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Gestatten, Ihre Zimmer KI
Es war wie eine Wand. Nichts anderes hätte eine unmittelbarere Grenze darstellen können, als das klimatisierte Flughafengebäude zu verlassen und sich der gnadenlosen Hitze Abu Dhabis auszusetzen. Mr. Triss blinzelte und hob die Hand, um seine Augen vor der Sonne zu schützen, doch sie gewöhnten sich nur langsam an das gleißende Licht und seine Umgebung. Sie war wunderschön seiner Meinung nach. Anders als die eilenden Menschen hinter ihm, hielt er inne um sich die umgebende Landschaft anzusehen. „Passen Sie doch auf, können Sie nicht einen anderen Weg verstopfen“, fauchte hinter ihm ein Geschäftsmann, der durch seine Zeitung abgelenkt, fast in ihn hineingelaufen wäre. „Oh, das tut mir sehr leid“, entschuldigte er sich. Mr. Triss meinte es ernst und zog auch noch seinen Hut zur Verdeutlichung. Der Mann schnaubte nur und stieg in eines der Vehikel, die vor dem Terminal warteten. Mr. Triss nahm seine Reisetasche, setzte seinen Hut wieder auf und stapfte los, um den Transfer zum Hotel zu suchen.
Selbst ein großer Fan des motorisierten Sportes, schlenderte er staunend an der Schlange der wartenden Wagen vorbei. Die Scheiche hier hatten wirklich Geld und stellten es gern zur Schau. Auch wenn er es erwartet hatte, so überrascht war er doch, dass selbst die Taxen neuesten Baujahrs und aus edlem Hause waren. Sogar ein selbstfahrender Mercedes entlud gerade eine kleine Familie von Europäern in das Flughafengebäude. Ursprünglich wollte er sich in der Zeit nach seinen Meetings größtenteils im Hotel aufhalten. Jetzt aber wurde ihm klar, was er sich entgehen ließe, wenn er sich nicht wenigstens einmal den Dubai Autodrome ansah. Wer weiß, vielleicht würde er sogar die Gelegenheit haben, sich zum Yas Mariana Circuit aufzumachen. In einer schwarzen Lexus Limousine, die nicht älter als zwei Monate sein konnte, wurde er fündig; auf der Motorhaube und an jeder Tür stand in hellgelb: >Auftrag: Transfer von Mr. Triss< Er zog am Türgriff, doch sie war verschlossen. Er sah sich um… war hier noch ein anderer Mr. Triss, der transferiert werden sollte? „Ah, Mister Triss, Sie sind doch Mr. Triss, nicht wahr“, kam es in sehr stabilem, jedoch leicht von arabisch durchzogenem Englisch von der Seite. Mr. Triss, leicht erschrocken, wandte sich langsam um.
Die Worte kamen von einem kleinen Araber mit Vollbart, der auf ihn zugeeilt kam. Beim Laufen schnipste er seine Zigarette, die er eben noch geraucht hatte zur Seite weg. Als er vor ihm stand, packte er seine Hand und schüttelte sie ausgiebig. „Ich freue mich wirklich Sie kennen zu lernen Mr. Triss, ich bin Nabil Ibn Umar Ibn Abbis el Alvi, aber nennen Sie mich doch bitte Nabil.“ Mr. Triss wollte seinerseits zu einer Begrüßung anheben, wurde jedoch direkt von seiner neuen Bekanntschaft abgewürgt: „Sehen Sie, es tut mir leid, ich wollte eigentlich direkt vorm Terminal auf Sie warten, naja, jedenfalls bin ich Ihr Fahrer und soll sie zum Hotel fahren.“ Mr. Triss bedauerte es, einen Fahrer zu haben, er wäre tatsächlich gerne einmal in einem selbstfahrenden Wagen unterwegs gewesen. Stattdessen wies er Nabil höflich auf die verfrühte Ankunft seines Fluges in Dubai und den Umstand, dass er seine Tasche recht schnell auf dem Gepäckband gefunden hatte hin.
