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Geständnisse eines Tellerknechtes
(...) Am nächsten Tag war ich wieder zur Spätschicht eingeteilt und schwankte auf dem Weg zur Arbeit leicht nach links. Trotz überaus sorgfältigem Zähneputzens fiel es irgendjemandem auf, dass ich am Abend zuvor zu tief ins Glas geschaut hatte und man verpfiff mich beim Restaurantleiter. Kameradenschweine. Ich stand kaum drei Minuten im Restaurant, insofern man das Stehen nennen konnte, und wurde direkt zum Rapport gerufen und man sagte mir, dass ich so etwas wie eine (Gänsefüßchen mit Fingern in der Luft machend) Fahne hätte. Lächerlich. Diese Erbsenzähler. Das einzige was mich von den anderen unterschied war die Tatsache, dass ich keinen Hehl daraus machte mich regelmäßig zu besaufen. Verlogenes Pack. In der Branche konnte man nur jeden Tag überstehen, wenn man rauchte und soff. Jedenfalls sollte das Beste an dem Tag erst noch kommen, mir stand nämlich einer dieser Alptraumtage bevor, an denen man sowieso schon mit einer miesen Laune das Haus verlassen hat und einem keiner quer kommen durfte.
Das übliche Mise en place bekam ich irgendwie auf die Reihe, selbst wenn ich dafür die gefühlt vierfache Zeit benötigt hatte. Kurz vor Öffnung des Restaurants wurde mir klar, dass wir einen überaus fähigen Reinigungsdienst besaßen, der am selben Tag die verglaste Eingangstür gewienert hatte. Sie war so verdammt sauber, dass die ersten überpünktlichen Gäste, in diesem Fall ein Rentnerpärchen, frontal auf die Tür prallten. SCHEPPER. Für eine Sekunde grübelte ich darüber, ob ich dem Putzmann applaudieren oder den Alten einen Rettungswagen rufen sollte. Ich entschied mich dafür in die Küche zu rennen und in schallendes Gelächter auszubrechen. Ich brauchte einen Drink. Das hiesige Küchenpersonal kratzte sich am Kopf und wankte ab. Jaja, der ist nur wieder blau, dachten sie wohl. Dem Küchenchef war das Schauspiel auch nicht entgangen und sah sich dazu genötigt mich von der Seite anzumaulen, dass ich doch wohl in SEINER Küche Ruhe bewahren sollte. Leck mich doch.
Der Abend begann ruhig und ich fand einige Sekunden um mich zu sammeln und mir einen Packen Kaugummi hinter die Kiemen zu schieben. Leicht angefressen ob des Küchenchefs wegen zapfte ich mir in Gedanken ein kaltes Bier. Das Roomservice-Telefon läutete. Auf dem Display erschien die Nummer des Zimmers. 333. Die Suite. Ein betuchter Gast. Ich verabscheute Roomservice aufs Heftigste, da dies immer mit erheblichem Aufwand verbunden war. Zum Zimmer laufen und sowas. Und den Aufwand wollte ich heute nicht betreiben.
„Guten Abend, Roomservice, was kann ich für Sie tun?“
„Guten Abend, Zimmer 333 hier. Ich würde gerne etwas bestellen. Was haben Sie zu Essen?“
„Auf ihrem Zimmer sollte sich eine Speisekarte befinden. Wählen Sie doch bitte daraus aus und rufen mich dann erneut an.“
„Hier ist keine Karte.“
„Bitte sehen Sie noch einmal nach. Aufgrund des Gästeandranges bin ich leider zeitlich sehr reserviert.“
„SIE WERDEN MIR DOCH WOHL SAGEN KÖNNEN WAS SIE ANBIETEN!?“ Der Gast begann zu schreien.
„Hmm… Nee, sorry.“ In diesem Augenblick flogen mir die letzten Monate um die Ohren und ich entwickelte kurzerhand so ein Gefühl, dass mir der ganze Bullshit egal sein konnte.
„WAS HEISST HIER SORRY? WENN SIE NICHT SOFORT….“
Tutututututututut. Leck mich doch. Soll er sich beschweren. Mir egal. Ich legte auf. Der Tag ging mir jetzt schon auf den Sack.
Als würde das nicht reichen, linste ich in den Belegungsplan für heute abend und hatte übersehen, dass sich eine japanische Reisegruppe angekündigt hatte. Jep. Dreißig stinkende Asiaten. Es war immer dasselbe mit denen. Sie rochen nach Mottenkugeln und Glutamat, reisten mit Koffern, so groß wie der verdammte Everest, rülpsten und schmatzten.
Die ersten wackelten zur Tür herein und nahmen Platz. Es war mal wieder eine dieser Reisegruppen, von denen sich ein Gast besonders wichtig vorkam:
„Kann ich die Kalte bekommen?“
„Wie bitte, was möchten Sie?“
„Die KAAALTE!“
„Verzeihung, ist Ihnen das Essen zu warm?“
„Ich möchte einfach nul die KAAAAALTE!“ er schrie fast, so dass so ziemlich jeder Gast im Restaurant auf mein Dilemma aufmerksam wurde. Mein Schädel pulsierte, der Kater war wieder da und ich hatte nicht übel Lust dem Gesocks auf den Tisch zu reiern.
