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Gespräche mit den Schatten

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04.09.2017
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Gespräche mit den Schatten

Ein alter Mann in Dunton hatte mir von Corlis erzählt. Ein kleines, abgeschiedenes Dorf am Rande eines Moors, das gemieden wurde, weil die Menschen Duntons die Geschichten kannten: Einst soll in Corlis ein Mann gelebt haben, der Verbindung zu verbotenen Mächten aufnehmen konnte. Man sprach von Teufelsanbetung, Dämonenbeschwörung und zuweilen von Menschenopfern – nicht ein einziges Mal drangen handfeste Beweise bis nach Dunton, doch die Gerüchte hielten sich. Corlis wurde gemieden. Vor zwanzig Jahren war der Mann schließlich verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Doch sein Haus soll noch immer stehen: unangetastet und unverändert. Angereichert mit dem Wahnsinn der Hexerei.
Ich drängte den Alten nach mehr Informationen, doch er wurde ängstlich und flüsterte nur noch den Namen des „Hexenmeisters“: Gideon Merriphet.
Als ich diese Worte vernahm, schien eine Saite meines Selbst angeschlagen worden zu sein, und ich hastete mit meiner Reisetasche aus der Schenke. Ungeachtet des Regens machte ich mich sofort auf den Weg und begann meinen Marsch, der bald von gut ausgebauten Straßen über Feldwege führte. Der Alte hatte mir nur grob den Weg nach Corlis erklärt, doch ein untrügliches Gefühl der Sicherheit ließ mich Abzweigung für Abzweigung nehmen – und am Abend stand ich vor der kläglichen Ansammlung von Hütten, die auf der einen Seite von kargen Hügeln mit lediglich ein wenig Heidekraut flankiert und auf der anderen Seite von einem Moor bedroht wurde. Trüber Nebel hing in wabernden Fetzen über der gesamten Landschaft, was die Sicht noch zusätzlich zu den dunklen Wolken verschlechterte.

Ich spürte nun die Erschöpfung nach dem Marsch und näherte mich einem Gebäude, dessen modernes Auftreten mich auf Unterkunft hoffen ließ. Nach einem kräftigen Klopfen wurde geöffnet und ein schlaksiger, finster dreinblickender Mann stand vor mir.
„Guten Abend“, begann ich. „Vermieten Sie Betten für die Nacht?“
„Ja“, brummte er.
„Dann einen herzlich Guten Abend, werter Herr …“
„Kommen Sie rein“, brummte der Mann unwirsch, aber dafür deutlicher, als ich es von einem Hinterwäldler erwartet hätte. Ich tat wie mir geheißen und huschte ins Haus.

Der Innenraum empfing mich mit warmer, aber auch stickiger Luft. Dicke Holzbalken an Decke und Wänden beherrschten das Gesamtbild, das noch um einige dunkle Tische sowie eine ebenso düstere Theke ergänzt wurde. Licht kam von einer Deckenlampe, aber nur durch einen dicken Stoffschirm, sodass es den Raum kaum zu erhellen vermochte. Der Mann stellte mir ohne jeden Kommentar eine halbvolle Schüssel mit Suppe und einen Kanten Brot hin. Erstere war kalt, letzterer bereits hart und trocken, doch ich beschwerte mich nicht.

Der Mann kam noch einmal auf mich zu: „Name?“
„Philipp Finch. Und Sie?“
„Graham“, hielt es der Mann knapp. „Mr. Finch, Ihr Zimmer ist das erste, die Treppe rauf. Frühstück um acht. Wie viele Nächte?“
„Das kann ich noch nicht genau sagen. Zumindest mehrere werden es sein, je nachdem, wie gut ich mit meinen Nachforschungen vorankomme.“
Meine Hoffnung, Graham würde hier anbeißen und nachfragen, blieben unerfüllt. Stattdessen verzog er die Miene, als könne er Unbestimmtheiten nicht leiden und nannte mir den Preis für das Abendessen, die Nacht und das nächste Frühstück. Ich gab ihm das Doppelte, um gleich für den nächsten Tag versorgt zu sein und hoffte, damit sein Gemüt etwas zu erhellen – auch das blieb fruchtlos. Er legte mir den Schlüssel für mein Zimmer auf den Tisch und zog sich auf einen Sessel in der Ecke zurück. Zeit für Fragen ließ er mir nicht.

Also beschloss ich, mein Zimmer aufzusuchen und zu Bett zu gehen. Das Zimmer war sehr beengt, reichte aber für meine Bedürfnisse aus. Immerhin gab es ein Fenster, das den Eindruck schwächte, in einem Schrank schlafen zu müssen. Mittlerweile war es aber so dunkel und wolkenverhangen, dass auch ein pechschwarzes Gemälde dort hängen könnte.
In diesem Moment der Ruhe dachte ich nach. Ich konnte mir nicht erklären, weswegen ich plötzlich losgestürmt war – doch solche „Anfälle“ hatte ich öfter. Seit Jahren jagte ich mysteriösen Geschichten und dem Okkulten nach. Es war wie eine Sucht: hörte ich einmal davon, war ich wie elektrisiert und brach auf, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Angefangen hatten diese Zustände im Jugendalter. Aber erst seitdem ich vorgab, zu studieren und das Geld meiner Eltern nutzen konnte, brachten mich meine Reisen bis in die entlegensten Ecken unseres Landes.

Ein ruhiger Schlaf empfing mich, wenn auch nicht traumlos. Am nächsten Morgen erinnerte ich mich, durch lange Korridore zu wandern, die nicht zu normalen Häusern gehören konnten. Sie waren kaum erhellt und ich hatte das Gefühl, durch Schatten zu waten, die meine Beine umzüngelten, als wären sie gierige Flammen auf der Suche nach weiterem Zunder. Träume solcher Art begleiteten mich schon lange. Lange, verworrene und verzerrte Schatten tanzten durch nahezu jede meiner Nächte. Wahre Panik wurde mir aber bei jenen Phantastereien zuteil, in denen ich mit den Schatten tanzte, in dem sinnlosen Wabern von gegenstandsloser Schwärze einen Rhythmus erkannte und mich einfügte, als würde es einen tieferen Sinn geben. Dass da etwas sein mochte, etwas, das … eine Vorstellung, die mir nicht behagte.

Beim kargen Frühstück stellte ich fest, dass ich der einzige Gast des Hauses war. Dazu war Graham morgens noch stiller als am Abend. Also schlang ich hastig hinunter, was es gab, griff mir meinen Mantel und ging hinaus auf den Weg, der durch die Handvoll Hütten verlief.
Die Luft war kalt und feucht, als würde der Morgentau noch immer träge in der Luft verweilen. Über dem Moor hingen die Nebelfetzen und ich fragte mich, ob es den Schleier jemals ablegte. Bei diesem Wetter wäre es kaum überraschend, wenn nur wenige Menschen ihre Behausung verlassen hätten – doch ich erblickte tatsächlich niemanden.
Ernüchtert lief ich einmal den Weg entlang und besah mir die verschiedenen Gebäude. Die meisten waren sehr einfach gebaut, höchstens mit einem halben Stock obenauf. Klein und kompakt, als wöllte man sich vor einem nahen Sturm wegducken. Lediglich eine Kapelle und ein am Ende des Dorfs gelegenes Fachwerkhaus stachen heraus. Ersteres erkor ich zu einem möglichen Anlaufpunkt und versuchte die Tür zu öffnen – doch sie war verschlossen.

Ich blickte mich um und sah weder bei den nahen Hügeln noch im Moor etwas von Interesse.
Die karge Gegend ließ mich an die Orte denken, zu denen mich mein Drang bisher geführt hatte. Zumeist waren es verfallene, alte Ruinen, bei deren Anblick ich gleichermaßen einen befremdlichen Sog wie auch eine tieferliegende Furcht verspürte. Getrieben und verschreckt, die beiden Pole meiner Suche. Was ich an ihrem Ende zu finden hoffte, kann ich selbst nicht sagen.
Bisher hat sich jedes Gerücht, jede Erzählung und jedes Märchen von verwunschenen oder verfluchten Orten als unwahr erwiesen. Doch meine Sucht ließ nicht nach. Sie wurde stärker, immer stärker. Und nun stand ich hier in Corlis – es war bald Mittag und kein Leben regte sich.

Ich konnte hier nicht lange tatenlos verweilen, während die Sonne sich schwächlich ihrem Zenit entgegenschob, und so beschloss ich, mich dem Fachwerkhaus zu nähern, das ich im Dorf gesehen hatte – konnte es die Heimstätte dieses Mannes sein? Es fiel hier deutlich aus dem Rahmen, insbesondere im Vergleich zu den beiden Hütten am nächsten zum Sumpf, die sogar mit Grassoden versehen waren. Aber nicht nur der Stil der Architektur oder die Größe ließen das Haus anders erscheinen. Es war viel mehr das Alter, das es zu haben schien. Während die anderen Häuser durch Gebrauch alt wirkten – immer wieder geflickt, sogar mal zusammengebrochen und verlassen, dann wieder von einer anderen Familie aufgebaut und erneut verwittert – schien dieses Gebäude in seiner Gesamtheit alt. Als hätte es schon immer so gestanden und wäre nie verändert worden … seit der erste Besitzer das Haus vor vielen Jahren errichtet hatte.

Ich war nur noch wenige Meter von der Haustür entfernt, da hörte ich linkerhand einen Laden klappern. Rasch blickte ich zu dem ersten Zeichen von Leben in Corlis, von meinem verschlossenen Wirt abgesehen, und sah in einem Fenster das Gesicht einer alten Frau. Sie erblickte mich und auch wenn ich nur kurz ihre Augen sah, so meinte ich doch zu erkennen, wie sie sich weiteten, während gleichsam die Lippen bebten und jegliche Farbe aus dem Gesicht verschwand. Dann schloss sie in aller Hast den Laden vor dem Fenster und ich war wieder alleine im Ort.
Ich blickte wieder zum Fachwerkhaus. Und plötzlich packte mich Furcht. Kalter Schweiß brach aus, dann rannte ich – ich wollte einfach weg, nur weg. Und ich lief ins Moor.

Bereits wenige Meter nach dem letzten Haus des Dorfs stand ich im Morast, doch ich rannte weiter, immer weiter.
Der graue Dunst wirkte wie ein Willkommensgruß, der einen bereitwillig umschloss, sobald man zwei Schritte hinein in den Sumpf getan hatte. Es war ein seltsames Gefühl, derart begrüßt zu werden und obgleich es einen jeden Menschen davonjagen sollte, fühlte ich das Verlangen, weiter zu laufen. Zwischen dem Nebel ragten nur knorrige und zuweilen vollständig verfaulte Bäume empor. Blattlose Äste suchten das Licht einer Sonne, die hier ihren Kampf verloren hatte. Vom Boden erkannte ich nur wenig und das Wenige, das ich sah, war trügerisch. Mancher Flecken Erde verhieß Halt und entpuppte sich als Falle, während die eine oder andere Pfütze gerade einmal handbreit tief über sicherem Stand lag.

