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Gewissen

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10.06.2003
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Gewissen

Gewissen

Fest drückt er das Okular an seine Augenhöhle. Er spürt das kratzige Holz an seinem Wangenknochen. Sein Blick geht weit. Weit über eine Leichenstadt, die im Sterben liegt. Trümmer liegen auf Straßen, Plätzen, in Hauseingängen und Gärten. Dieser ewige Staub, denkt er. Er macht mich noch verrückt. Ewig muss ich das Fernrohr abwischen. Ewig. Und seit langem dieses komische Gefühl. Angst. Gewissensbisse, falsch zu handeln. Unrecht zu tun als Maschine des Todes.
Ein wenig Schweiß tropft auf den Lauf. Sein Auge späht in einen Garten. Über die Mauer einer alten Fabrik. Da hat sich doch etwas bewegt. Ein Helm taucht knapp über der Mauer auf. Wankt. Er setzt die Waffe ab. Säubert das Okular. Lädt eine Patrone ein. Eine Patrone, Hartkerngeschoss. Seine Hand zittert nicht beim Anlegen des Gewehrs. Der Helm ist immer noch da. Die Zweifel auch noch. Sein Ausbilder in der grauen Kaserne sagte immer, das es ein Schuss sein muss. Ein Schuss der treffen muss. Der töten muss. Muss. Muss ich das?
Muss ich töten oder darf ich nicht töten?
Der Helm bewegt sich langsam hin und her. Als ob sein Besitzer etwas suchen würde. Er zielt
Knapp unter die runde Kuppel des Stahlhelms.
Der Ausbilder sagte oft, dass der Tod für viele besser ist als das Leben. Vor allem wenn es abrupt, ohne Vorahnung endet. Aber wie grausig ist dieser Tod. So schrecklich die Kameraden mit den zerfleischten Schädeln zu sehen. Getötet von Scharfschützen so wie ich.
Aber Krieg ist Krieg. Entweder ich oder er. Verschone ich diesen Helm jetzt, so wird er meine Kameraden das nächste Mal auch nicht verschonen. Er wird sie auch töten. Ohne mit der Wimper zu zucken. Wie ich?
Sein Zeigefinger berührt leicht den Abzug des Gewehrs. Noch ein kurzes Ein- und Ausatmen.
Den Helm genau im Fadenkreuz. Eine kleine Böhe weht etwas Staub auf.
Der Zeigefinger verstärkt seinen Griff. Ein paar Sekunden noch.
Jetzt. Jetzt tu´ich es. Noch ein Moment. Jetzt.
Er will abdrücken. Aber sein Finger bewegt sich nicht. Der Helm kommt hinter der Mauer hervor. Ein kleiner Junge steckt unter ihm. Höchstens 6. Noch jung und unschuldig. Er rennt lachend hinter einem roten Ball her.
Er setzt das Gewehr ab. Sein Atem ist ganz ruhig.
Mit einer Armbewegung katapultiert er die Patrone wieder aus dem Lauf.


von David F. Sonntag, alle Rechte vorbehalten.

 

Hallo summersunlady,

deiner Anweisung im "Schokolade"-Beitrag bin ich gefolgt und habe auch diese Geschichte gelesen. Die Ethik hinter dem Text ist selbstverständlich klar: Krieg ist schlecht und schadet den falschen. Belassen wir es bei dieser Feststellung und gehen nicht auf gewisse Staatsmänner ein, denen Aktien in der Rüstungsindustrie Millionen eingespielt haben.

Die Geschichte selbst ist gut erzählt. Du beschreibst die Situationen nicht zu detailliert, damit der Leser noch seine Phantasie spielen lassen kann. Du beschreibst die Szene jedoch auch nicht zu oberflächlich... gute Mischung. Mal nebenbei gefragt: Bist du du David F. Sonntag oder habe ich jetzt 'dich' umsonst gelobt? ;)

Gebissen habe ich mich an der Aussage 'kühles Lüftchen'. Es passt so wenig wie eine Alexander Klavs CD in die Jazzabteilung. Beim nochmaligen lesen der Zeile habe ich übrigens bemerkt, dass du dort ausversehen 'wehte' statt 'weht' geschrieben hast.

MfG

 
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Ja, mir gefällt die Geschichte auch! Sie beschreibt gut, die moralischen Auffassungen eines zivilisierten Menschens wie schwer es ist, gesellschaftliche Werte selbst in extremsituationen (wenn es um das Überleben geht) abzulegen, aber das dies n der Regel doch geschieht.
Schön ist auch die Perspektivlosigkeit, die der Soldat hat ("ewig") beschrieben.
Allerdings íst jedem grundsätzlich ungefähr klar, wie sich so ein Sniper fühlen muss und es hat zu dem Thema ja schon viele Filme und Bücher gegeben, so dass ich zumindest das Gefühl hatte nicht wiklich etwas neues zu erfahren, beziehungsweise einen Gedankengang zu verfolgen, der mir bisher fremd war.
Vielleicht hätte sich eine andere Situation, als dieses standart Soldaten-sind-in-Zwickmühle-weil-sie-eigentlich-keinen-töten-wollen-das-aber-müssen-um-zu-überleben-Thema nicht so eine abgegrast auf mich gewirkt....
Sehr philosophisch ist es jedenfalls nicht, passt auch eher in die Gesellschafts-Rubrik.

 
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Hallo.

Danke für die Antworten, und das man mir, "summersunday", die KG nicht zutraut schmeichelt mir schon sehr. Aber ich bin David F. Sonntag und habe diese KG im Zuge des Deutschunterrichts geschrieben.

Natürlich ist dieses Standart "Soldaten-sind-in-Zwickmühle-weil-sie-eigentlich-keinen-töten-wollen-das-aber-müssen-um-zu-überleben-Thema" schon sehr abgegrast, aber ich denke man muss immer wieder an solche begebenheiten erinnern, denn sie vermenschlichen so Manchen.

D.F.S

 

Geschrieben von hoEyo
Hallo summersunlady,

deiner Anweisung im "Schokolade"-Beitrag bin ich gefolgt und habe auch diese Geschichte gelesen. Die Ethik hinter dem Text ist selbstverständlich klar: Krieg ist schlecht und schadet den falschen. Belassen wir es bei dieser Feststellung und gehen nicht auf gewisse Staatsmänner ein, denen Aktien in der Rüstungsindustrie Millionen eingespielt haben.

Die Geschichte selbst ist gut erzählt. Du beschreibst die Situationen nicht zu detailliert, damit der Leser noch seine Phantasie spielen lassen kann. Du beschreibst die Szene jedoch auch nicht zu oberflächlich... gute Mischung. Mal nebenbei gefragt: Bist du du David F. Sonntag oder habe ich jetzt 'dich' umsonst gelobt? ;)

Gebissen habe ich mich an der Aussage 'kühles Lüftchen'. Es passt so wenig wie eine Alexander Klavs CD in die Jazzabteilung. Beim nochmaligen lesen der Zeile habe ich übrigens bemerkt, dass du dort ausversehen 'wehte' statt 'weht' geschrieben hast.


Danke für die Antwort,

ich habe die Verbesserungen ausgeführt.

 

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