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Gevatter Mond

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07.06.2002
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Gevatter Mond

Gevatter Mond

Horch! Ein kalter Wind fährt durchs Gemäuer, und das dürre Gras gilbt vor sich hin. Eine schorfige Wunde bedeckt den kalten Stein, und vom Himmel her grinst der Mond. „Wohin des Wegs, Gevatter?“ frage ich den Mond, und er antwortet: „Heute abend bin ich auf Brautschau. Anmutig soll sie sein, meine Braut, und ihr Lächeln soll meine Einsamkeit vertreiben. Doch stelle ich folgende Bedingungen: sie darf, wie ich, nur ein Auge besitzen, und ihre Seele muß sie, bevor sie sich mit mir vereint, an den Manne verloren haben, der sie auf Erden am meisten geliebt.“ Ich drehe mich um und mustere mein schweres Gepäck, das ich hierher getragen und abgestellt habe. Durch viele Länder bin ich gereist, und viele Dinge haben sich angesammelt, ein Ding seltsamer als das andere. Ein Uhu mustert mich vom Turme herab, ich nicke zu ihm hoch, denn einst haben wir ein gutes Geschäft abgeschlossen. Der Uhu fliegt davon und nimmt das letzte Geräusch mit sich. Oft treffe ich alte Freunde an den eigenartigsten Orten.

„Gevatter Mond, vielleicht habe ich, was Ihr braucht. Wollt Ihr mir nicht sagen, was Ihr zu zahlen bereit wärt?“ Auch er ist ein alter Freund. Wie oft saß ich schon am Lagerfeuer und plauderte mit ihm, sah ihn wachsen, sah ihn schwinden. Der Mond hat einen seltsamen Humor und ist durch und durch verdorben, aber was schert es mich? Ich handle auch mit dem Tod und habe es noch niemals bereut. „Nun, Euer Beutel ist voll, Euer Herz aber ist leer. Als Händler seid Ihr weit gereist, doch mangelt es Euch an wahren Freunden, wie ich es einer bin. Besorgt Ihr mir eine Braut, so werde ich Euch einen Freund verschaffen, der Euch nie wieder von der Seite weichen wird, komme was wolle. Einen Freund, der, egal wie schlecht Ihr ihn behandelt, Euch niemals untreu werden wird. Dies ist mein Angebot.“ Der Mond ist eine gerissene Person. Er schaut tiefer in einen hinein, als man es sich wünschen könnte. Was brauche ich Dukaten, Perlen, teures Gewürz oder Duftwerk? Auch der Weibsbilder habe ich schon genug gehabt, und stets hat sie mir der Tod in barer Münze bezahlt. So antworte ich: „Gevatter Mond, ich schlage ein. So bezahlt mir Liebe mit Treue, und ich will damit zufrieden sein.“

Ich öffne mein Gepäck und ziehe ein Buch hervor, zwischen dessen Seiten zahlreiche getrocknete Blüten aus aller Herren Länder gepreßt sind. „Hier, dies ist meine Fibel der Anmut. Sucht Euch Eure Braut heraus, Ihr werdet kaum eine schönere Auswahl finden. Schaut, wie all diese prächtigen Jungfern Euch mit ihrem einen Blütenauge anlächeln, und ihre Seelen haben sie allesamt bereits verloren, nämlich an mich, der ich jede einzelne Blüte für jede einzelne meiner Geliebten gepflückt und getrocknet habe. Und so wie ich jede einzelne meiner Geliebten auf Erden am meisten geliebt habe – denn mit meiner Liebe kam ihr Tod – so liebte ich auch diese Blüten, die ich für sie gebrochen habe. Alle Eure Bedingungen, Gevatter Mond, sind erfüllt.“

Ich schaue dem Mond ins Antlitz und freue mich, ein so gutes Geschäft abgeschlossen zu haben, da dröhnt der Gevatter: „Händler, Euch ist nicht zu trauen. Diese getrockneten, toten Wesen haben tatsächlich keine Seele mehr, aber das entspricht nicht dem, was ich mir gewünscht habe. Dennoch möchte ich meinen Teil des Handels erfüllen, obgleich Ihr mich betrogen habt. So gebe ich Euch an Eure Seite den treuesten Begleiter, den ich kenne: die Angst. Nie wieder sollt Ihr in der Lage sein, einen falschen Handel mit mir abzuschließen, weil Euch, sobald Ihr Euch unter freiem Himmel aufhaltet, panische Furcht und grauenhafter Schrecken packen wird. Nie wieder möchte ich einen Blick auf Euch werfen müssen, nie wieder werdet Ihr in die Verlegenheit kommen, mir einen Gruß entbieten zu müssen. Doch weil wir einst Freunde waren, gewähre ich Euch ein letztes Geschenk: heute Nacht sollt Ihr noch unbehelligt sein. Genießt ein letztes Mal den Anblick des gestirnten Himmels, fühlt, wie die Weite der Nacht Einzug in Eure Seele hält. Bewahrt diese Erinnerung gut, sie ist das einzige, was ich Euch noch gewähren kann. Wenn Ihr weise seid, so könnt Ihr ein Leben lang von dieser Erinnerung zehren. Gehabt Euch wohl.“

 

Hallo Xerxes!
Da ist dir ein wirklich sehr schönes Märchen gelungen!Der Stil gefällt mir, es liest sich flüssig und trotz der Kürze kann man sich die Situation gut vorstellen. Ich ahnte schon, dass er den Mond betrügen würde un dieser ihm irgendwas ganz fieses zur Seite stellen würde - und hab mich schon drauf gefreut rauszufinden was! :D
Nur das Ende gefällt mir irgendwie noch nicht so recht,