Ich lief weiter und weiter, hinein in den Nebel. Weiter und weiter, weg von der Sonne, weg von Corlis, weg von ihm … weg von was?
Erschrocken zuckte ich zusammen und war mir einen Moment nicht sicher, ob jemand mit mir gesprochen hatte oder ob es meine eigenen Gedanken gewesen waren, die so dröhnend erklangen. Ich erkannte in jedem Fall, dass ich weiter in das Moor vorgedrungen war, als man es tun sollte. Es schien mir beinah, als hätte ich etwas wie eine Trance durchlebt. Verstört blickte ich mich um und erkannte zu meinem Glück, dass ich durch die nebligen Schwaden ein Gebäude von Corlis zu erkennen vermochte: das alte Fachwerkhaus.

Plötzlich zögerte ich, und ich konnte mich nach diesem Moment nicht mehr erinnern warum – ich würde im Morast verloren gehen, ginge ich nicht zurück. Warum sollte man so etwas wollen? Doch nachdem ich diesen Moment einer weiteren Verwirrung überwunden hatte, suchte ich mir einen Weg durch schlammiges Sumpfwasser zurück nach Corlis.

Wieder im Dorf stellte ich fest, dass es dunkel geworden war. Ich musste unglaublich lange herumgeirrt sein. Das Moor würde ich fortan meiden, das galt mir als sicher. Ich hatte mich dort … geängstigt. Doch was sollte mir in Corlis gefährlich werden? Bevor weitere Gedanken Gestalt annahmen, kehrte ich in meine Pension zurück.
Dort wartete bereits Graham und diesmal waren wir nicht allein: ein alter Herr saß allein und trank aus einem Krug. Ich beschloss, mich zu ihm zu setzen. Hoffentlich würde er mir etwas über Gideon Merriphet und dieses Dorf erzählen können.

„Guten Abend. Mein Name ist Philipp Finch“, stellte ich mich vor.
„Ich bin Aidan. Was führt Sie wohl nach Corlis, frage ich mich“, erwiderte er. Ich wunderte mich etwas über seine altbacken wirkende Sprache, sagte aber nichts.
„Sie haben eine Idee?“
„Nun, in einem Dorf wie Corlis begrüßt man sehr selten Fremde, was durchaus an einem gewissen Ruf liegen mag. Aber er ist es auch, der die übrigen Reisenden zu uns führt.“
„Einige hier scheinen dem durchaus abgeneigt zu sein“, sprach ich offen meine bisherigen Erfahrungen an. Aidan wirkte sehr höflich und redefreudig.
„Das ist schwer zu sagen“, entgegnete der alte Mann. „Es variiert.“
„Abhängig von was?“
„Von dem, der kommt. Und in welcher Begleitung.“
„Heißt das, die Corliser haben ein Problem mit mir? Oder weil ich allein reise?“, fuhr ich etwas auf, merklich brüskiert.
„Die Sonne wirft Schatten“, brummte Aidan.
Verdutzt starrte ich ihn an: „Was meint Ihr?“
„Wie genau haben Sie sich mit dem alten Fachwerkgebäude hier bekannt gemacht?“, entgegnete Aidan, als hätte er meine Frage nicht gehört.
„Ich habe es bisher … nur kurz betrachtet. Allerdings habe ich eine Geschichte gehört, bevor ich hergekommen bin.“ Ich entschloss vorerst, die merkwürdigen Anspielungen meines Gesprächspartners zu ignorieren. Aidan blieb einen Moment stumm, nippte an seinem Krug und antwortete schließlich auf die nur halb gestellte Frage: „Ja, das Haus hatte einst einen bemerkenswerten Bewohner. Noch im letzten Jahrhundert hat er es gebaut und ist noch vor dessen Ende verschwunden. So viel dürften Sie durchaus auch aus den Geschichten wissen, nicht wahr?“
„Der Name dieses Mannes war Gideon Merriphet“, nickte ich. „Und man sagt ihm nach, dass er eine große Begeisterung für alles Okkulte gehegt haben soll.“
„In der Tat, Gideon Merriphet. Er war bereits alt, als mir noch keine grauen Haare wuchsen und doch war er noch da, als die ersten kamen. Sein Haus hatte der alte Mann nur selten verlassen.“
„Was war Besonderes an ihm?“
„Besonders? Er war unangenehm … sah einen nicht an, blickte auf den Boden. Und plötzlich blickte er auf und hatte ein teuflisches Lächeln, als wüsste er alles. Er machte Andeutungen auf Dinge, die einen gewöhnlichen Menschen nichts angingen. Schließlich wurde er gemieden, wo es nur ging.“
„Und dann ist er verschwunden, nicht wahr?“
„Ja … noch vor dem ersten Tag des Jahres 1900, so viel weiß ich noch.“
„Wenn er so selten sein Haus verließ, wer hat gemerkt, dass er verschwunden war? Und wann?“
„Das war unser Pfarrer Albert Delany gewesen. Er hat sich stets seine Gedanken um die ihm anvertrauten Seelen gemacht – nur, dass der alte Gideon nie im Gottesdienst war. Oder bei der Beichte. Regelmäßig hat Pater Delany also beim Fachwerkhaus geklopft und versucht, ihn durch gute Gespräche zurück in die Gemeinde zu bringen.“
„Wie hat Merriphet auf diese Versuche reagiert?“
„Meistens hat er die Tür nicht geöffnet oder den guten Pfarrer noch am Eingang abgewiesen. Aber einmal … da hat er Pater Delany hineingebeten. Zufällig habe ich gesehen, wie der Pfarrer hineinging, und etwa eine halbe Stunde später hat er das Haus wieder verlassen. Er war leichenblass und hat sich mehrfach bekreuzigt, ehe er zurück zur Kapelle gestürmt ist. Danach hat es Monate gedauert, bis er wieder zurück zum Fachwerkhaus gegangen ist.“
„Und dann war Merriphet verschwunden?“
„So war es. Wir hatten uns bereits alle im Dorf gewundert, dass besonders viel Zeit verstrichen war, seit er das letzte Mal vor die Tür gekommen war. Erst unser guter Pfarrer Albert Delany traute sich, zu klopfen und dann – nachdem anhaltend geschwiegen wurde – hineinzugehen. Und als er hinaus kam, berichtete er uns in wenigen Worten, dass Gideon Merriphet verschwunden war und nicht mehr wiederkehren würde.“
„Wie konnte er sich da so sicher sein? Es hätte doch auch gut sein können, dass er auf Reisen gegangen war oder Ähnliches.“
„Diese Frage stellten wir auch, doch er gab uns keine Antwort. Manche sagten bald, sie hätten Gideon Merriphet im Moor tanzen sehen, andere, dass sein Schatten sie tagsüber verfolge. Wieder andere vermeinten, dass die Sonne seit jenem Tage nicht mehr so hell über Corlis leuchte, wie sie es früher getan hätte. Und wenig später hat sich Pater Delany in der Kapelle erhängt.“
Dann stand Aidan auf und ließ mich alleine zurück.

Diese Nacht verbrachte ich unruhiger als die vorige, dachte ich doch an die bizarren und erschreckenden Eindrücke, die mir dieses Dorf verschafft hatte. Ich stand auf einem Hügel bei Corlis. Nun dämmerte der Abend und das schwache Licht der Sonne verschwand, während sich die Schatten ausdehnten. Ich sah, wie sie näher kamen und versuchten, den Hügel hinaufzukriechen, auf den noch kein düsterer Abglanz zu fallen vermochte. Ich war wohl in Sicherheit … doch es trieb mich hinunter und ich konnte nicht widerstehen, zwischen die dunklen Abbilder der Häuser zu treten – kein Mensch war da, auch kein Tier. Nichts, das sich selbst in Düsternis spiegeln konnte außer mir und den Häusern. Und so wanderte ich allein über die Wege von Corlis und doch umgeben von allem, was zu suchen ich hergekommen war. Mein erstes Ziel war die Kapelle, klein und unscheinbar in ihrer Realität. Doch groß und gewaltig war der Schatten, den sie in der Dämmerung warf. Ein reicher und mächtiger Dom einer Schwärze, die sich nicht damit begnügte, zu verschlucken, sondern stattdessen einen Griff wagte, auf alles, was in jenem Schatten lag. Gras, Heide, ein anderes Haus. Und ich sah, wie alles, das von dieser substanzlosen Berührung angetastet wurde, seine Farben verlor.
Doch da war mehr. Der Schatten der Kapelle, der Dom in der Dämmerung, er verlor … seine Form. Er zerfiel oder vielmehr, er zerfloss. Doch es war keine schwache Welle, die über Corlis hinwegschwappte, es war ein stürmisches Gewitter von plötzlich aufbrausendem Schatten. Und inmitten des Sturms blitzte kein Licht – sondern das reine Nichts.

Mit unruhigem Herzen erwachte ich und eilte nervös zum Fensterladen, um ihn aufzuschlagen. Schwaches Morgenlicht drang herein und zerteilte die Düsternis in meinem Zimmer … doch Fetzen des Schattens blieben haften und ich brauchte einige Momente, um meine Furcht zu bändigen. Etwas war anders hier in Corlis. Ich musste wissen, was es mit dem Anwesen des Gideon Merriphet auf sich hatte, dass seine Geschichte mich so aufwühlte. Aber ich fürchtete mich auch davor und nicht nur aufgrund der Dinge, die ich erfahren hatte. Es war, als würde sich ein Teil von mir wehren wollen. Steckte das hinter meinem panischen Anfall vom Vortag?
Einen solchen Zusammenbruch hatte ich erst einmal erlebt. Damals war ich noch jung gewesen, konnte mich jetzt kaum noch daran erinnern. Lediglich, dass es der Silvestertag war und eigentlich alle Vorfreude bei der Feier am Abend lag. Ich hatte gespielt, irgendwo abseits des Hauses am Rande eines dunklen, schattigen Waldes. Und irgendetwas war vor meinen Augen dahingehuscht … doch meine Erinnerungen waren bereits am Abend so unklar, dass ich nicht einmal meinen Eltern hatte erklären können, warum ich schreiend ins Haus gerannt und dort weinend zusammengebrochen war. Ein schreckliches Ereignis, wenngleich es auch eine Art Erweckung für mich bedeutet hatte. Denn anstatt fortan sämtliche beunruhigenden Orte zu meiden, suchte ich sie in meiner seltsamen Sucht auf. Jagte danach, den kalten Schauer des Unbekannten und Mysteriösen auf dem Rücken zu spüren. Dieser Drang hielt mich gepackt – aber ich bekam es auch mit einer Angst zu tun, die ich nicht benennen konnte. Würde ich hier in Corlis endlich die Antwort auf all das finden können?

Noch etwas unsicher auf den Beinen verließ ich das Gasthaus und überlegte, welche Richtung ich einschlagen sollte. Die Einwohner von Corlis hatten die Kapelle für immer verschlossen. Dazu war niemals einer von ihnen selbst im Fachwerkhaus gewesen. Wovor die Angst? Was war in dem Haus des alten Merriphet geschehen, dass der Pfarrer sich selbst umgebracht hatte?
Es gab wohl nur einen Weg, um zur sicheren Erkenntnis zu gelangen. Entschlossen erhob ich mich, was einen kurzen Blick Grahams auf mich zog. Er zog skeptisch die Brauen zusammen, sagte aber weiterhin nichts. Ich ignorierte ihn und trat vor die Tür. Die Sonne hing hinter den Wolken versteckt, doch unbeirrt lief ich den Hauptweg des Dorfes entlang, auf das eigentümliche Fachwerkhaus zu.

