Was ist neu

Gestern am Nachmittag und heute am Morgen

Mitglied
Beitritt
04.08.2002
Beiträge
294

Gestern am Nachmittag und heute am Morgen

Gestern am Nachmittag habe ich mich nach dem Sinn des Lebens gefragt. Ich habe dann meinen Lover angerufen, um ein Date mit ihm zu vereinbaren. Während des Telefonats ist mein Kollege zu mir ins Büro gekommen und hat das Gespräch mitangehört. Mein Kollege ist ein vierzigjähriger Möchtegernliterat, der bestimmt heimlich auf mich wichst. Mein Lover ist ziemlich kurz angebunden gewesen, weil er gerade einen Kunden bei sich gehabt hat, dem er eine Softwarelösung verkaufen wollte. Ich habe meinen Lover gebeten, Zahnpaste und eine Glühbirne für mich zu besorgen. Mein Licht im Schlafzimmer ist nämlich ausgebrannt. Gegen zehn Uhr abends wird er kommen und mein Schlafgemach erhellen, hat er gesagt. – Bussi.

Mein Kollege hat schmutzig gegrinst, nachdem ich aufgelegt habe. Dann haben wir – mein Kollege und ich - über unseren Chef geredet, und sind zum Schluss gekommen, dass er ein sadistisches Schwein ist – unser Chef. Ich habe mir dabei gedacht, dass er in sexueller Hinsicht bestimmt ein Masochist ist und zu einer Domina geht (also der Chef), habe es aber nicht gesagt, weil mich mein Kollege nervt. Und irgendwie sind Aussagen solchen Inhalts generell abgeschmackt, zumindest irgendwann ab dem dreißigsten Lebensjahr. Ich habe dann einfach aus dem Fenster gesehen und gar nichts mehr geredet, und mein Kollege ist dann gegangen. Ich war erleichtert, dass er mir nicht schon wieder erklärt hat, wie unfähig heutzutage die Verlage sind, weil sie seine Werke nicht veröffentlichen. Das kann ich wirklich nicht mehr hören.

Weil ich kein Lust gehabt habe, zu arbeiten, habe ich eine Freundin angerufen. Nachdem sie mir die neuesten Entwicklungen in ihrer Beziehung (huh?) mit ihrem Freund aus Übersee erzählt hat (den sie seit gut einem Jahr nicht gesehen hat), habe ich ihr geantwortet, dass es vielleicht keine gute Idee ist, ihm Geld zu schicken, wenn sein ständig angekündigter Besuch immer wieder aufgrund von irgendetwas verschoben werden muss. Sie hat mich aber dann darauf hingewiesen, dass er gesagt hat, dass er sie heiraten möchte. Danach haben wir über eine andere Freundin geredet, und haben uns gegenseitig darin bekräftigt, dass wir uns nie gefallen lassen würden, was sie sich von ihrem Mann gefallen lässt. So tief würden wir beide nie sinken. Wir würden dem Kerl einen Arschtritt verpassen. Nachdem wir uns ausgemacht haben, in zwei Tagen wieder zu telefonieren, war auch dieses Gespräch zu Ende. Ich habe dann noch am Computer Solitär gespielt, bis es vier Uhr gewesen ist, also Dienstschluss – endlich.

Nach der Arbeit bin ich auf die Uni gefahren und habe mir eine Vorlesung über Friedrich Nietzsche reingezogen. Ich habe ein Studentenpärchen beobachtet und mir darüber Gedanken gemacht, ob die beiden es miteinander tun (yeah) und habe mir ausgemalt, wie das wohl abläuft. Danach habe ich mich wieder auf die Vorlesung konzentriert, was mir leichter gefallen wäre, wenn der Professor eine Spur erotischer gewesen wäre. Österreichische Männer sind im Durchschnitt eben nicht attraktiv – ein altes Leiden hierzulande.

In der U-Bahn hat sich ein Type neben mich gesetzt, der ständig gehustet hat. Weil mir das irgendwie unangenehm war, habe ich mich zum Ausgang gestellt. Nach dem ermüdendem Bad in der Menschenmenge, die sich ja zu den Stosszeiten immer in den U-Bahnschächten befindet, war ich ziemlich froh, zu Hause zu sein.