„Ach so, Pardon, bitte entschuldigen Sie mir diesen Affront! Im Moment sind alle Karten an den Tischen verteilt, aber gerne weise ich Sie solange auf unsere Tagesangebote hin! Heute haben wir als Vorspeise eine überaus delikate Schildklötensuppe, die dank etlicher paarungswilliger, männlicher Panzertierchen ihren vorzüglichen Geschmack erhalten hat. Dazu empfehle ich Ihnen als Hauptgang das Sulf and Tulf, bestehend aus einem rosa gebratenen Lückensteak, garniert mit feinstem Hummelschwanz. Alternativ kann ich Ihnen heute aber auch ein Lahmsüppchen nebst Lumpsteak anbieten.“
Der Gast lief rot an wie ein Kirmesballon und drohte zu platzen. Ich lächelte freundlich und fragte: „Nun, was darf es sein?“
Mein Restaurantleiter hatte das natürlich auch mitbekommen und schnauzte mich vor allen an, was ich mir denn einbilde, die Gäste so zu behandeln. Er war homosexuell und erzählte mir andauernd von Pornokinos und dass man sich dort von Fremden im Dunkeln beglücken lassen konnte und solche Geschichten. Irgendwie fand ich es überaus witzig und abstoßend zugleich. Nacktmull, helle Haare dass die Haut durchschien, ein bißchen erinnerte er mich an einen Albino. Jedesmal, wenn er mal wieder einen Schreikrampf bekam, lief er rot an wie ein Pavianarsch.
„Alles klar, kommt nicht wieder vor!“
Nachdem er in einer ruhigen Minute in den Weiten des Raucherecks verschwunden war, zapfte ich mir heimlich ein Helles, stellte es auf ein Tablett und lief mit einer Geste a la „Das ist leider schal geworden und muss es wegkippen“ in die Küche Richtung Backoffice. Als ich gerade angesetzt hatte und das kühle Bier meine Kehle hinunterlief, schallte es plötzlich im Raum:
„Sag mal trinkst du hier heimlich Bier?“
Etwas bedröppelt und zugleich überrascht antwortete ich kurzerhand: „Ja und? Das wurde zuviel bestellt und abgesehen davon… Hab doch eh schon ´ne Fahne. Also was soll`s?“
„DAS WIRD EIN NACHSPIEL HABEN!“ Seine Halsschlagader war mittlerweile zum zerreißen gespannt, als ich noch einen drauf setzte:
„Ach ja? Dann bin ich mal gespannt, was Cheffe davon hält, wenn ich ihm erzähle, dass Du häufiger mal ´ne Pulle Wein mitgehen lässt, für die Du im Suff dann auch noch eine andere Verwendung hast! Außerdem hab ich häufiger beobachtet, wie Du ihm ins Essen gerotzt hast.“
Langsam hing mir der Laden zum Halse raus. Abmahnung. Alles in allem. Ein lahmes Wochenende.
Aufgrund der vorangegangenen Geschehnisse wurde ich einen Tag später an die Bar degradiert. Welch` glückliche Fügung direkt an der Quelle der Frohlockung zu weilen. Meine Vorgesetzten mussten echt retardiert sein, dass sie mich nach einer Abmahnung wegen Alkohols an die Bar verfrachteten. Das machte es mir noch leichter. Natürlich war mal wieder Halligalli angesagt an diesem wundervollen Abend und alles begann mit einer Familie. Nichts nervte mich mehr als diese überbemittelten Bälger, die von ihren Eltern alles in den Allerwertesten geschoben bekamen. Wie sollten die denn lernen, wie es im Leben zuging? Wahrscheinlich gar nicht. Jedenfalls bestellte dieses „angenehme“ Klientel, in diesem Fall drei Kinder, Mutter und Vater die Karte hoch und runter, da sich die kleinen Wichte natürlich nicht entscheiden konnten, was sie essen wollten. Klar, dass dann alles bestellt wird. Soweit kein Problem, würde nicht jedes Mal der Tisch und der Boden in zwei Metern Umkreis aussehen, wie nach einem Granateneinschlag. Die dabei entstandenen Schrapnelle in Form von Fischstäbchen hingen auf halb Acht am Tischrand und innerlich drehte sich mir der Magen um. Zeit für einen Drink. Ach ja, das kleinste der drei Kinder hatte absolut keine Lust darauf, auch nur eine Sekunde den Rand zu halten und sein Geschrei klingelte mir in den Ohren, verschaffte mir ein wild zuckendes Oberlid. Gut, dass für ihn kurz darauf eine Cola bestellt wurde, die ich mit einem Schuss Wodka würzte, damit er Ruhe gab. Es war durchaus witzig zu sehen, wie schnell so ein klitzekleines bisschen Alkohol bei einem Eins fünfunddreißig großen Bub wirkte. Ich konnte kaum die Sekunden mitzählen, so schnell war er ruhig. Und ich konnte genau so wenig mitzählen, als er von jetzt auf gleich den Teppich mit seinem Mageninhalt besudelte. Haha, irgendwie musste ich lachen, jedoch machten mir die Eltern einen Strich durch die Rechnung und sahen mich boshaft an. Mit einem Fingerschnippen orderte ich den mehr als verwirrten Putzdienst heran, der die Sauerei wegwischen durfte. Nach einem Unfall hatte dieser vor Jahren einen schweren Dachschaden davon getragen, oder er hatte sich einfach das Hirn in einer Welle Ethanol weggeschwemmt. Daran schieden sich nach wie vor bei einer Kippe die Geister. Er konnte lediglich eine Spur von Kauderwelsch von sich geben. Hin und wieder tauchten Wortfetzen auf, aus denen man sich mit viel Fantasie einen Sinn zusammenreimen konnte. Er konnte wahrscheinlich froh sein, dass er noch ein paar funktionierende Gehirnzellen besaß, die ihn dazu befähigten, täglich ein paar Mülleimer auszuleeren und den Putzlappen zu schwingen. Lustig wurde es immer, wenn er willkürlich Gäste in seiner fremden Sprache anredete und ich lächeln musste und dachte: „Willkommen im Haus des Wahnsinns!“.
Der Vater der besagten Familie kam zu mir herüber nachdem er an der Cola geschnüffelt hatte und fragte mich, ob da Alkohol drin sei. Ich schüttelte nur lässig den Kopf und sagte ihm, dass es auch durchaus an der überaus reichhaltigen und „gesunden“ Ernährung liegen könne, dass der Kleine kotzen musste. Wutentbrannt stapften sie von dannen. Endlich hatte ich Ruhe. Zumindest für eine halbe Stunde, welche ich dazu nutzte meine Pflicht als Urlaubsvertretung für unseren Barleiter zu erfüllen, der jeden Monat für die Mitarbeiterzeitung einen neuen Cocktail kredenzte. Kurzerhand kippte ich alles in einen Shaker, was nicht bei drei auf den Bäumen saß, schüttelte das Ganze kräftig durch, goß mir ein Glas damit voll und nannte das Ganze „Nutty Fruits“. Aufgrund der erheblichen Menge Alkoholika darin erinnerte er weniger an Früchte mit einem Schuss Nuß, sondern eher an die Arbeit eines Schönheitschirurgen an der Oberweite einer Bordsteinschwalbe. Mann war ich blau. Und das um halb sechs. Ich hatte gerade mal eineinhalb Stunden Arbeitszeit auf der Uhr und die Arbeit war plötzlich erträglich. Wahnsinn.
Der übliche Abend nahm seinen Lauf und hin und wieder torkelten ein paar Besoffene herein, die sich irgendwo im Hofbräuhaus oder sonst wo die Kante gegeben hatten und jetzt noch auf einen Absacker bei mir Halt machten. Das waren mir immer die liebsten Gäste, da ich meistens den ein oder anderen raus schmeißen musste. Ich erinnere mich an einen Abend, wo die Situation dermaßen eskalierte, dass ich mir ein Megaphone aus dem Büro des Hausmeisters borgte und damit in die betrunkene Masse schrie, dass der Abend gelaufen sei und ich jetzt dicht machte. Anders war an diese tequilagetränkten Ohren nicht mehr ranzukommen. Zurück in der Gegenwart setzte ich wieder mein „Scheißegal“-Lächeln auf und zockte die Baggage nach allen Mitteln der Kunst ab. Ich weiß nicht ob sie das wussten, aber in der Gastronomie verdient man echt schlecht. Somit drehte ich ihnen noch halbsteife Brezn und schales Wasser an, nachdem ich ihnen eingeredet hatte, dass sie ohne Verzehr desselbigen das Zimmer neu anstreichen würden und dann eine horrende Summe auf ihrer Kreditkarte für die Reinigungskosten belastet werden würde. Schlau wie ich war, bonierte ich nur jeden zweiten Artikel, so dass ein durchaus ansehnlicher Überschuss in der Kasse zurück blieb, den man gemeinhin als „Trinkgeld“ kennt. Ich glaube es waren um die einhundertsechzig Euro. Zum ersten Mal seit langem hatte ich ein gutes Gefühl, als ich die Schürze abstreifte, mich umzog und mir auf dem Heimweg eine Zigarette anzündete. Kurz vorher hatte ich mir auf dem Weg durch den Keller, noch eine Flasche des besten und billigsten Weißweins stibitzt und nippte fröhlich daran. Traurigerweise war dies mein Highlight des Tages. Eine Zigarette, ein Drink und laute Musik auf den Ohren. Wenn ich besonders gut drauf war, ging ich ab und an noch bei einer Bekannten vorbei, nachdem ich sie wach geklingelt hatte und wir schliefen miteinander. Irgendwie hatte sie kein Problem damit. Ich glaube sie war in mich verliebt, aber ich liebte mich nicht einmal selbst. Nachdem sie eingeschlafen war, stahl ich mich meist aus der Wohnung, begab mich in meine Wohnung, die nur um die Ecke lag und legte mich in mein eigenes Bett, indem ich sturzbetrunken einschlief.