Und wieder war ich allein auf der Straße. Sämtliche Läden waren verriegelt. Meine Schritte verloren den Elan bereits nach wenigen Metern, als ich mir der Stille bewusst wurde. Nicht einmal von dem stetig nebelverhangenen Moor kam ein verräterisches Geräusch, das mir die Wirklichkeit meiner Umgebung bewies. Doch davon ließ ich mich nicht aufhalten und hielt weiter auf das Haus zu.
Im Erdgeschoss sah ich neben der Tür einige Fenster, die jedoch durch Läden verschlossen waren. Durch die Spalten war auch nichts zu erhaschen, da von innen dereinst die Vorhänge zugezogen worden waren. Es schienen keine Motten darüber hergefallen zu sein – gänzlich unberührt von Mensch und Tier.
Es fühlte sich seltsam an, so nah vor dem Haus zu stehen. Es war entrückt, der Welt auf sonderbare Weise fern. Irgendetwas war anders. Und mein Blick fiel auf die sonnenabgewandte Seite des Hauses. Einen Moment lang war ich nur verdutzt, dann wirbelte ich ruckartig herum und besah mir die anderen Gebäude von Corlis – dann wieder zurück. Unter größter Anstrengung und dem Aufgebot meines Willens blickte ich dorthin, wo der Schatten des Hauses sein sollte.

Die Heimstätte von Gideon Merriphet besaß keinen Schatten.

Erschrocken zuckte ich zurück, ehe mich die Faszination erneut packte. Langsam, ganz langsam führte ich meine Hand zur Hauswand … und in dem Moment, als ich sie berührte, verfinsterte sich das vor mir stehende Gebäude, als würde es mit einem Mal im Schatten eines Berges stehen. Gleichzeitig war es mir, als würde jemand nach mir greifen und mich unbarmherzig ziehen. Aber weniger meinen Körper als vielmehr meinen schieren Willen – den Willen, zu gehen.
Mit letzter Kraft riss ich eine Hand los, die niemals gehalten worden war, und wandte mich von dem Gebäude ab, das tatenlos dastand und doch nicht da zu sein schien. Dem Haus ohne Schatten.

Ich lief die Straße zurück, nahezu besinnungslos und voller Furcht. Es gab nur noch eines, das ich wollte: fort von hier. Fort von diesem Ort, der da war und dem doch etwas fehlte, der Dinge verbarg, die nicht gesehen werden sollten..
Ich lief an der Gaststätte vorbei, ohne einen Gedanken an mein Gepäck zu verschwenden. Doch ich sah wie vor mir die Schatten der Häuser zusammenfielen, als würden sie mir den Weg versperren wollen.

Es warf mich einem festen Schlag gleich auf den Boden. Vor Angst zuckte ich, obgleich es kein Geräusch gab, das mich hätte erzittern lassen. Es war die Stille von Corlis am helllichten Tage, während keiner draußen war.

Da öffnete sich hinter mir die Tür eines kleinen Hauses und ein kräftiger Arm zog mich hinein.

Als ich erwachte, war mein erster Gedanke, dass ich bewusstlos geworden sein musste. Ich konnte mich an keine Szene mehr erinnern, nachdem ich in die Schwärze eines Corliser Hauses gezogen worden war.
Um mich herum war alles dunkel. Jemand musste peinlich genau darauf geachtet haben, dass die Läden nicht nur verschlossen waren, sondern dass wirklich nicht der kleinste Rest eines Sonnenstrahls eindringen konnte … und ich empfand es als Barmherzigkeit. Denn in dieser Dunkelheit gab es kein Licht, das einen Schatten erzeugen konnte. Einen unförmigen, wandelbaren und auf ungute Weise verräterischen Schatten, der ein lächerliches Zerrbild der Wirklichkeit vortäuschte.

„Ich höre, Sie sind erwacht“, wurde ich plötzlich angesprochen. Es war die Stimme eines älteren Mannes.
„Aidan?“, fragte ich.
„Ja. Ich habe gesehen, wie Sie auf der Straße hysterisch geworden sind und dachte es wäre besser, Sie aus dem Licht zu bringen.“
„Die Sonne wirft Schatten“, echote ich, als wäre es nun auch für mich zu einem Mantra geworden.
„Ich fürchte jedoch, Sie verstehen noch nicht ganz“, wehrte Aidan ab.
„Aber ich habe es gesehen … oder vielmehr nicht gesehen. Das Haus des Gideon Merriphet. Es wirft keinen Schatten!“
Es folgte ein Moment der Stille. Wartete er auf etwas?
„Was hat Gideon Merriphet in seinem Haus getan?“, entschloss ich mich zu fragen.
Ich hörte schweres Ein- und Ausatmen, ehe Aidan antwortete: „Der alte Gideon Merriphet, der unglaublich, ja eigentlich unglaubhaft, alt war. Er kam nach Corlis und errichtete hier sein Anwesen mithilfe einiger Männer, die vorher und nachher nie wieder gesehen wurden. Anschließend begann er sein einsames Leben in unserer Mitte und bemühte sich darum, so wenig Kontakt wie nur möglich mit uns zu halten. Menschen wie Pater Delany erschwerten ihm das und er reagierte mit großer Feindlichkeit auf jeden Versuch, ihn zu stören. Nur selten gelang es jemanden, einen Blick durch die Fenster zu erhaschen. Und nur eine Handvoll Male ging einer ins Haus hinein.“
„Was habt ihr gesehen?“ Meine Stimme flatterte – ich musste wissen, was vor sich gegangen war!
„Herr Merriphet war fasziniert von okkulten Handlungen, vor allen von diversen Ritualen, die unsereins zweifelsohne als heidnisch bezeichnen würde. Sein Haus gleicht einer Bibliothek und in den Regalen stehen ausnahmslos Bücher, die das Heilige Wort verachten und Möglichkeiten versprechen, nach denen ein gottesfürchtiger Mensch nicht suchen sollte, Mr. Finch.“
„Aber was hat er getan?“, drängte ich ihn weiter.
„Diejenigen von uns, die ihn durch ein Fenster sehen konnten, als er sich unbeobachtet glaubte, erblickten ihn bei Ritualen. Er zeichnete Hexenkreise an Boden und Wände, stellte Kerzen auf und gab einen Singsang von sich, den keiner von uns jemals zu wiederholen wagte. Aber das, was uns wirklich beunruhigte und verzagen ließ, jemals wieder durch einen Spalt in dieses Haus zu spähen – das waren die Gespräche, die Gideon Merriphet führte.“
„War er nicht allein?“
„Oh doch, Mr. Finch. Für unsere Augen durchaus … zunächst. Er sprach alte Namen, zuweilen aus Kulturen, die mit klickenden und klackenden Lauten zu agieren schienen. Und im einen Moment lachten wir noch, wie wir den alten Gideon Merriphet in seinem schattendurchzogenen Haus reden sahen. Dann jedoch … gab es eine Antwort.“
„Was? Wer?“
Doch Aidan schwieg.
„Aidan?“, fragte ich nach einem Moment, doch ich erhielt keine Antwort. Sorge breitete sich aus und ich stand auf. Tastend wagte ich mich durch das Zimmer. Die Stimme des Alten war nahe gewesen und so brauchte ich nicht lange, bis meine Finger über den Rahmen eines alten Schaukelstuhls fuhren und ich den flachen Atem des Mannes hörte. Mein Kopf war nun ganz nahe an seinem und so hörte ich die leisen, kaum mehr als gehauchten letzten Worte des Mannes: „Die Schatten, Mr. Finch. Sie reisen nicht allein.“
Panisch wandte ich mich um und stolperte durch die stockfinstere Wohnung dorthin, wo ich die Wand erhoffte und fand. Hastig eilte ich an ihr entlang, bis ich ein Fenster fand und die Läden mit Wucht aufwarf.

Die Abenddämmerung flutete sogleich das Zimmer und löschte die absolute Finsternis aus. Schnell drehte ich mich um und sah den alten Aidan auf seinem Stuhl: die Augen weit aufgerissen und gebrochen, den Mund nur noch halb geöffnet und es schien mir, als würden sich schwarze Fäden aus ihm zurückziehen und in die Ecken des Zimmers verschwinden.
Ich fiel mehr aus dem Haus, als dass ich gelaufen wäre und sogleich warf ich die Pforte wieder zu und hoffte, dass all das einfach darin bliebe. Noch im selben Moment wusste ich, dass ich nun eine Pflicht hatte. Mein Blick wanderte zum alten Fachwerkhaus und im gleichen Moment fühlte ich kalte Angst und heißen Willen. Dies alles musste hier sein Ende finden.
Entschlossen stand ich auf und lief auf das Anwesen des Gideon Merriphet zu. Ich musste die Angst besiegen, die mich aus Corlis forttreiben wollte.

Feste Schritte brachten mich Stück für Stück näher an das Haus, welches die Schrecknisse eines verrückten Okkultisten beinhaltete. In der Abenddämmerung warfen sämtliche Gebäude in Corlis lange, unverfälschte und ehrliche Schatten – nur jenes Anwesen nicht. Verflucht oder verhext, vielleicht einem Bann unterlegen, widersetzte es sich mit seiner schieren Existenz allem, was wir als wirklich erachteten. Und dies war nur die erste Schicht des Grauens, das Gideon Merriphet herbeibeschworen haben musste, als er verbotenes Wissen aus allen Jahrhunderten für seine abnormen Experimente zusammengetragen hatte. Noch wusste ich nicht, wozu genau all das geführt hatte, doch ich würde es bald sehen und hoffentlich ein für alle Mal beenden können.
Erst einen Meter vor der unscheinbaren, hölzernen Tür blieb ich stehen. Mein Blick fiel auf den kupfernen Knauf der Tür, der trotz der feuchten Luft vom Moor her keine Spuren des Verfalls zeigte und somit sämtlicher Logik spottete. Mehr als zwanzig Jahre waren vergangen, seit die Tür das letzte Mal geöffnet wurde und ich fühlte nun ein ungutes Gefühl, diesen Bannkreis zu durchbrechen. Doch der Schrecken würde kein Ende nehmen und ich spürte, dass auch mein Verlangen kein Ende nehmen würde. So tat ich den letzten Schritt und legte die Hand an den Knauf der Tür.

Wieder spürte ich, wie ich gezogen wurde, auf unsagbare, unkörperliche Art. Doch diesmal war ich vorbereitet, zuckte nicht zurück – ließ mich aber auch nicht treiben. Ohne Eile drehte ich den Knauf um und drückte die Tür nach innen auf.
Ich blickte in einen kleinen Flur, der rechterhand eine Garderobe aufwies. Mantel und Hut, sogar ein paar Schuhe standen dort noch. Unberührt, als wäre der Besitzer dieses Hauses nur kurz an die frische Luft gegangen. Denn stickig war es und leblos. Und wieder brauchte ich einen Moment, um die unnatürliche Tatsache zu realisieren, die meine Sinne mir gnädigerweise einige Sekunden zu verschweigen versuchten: trotz des einfallenden Lichts weigerten sich die Kleidungsstücke an der Wand sowie die Kleiderhaken selbst einen Schatten zu werfen. Als würde eine allumfassende Beleuchtung vorherrschen oder vielmehr, als wären diese Dinge nicht wirklich hier. Und so musste ich meine Hand ausstrecken und den dicken Mantel berühren.