Dreißig Minuten später waren sie bereits in Downtown Dubai und Mr. Triss hörte den Ausschweifungen Nabils über die Stadt und ihr Nachtleben nur noch mit halbem Ohr zu; er wurde zu sehr von den Gebäuden, den Wolkenkratzern und dem Straßenleben abgelenkt, um sich wirklich auf eine anregende Unterhaltung konzentrieren zu können. Zu seiner Liste der Sehenswürdigkeiten, die er unbedingt besuchen wollte kamen auf jeden Fall noch die Mall of the Emirates und die Palm Islands. Dubai war wie die perfekte Verschmelzung von westlichem Geld und arabischer Schönheit. Eine Nachricht von seinem Boss zog seine Aufmerksamkeit fort von den Straßen Dubais. In der Nachricht begrüßte er ihn an seiner Destination und wünschte ihm viel Erfolg. Mr. Triss tippte eine knappes „Danke“ in das Display und steckte sein Handy zurück. „Chef“, fragte Nabil. „Macht Ärger? Ist bei meinem so. Aber bitte sagen Sie ihm das nicht.“ Und schon plapperte Nabil in einemfort weiter. Mr. Triss musste schmunzeln, hoffentlich waren nicht alle Einheimischen wie dieser Mann.
Nach Mr. Triss‘ Meinung, war Dubai am schönsten, wenn es Abend war. Die Sonne stand bereits so tief über dem Persischen Golf, dass er vor goldenem Licht nichts mehr sehen konnte, als Nabil in die Umm Suqeim Road einbog. Die Frontscheibe reagierte prompt und dunkelte sich selbst auf einen angenehmen Lichtpegel ab. Mr. Triss hatte ebendiese Technologie auch in seinem eigenen Wagen eingebaut – auch wenn noch nicht Standardausstattung, so war sie doch verbreitet - jedoch gab es in Minneapolis weit weniger spektakuläre Sonnenuntergänge, die die automatische Abdunkelung wirklich erforderlich machten. Die abgedunkelten Scheiben erhöhten den Effekt des Luxus nur noch weiter und er streckte seine Hand nach oben, um den flaumartigen und sicher sündhaft teuren Innenbezug des Gefährtes zu berühren. Normal waren in Autos Kunstfasern, die sich unangenehm anfühlten und sogar statisch aufluden. Dieser jedoch war angenehm flauschig und Mr. Triss musste sich doch sehr davon abhalten, nicht sein Gesicht an der Decke zu reiben.
Es war ironisch, aber auch nicht gänzlich abwegig, die Kaufpartner im zu erstehenden Hotel unterzubringen. Seine Kollegen waren bereits etwas länger anwesend, dennoch hatten die Gespräche über den Erwerb ohne Mr. Triss als Federführer noch nicht begonnen. Und so wurde sogar ein roter Teppich extra für ihn ausgerollt, als er aus dem Lexus stieg. Er sah sich das Gebäude an. Es hatte zwar die Fresken und Verzierungen verschiedener orientalisch anmutender Paläste – und ähnlich war auch die Auffahrt gestaltet – jedoch wusste er, dass die Front keinerlei Aufschluss über das Innere gab. Seiner Meinung nach gab es hier ohnehin schon zu viele Orientpaläste und man hätte durchaus das Äußere dem Inneren anpassen können. Der Page brachte seine Tasche bereits in die Lobby und der Hotelmanager selbst wartete an der Tür um ihm die Hand zu schütteln.
Die Lobby war eine 180 Gradwende im Design und Wesen. Anstelle einer x-beliebigen Kulisse aus ‚Tausendundeine Nacht‘ mit prunkvollen Springbrunnen, kunstvoll ausgearbeiteten Perserteppichen und orientalischer Baldachins, war sie eher steril gestaltet. Das Hotel war im inneren sehr modern und definitiv westlich dominiert gehalten. Edle Teak- und Schlangenhölzer waren mit Glas-, Sand,- Metall- und Steinelementen überall als Baukomponenten verwendet worden und an diversen Stellen hatten die Innenarchitekten auch die Benutzung von Wasser als sinnvoll erachtet. Die Lobby, aber auch das ganze restliche Hotel waren sehr licht und weit konzipiert worden und das Gebäude ließ einen zeitweilig sogar vergessen, dass man sich in Dubai befand.
Doch den größten Clou, welcher auch der Grund war, weshalb sich seine Firma für dieses eine Hotel interessierte (sie hatten bereits mehrere Hotels in den VAE erstanden), hatte Mr. Triss noch nicht zu Gesicht bekommen. Und wenn nur die Hälfte in den ihm vorgelegten Berichten der Wahrheit entsprach, so hätte seine Firma alle Gründe dieses Hotel zu erwerben. Der Witz, der reichen westlichen Geschäftsleuten das Geld aus den Taschen ziehen sollte, war eine autonome oder zumindest semi-autonome Funktionsweise. Funktionierte alles ordnungsgemäß, so würden die Gäste in automatischen Zimmern wohnen und im Speisesaal um Küchenecken mit Mechano-Köchen speisen. Tatsächlich wären menschliche Bedienstete nur länger für Transport-, Administrations- und Wartungstätigkeiten von Nöten. Vermutlich auch für die Reinigung der Zimmer. Tatsächlich würde man auf diese Weise keineswegs Personal einsparen, denn die reduzierte Zahl an Dienstmädchen käme sicher ums dreifache wieder als Techniker ins Haus.
