherben. ,Noch diesen Auftrag, dann habe ich es geschafft, nicht wahr Christoph?‘
Christoph Wielandt, dreiundvierzig, alleiniger Besitzer eines kleinen Buchverlags, hat sich in der Sparte Horror und Fantasy einen Namen gemacht. Er unterstützt und fördert junge Talente. Woher das Geld stammt, bleibt sein Geheimnis, doch erzählen sich die Leute, Wielandts Mutter habe vor der Geburt eine Liaison mit dem russischen Reedereimogul Akramovich gehabt.
Ich lernte Christoph während des Studiums in Bern kennen, wo wir ein paar Semester Literatur gemeinsam durchstanden. Nach dem mysteriösen Freitod seiner Mutter - man fand sie zusammen mit Akramovitch im Gartenteich seiner Villa - gründete Christoph Wielandt mit einem Teil des Erbes den Buchverlag.
Mein Schreibstil war ihm während des Studiums aufgefallen und nachdem die Stadtwerke mir Wasser und Gas abgestellt hatten, genügte ein Anruf, obwohl ich mich dafür hasste. Das Kleingedruckte war mir egal, ich war froh, die Miete wieder bezahlen zu können, also unterschrieb ich den Arbeitsvertrag.
„Herzlichen Glückwunsch. Du bist ab sofort mein persönlicher Ghostwriter.“
Christoph schlug mir gönnerhaft auf die Schulter.
Mir war es egal, dass er von nun an den ganzen Ruhm einstreichen sollte, ich mochte öffentliche Auftritte nie und war froh, wenn ich einfach nur in Ruhe schreiben konnte.
Wielandt erbte auch die Akramovich Villa, in der er ab und zu Kunst- und Buchvernissagen abhielt. An einem dieser gesellschaftlichen Stelldichein der Eitelkeiten passierte es dann.
„Hallo. Hat der junge Autor auch einen Namen?“
Sie nahm sich ein Glas Wein vom Buffet und strahlte mich an.
Ihr Lachen war so natürlich, ihre Erscheinung so frisch, ich schätzte sie auf Anfang dreissig. Mein Herz setzte aus und mein Mund stand bereits zu lange offen. Ich schob mir schnell einen Lachscracker in den Mund, worauf ich wild gestikulierend meine schlechten Manieren zu entschuldigen versuchte.
„Rolf“, krächzte ich mit vorgehaltener Hand.“Rolf Bauer. Und Sie?“
„Andrea Sommer, Journalistin.“
Wir prosteten uns zu.
Nachdem mein Puls wieder auf normales Niveau gesunken war, stellte ich mich als Wielandts Sekretär vor. So war es vereinbart, so stand es im Kleingedruckten.
„Interessant, da kennen Sie doch sicher die versteckten Geheimnisse unseres Gastgebers?“,
raunte sie verschwörerisch.
„Als Journalistin“, entgegnete ich, „müssten Sie doch eigentlich mehr Informationen über den berühmten Akramovitch Erben haben, als sein treuer Sekretär.“
Ich stimmte in ihr Lachen ein und ein paar Gläser Saphorin später eröffnete mir Andrea, sie sei in Wirklichkeit nur Volontärin bei dem Pressefotografen, der sich gerade ausgelassen mit einer älteren und leicht beschwipsten Kunstmäzenin am runden Tisch in der Mitte des Saals unterhielt.
Andrea ergriff die Gelegenheit, zog mich in die Catering Bar, wo wir uns ein wenig unbeobachteter unterhalten konnten. Da unsere Chefs ihre zwei Mitarbeiter zu so später Stunde wohl nicht mehr vermissen würden, entführte ich sie nach draussen in den Gartenpavillon am Teich. Kurz stahl sich das Bild von Wielandts Mutter in meinen Kopf, doch meine Erregung und Andreas zufriedenes Stöhnen liessen diesen Gedanken rasch verschwinden. Und so liebten wir uns heftig, von ungezählten Mojitos völlig enthemmt, auf einer alten Sommerliege zwischen muffigen Torfsäcken. Am anderen Morgen hatten wir beide einen mächtigen Kater. Wir flachsten wie Schulkinder und versprachen uns, das Ganze von nun an etwas langsamer anzugehen. Doch nach kaum einem halben Jahr hatte der Schongang bereits ein Ende.