Der Stoff war echt. Alles hier war echt … und doch fehlte allem ein essentieller Bestandteil. Ich trat ein und schloss die Tür hinter mir. Die Menschen von Corlis hatten genug mitgemacht und mussten nicht noch meinen törichten Versuch mitansehen, die Machenschaften des Gideon Merriphet mehr als zwanzig Jahre nach seinem Verschwinden zu beenden. Dann ging ich den kurzen Flur entlang und öffnete die einzige Tür, welche am Ende des Ganges lag.
Und nun stand ich inmitten des okkulten Wahnsinns eines alten Mannes. Der Raum vor mir füllte beinah das gesamte Erdgeschoss aus und war derzeit noch nahezu sämtlich abgedunkelt. Doch einige wenige einfallende Lichtstrahlen offenbarten genug, um zu erkennen, dass Aidan Recht hatte. Das Zimmer war wie eine Bibliothek vollgestellt. An den Wänden reihten sich Bücherregale, ein jedes von ungleicher Größe und Form, wobei letztere ihrem eigentlichen Sinn zuweilen entgegengesetzt zu sein schien. Eine Ordnung ließ sich hier höchstens im kakophonischen Sinne erkennen. Drei unterschiedliche Schreibtische waren in der Mitte zusammengeschoben worden, während die Stühle an den Wänden standen. Der gesamte Boden war überzogen mit verwirrenden Kreidelinien, die innerhalb eines großen Kreises die verrücktesten Formen abbildeten. Eine beunruhigende Regelmäßigkeit lag in den schier endlosen Symbolen und es musste Tage gedauert haben, ein solch unheiliges Zeichen zu erschaffen.
Den Ursprung für Gideon Merriphets wahnhafte Phantasien entdeckte ich auf den zusammengeschobenen Tischen. Neben mehr als zwanzig unangezündeten Kerzen lag dort ein Dutzend der verbotenen Bücher aufgeschlagen, und nahezu alle zeigten bizarre Abbildungen. Mal waren es Beschwörungskreise, mit deren Hilfe wohl in heidnischen Zeiten Dämonen herbeigerufen werden sollten, oder Zauberformeln in glücklicherweise lang ausgestorbenen Sprachen. Zuweilen waren jedoch bizarre Bilder dabei, die Menschen mal klar, mal durchscheinend, mal auf groteske Weise verdunkelt zeigten. Ich konnte diesem ganzen Gemisch aus spürbar brodelndem Aberglauben kaum einen Sinn beimessen.

Doch irgendwie schien sich mir aus einem tieferen Bereich meines Verstandes eine Erklärung aufzudrängen. Mit einem Mal wurde es klar wie eine wolkenlose Nacht und ich begann mit jedem einzelnen Handgriff, der nötig war, um das Grauen zu beenden. Zuerst entzündete ich die Kerzen mit den beiliegenden Streichhölzern und brachte somit das Licht zurück ins Anwesen von Gideon Merriphet. Weiterhin blieb jedoch alles in diesem Zimmer, wohl im ganzen Hause, den natürlichen Schatten schuldig. Das vermochte mich jedoch nicht mehr zu schrecken und ich stellte die Kerzen an ihre Plätze: eine jede hatte ihren festen Platz inmitten des großen Kreises. Anschließend ging ich von Regal zu Regal und griff verschiedenste Gegenstände daraus. Zunächst waren es einige Kräuter, die ich in die Nähe der kleinen Lichtquellen legte. Bereits die nahe Wärme ließ sie eigenartige Düfte ausstoßen, die noch eindringlicher und gleichermaßen abstoßender waren als jeder Weihrauch. Dann waren da noch seltsame Gegenstände, die an verschiedene Fokuspunkte des Ritualkreises gelegt werden mussten. Schwarze Haare von Tieren, ein paar Federn und sogar ein Horn – aber auch ein erschreckend menschenähnlicher Zahn sowie ein Armknochen, den ich in dankbarer Umnachtung einem Affen zuschrieb.
Für den letzten Schritt trat ich wieder an die Tische und erkannte neben vielen verschiedenen Bildern – welche auch stilisierte Schattengestalten darstellten, zuweilen eng verwoben mit einem oder mehreren Menschen – den entscheidenden Zauberspruch und las ihn vor. Die Sprache war mir unbekannt, die Betonungsweise und Struktur gänzlich unbewusst und doch redete ich, als wäre sie mir schon immer zu Eigen gewesen. Ich hörte meine Stimme und sie gab mehr klackende und klickende Geräusche von sich als das, was ich als Sprache kannte.
Meine Rede endete und in diesem Moment fiel mein Blick auf den einzigen Schatten, der in diesem Haus geworfen wurde und sogleich den Grund, warum niemand bei Tage sein Haus hatte verlassen wollen: es war mein Schatten, doch war es nicht nur einer. Corlis hatte etwas über mich ans Licht gelockt, das lange verborgen war. Ich warf den Schatten zweier Männer, der eine schmal und hochgewachsen, der andere kleiner und etwas stämmiger. Dieser wirkte verwachsen, als könne die eindimensionale Verdunkelung mehr preisgeben als möglich sein sollte.
In diesem Moment begann sich dieser fremdkörperliche Schatten vom Boden abzuschälen. Erst gewann der Kopf an durchscheinender und dann fester Form, ehe der Oberkörper, seine Arme und zuletzt der Unterleib folgten. Und dann stand er vor mir.
Blasse Haut straffe sich über seinen Schädel, der wenig lebendiger erschien als der eines Toten. Schwarzes Haar fiel in Strähnen, die wie Öl wirkten, von seinem Scheitel hinab. Nahezu gänzlich schwarze Augen lagen in tiefen Höhlen, glänzten jedoch kraftvoll im Licht der Kerzen. Der gesamte Leib dieses Mannes wirkte klein und verkrümmt, eine Schulter stand vor, der Arm war angewinkelt. Doch die Hände waren wie Klauen und seine Präsenz versetzte mich in panische Furcht. Eine Schockstarre, welche die Kreatur vor mir mit einem Grinsen quittierte, das darin bestand, dass sich lippenloses Fleisch vom Mund zurückzog und den Blick auf Zahnreihen offenlegte, als wäre es ein reiner Totenschädel, der mich anlachte.

Dann begann der Mann zu sprechen. Sein Unterkiefer bewegte sich ruckartig und einer jeden Silbe hallte ein Knacken nach, als würden die Knochen aneinanderschlagen. Die Stimme selbst war sehr leise und dünn, doch reichte sie vollkommen aus, um den Raum mit Entsetzen anzufüllen.
„Endlich bist du hier“, begann das grausame und verbotene Geschöpf. „Im Anwesen von Gideon Merriphet.“
Entsetzt brachte ich nicht mehr zustande, als dem Mann in seine schwarzen Augen zu blicken. Der näherte sich mir und begann um mich herum zu laufen und mich zu mustern. „Seid Ihr der, der mit den Schatten sprach?“, stammelte ich schließlich.
„Oh ja – ich bin Gideon Merriphet. Lange verschollen … in dieser Welt.“
„Seit mehr als zwanzig Jahren“, sprach ich weiter und spürte, wie ich unerklärlich heiser wurde, als brächten mich bereits zwei Sätze zu jenen Mann zum Verstummen.
Der Beschwörer blieb vor mir stehen und grinste wieder sein Grinsen eines Totenschädels.
„Weißt du, wann genau ich verschwand?“
„Noch … vor der … Jahrhundertwende“, brachte ich hervor und jedes Wort bereitete mir tiefe Schmerzen.
„Genauer hätte ich deine Nachforschungen doch erwartet, Philipp. Du enttäuschst mich. Dabei habe ich dich so viele Jahre gedrängt. Dir im wahrsten Sinne des Wortes im Nacken gesessen.“
Verständnislos blickte ich ihn an und wandte all meine Kraft auf, nicht in die Knie zu gehen.
„Ich war da, Philipp. Immer da, in deinem Schatten. Lange hat man mich nicht gesehen, doch dieser Ort hier hat mich mehr und mehr zurückgebracht. Auch wenn ich dich in diesem Moor fast verloren hätte, ja, fast wärst du entkommen, fast hätte dich ein erbärmlicher Instinkt gerettet … Warum hast du all diese seltsamen, wenn auch schrecklich bedeutungslosen Orte aufgesucht? Warum? Weil ich wollte, dass du schließlich hierherfindest! Seit jenem Tag, in der du als kleines Kind meine Schattengestalt durch den Wald hast stürmen sehen. Seit jenem Tag, als ich dich sah und wusste, dass du der Richtige sein würdest.“
„Der Richtige …?“, ächzte ich und fühlte mich niedergedrückt. Nunmehr blickte ich zu dem Schädel auf anstatt hinab und zuckte zurück vor der Macht, die ich herausgefordert hatte.
„Mein Wirt, Philipp“, lachte die Kreatur auf. „Bis wir gemeinsam nach Corlis zurückkehren würden.“

In jenem Moment dachte ich, Gideon Merriphet würde mich anspringen und ich hastete zur Seite und packte das Erstbeste: den Schürhaken aus dem halb zugestellten Kamin. Doch die untote Gestalt sank zurück auf den Boden, wurde wieder zu dem verzerrten zweiten Schatten meiner Selbst. Einen Moment lang wechselte sich panische Furcht mit plötzlicher Erleichterung – dann streckte die krumme Gestalt ihre Hand nach meinem schmächtigen, so schwächlich wirkenden Schatten aus. Ein Riss ging durch den substanzlosen Widerhall meines Selbst. Und ein letzter Schrei entwand sich meiner Kehle.

Eine stille Nacht folgte auf den Kampf des Philipp Finch und der nächste Morgen erwartete Corlis mit trübem Licht. Doch es reichte aus, damit jeder es verstand.

Der Schatten war zurückgekehrt zum Anwesen des Gideon Merriphet.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hinsichtlich der Länge dieser "Kurz"geschichte zwei Anmerkungen:

1. Ein unglaublich großes Dankeschön schon mal im Voraus an jeden, der sich das durchlesen wird!
2. Ich suche selbst noch nach Wegen, die Geschichte zu kürzen. Daher bitte auch gerne dahingehend brutale und rücksichtslose Vorschläge, was man rauswerfen kann ;)

Eine Bemerkung zu den bisherigen Veränderungen:
Ich habe den Anfang verändert und beginne nun mit einem ausgeschriebenen Gerücht über Corlis und Gideon Merriphet. Das soll vage genug sein, dass der Leser sich noch seine eigenen Gedanken drüber machen kann.
Des Weiteren habe ich einige Szenen gestrichen (u.a. ein Gespräch über Pater Delany mit Graham, die Erkundung eines nahen Hügels, ein weiteres Gespräch mit Graham über die Zurückhaltung der Corliser) und andere umsortiert (Finch läuft nun direkt ins Moor, nachdem er das erste Mal versucht hat, sich dem Fachwerkhaus zu nähern; an die zweite Traumsequenz schließt sich die Erinnerung an sein "Jugendtrauma" an).
Der Protagonist steht jetzt stärker getrieben dar (von seinen Instinkten [Angst] auf der einen Seite und Gideon auf der anderen). Eigene Mutmaßungen von ihm wurden z.T. gestrichen, wo sie für die Geschichte an sich nicht nötig waren.
Insgesamt wirkt der Protagonist dadurch etwas ahnungsloser, auf der anderen Seite müsste jetzt bereits früher deutlich werden, dass sich in Corlis gewissermaßen sein Schicksal erfüllt.