So sitze ich nun hier auf kaltem Stein, und am Horizont erblüht schon die Dämmerung. Doch Gevatter Mond ist gütig: ich habe die Nacht und den Himmel in mir aufgenommen, und sie sind in mir verborgen wie die Liebe.
obwohl ich gar nicht genau sagen kann warum.
Vielleicht solltest du es einfach noch ein wenig länger und genauer machen, sonst wirkt es irgendwie ein wenig abgehackt.
Ansonsten aber wirklich ne super Geschichte!:thumbsup:
Mach weiter so! :)
Liebe Grüße
Aglaia

 

Kann mich AglaiaFei in allen Punkten anschließen. Schönes Märchen!

Zum letzten Absatz:
Mir gefällt er auch irgendwie nicht. Ich hab mal die Geschichte ohne diesen Absatz gelesen und finde jetzt, dass man ihn auch weglassen kann. Probier's mal aus.

 

Hi AglaiaFei, hi Abraxas!

Es freut mich, daß euch mein Märchen gefallen hat, dankeschön für euer Lob. Ich habe lange darüber nachgedacht, daß euch beiden der letzte Absatz nicht gefallen hat, und würde mich eher der Meinung von Abraxas anschließen und den Absatz weglassen, als die Geschichte zu verlängern. Mit dem Abschiedsgruß des Mondes ist die Geschichte eigentlich erzählt, und alles weitere kann sich der Leser auch vorstellen, oder? Vielleicht liegt der Reiz der Geschichte tatsächlich in der Kürze und Überschaubarkeit des Geschehens (AglaiaFei, du schreibst, du habest schon geahnt, wie die Geschichte ausgehen würde), das wäre ein weiterer Grund, auf den letzten Absatz zu verzichten. Was ist deine Meinung dazu, AglaiaFei?

Viele Grüße,
Xerxes

 

Hallo ihr beiden!
Jepp, Abraxas hat absolut recht! Habe mir die Geschichte auch nochmal ohne den letzten Absatz durchgelesen und das ist absolut ok! Dann wirkt es wirklich rund abgeschlossen!
Also ich bin auch fürs weglassen! ;)
Liebe Grüße
Aglaia

 

So, der letzte Absatz ist jetzt entfernt. Habt Dank für euren weisen Ratschlag! :)

 

Hallo Xerxes!

Auch mir hat die Geschichte sehr gut gefallen! :thumbsup: Du erzeugst ein intensive Stimmung und auch die Überarbeitung find ich so besser!

Nur: Falls es an der Geschichte etwas zu "verstehen" gab, ist es mir entgangen. Stehe ich da auf der Leitung oder suche ich nach etwas was gar nicht vorhanden ist?

Die Geschichte wirkt auf mich, als ob der Ich-Erzähler und Händler für irgendetwas stehen soll (Menschen?), am Ende erklärt werden soll, warum wir Menschen Angst im Dunklen haben (?). Nur wer macht nun eigentlich Geschäfte mit einem Uhu und dem Mond? Du siehst an den vielen Fragezeichen: Wenns da was zu verstehen gibt, ist es mit entgangen - oder sollte es einfach nur ein nettes Märchen sein, ohne "irgendeinen Tiefsinn"?
:confused:

 

Hey!
Naja, ich bin zwar nicht gefragt, aber ich habe die Geschichte so verstanden, dass die Moral einfach - wie bei vielen Märchen - ist, dass sich Betrug, das Böse etc. nicht lohnt, weil einem am Ende dasselbe passiert... So hab ich's verstanden und finds eigentlich auch gut so. Manchmal geht mir dieses "Vertiefsinnigen" eh auf den Keks... :D
Nix für Ungut
Liebe Grüße
Aglaia

 

Hallo zusammen!

Jetzt könnte man eine Grundsatzdiskussion über Märchen führen, hehe... da gibt es sicher dicke Bücher drüber, aber meine persönliche Absicht war es, mittels der Form des Märchens (und zu der Form eines Märchens gehört oft eine Moral dazu, muß aber sicher nicht dazugehören) bestimmte Bilder und Stimmungen zu transportieren. Wenn das gelungen ist, freut es mich. Ganz nebenbei bemerkt, ist hoffentlich klar, daß mir der Händler durchaus sympathisch ist, und eine solche Strafe hat er sicherlich nicht verdient. Aber geht es im Märchen gerecht zu? Eigentlich selten, oder? Ist Moral gleich Gerechtigkeit? Wer im Märchen böse ist, kriegt immer sofort eins auf die Mütze... nochmals nebenbei: der Händler hat natürlich nicht nur den Mond, sondern auch seine Geliebten verraten. Ich revidiere meine Meinung: vielleicht hat er's doch verdient!:)
Noch ein Tip: Märchen von Oscar Wilde, sind auch im Internet zu finden. Ein traurig-schönes Lesevergnügen.

Viele Grüße,
Xerxes

 

Na denn wäre ja alles geklärt! :D
Ich finde übrigens auch, daß allzu "moralinsaures" ganz schön auf den Sack gehen kann, insofern finde ich ein "Stimmungsmärchen" prima. Und wer doch nach einer Moral sucht, scheint ja auch fündig geworden zu sein - für jeden was dabei sozusagen - toll! ;)
Niels

 

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