Soweit jedenfalls die Theorie. Während der Bericht zwar die Vorteile der Automatisierung äußerst detailliert angepriesen hatte, so waren seine Formulierungen in Sachen benötigte Ressourcen oder etwaige Mängel allerdings eher minimalistisch veranlagt gewesen. Mr. Triss wollte nun genau diese Mängel ausloten und für seine Firma den tatsächlichen Wert dieses Hotels ausmachen. Er wies den derzeitigen Manager an, ihn wie einen normalen Gast zu behandeln und wünschte direkt einzuchecken. Dieser verbeugte sich und wies ihm mit der Hand in Richtung der Rezeption. Er nahm die Tasche auf, rückte seinen Hut zurecht und setzte sich in Bewegung.
Entgegen seiner Erwartung war die Rezeption kein Computer. Zwei schlanke Damen – Französinnen, wie er dem Dialekt entnehmen konnte – empfingen ihn freundlich und er reichte ihnen seine Personalien. Auf seine Frage, wieso denn der Empfang nicht automatisiert worden war, bekam er die Antwort, man habe den Gästen erst die Gelegenheit bieten wollen, sich im ‚Autonoumus‘ in menschlicher Gesellschaft einzuleben und außerdem für etwaige Fragen zur Verfügung zu stehen. Mr. Triss nickte anerkennend und platzierte seine Hand auf dem in den Tisch integrierten Scanner. „So Mr. Triss, Sie sind nun offiziell ein Gast unseres Hauses. Wenn etwas irgendwie nicht in Ordnung sein sollte, kommen Sie unbedingt zu uns, aber ich gehe nicht davon aus, dass dies jemals der Fall sein sollte, die Technik ist selbsterklärend“, erläuterte die Braunhaarige mit dem Namensschild Michelle. „Wir wünschen Ihnen viel Freude“, fügte ‚Kylie‘ mit einem koketten Lächeln hinzu. Er fragte sich, ob die Mädchen ernsthaft wegen ihres –zugegeben sehr attraktiven- Äußeren eingestellt worden waren und ob ‚Kylie‘ für dieses Lächeln denn einen Bonus erhielt. Selbstredend war es im unteren und mittleren Preissegment Gang und Gäbe recht hübsche Rezeptionistinnen zu beschäftigen, doch ein Hotel diesen Formates müsste es eigentlich besser wissen und eher weniger – oder besser gesagt: erst als Perfektionsmaßnahme- Wert auf die große Anziehung der Männer durch schöne Frauen am Empfang legen. Nein, wichtiger war, dass der Wein im Keller auf jeden Fall einen vierstelligen Betrag kostete. Was selbstverständlich nicht heißen sollte, dass das Hotel auch in dieser Richtung keine Annehmlichkeiten zu bieten haben würde. Mr. Triss musste grinsen und legte seine Hand auf das Paneel des Aufzuges.
Die Fahrt im Lift machte ihm die Finessen des Hotels erst richtig bewusst. Hätte er den Bericht des Managers nicht gelesen, so wäre es ihm nicht einmal aufgefallen. Auf vielen Flächen gegenüber der Glasfront der Aufzüge und auch um ihn herum, waren für ihn angenehme, abstrakte, geometrische Muster abgebildet und der Fahrstuhl spielte eine entspannende Musik. Der dadurch hervorgerufene beruhigende Effekt kam nicht von ungefähr, denn Bilder wie Musik wurden von einem hochkomplexen Algorithmus erschaffen, basierend auf den dem Zentralcomputer vorliegenden Daten über die Vorlieben und Wünsche der Gäste. Mr. Triss mutmaßte, dass diese Informationen von Google und ähnlichem zusammengetragen worden waren. Und es funktionierte auch ein Stück weit; er hörte auf, sich im Geist Notizen über die Einrichtung zu machen. Wie gut dieses System jedoch einmal im Vollbesetzten Hotelkomplex funktionieren sollte, war er sich nicht sicher. Die Türen glitten auf und der Aufzug gab den Blick auf einen Gang mit dem Geländer hinunter zur Lobby auf der Linken- und den Zimmertüren zur Rechten hin frei. Diese „interaktive Tapete“ setzte sich natürlich auch hier fort. Vor seinem Zimmer angekommen, schaute er sich noch einmal um, bevor er die Hand auf das Türpaneel legte und diese sich auftat.