Zugegebenermaßen: der Anfangssatz
"Ein alter Mann in Dunton hatte mir von Corlis erzählt."
ist genauso ein Klischee-Einstieg wie "In einer stürmischen Nacht". Da werde ich wohl auch noch mal drauf Herumdenken können.

 

Hej Vulkangestein,

wie wunderbar, eine neue Geschichte von dir zu finden. Und weil sie lang ist, lege ich sofort los.

Mr. Finch, Ihr Zimmer ist das erste, wenn Sie hier die Treppe rauf gehen. Frühstück gibt es um acht. Wie viele Nächte wollen Sie bleiben?“

Ich hätte erwartet, das Graham weiterhin sparsam mit den Worten umgehen, keine ganzen Sätze sprechen würde. :shy:

Also beschloss ich, diesen anstrengenden Tag mit einem frühen Abschluss zu beenden und ging hinauf in mein Zimmer. Meine kleine Tasche mit dem nötigsten an frischer Kleidung stellte ich zwischen Schrank und Nachttisch, womit ich bereits die Hälfte des freien Raums aufgebraucht hatte. Dann entledigte ich mich meiner eigenen, durchnässten Bekleidung und hing sie auf. Immerhin gab es ein Fenster, das mir aus dem Eindruck hinaushalf, in einem Schrank schlafen zu müssen. Freilich war es mittlerweile so dunkel und wolkenverhangen, dass auch ein pechschwarzes Gemälde dort hängen könnte.

Wenn du nicht gefragt hättest, hätte ich nichts gesagt, einfach weil ich gerne lese, was du schreibst, aber diese Passage hatte ich schon vorsorglich kopiert und als nicht unbedingt notwendig angesehen. :lol:

Stattdessen verzog er die Mine, als könne er Unbestimmtheiten nicht leiden und nannte mir den Preis für das Abendessen, die Nacht und das nächste Frühstück.

Schon Miene, oder?

Das Frühstück war ähnlich breit gefächert, wie das Abendmahl, dafür jedoch wenigstens etwas frischer.

Humor kann selbst bei der wohlüberlegten und bedächtigen Auswahl deiner Sprache nicht schaden. ;) Jedenfalls nehme ich ihn dankbar zur Kenntnis.

Über dem Moor hingen weiterhin die Nebelfetzen und ich fragte mich, ob es diesen Schleier jemals ablegte.

Ich hätte wohl den Schleier benutzt, gerade weil du das Pronomen im nächsten Satz verwendest und es mir beim Lesen auffiel. Sonst lese ich nämlich schnurtracks mit großem Vergügnen durch deine ruhige Geschichte. :)

Nun, wenn Niemand wach war, um Seelensorgen zu haben, musste auch kein Pfarrer bereitstehen.

Ich leg mich ja echt nicht gerne mit angehenden Deutschlehrern an, aber weil bereits zum zweiten Mal niemand substantivierst und ich denke, dass es nicht passt, sag' ich mal was. Nur mal so.

Meine Reisen bisher hatten mich schon bereits zu diversen Ruinen und einer halb verfallenen Burg gebracht.

Schon oder bereits, beides erscheint mir zu viel.

Das nächstgelegene Dorf hatte Nichts von ihr gewusst oder ihrer Geschichte oder wollte vielmehr Nichts wissen.

nichts?

Die besteht weiter und wird weiter fortbestehen, denn eine innere Rastlosigkeit treibt mich an Orte wie Corlis. Zuhause, in der Universität, ja selbst jetzt auf diesem Hügel fühle ich keine dauernde Ruhe.

Schön. Er bekommt Kontur.

Rasch blickte ich zu dem ersten Zeichen von Leben in Corlis und sah tatsächlich in einem Fenster das Gesicht einer alten Frau. Sie erblickte mich und auch wenn ich nur kurz ihre Augen sah, so meinte ich doch zu sehen, wie sie sich weiteten während gleichsam die Lippen bebten und jegliche Farbe aus dem Gesicht verschwand.

Eine schön beschriebene Begegnung. Allerdings würde ich das zweite sehen ersetzen (erkennen o.ä.).

Vielleicht hatte der mürrische Wirt tatsächlich auch etwas für den Mittag bereit stehen.

bereitstehen

Doch der junge Mann, etwa so alt wie ich, blickte mich nur aus grauen Augen und sah dann wieder zur Decke hinauf ohne, dass dort etwas wäre, das anzusehen lohnte.

Das habe ich nicht vergessen. ;) Du kannst mir vertrauen, dass ich deinen Text aufmerksam lese.

Der graue Dunst wirkte wie ein Willkommensgruß, der einen bereitwillig umschloss, sobald man – wenn auch nur testweise – zwei Schritte hinein in den Morast getan hatte. Es war ein seltsames Gefühl, derart begrüßt zu werden und obgleich es einen jeden Menschen davonjagen sollte, fühlte ich auch das Verlangen, weiter hineinzugehen. Zwischen dem Nebel ragten nur knorrige und zuweilen nahezu vollständig verfaulte Bäume empor. Blattlose Äste suchten das Licht einer Sonne, die hier ihren Kampf verloren zu haben schien. Vom Boden erkannte ich nur wenig und das Wenige, das ich sah war trügerisch. Mancher Flecken Erde verhieß Halt und entpuppte sich als Falle, während die eine oder andere Pfütze gerade einmal handbreit tief über sicherem Stand lag.

Schön beschrieben. Ich mag es, dass der Protagonist nicht eindimensional handelt, dass du mir zeigst, dass ihn etwas umtreibt.

Doch es nutzte kein Klagen und schließlich, nachdem ich fertig gegessen hatte, setzte ich mich mit einem eigenen Krug hinüber zu dem älteren Mann.

Mir gefiele aufgegessen besser.

In der Tat, Gideon Merriphet. Er war bereits alt, als mir noch keine grauen Haare wuchsen und doch war er noch da, als die ersten kamen.

Wie schön formuliert das klingt.

Er war ein rüstiger Mann war gewesen und selten aus dem Haus gekommen.“

Der gehört überarbeitet. :lol:

Wie hat Herr Merriphet auf diese Versuche reagiert?“

Ohne Herr hörte es sich für mich geheimnisvoller an.

Mein erstes Ziel war die Kapelle, klein und unscheinbar in ihrer Realität. Doch groß und gewaltig war der Schatten, den sie in der Dämmerung warf.

Das gefällt mir gut, nur wünschte ich mir ein Synonym für Realität, einfach weil es so gegenwärtig klingt.

Mit unruhigen Herzen erwachte ich und in von mir selbst unbekannter Nervosität eilte ich zum Laden, um ihn aufzuschlagen.

unruhigem Herzen ...

Die Heimstätte von Gideon Merriphet besaß keinen Schatten.

Brrrr. Wie unheimlich.

[Erschrocken zuckte ich zurück, ehe mich die Faszination erneut packte. Langsam, ganz langsam führte ich meine Hand zur Hauswand … und in dem Moment, als ich sie berührte, verfinsterte sich das vor mir stehende Gebäude, als würde es mit einem Mal im Schatten eines Berges stehen. Gleichzeitig war es mir, als würde jemand nach mir greifen und mich unbarmherzig ziehen. Aber weniger meinen Körper als vielmehr meinen schieren Willen – den Willen, zu gehen.
Mit letzter Kraft riss ich meine Hand los, die niemals gehalten worden war, und wandte mich von dem Gebäude ab, das tatenlos dastand und doch nicht da zu sein schien. Dem Haus ohne Schatten.

Ich sehe diese Szene ganz deutlich vor mir und sein Entsetzen, aber auch seine Faszination. Gut gearbeitet.

Doch ich sah wie vor mir die Schatten der Häuser zusammenfielen, als wöllten sie mir den Weg versperren.

Ja klar, wöllten, aber auch nur im Rahmen dieser Erzählung und deiner Sprache geht mir das gut von den Lippen. ;)

Als ich erwachte war mein erster Gedanke, dass ich bewusstlos geworden sein musste. Ich konnte mich an keine Szene mehr erinnern, nachdem ich in die Schwärze eines Corliser Hauses gezogen worden war. Einen solchen Zusammenbruch, ja geradezu einen Anfall hatte ich erst einmal in meinem Leben erfahren. Und damals war ich noch jung gewesen, konnte mich jetzt kaum noch daran erinnern. Lediglich, dass es der Silvestertag gewesen war und eigentlich alle Vorfreude bei der Feier am Abend lag. Ich hatte gespielt, irgendwo abseits des Hauses am Rande eines dunklen, schattigen Waldes. Und irgendetwas hatte ich gesehen … doch es war so undeutlich gewesen, dass ich nicht einmal am selben Tag meinen Eltern hatte erklären können, warum ich schreiend ins Haus gerannt und dort schließlich weinend zusammengebrochen war. Ein schreckliches Ereignis, wenngleich es auch eine Art Erweckung für mich bedeutet hatte. Denn anstatt fortan sämtliche beunruhigenden Orte zu meiden, suchte ich sie in meiner seltsamen Sucht auf. Jagte geradezu danach, den kalten Schauer des Unbekannten und Mysteriösen auf dem Rücken zu spüren.

Ich habe es mir so sehr gewünscht, seine Leidenschaft würde in der Kindheit begründet liegen. :)

Verständnislos blickte ich ihn an und wandte all meine Kraft auf, nicht in die Knie zu gehen.

Schön.

Herrschaftszeiten, da bin ich dann aber doch durchgestürzt, um endlich zu erfahren, was das alles auf sich hat. Liebes Vulkangestein, ich möchte diese Geschichte nicht kürzer, egal was die anderen sagen oder was nötig wäre. Ich bin mal ganz mutig und eigennützig und plädiere für die volle Länge!

Denn ich genieße jeden Satz und jede Formulierung, die du benötigst, um mir die Atmosphäre und die Umstände zu erläutern. Und auch wenn ichbMystery und Zeugs nicht unbedingt meine Lieblinge sind, ich fühlte mich gut aufgehoben zwischen einem Harry-Potter-Feeling und dem Film "Die neun Pforten".

Aber im Grunde kannste schreiben, worüber du willst (okay Satire muss nich), denn ich mag einfach deine Art zu formulieren.

Freundlichster Gruß, Kanji

 

Hallo Vulkangestein,

Ich suche selbst noch nach Wegen, die Geschichte zu kürzen. Daher bitte auch gerne dahingehend brutale und rücksichtslose Vorschläge, was man rauswerfen kann
Schätzungsweise fünf Prozent des Textes lässt sich einsparen, wenn du die Füllwörter wie "bereits, möglichst, recht, auch, doch, eigentlich, lediglich, immerhin, längst, zuweilen, insbesondere etc." rausschmeißt und ggf. die Sätze entsprechend umstellst.
Du würdest dann von 7300 Wörter auf unter 7000 kommen. Das wäre schon mal ein Anfang.
Der Text wird somit sogar prägnanter, finde ich.