Wir feierten Hochzeit auf Wielandts Anwesen, die Zeremonie fand im frisch renovierten Pavillon statt, da, wo unser Glück seinen Anfang nahm. Chris war mein Trauzeuge und in derselben Nacht eröffnete ich Andrea mein Geheimnis. Ich wollte kein Versteckspiel abhalten, nicht vor Andrea.
„Du bist Wielandts – Ghostwriter? Nicht dein Ernst.“
„Was ist daran falsch?“
„Wielandt bekommt Ruhm und Ehre, und du hast die ganze Arbeit, wirst nicht einmal erwähnt! Was verdienst du eigentlich dabei?“
Da wusste ich, Andrea ins Vertrauen zu ziehen, war ein Fehler gewesen …
Auf der Hochzeitsreise durch Frankreich war noch alles in Butter, und wir genossen unbeschwerte Tage in Paris. Doch kurze Zeit später in unserer kleinen Mietwohung, gerieten wir immer öfter wegen Kleinigkeiten aneinander. Andrea mutierte aus Mangel an Beschäftigung zum ordnungsverliebten Putzteufel. Ich zog mich länger je mehr in mein Arbeitszimmer zurück.
„Andrea? Warum hast du meine Notizblätter zusammengeschoben?“
„Weil die mir beim Staubwischen im Weg sind.“
„Aber ich habe dir schon hundert Mal gesagt, ich brauche dieses Chaos, das hat System.“
„Es hat auch System, dass du lieber der Schreiberling von Wielandt bleibst, als endlich mal auf eigenen Füssen zu stehen!“
Und so eskalierte es immer auf die gleiche Art, und immer öfters. Es gab sogar Zeiten, da sprachen wir tagelang kein Wort mehr miteinander. Nur ab und zu gab es so etwas wie Versöhnungssex, doch auch das brachte uns die Unbeschwertheit vom Gartenpavillon nicht zurück.
So wurde mir Andrea langsam zuwider, ihre ewige Nörgelei über meine Arbeit, meinen Stil. Dabei war ich glücklich, ich konnte schreiben, wie und wann ich wollte, erhielt dafür ein festes Gehalt und musste mich um nichts kümmern. Ich fühlte mich frei dabei. Warum wollte sie das nicht verstehen?
Letzten Frühling, bei einem der zahlreichen Autorentreffen im Hotel Dolder, nahm mich Wielandt nach seinem Auftritt plötzlich zur Seite.
„Ich habe beschlossen, die Mortal-Serie zu beenden.“
Vor Schreck liess ich fast mein Glas fallen, er konnte mich doch jetzt nicht rausschmeissen, nicht nach all den Jahren, wie sollte ich ohne ihn weiter machen?
„Noch diese eine letzte Erwin Mortal-Geschichte.“ Er hob feierlich das Glas.
„Dann mache ich dich zum stillen Teilhaber und Autor für meine …“, er zwinkerte mir jovial zu.
„ … unsere neue Dark-House-Reihe.“
Ich war erleichtert - und dankbar zugleich. Endlich! Ich durfte die Dark-House-Reihe eröffnen. Ich musste ihm nur noch einen tollen Erwin Mortal-Schluss liefern …
„Rolf, ich schaue mir das nicht länger an.“
Nur mit Boxershorts bekleidet und mit fröstelndem Oberkörper stehe ich da und verstehe die Welt nicht mehr. „Was meinst du?“
– was hat sie vor? –
„Du ruinierst dich. Wann hast du das letzte Mal richtig geschlafen? Richtig gegessen? Auch wenn du es nicht so siehst, du brauchst eine Auszeit.“
Das Blut pocht in meinen Schläfen, die Elster pickt gegen meine Bauchwand und Erwin zieht mit einer Schlinge meinen Hals zu.
„Bitte Andrea, nur noch dieses letzte Kapitel“, bringe ich mit krächzender Stimme hervor.
„Zwei Wochen, dann ändert sich alles, dann beginnt das Leben. Unser Leben.“
Andrea schliesst das Fenster und stellt sich vor mich hin.
„Vergiss es! Du vegetierst doch nur noch vor dich hin.“ Andrea drückt den Staubwedel auf meine Brust. „Du sagst, das Leben beginnt? Du hast dich lebendig begraben, so nenne ich das.“
– lebendig begraben, lebendig begraben –
Nein, das stimmt nicht. Ich will das nicht hören. Erwin zieht die Schlinge immer enger. Und über allen schwebt Christophs Gesicht.
– Hör nicht auf sie, sie ist nur eifersüchtig –
„Ich schalte jetzt deinen Rechner aus, anders geht es ja nicht …“
„NEIN!“ Ich stelle mich schützend vor den Schreibtisch, beide Arme abwehrend nach vorn.
Andrea kommt entschlossen näher, beide Augen zu Schlitzen verengt.
„Du bist doch nichts anderes als Wielandts Sklave!“
– in Ketten mit ihm –
„Ich werde dem jetzt ein Ende machen …“
Andrea versucht mit der Hand an mir vorbei den Stromstecker zu erreichen.
Erwin schreit.
– weg mit ihr! –
Dieser Schmerz, diese Enge, ich stosse Andrea vor die Brust. Sie taumelt, verliert den Halt. Mit einem spitzen Schrei und weit aufgerissenen Augen knallt ihr Hinterkopf auf die Anrichte, auf der ein kleiner bronzener Eifelturm steht. Durch die Wucht des Aufpralls schlägt es Andrea die Kiefer zusammen, die Zähne trennen die Zungenspitze blutig vom Rest. Wie ein nasser Sack fällt Andrea zu Boden, ihr lebloser Körper liegt seltsam verdreht vor meinen Füssen. Das kleine Andenken aus Paris ragt wie ein Trichter grotesk aus ihrem Hinterkopf, Blut breitet sich aus und versickert im künstlichen Perserteppich. Ich starre in ihre leblosen Augen, sehe weit geöffnete Pupillen, Erwin kreischt in meinem Kopf vor Vergnügen.
Erwin sitzd vro der Leiche, die Beine angwinklet wiegt er siich hin und her, hin und her, streicht sanfft mit Finger ein e blonde Strähne aus Loreanas (heisst dochso-> nachschalgen) Gesicht. Dutzende Aasfliegen stossen aufgescheucht in Luft, um sogleich wieder auf de m verweesnden Körper zu landn.
Es klingelt. Wie spät ist es? Der Geruch ist unerträglich, aber jede Ablenkung würde mein Ziel gefährden. Mein Mund ist trocken, meine Augen brennen, der Rücken wie in Eiswasser getaucht, ich krümme mich vor dem Schreibtisch, jeder Tastenanschlag kostet mich Überwindung.
Die Sondereinheit dringt gleihczitig von zwei Seiten in Erwin s Wohnungg ein. Er weis, es ist vorbi langsam öffnet er die Hand. Erwin spürt eine tiefe Befrideigung, dann zie ht er den Znüder.
Dieser Lärm, splitterndes Holz, Fussgetrappel, jetzt kommen sie, sie kommen es holen, mein Manuskript, muss es ausdrucken, Andreas Bein liegt auf meinem Drucker, der Gestank, die Fliegen, ich bin nackt, aber ich lebe, noch. Die Tür springt auf, sehe den Hausmeister und Christoph, der hält sich ein Taschentuch vor die Nase und würgt. Ich lächle ihn an und flüstere:
„Fertig, Chris, ich muss es nur noch ausdrucken.“