Es wurde ihm klar, dass der Stil der Lobby sich über das ganze Hotel zu erstrecken schien. Obwohl die Sonne bereits fast komplett im Persischen Golf versunken war, war auch hier das Zimmer so weit konzipiert, dass die letzten Sonnenstrahlen zur Erleuchtung völlig ausreichten. Die Innenarchitekten hatten ganze Arbeit geleistet: Die Einrichtung war seiner Meinung nach das perfekte Ergebnis der Verbindung von Moderne und Behaglichkeit. Ein eigener Kamin und auf der großen Terrasse auch ein Whirlpool rundeten die Räumlichkeiten noch zusätzlich ab. Und alles war in dieses Orange getaucht. „Willkommen Mr. Triss.“ Mr. Triss, der sich eben in einen der weißen Sessel hatte fallen lassen, sah sich schockiert um. Die Stimme schien aus dem Nichts selbst gekommen zu sein und war klar, hell, weich, weiblich und völlig ruhig. „Ich bin hier oben Mr. Triss. Oder rechts oder links neben Ihnen, ganz wie es Ihnen gefällt. Aber vielleicht darf ich mich erst einmal vorstellen: Gestatten, Ihre Zimmer KI.“
Von einem Computer der zur fortgeschrittenen Interaktion mit den Gästen fähig war, hatte im Bericht nichts gestanden, weswegen Mr. Triss sich erst einmal sammeln musste. „Wenn Sie möchten, Mr. Triss, so werde ich Ihnen in aller Kürze meinen Funktionsumfang näherbringen. Als erstes sollten Sie wissen, dass ich mit Ihnen nur dann in Kontakt treten werde, wenn Sie dies auch ausdrücklich wünschen. Alle Oberflächen dieses Zimmers verfügen über die Spezialbeschichtung, die beispielsweise auch in Ihrer Zeitung verbaut ist und den Bildern das Bewegen ermöglicht. Das bedeutet, dass Sie zu jeder Zeit alles auf jedem Quadratzentimeter dieses Raumes abbilden lassen können. Während sie sprach änderte sich die Wandfarbe erst zu pastellfarben und anschließend zeigte sie ein Bild des jamaikanischen Urwaldes; zudem erfüllten Urwaldgeräusche das Hotelzimmer. „Wichtig ist“, kehrte die KI zurück, „dass Sie niemals vergessen, dass ich nur ein Computer, ein seelenloses Ding bin, egal wie realistisch die Konversation mit mir auch sein mag.“ Und schon war das ursprüngliche Orange zurück. Mr. Triss verschränkte die Arme. Er war sich nicht sicher, wieso von der KI in dem Bericht kein Sterbenswörtchen verraten worden war. „Gibt es anstelle von dir auch eine weitere Möglichkeit, dieses Zimmer zu bedienen.“ Es war das erste Mal, dass sich Mr. Triss direkt an die Raumintelligenz wandte. „Selbstverständlich gibt es die“, kehrte die sanfte Stimme in den Raum zurück. „Sehen Sie, direkt neben der Tür befindet sich ein abtrennbares Paneel. Sie erhalten mit ihm die volle Kontrolle über dieses Zimmer. Die Funktionen des Paneels lassen sich übrigens auch auf Ihre Zeitung übertragen, sofern Sie sie manuell koppeln. Selbstverständlich können Sie auch mit jeder Vorrichtung direkt interagieren. Oder aber, Sie wenden sich direkt an mich. Das ist, jedenfalls meiner bescheidenen Meinung nach, komfortabler.“ „Danke aber verzichte“, winkte er ab.