Später müssest du noch schauen, welche Beschreibungen, Szenen etc. überhaupt wichtig sind. So würde ich vorgehen.
Beispiel für die beiden ersten Absätze:

Es war ein kalter, regnerischer Tag im März, als ich nach Corlis kam. Ich wusste eigentlich kaum, was ich hier wollte und warum ich – direkt nachdem die Eisenbahn mich immerhin nach Dunton gebracht hatte – die restliche Strecke durch das schlechte Wetter zu Fuß bewältigt hatte, anstatt einfach noch den nächsten Tag abzuwarten. Doch nun stand ich (Neu: Ich stand) vor der kläglichen Ansammlung von Hütten, die auf der einen Seite von kargen Hügeln mit lediglich ein wenig Heidekraut flankiert und auf der anderen Seite von einem Moor bedroht wurde. Trüber Nebel hing in wabernden Fetzen über der gesamten Landschaft, was die Sicht noch weit mehr verschlechterte, als es die dunklen Wolken vor der wohl untergehenden Sonne machten – dem Gefühl nach war sie bereits längst entschwunden.

Ich hatte den gesamten Tag laufen müssen, um hierher zu kommen, und das zuweilen über Wege, die kein ernstzunehmender Mensch als zivilisiert bezeichnen würde. Es war ein wirklich abgelegenes Dorf da vor mir. Und genau das machte seinen Reiz aus – insbesondere für mich, der ich schon seit früher Jugend an eigenartig fasziniert war von dem Nahen und zugleich Fernen.


Wenn ich diese Worte überlese, fehlt mir nichts. Ist aber wohl Geschmacksache ...

Vielleicht hilft dir das ja weiter.

Liebe Grüße,
GoMusic

 

Hallöle Kanji,

vielen, vielen Dank für deinen langen Kommentar und die ganzen Anmerkungen. Ich habe fast alles übernommen und gleich mal nachgelesen, was der Duden so zur Groß-/Kleinschreibung von nichts und niemanden sagt (und festgestellt, dass meine Willkür nicht regelkonform ist). Da hatte ich ganz schön Nachholbedarf, danke für den Hinweis! :read:

"Wie hat Herr Merriphet auf diese Versuche reagiert?"

Ohne Herr hörte es sich für mich geheimnisvoller an.
--> Das habe ich mal so gelassen, da Philipp selbst ja kein Mysterium aufbauen will, sondern trotz all seiner Faszination skeptisch ist.

"Mein erstes Ziel war die Kapelle, klein und unscheinbar in ihrer Realität. Doch groß und gewaltig war der Schatten, den sie in der Dämmerung warf."

Das gefällt mir gut, nur wünschte ich mir ein Synonym für Realität, einfach weil es so gegenwärtig klingt.
--> Da gebe ich dir vollkommen recht. Aber ich grüble und grüble, was ich hier statt Realität nehmen könnte. "Wirklichkeit" kam mir in den Sinn, aber "in ihrer Wirklichkeit" klingt selbst für diesen Text heftig altbacken bzw. seltsam.

Aber im Grunde kannste schreiben, worüber du willst (okay Satire muss nich), denn ich mag einfach deine Art zu formulieren.
Dankeschön! :shy:


Schätzungsweise fünf Prozent des Textes lässt sich einsparen, wenn du die Füllwörter wie "bereits, möglichst, recht, auch, doch, eigentlich, lediglich, immerhin, längst, zuweilen, insbesondere etc." rausschmeißt und ggf. die Sätze entsprechend umstellst ... Wenn ich diese Worte überlese, fehlt mir nichts.
Danke GoMusic! An die ganzen Füllwörter hatte ich gar nicht gedacht, da werde ich auf jeden Fall noch einmal drüber gehen.

 

Hallo Vulkangestein,

uff, was für ein Text. Deine Geschichte erinnert mich recht stark an Lovecraft (dessen Geschichten du zur Zeit auch zu lesen scheinst). Als jemand, der diese Geschichten durchaus zu schätzen weiß, war ich zunächst einmal neugierig, wie sich deine Handlung nach dem Anfang entwickeln würde. Das ländliche Setting, die ältere Zeit und die Schaueratmosphäre haben mich durchaus gelockt. Ich musste allerdings feststellen, dass sich das Leseerlebnis als recht zäh entpuppte.

Du hast in deinem Kommentar unter dem Text um Kürzungsvorschläge gebeten. Das ist in der Tat ein Punkt, unter dem dein Text leidet. Deine Hauptfigur neigt zum unnötigen Schwadronieren und erklärt sich mitunter viel zu überdeutlich.

Allerdings sehe ich auch zwei andere Möglichkeiten, wie du deine Geschichte interessanter machen kannst. Hauptsächlich besteht diese darin, dass deine Hauptfigur über mehrere Tage durch das Dorf und dessen Umgebung läuft, eine merkwürdige Faszination mit dem Werkhaus entwickelt und einige Erkundigungen über dessen Geschichte anstellt. Darin steckt wenig Konflikt, allerdings ein Geheimnis, dass sich für den Leser langsam offenbart. Damit das funktioniert, sind zwei Dinge wichtig, die ich hier eher vermisse bzw. nicht wirklich packend ausformuliert worden sind:

1. Die Hauptfigur:
Ich hatte beim Lesen deiner Geschichte nie ein klares Bild deiner Hauptfigur. Zuweilen, gleich zu Beginn etwa, machte sie den Eindruck, ein umherziehender Reisender zu sein, welcher sich einfach von Ort zu Ort treiben lässt. Gegen Ende bekam ich allerdings das Gefühl, dass Philipp sehr bewusst nach Corlis kam, um die dunklen Machenschaften des Hexenmeisters entgültig aus der Welt zu schaffen. Auch seinen Hintergrund und sein Interesse am Okkulten beschreibst du zu schwammig.

2. Das Setting:
Da Philipp im Verlauf der Handlung hauptsächlich das Dorf und seine Geschichte erkundet, sollten diese Aspekte recht interessant gestaltet sein. Welche Geschichte hat das Dorf? Insbesondere, welche Beziehungen gab es in der Vergangenheit zwischen dem Hexenmeister und dem Rest der Gemeinde? Welche Ereignisse haben, zum Beispiel, bei den Dorfbewohnern Verdacht erregt oder sie in Angst versetzt? Vor allem vermisse ich auch hier Details und alles erscheint ein Stück weit zu vage. Wie heißen die umliegenden Dörfer (es müssen keine realen sein)? Von welchen Ereignissen war das Dorf in der Vergangenheit betroffen? Was machen die Menschen dort beruflich? Worauf ich hauptsächlich hinaus will, ist, dass es für den Leser interessant sein muss, über die Länge deiner Geschichte hinweg Corlis und sein Geheimnis zu erkunden, da es abgesehen nur wenig gibt, das hier fesselt. Insofern solltest du genügend Details mitbringen und langsam entfalten, welche den Eindruck hinterlassen, es hier mit echten Ort zu tun zu haben. Jedoch überwiegen bei dir hauptsächlich Landschaftsbeschreibungen, welche die Szenerie ausmalen und Atmosphäre kreieren, aber wenig dazu beitragen, die Faszination am Setting beim Leser zu wecken.

Im Folgenden gehe ich noch einmal durch deinen Text und gebe Anmerkungen, Verbesserungsvorschläge sowie ein paar Leseeindrücke. Vor allem werde ich Ausschau danach halten, wie man deinen Text kürzer und griffiger formulieren kann. Bedenke dabei, es handelt sich vor allem um meine persönlichen Gedanken. Nimm' einfach davon mit, was dir gefällt:

Gespräche mit den Schatten

Im Nachhinein hat mich dein Titel verwundert. Ich hätte vermutet, dass die Hauptfigur im Verlauf der Handlung mehrere Gespräche mit einem Schatten hätte (wer oder was zu diesem Zeitpunkt auch immer der Schatten ist). Allerdings redet Phillip am Ende nur einmal mit diesem Geschöpf und dabei handelt es sich schwerlich um ein richtiges Gespräch, sondern mehr um eine Offenbarung. So ganz spontan würde mir ein Titel wie "Der Schatten von Corlis" besser gefallen, auch wenn dieser sehr offensichtlich klingt.

Es war ein kalter, regnerischer Tag im März, als ich nach Corlis kam.

Hehe, wundere dich nicht, wenn dich irgendwann mal jemand darauf hinweist, dass ein Beginn wie "Es war ein kalter und regnerischer Tag" sehr ähnlich klingt wie "Es war eine stürmische und regnerische Nacht". Letzteres stellt bekanntlich den absoluten Klischee-Einstieg dar und Anfängern wird geraten, einen derartigen Einstieg aufs Tunlichste zu vermeiden. Mir persönlich ist das nicht so wichtig.

"Ich wusste kaum, was ich hier wollte und warum ich – nachdem die Eisenbahn mich nach Dunton gebracht hatte – die restliche Strecke durch das schlechte Wetter zu Fuß bewältigt hatte, anstatt den nächsten Tag abzuwarten."

Nun, hier wird es schon schwieriger.

1. Dem Leser zu vermitteln, dass die Hauptfigur keine Ahnung hat, was sie hier will, kann sehr schnell Ernüchterung hervorrufen. Geschichten werden faszinierend, wenn die Hauptfigur ein Begehren oder ein Ziel hat, dass sie erreichen will und auf welches sie im Laufe der Handlung zuarbeitet. So schlicht zu sagen, dass Phillip kein Ziel hat, kommt einem sofortigen Off-turner gleich.
2. Stimmt das überhaupt? Wenig später spricht Philipp mit Graham und versucht, für seine Nachforschungen Informationen aus ihm herauszulocken. Also muss er ja zumindest eine Vorstellung davon haben, was er hier will. Er könnte von dem okkulten Diener in dem Dorf gehört haben oder aber generell durchs Land ziehen, um seiner Neugierde für Phantastisches nachzugehen. Entsprechend könnte er vielleicht einen Hinweis von jemandem bekommen haben, dass in einem kleinen Dorf namens Corlis sich ungewöhnliche Dinge zugetragen haben, die nicht von dieser Welt sind oder so.

Trüber Nebel hing in wabernden Fetzen über der gesamten Landschaft, was die Sicht noch weit mehr verschlechterte, als es die dunklen Wolken vor der wohl untergehenden Sonne taten – dem Gefühl nach war sie bereits längst entschwunden.

Hier ist ein gutes Beispiel für das Schwadronieren deiner Hauptfigur. Wenn Nebel in wabernden Fetzen bereits über der gesamten Landschaft hängt, ist es unnötig, noch hinzuzufügen, dass dieser die Sicht verschlechtert. Das erklärt sich von selbst und muss nicht noch einmal erwähnt werden.

Desweiteren würde ich deine Beschreibungen hier präziser formulieren. So könnte dieser Abschnitt etwa so lauten:

"Trüber Nebel hing in wabernden Fetzen über der Landschaft. Dunkle Wolken verdeckten die Sonne und schränkten die Sicht noch weiter ein. Dem Gefühl nach war es bereits Nacht."

Ich hatte den gesamten Tag laufen müssen, um hierher zu kommen, und das über Wege, die kein ernstzunehmender Mensch als zivilisiert bezeichnen würde. Es war ein abgelegenes Dorf da vor mir. Und das machte seinen Reiz aus – insbesondere für mich, der ich schon seit früher Jugend an eigenartig fasziniert war von dem Nahen und zugleich Fernen.

1. "Ich hatte den gesamten Tag laufen müssen, um hierher zu kommen,..."

Das wissen wir schon. Der vorangegangene Absatz hat es uns erzählt.

2. "...und das über Wege, die kein ernstzunehmender Mensch als zivilisiert bezeichnen würde."