Ich habe gleich die Glühbirne im Schlafzimmer aus der Fassung gedreht und mich heiß geduscht. Bei langsamer Musik habe ich mir dann im schummrigen Licht rote Unterwäsche angezogen. Danach habe ich mein Bett frisch mit dem schwarzen Seidenzeugs bezogen. Dabei habe ich Gedanken gehabt, bei denen ich lächeln musste, nicht grinsen. Um halbelf habe ich meinen Lover angerufen, wo er bleibt. Er hat mir erklärt, dass er heute keine Zeit mehr hat, weil eine alte Freundin von ihm in einer Krise steckt und seinen seelischen Beistand braucht. Weil alles so dramatisch ist, hat er auf mich vergessen, aber er hätte sich bestimmt noch gemeldet. Na was? –

Ich habe mir dann noch eine Dokumentation über Frauen in Afghanistan angesehen und mich danach eine Spur besser gefühlt, manchmal bin ich widerlich. Dann bin ich ohne Zähneputzen eingeschlafen. Als ich heute Morgen aufgewacht bin, habe ich mich nach dem Sinn des Lebens gefragt.

 

Hallo Klara!

Die kursivenWörter haben sicher eine besondere Bedeutung, aber ich bin zu doof, dahinter ein System zu finden.
Ich fand Deine Geschichte recht unterhaltsam: die Gedanken der Prot kommen so schön zyninisch rüber. Besonders schön: sie kann ihren Kollegen wegen seiner schmutzigen Art nicht ausstehen, aber beide lästern zusammen über den Chef...:)
Du schilderst die Gedanken Deiner Prot so schön trocken, da bleibt eine Menge Spielraum für Fantasien...
mir aht der Text viel Spass gemacht!

liebe Grüße, Anne

 

Hi Klara,

um eine Erklärung zu den kursiven Wörtern würde ich auch bitten, ich kapier das nicht :silly:

Die Oberflächlichkeit (sich nach dem Sinn des Lebens fragen und dann aber überhaupt nicht darüber nachdenken) und fehlende Selbstreflektion in der Gesellschaft (über andere lästern aber selbst nicht besser sein) nimmst Du treffsicher aufs Korn. Das Ende war leicht vorhersehbar, man könnte aber auch sagen, dass es perfekt zur Geschichte passt.

Warum benutzt Du den ungewöhnlichen Tempus? Das ist mir nicht ganz klar.

Fazit: Eigentlich eine Satire auf sowas wie ein "modernes Spießertum", treffsicher und stilistisch flott geschrieben.

Uwe

 

Hallo Maus und Uwe!

Es freut mich, wie die Geschichte bei euch angekommen ist. Hinter den kursiven Wörtern steckt eigentlich kein tieferer Sinn. ;)
Ich habe das eher intuitiv gemacht, einerseits ging es mir um die jeweils kennzeichnenden Themen für die einzelnen Absätze, andererseits wars auch aus Lust an den Wörtern selbst, wie etwa beim Wort "Softwarelösung".

@Maus
Ja, die Geschichte ist ziemlich zynisch geschrieben. Es hat mir Spass gemacht, einmal so eine "flapsige" Sprache zu verwenden.

@Uwe
Ich habe die Vergangenheitsform gewählt, weil es mehr wie gesprochene Sprache klingen sollte. Also der Text soll einfach "so dahingesagt" wirken.
Du hast recht, das Ende ist vorhersehbar. In diesem Fall stört das aber nicht, glaube ich.
Den Gedanken mit dem "modernen Spießertum" finde ich interessant. Vielleicht kannst du noch ein paar Worte dazu sagen.

Danke für eure Beiträge! :)

lg
klara

 

Hi,

zum "modernen Spießertum"... nun, unter "Spießertum" verstehe ich Verhaltensmuster wie Karnevalsverein, Kegelclub, Kaninchenzüchterverein, Kleingarten, samstags das Auto waschen... jedenfalls sind dies Verhaltensmuster, die im Schnitt für die Generation der jetzt vielleicht 60-Jährigen typisch sind und zu der etwas abwertenden Bezeichnung "Spießer" führen, womit wohl eigentlich auf die Angepasstheit und einen langweiligen Lebensstil abgezielt wird.

Wozu diese Vorrede? Um zu vergleichen, wie für mich das "moderne Spießertum" aussieht, wie also die entsprechenden Verhaltensmuster der Angehörigen der jetzt etwa 30 Jahre alten Generation aussehen und in der vorliegenden Geschichte (teilweise) vorkommen: Sonnen- und Fitnesstudio, minutiöse Lebensplanung per Handy, Gesundheitswahn (bloß nicht angehustet werden!), Arbeit als Lebensinhalt und Zeitkiller, Solitär spielen, fernsehen... zugegeben, das ist sehr unscharf und sicher diskussionswürdig (immerhin gehöre ich selbst dieser Generation an). Ich kann auch nicht schlüssig erklären, warum ich den Text als Satire auf dieses verstanden habe. Da ist in meinem Kopf etwas passiert, denke ich...