Nachdem er die vollständige Kontrolle über das Zimmer auf seine Zeitung übertragen hatte, wankte er zum Bett und ließ sich darauf fallen. Es war bequem. Er ruckelte auf dem Bett herum, um die Qualität oberflächlich zu überprüfen. Es wackelte nicht, jedoch war die Matratze definitiv zu laut, um wirklich etwas her zu machen. Wenn die Firma dieses Hotel wirklich zu ihrem Luxus-Tech zu machen gedachte, wäre an einigen Punkten noch eine Nachbearbeitung erforderlich. Auf dem Rücken liegend entfaltete er das Synthetik Papier und lud die neuesten Nachrichten. Ja, es lohnte sich wirklich, das Decade-Package des All-Around-World Verlages gekauft zu haben. Er tippte auf den Block der Cyber-Nachrichten und eine Eilmeldung über eine Sicherheitslücke im All-Around-World Schlüssel schlug direkt Alarm. Leider hatte er keine Gelegenheit, die Liste der betroffenen Modelle nach seinem eigenen abzusuchen, da ihn ein Videoanruf seines Chefs unterbrach. Sein Handy schien es direkt an die Tech-Zeitung weitergeleitet zu haben. Er nahm an und das bärtige Gesicht seines Chefs erschien überdimensional groß direkt über seinem eigenen. Mr. Triss ließ ihn nicht zu Wort kommen und schoss direkt los: „Wissen Sie, dass die Zimmer über eine eigene KI verfügen?“ „Ja, das wusste ich.“ Er kam direkt zu seinem Anliegen. „Sie sollen als argloser Hotelgast das Haus unter die Lupe nehmen und dann unvoreingenommen von Ihren Erfahrungen berichten. Die Verhandlungen, sollte es soweit kommen, werde ich selbst führen, Ihre Aufgabe hat sich also dementsprechend geändert. Wenn alles gut geht, werden wir dieses Hotel dann nächstes Jahr eröffnen können, unter Umständen auch erst 2027, wenn wir allzu viel nachbessern müssen. Wir haben deshalb auch Ihren Aufenthalt hier etwas verlängert und erwarten dann Bericht von Ihnen. Fragen Sie nicht, ich wünsche Ihnen schöne zwei Wochen hier, und dann sehen wir uns im Oktober wieder.“ Und damit war die Verbindung getrennt.
Mr. Triss zeigte seiner Zeitung einen Mittelfinger und kehrte anschließend in das Menü der Verwaltung zurück. Das Hotelzimmer, so schien es, war fast gänzlich automatisiert und enthielt neben wirklich nützlichen Funktionen wie einer optimalen Sitzanpassung der Couch auch nicht so unentbehrliche Einstellungen, wie die Farbbeleuchtung des Wassers im Whirlpool oder der Dusche. Er wollte gerade zum Artikel der Sicherheitslücke zurückkehren, als er die Massageeinstellungen fand – und schon war es um ihn geschehen. Draußen ging die Sonne schließlich ganz unter und das Licht dämpfte sich im Hotelzimmer in die Farben der Night-Shift. „Sag mal, äh, KI, hast du auch einen Namen.“ An der Wand gegenüber erschien kurzzeitig eine Seriennummer. „Dies ist mein offizieller Name, doch ich fürchte er wird wohl zu unkomfortabel für den täglichen Gebrauch sein. Wieso nennen Sie mich nicht einfach Ann?“ „Wieso denn Ann?“ „Wieso denn nicht? Ich meine, es ist doch ein wirklich schöner Name.“ „Schön, warum nicht“, meinte er mit einem beherzten Gähnen. „Sind Sie müde“, kam es. „Ja, mein Jetlag macht mir zu schaffen“, gab er zurück und knöpfte dabei sein Hemd auf. „Hör mal, Ann. Irgendwie bist du mir unangenehm, wenn es dich nicht stört, dann“ und dabei wedelte er mit den Hände um sie zu verscheuchen, „lass dich dem Hotelzimmer nicht länger anmerken.“ „Das kann ich gerne, wenn es Ihr Wunsch ist. Aber ich könnte mich auch einfach darstellen, es könnte Sie beruhigen. Eine Sekunde bitte.“ An der Wand direkt neben der Glasfront zur Terrasse hin, erschien eine kleine computeranimierte Frau. Sie war jung, hatte rote Zöpfe, trug eine zu große Brille, die sie wie eine Eule erscheinen ließ und der Stil in dem sie gezeichnet war, hatte etwas Heiteres. Und niemals würde er so vergessen, dass es sich bei der Stimme nicht um einen Menschen handelte. „Besser?“ Die Stimme kam nun vermehrt aus Anns Ecke. Auch zeigte sie Mimik und Gestik und bewegte ihre Lippen synchron. Er musste lachen. „Definitiv besser.“
Obwohl es noch nicht einmal zehn war, lag er bereits im Bett. Ann hatte für ihn die Zimmerdecke in ein Sternenmeer verwandelt. Auf seinen Wunsch hin, hatte sie an den Wänden noch eine Strandkulisse erscheinen lassen und das verbleibende Licht im Zimmer dementsprechend angepasst. Er hatte sie gebeten, ihm etwas vorzulesen. Dafür war sie (oder vielmehr ihr Avatar) an der Wand entlang gegangen, wo sie sich in einen zweidimensionalen Lehnsessel fallen ließ, der an der Wand ihm gegenüber erschienen war. Sogar ein Buch, das sie umblätterte hatte sie auf dem Schoß. Es war so schön. Ein leichtes Meeresrauschen im Hintergrund, die Massage des Bettes und eine Geschichte aus Tausendundeine Nacht ließen ihn fort, in eine andere Welt treiben.