An dieser Stelle frage ich mich, was sich ein 'ernstzunehmender' Mensch unter einem zivilisierten Weg vorstellt. Eine Pflasterstraße vielleicht? Oder bringt die Hauptfigur an dieser Stelle seine Arroganz zum Vorschein und ist sich trotz seiner Begeisterung für hinterwäldlerische Hexenkäffer zu schade für schmutzige Wege?

3. "Es war ein abgelegenes Dorf da vor mir." Auch das geht bereits aus dem vorangehenden Absatz hervor.

4. "insbesondere für mich, der ich schon seit früher Jugend an eigenartig fasziniert war von dem Nahen und zugleich Fernen."

Dieses Bedürfnis klingt so unfassbar vage und schwelgerisch, dass ich mir nicht wirklich etwas darunter vorstellen kann. Denke immer daran, dass es im Normalfall besser ist, so präzise wie möglich bei Formulierungen zu sein. Was genau ist also mit dieser Faszination gemeint? Entdeckerdrang? Die Suche nach Abenteuer? Wissensdurst?

Wenn ich den Absatz umformulieren würde, könnte das so aussehen:

"Der Weg zum Dorf führte mich über einen Pfad, den wohl niemand als einen Meilenstein der Zivilisation bezeichnen würde. Doch genau darin lag der Reiz für mich. In die tiefsten Winkel unseres Landes hervorzudringen und die Geheimnisse zutage zu fördern, die dort begraben lagen."

Wenn deine Hauptfigur allerdings nach Corlis kommt, um dem Okkulten dort auf den Grund zu gehen, solltest du den letzten Teil dieses Vorschlags von mir entsprechend anpassen.

Ich näherte mich einem Gebäude, dessen modernes Auftreten mir eine solide Unterkunft versprach. Nach einem kräftigen Klopfen wurde geöffnet und ein großer, finster dreinblickender Mann stand vor mir. Er überragte mich etwas, war aber so schlaksig, dass er nicht gefährlich wirkte.
„Gast?“, fragte er.
„Ähm, ja? Guten Abend, werter Herr…“
„Kommen Sie rein, es gibt noch Reste vom Abendessen“, brummte der Mann recht unwirsch, aber dafür deutlicher, als ich es von einem Hinterwäldler erwartet hätte. Ich tat wir mir geheißen und huschte ins Haus.

1. Diese Passage irritiert mich. Es macht den Anschein, als würde Philipp auf gut Glück sich ein Haus aussuchen und sich dort nach einer Unterkunft erkundigen. Es ist keine Rede von einem Schild mit der Aufschrift "Herberge" oder "Wirtshaus" oder dergleichen. Nachdem ihm die Tür geöffnet wird, hätte ich dann vermutet, dass er sich ersteinmal danach erkundigt, ob er in diesem Haus oder woanders übernachten könne. Stattdessen winkt ihn der Wirt praktisch sofort rein, als hätte er ihn bereits erwartet, und bietet ihm Essen an.
2. "...brummte der Mann recht unwirsch, aber dafür deutlicher, als ich es von einem Hinterwäldler erwartet hätte."
Wenn du vorhast, den Text zu kürzen, würde ich hier erstens das "recht" aus dem Satz streichen. Dann hinter "unwirsch" einen Punkt setzen und den Rest weglassen. Sprachbarrieren sind nicht wirklich Bestandteil deiner Geschichte. Allerdings kannst du alternativ noch den Satz hinzufügen. "Für einen Hinterwäldler sprach er überraschend deutlich." Als humoristische Note kann man das schon drin behalten.

Der Innenraum empfing mich mit warmer, aber auch dicker Luft.

Hehe, bei dieser Stelle muss ich lachen. 'Dicke Luft' ist doch Umgangssprache für eine Konfliktsituation. Auch die Bezeichnung warme Luft erscheint mir in dieser Geschichte als etwas seltsam. Vielleicht einfach schreiben:

"Der Innenraum war warm und trocken."

Oder:

"Drinnen empfing mich ein Kaminfeuer mit Wärme und trockener Luft."

Ersteres war kalt, letzteres bereits recht hart und trocken, doch ich beschwerte mich nicht. Wenn man sich öfter an abgeschiedenen Orten mit hinterwäldlerischen Einwohnern umsah, war eine Mahlzeit nicht selbstverständlich.

Wenn du Kürzungsbedarf hast, ist hier mein Gegenvorschlag zu dieser Passage:

"Ersteres war kalt, letzteres bereits hart und trocken. Ich beschwerte mich nicht und dankte ihm für die Mahlzeit."

Im vorangehenden Absatz hast du schon einmal einen Hinterwäldler-Kommentar gemacht. Das muss nicht so schnell wiederholt werden.

Abgesehen davon war er kaum älter als ich, und würde daher wenig von den Ereignissen wissen, die sich hier vor fast dreißig Jahren abgespielt haben sollen.

Ersteinmal, der vorangehende Dialog und Absatz wurden sehr prägnant geschrieben und gefallen mir gut. Hier allerdings würde ich dich erneut auf den Widerspruch in der Geschichte hinweisen: Deine Hauptfigur hat gesagt, sie wüsste nicht, was sie an diesem Ort will. Nun allerdings erwähnt sie ein Ereignis, welches sich vor dreißig Jahren hier abgespielt hat. Insofern würde ich dir den Überarbeitungsstift in die Hand drücken und dir raten, durch alle Passagen zu gehen, welche mit der Motivation deiner Hauptfigur zu tun haben, und jede einzelne davon so zurecht zu bügeln, dass dein Charakter ein durchgehendes Ziel vor Augen hat und dieses konsequent zum Ausdruck bringt.

Also beschloss ich, zunächst zu Bett zu gehen und ging hinauf in mein Zimmer.

Wenn du dich kürzer fassen willst, kannst du an Stellen wie diesen unnötige Füllwörter vermeiden. Hier allerdings solltest die doppelte Verwendung des Verbs "gehen" vermeiden:

"Ich beschloss, zu Bett zu gehen und stieg die Treppe zu meinem Zimmer hinauf."

Oder:

"Ich beschloss, mein Zimmer aufzusuchen und zu Bett zu gehen."

Ein ruhiger Schlaf empfing mich, wenn auch nicht traumlos. Am nächsten Morgen erinnerte ich mich, durch lange Korridore zu wandern, die nicht zu normalen Häusern gehören konnten. Vor allem aber waren sie kaum erhellt und ich hatte ein Gefühl, durch Schatten zu waten, die meine Beine umzüngelten, als wären sie gierige Flammen auf der Suche nach weiterem Zunder. Kein Grund, verfrüht aus dem Schlaf aufzuschrecken: Träume solcher Art begleiteten mich schon lange. Lange, verworrene, seltsame und verzerrte Schatten tanzten durch nahezu jede meiner Nächte. Aufregend waren lediglich jene Phantastereien, in denen ich mit den Schatten tanzte. Einen Rhythmus erkannte in dem sinnlosen Wabern von gegenstandsloser Schwärze, und mich einfügte, als würde es einen tieferen Sinn geben. Dass da etwas sein mochte, etwas das … eine Vorstellung, die mir nicht behagte. Doch dies war kein Traum dieser Art gewesen und so erwachte ich am nächsten Morgen erholt im kleinen Ort Corlis.

Diese Passage dient als Andeutung der Offenbarung, welche sich am Ende ereignet. Die Hauptfigur hat schon immer Träume, die von Schatten handeln. Einerseits fördert diese Traumsequenz das Mysterium weiter voran, andererseits ist die Art, wie es von dir gehandhabt wird, leider nicht sehr effektiv. So, wie es in der Geschichte herüberkommt, ist Philipp lediglich von einer generellen Neugier angetrieben, ungewöhnlichen Geschichten in entlegenen Ecken des Landes nachzugehen. Er hat zwar wiederkehrende Träume von Schatten, allerdings zieht er fast die ganze Geschichte über keine Verbindung zwischen diesen Träumen und dem "Haus, das keinen Schatten wirft".

Insofern, wenn du vorhast, die Geschichte umzuschreiben: Wie wäre es, wenn Philipps Neugier nach allem, was mit Okkultismus zu tun hat, daher stammt, dass er diese mysteriösen Träume hat. Und dass er versucht, zunächst durch das Studium von okkulter Literatur, dann durch das Aufsuchen von Kulten und merkwürdigen Geschichten, diesem Phänomen auf den Grund zu gehen. Die Träume, die er hat, können ihn subtil dazu manipunlieren, dass er das Dorf Corlis aufsucht, wo er in die Falle des Hexenmeisters tappt, der nun seinen Körper übernimmt. Damit hättest du sofort eine persönliche Motivation für deinen Charakter geschaffen, die nicht darin besteht, dass er mit schaulustigen Augen durch die Welt schlendert, sondern dass er bestrebt ist, etwas über sich selbst herauszufinden.

So, wie es jetzt aussieht, betrachtet er die Träume als normalen Bestandteil. Sie werden wichtig gegen Ende der Geschichte, sind allerdings nicht teil seiner Motivation, dieses Dorf zu erkunden. Im Endeffekt ist das eher unbefriedigend.

Zur Passage selbst: Auch diese würde ich deutlich prägnanter formulieren. Deine Figur meandert hier sehr stark.

"In der Nacht träumte ich erneut von den Schatten. Ich watete durch dunkle Korridore, während ihre körperlosen Finger nach mir griffen. Sie waren wie Flammen auf der Suche nach weiterem Zunder. Die Träume hatten begonnen, als ich noch ein Kind gewesen war. Immer wieder war ich damals schweißgebadet aufgewacht. Mittlerweile lebte ich mit diesen Schatten in meinen Träumen bereits so lange, dass sie mir keine Angst mehr bereiteten. Zuweilen tanzte ich im Schlaf sogar mit ihnen. Nur einen Rest Unbehagen konnte ich nie abschütteln. Stets begleitete mich ein Gefühl, dass hinter all dem ein Sinn versteckte, der sich mir noch nicht offenbart hatte. Als ich am nächsten Morgen in Corlis aufwachte, fragte ich mich, ob die Lösung des Rätsels hinter diesen Träumen in diesem Dorf verborgen lag."

Und zu meiner Bestürzung musste ich feststellen, dass ich der einzige Gast des Hauses war und Graham erwies sich morgens als noch wortkarger als am Abend.

Dieser Satz ist unnötig lang und lässt sich bei dem "und" in Zwei Teile aufsplitten. Im zweiten Teil solltest du zudem das doppelte "als" vermeiden:

"Zu meiner Bestürzung musste ich feststellen, dass ich der einzige Gast des Hauses war. Auch Graham war am Morgen noch wortkarger als am Abend."

Es war kalt und die Luft war feucht, als würde der Morgentau noch immer träge in der Luft verweilen. Über dem Moor hingen die Nebelfetzen und ich fragte mich, ob es den Schleier jemals ablegte.

Kürzungsvorschlag:

"Es war kalt und die Luft war feucht. Über dem Moor breitete sich weiterhin Nebel aus."

Blumige Metaphern und Vergleiche sind ja nett, aber persönlich finde ich, sollte man eher sparsam mit ihnen umgehen und sie nicht in jeden Satz einbauen.