Die Heldin ist für mich einerseits eine Stereotype der heutigen Büroangestellten, andererseits will sie aus dieser Begrenzung ausbrechen, indem sie zu Philosophie-Vorlesungen geht, dann schläft sie aber doch vorm Fernseher ein (oder kurz danach). Das ist für mich ein satirisches Trauerspiel.

Fragt sich nur, ob es auch so gedacht war...? ;)

Uwe

 

Hallo,

bei deiner Beschreibung des "modernen Spießertums" muss ich unweigerlich an Generation Golf von Florian Illies denken.

Ich finde aber, dass die Prot. nicht ganz in dieses Bild hineinpasst. Sie stellt ja Fragen und sucht auf gewisse Weise, nur lenkt sie sich ab mit Zynismus und oberflächlichen Reizen, bevor sie in die Gefahr des Nachdenkens gerät.
Vielleicht weiss sie ja, dass die Antwort bei der Fülle von Theorien und Sichtweisen nicht zu finden sein wird. In diesem Sinn würde ich sie eher als "postmoderne Spießerin" bezeichnen. :hmm:

lg
klara

 

Geschrieben von klara
Vielleicht weiss sie ja, dass die Antwort bei der Fülle von Theorien und Sichtweisen nicht zu finden sein wird. In diesem Sinn würde ich sie eher als "postmoderne Spießerin" bezeichnen. :hmm:

Einverstanden!
:D

Uwe

 

Hei Klara,

lässig und locker-flockig beschreibst du einen typischen Tag im Leben einer "postmodernen Spießerin". In einigen Passagen habe ich mich selbst gefunden, hehe. :cool:

Wenn mich jemand in Zukunft danach fragt, als was ich mich selbst bezeichnen würde, sage ich: „Ich bin so `ne Art „postmoderne Spießerin. Du weißt schon ...“

Gute und treffsichere Formulierungen!

lg
liz

 

Servus Klara!

Hab deine Story amüsant gefunden und gleichzeitig hat sich mich auch ein bisserl betroffen gemacht. Die Prot. sieht alles ziemlich leger und wirft ihre Gedanken und Veruteilungen halt mal so locker vor sich hin. Und trotzdem blitzt dahinter so ein Angekotztsein hervor. Weil sie alles so hinüberprojiziert auf die anderen und eigentlich scheint aber für sie selbst nichts Wert zu besitzen. Weder die Arbeit, noch das Studium, schon gar nicht die Menschen, aber auch sie selbst nicht.

Die Geschichte ist echt gut geworden.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Hach ja, ist ja schon wieder alles gesagt worden. Ein Jammer, wenn man eine gute Geschichte liest und am Ende bleibt einem nur übrig zu sagen: Danke für die gute Unterhaltung! ;)

Sehr mies übrigens von dir (resp. der Protagonistin) die Betonung bei "Österreichische Männer" auf Männer zu legen. Noch mieser, wenn man dann später liest, dass du die kursive Schreibweise intuitiv gewählt hast. Aber wenigstens schiebst du "im Durchschnitt" hinterher. ;)

Grüße
Visualizer

 

Hallo,

ich danke euch für eure Rückmeldungen und es freut mich, dass euch die Geschichte unterhalten hat. :)

@Liz
Hey, du postmoderne Spießerin ..
Irgendwie klingt die Formulierung witzig, gel, auch wenn mir im Detail nicht klar ist, was das heißen soll.
Naja, vielleicht fällt uns ja was dazu ein ... ;)

@schnee.eule
Ja, auch ich hatte ein etwas ambivalentes Gefühl beim Schreiben. Einerseits hat mir die "locker-flockige" Sprache Spass gemacht. Andererseits ist es eigentlich ein ernster, ein bißchen makaberer Text, weil - wie du es auf den Punkt bringst - für die Prot. nichts einen Wert zu haben scheint.

@Visualizer
Naja, das mit den österreichischen Männern .. Jetzt weiss ich nicht was ich antworten soll ..
Jedenfalls, ganz so negativ wie die Prot. seh ich das nicht. :cool:

lg
klara

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom