Ghettokinder
Es ist ein Freitag in irgendeinem Jahr, in einer unwichtigen Woche. Alle Wochen sind unwichtigen für den Helden meiner Geschichte. Er nennt sich selbst Libanese. Manche halten ihn für geisteskrank oder für nicht gesellschaftsfähig, deshalb hat er sich von den Menschen abgewandt. Er lebt alleine. Zurzeit steht er wahrscheinlich in seinem Schlafzimmer, er blickt sich in seinem Spiegel an. Dabei führt er Selbstgespräche. „Was soll ich tun, alle hassen mich.“ Die Regierung, verfolgt mich, sie will an mein Geld an meinen Besitz.“ Er schneidet schreckliche Grimassen vor seinem Spiegel, er furzt und rülpst dabei. Früher war er mal beliebt gewesen und wurde von vielen bewundert. Niemand weiß warum er sich jetzt so abschottet. Der Libanese hegte schon immer Vorurteile gegen Menschen mit Vorurteilen. Deshalb musste er viel Prügel einstecken, sein Herz wurde immer kälter. Ich erinnere mich an ihn sehr gut, wir waren gute Freunde. Eine Szene hat sich in meinen Kopf festgebrannt. Der Libanese und ich, wir gingen durch die Strassen unserer Heimatstadt. Wir waren etwas angeraucht und guter Dinge. Prügel haben wir nie ausgeteilt, wir wollten immer freundlich sein und haben dies auch von anderen erwartet. Ein paar angetrunkene Macho-Proleten haben uns beschimpft, sie warfen eine Bierdose nach mir. Der Libanese hob sie auf, er ging rüber zu den vier Typen. Sie saßen auf einer Bank in der Mitte einer Fußgängerzone.
Libanese: Jungs, ich glaub ihr habt was verloren. Beim nächsten Mal behalte ich die Dose und sichere mir das Pfand dafür.
Machoprolet Nummer 1: Ey, Pisskopf, deine verdreckten Hippie Haare smellen bis hier rüber. Mach dich weg, sonst hagelt es Schläge.
Ich habe mich inzwischen der Szene angeschlossen, ich stehe direkt neben meinem Freund.
Machoprolet Nummer 2: Du und dein Schwuchtelfreund, ihr zwei solltet uns nicht reißen. Wir hassen euch, haut ab.
Ich: Wir wollen keinen Streit mit euch Jungs.
Der Libanese und ich, wir fingen laut an zu lachen. Sie standen auf, der eine schrie ziemlich laut, „REIZT MICH NICHT, IHR HOHLBROTE. EUER GEHIRN IST DOCH BIS AUFS LETZTE WEGGEKIFFT.“
Ich war etwas erschrocken und ahnte ein wenig, dass die Szene eskalieren könnte. Man konnte die Proleten wohl nicht mehr zur Vernunft bringen. Ich versuchte es trotzdem.
Ich: Wir müssen jetzt gehen, sterbt in Frieden und spendet für Greenpeace.
Zugeben, meine Worte scheinen etwas unsinnig, der Libanese und ich, wir mussten trotzdem laut lachen. Die Gefahr konnten wir nicht richtig einschätzen, dafür schwebten wir zu sehr. Das Gras war heftig und wenig hatten wir, zugegeben, nicht konsumiert. Wir hatten beide vorher noch nie richtigen Schmerz erlebt, Schnittwunden und blaue Flecken waren das bis dato das härteste. Der erste Schlag galt mir, der dritte Machoprolet streckte mich mit seiner Faust nieder. Er hatte noch kein einziges Wort mit uns gewechselt, er lachte immer nur mit seinen Freunden. Da lag ich nun am Boden, zugekifft, hilflos und schmerzentjungfert. Der Libanese beugte sich vor mich, er war entsetzt.
Die vier lachten, es war ein schrecklicher Ton. Ich vergleiche ihn immer gerne mit betenden Leuten in der Kirche. Der Libanese stand auf und fing an unkontrolliert zu schreien. Seine Worte verstand ich nicht. Ich wollte aufstehen, aber da traf mich ein Stiefel. Sehr hart, ich spürte das ein paar Rippen geprellt oder gebrochen sein müssten. Daraufhin kotzte ich auf den Boden, es kam Blut mit. Sie lachten immer noch, ich sah wie sie meinen Freund über eine Parkbank legten. Zwei hielten ihn fest, der andere trat immer wieder auf ihn ein. Mir wurde wieder schlecht, aber nicht wegen meiner Verletzung sondern wegen der Abneigung die ich gegenüber diesen Menschen spürte. Als ich dort auf dem Boden lag hegte ich Rachepläne. Ich wollte dem dritten Proleten die Gesichtshaut abziehen und sie ihm an den Arsch Tackern. Außerdem wollte ich mir Pfeil und Bogen kaufen und solange auf sie schießen bis sie keine Augen mehr hätten. Ich wurde wieder vernünftig und beschloss mich nicht mit Gewalt zu rächen. Wer den Weg der Gewalt geht, der verläuft sich schnell. Wieder kam einer von ihnen auf mich zu, er „sang“ irgendetwas und als er mich zum letzten Mal trat sagte er „Sieg heil, der Krieg war geil“. Ich blieb noch ein paar Minuten regungslos liegen, es war mitten in der Nacht und es gab keine Fußgänger die uns halfen. Ich stand auf, meine Schmerzen gingen ins unermessliche. Der Libanese lag auf der Parkbank, sein Gesicht war blutunterlaufen. Wir wollten beide zusammen am nächsten Tag ins Krankenhaus gehen. Ich hab ihn in dieser Nacht zum letzten mal gesehen. Die letzten Worte die er zu mir sagte waren „Wer diese Welt versteht kommt ins Blumenbeet.“ Ich denke oft über meinen Freund nach und ich vermisse ihn. Auch wenn ihn viele hassen oder ihn für sonderbar halten, für mich war er immer etwas Besonderes. Manchmal muss man die Dinge und die Worte von einer anderen Seite betrachten um sie zu verstehen.