Etwas entmutigt über diesen schweren Anfang lief ich einmal den Weg entlang und besah mir die verschiedenen Gebäude. Die meisten waren sehr einfach gebaut, höchstens mit einem halben Stock darüber. Klein und kompakt, als wöllte man sich vor einem nahen Sturm wegducken. Lediglich eine Kapelle und ein solide wirkendes Fachwerkhaus stachen heraus. Ersteres erkor ich zu einem möglichen Anlaufpunkt und versuchte die Tür zu öffnen – doch sie war verschlossen. Nun, wenn niemand wach war, um Seelensorgen zu haben, musste auch kein Pfarrer bereitstehen. Waren denn wirklich alle in Corlis noch im Bett?

Die erste dick angestrichene Passage würde ich ersetzen mit dem Wort "Ernüchtert". "Etwas entmutigt über diesen schweren Anfang" klingt unnötig umständlich und geschwätzig. Den Satz mit 'klein und kompakt' würde ich komplett herausnehmen. Die Sturmfestigkeit der Häuser erscheint mit für diese Geschichte nicht relevant zu sein. Alternativ könntest du den Satz ersetzen mit einer Beschreibung, welche die Furcht vor dem Hexenmeister zum Ausdruck bringt. (So etwas wie massive Türen, verschlossene Fensterläden etc.).


Die folgenden drei Absätze fügen sich leider nicht natürlich in den Lesefluss ein. Gerade noch sind ihm im Dorf zwei Gebäude aufgefallen: Die Kapelle und das Fachwerkhaus. Die Kapelle ist leer und verschlossen und bietet ihm keine Antworten. Als Leser würde ich erwarten, dass er sich nun dem Fachwerkhaus zuwendet. Stattdessen beschreibt der nächste Absatz, wie er einen Hügel besteigt und die karge Landschaft erkundet. Der darauffolgende Absatz beschreibt den Aberglauben der Leute, die behaupten, in einem Schloss habe es gespukt und wie Philipp dort nichts gefunden hat. Der dritte Absatz schließlich beleuchtet sein Interesse, dem Übernatürlichen auf den Grund zu gehen, was wichtig ist, um seinen Charakter und seine Interessen besser zu verstehen. Erst der anschließende Absatz kehrt zum Fachwerkhaus zurück.

Den ersten Folgeabsatz kannst du der Kürze zuliebe komplett weglassen, da er eine für die Handlung unwesentliche Beschreibung der Landschaft enthält. Die folgenden beiden Absätze, welche sein Interesse an scheinbar übernatürlichen Phänomenen beleuchten, würde ich woanders hinpacken, idealerweise näher am Anfang. (Wenn dir mein Überarbeitungsvorschlag von vorhin zusagt, könntest du ja die Natur seiner Träume und seinen Wunsch, mehr über diese zu erfahren, da mithineinarbeiten).

So konnte ich hier nicht lange verweilen, während die Sonne sich schwächlich ihrem Zenit entgegenschob und es kaum vermochte, ihre wärmenden Strahlen aufs Moor zu schicken. Ich entschloss, mich dem größeren Fachwerkhaus zu nähern, das ich im Dorf gesehen hatte. Es fiel hier deutlich aus dem Rahmen, ...

Da es in meinen Augen besser wäre, diese Passage an seine Erkundung der Kapelle anknüpfen zu lassen, würde ich hier einfach schreiben.

"Das Fachwerkhaus fiel deutlich aus dem Rahmen..."

Mittlerweile hat der Leser genügend Beschreibungen erhalten, wie neblig, wolkig und moorig dieser Ort ist und muss nicht immer wieder darauf hingewiesen werden.

...insbesondere anhand der beiden Hütten am nächsten zum Sumpf, die sogar mit Grassoden versehen waren.

Diese Passage klingt umständlich. Wie wärs mit:

"...insbesondere im Vergleich zu den beiden anliegenden Hütten. Diese lagen direkt am Sumpf und waren sogar mit Grassoden versehen." (Das Wort Grassode musste ich ersteinmal googlen :)

Aber nicht nur der Stil der Architektur oder die Größe ließen das Haus anders erscheinen. Es war viel mehr das Alter, das es zu haben schien. Während die anderen Häuser alt von ihrem Gebrauch her wirkten – immer wieder geflickt, sogar mal zusammengebrochen und verlassen, dann wieder von einer anderen Familie aufgebaut und erneut verwittert – schien dieses Gebäude in seiner Gesamtheit alt. Als hätte es schon immer so gestanden und wäre nie verändert worden … seitdem der erste Besitzer das Haus vor vielen Jahren errichtet hatte.

Der dick angestrichene Satz ist überflüssig und kann gestrichen werden, ohne dass der Lesefluss darunter leidet.

Ich war nur noch wenige Meter von der Haustür entfernt, da hörte ich linkerhand einen Laden klappern. Rasch blickte ich zu dem ersten Zeichen von Leben in Corlis und sah in einem Fenster das Gesicht einer alten Frau. Sie erblickte mich und auch wenn ich nur kurz ihre Augen sah, so meinte ich doch zu erkennen, wie sie sich weiteten während gleichsam die Lippen bebten und jegliche Farbe aus dem Gesicht verschwand. Dann schloss sie in aller Hast den Laden vor dem Fenster und ich war wieder alleine im Ort. War das Aberglaube? Die Dörfler hier wären nicht die ersten, die sich vor Fremden fürchteten.

Kürzungsvorschlag:

"Ich war nur noch wenige Meter von der Haustür entfernt, da hörte ich linkerhand einen Laden klappern. Rasch wandte ich mich um. Durch das Fenster einer Hütte blickte ich in das Gesicht einer alten Frau. Ihre Augen weiteten sich bei meinem Anblick, ihre Haut lief blass an. Ihre Lippen bebten. Sie schlug die Fensterläden wieder zu, bevor ich mehr erkennen konnte."

Misstrauen vor Fremden ist nicht dasselbe wie Aberglaube. Insofern verstehe ich nicht die Verbindung, welche Philipp hier zwischen der Frau und dem möglichen Glauben ans Übernatürliche zieht.

Etwas verdattert beschloss ich, zunächst zu Graham zurückzukehren. Vielleicht hatte der mürrische Wirt tatsächlich auch etwas für den Mittag bereitstehen.

Diese Stelle irritiert mich. Philipp ist gerade drauf und dran, das Fachwerkhaus zu erkunden. Plötzlich beschließt er, dass er Hunger hat und kehrt direkt vor der Haustür um? Das wirkt sehr konstruiert, da du den Besuch dieses Gebäudes ohne wirklich nachvollziehbaren Grund aufschiebst. Da müsste es schon einen besseren Grund geben für ihn, nicht hineinzugehen als dass er plötzlich Hunger hat. Vielleicht spürt eine böse Präsenz, welche von dem Haus ausgeht oder ein Dorfbewohner stellt sich bedrohlich in sichtbarer Nähe von ihm auf, sodass er es nicht wagt, ungefragt in dieses Anwesen einzubrechen. Das kann anschließend dann auch gleich der Aufhänger dafür sein, dass er Graham und die Gäste nach dem Fachwerkhaus ausfragt.

Doch der junge Mann blickte mich nur aus grauen Augen und sah dann wieder zur Decke hinauf ohne, dass dort etwas wäre, das anzusehen lohnte.

Den markierten Teil könntest du der Kürze halber streichen.

Mir blieb nur, verwundert über das nachzudenken, was Graham gemeint haben mochte. Es schien mir, als würden die Dörfler die Sonne scheuen – und gleichzeitig sah ich weder im Gesicht des Mannes hier im Raum noch vorhin bei der alten Frau die Blässe, die ein gänzliches Entsagen des Lichts hervorrufen müsste. Vielleicht war es also doch eine Art Fest oder ein Ritual, zu bestimmten Tagen des Jahres das Haus nicht im Schein der Sonne zu verlassen. Hoffentlich würde ich am Abend mehr darüber erfahren können, wenn sich bei abnehmender Helligkeit einige Corliser aus dem „sicheren Heim“ begeben würden.

1. Ist die fehlende Blässe der Dorfbewohner in irgendeiner Weise relevant zum Mysterium im Fachwerkhaus. Bei meinem ersten Lesen ist mir nicht aufgefallen, dass die Dorfbewohner irgendwie beeinflusst sind von der Magie Gideons. Die Bewohner verhalten sich kryptisch, doch ich sehe keinen Grund, warum sie die Sonne oder den Tag scheuen sollten. Solange sie nicht dem Fachwerkhaus zu nahe kommen, scheint alles normal zu sein.
2. Deine Hauptfigur schließt automatisch, dass die Leute bei Abend oder Nacht aus den Häusern kommen. Doch er ist mit den Gepflogenheiten dieses Dorfes gar nicht vertraut. Auch am Abend zuvor schienen die Bewohner in ihren Häusern geblieben zu sein.

Bis dahin entschloss ich mich, meine bizarre Einsamkeit an den Rand des Moors zu verlegen. Nach dem bescheidenen Mittagsmahl erhob ich mich schweren Magens und ging hinaus. Tatsächlich stand ich bereits wenige Meter nach dem letzten Haus dieses Orts im Morast und war froh, dass ich feste, hohe Stiefel trug. Ich begann nach rechts zu laufen, um nach einem Weg zu sehen, der womöglich durch diesen Sumpf führte. Zwar hatte dieses Stück Natur wenig mit der Geschichte, wegen der ich hier war, doch meine Sucht nach neuen und ungewöhnlichen Erfahrungen trieb mich voran.
Der graue Dunst wirkte wie ein Willkommensgruß, der einen bereitwillig umschloss, sobald man – wenn auch nur testweise – zwei Schritte hinein in den Morast getan hatte. Es war ein seltsames Gefühl, derart begrüßt zu werden und obgleich es einen jeden Menschen davonjagen sollte, fühlte ich das Verlangen, weiter hineinzugehen. Zwischen dem Nebel ragten nur knorrige und zuweilen vollständig verfaulte Bäume empor. Blattlose Äste suchten das Licht einer Sonne, die hier ihren Kampf verloren zu haben schien. Vom Boden erkannte ich nur wenig und das Wenige, das ich sah, war trügerisch. Mancher Flecken Erde verhieß Halt und entpuppte sich als Falle, während die eine oder andere Pfütze gerade einmal handbreit tief über sicherem Stand lag.

Ich ging weiter und weiter, hinein in den Nebel, nicht mehr an ihm entlang. Weiter und weiter, weg von der Sonne, weg von Corlis, weg von ihm … weg von was?
Erschrocken zuckte ich zusammen und war mir einen Moment nicht sicher, ob jemand mit mir gesprochen hatte oder ob es meine eigenen Gedanken gewesen waren, die so dröhnend erklungen waren. Ich erkannte in jedem Fall, dass ich weiter in das Moor vorgedrungen war, als ich es vorgehabt hatte. Es schien mir beinah, als hätte ich eine Art Trance durchlebt. Verstört blickte ich mich um und erkannte zu meinem Glück, dass ich durch die nebligen Schwaden hinweg ein Gebäude von Corlis zu erkennen vermochte: das alte Fachwerkhaus.

Einen Moment zögerte ich, und ich konnte mich nach diesem Moment auch nicht mehr erinnern warum – denn was bliebe mir anders, als zurückzugehen, außer im Morast verloren zu gehen. Warum sollte man so etwas wollen? Doch nachdem ich diesen Moment einer weiteren Verwirrung überwunden hatte, kämpfte ich mir einen Weg durch schlammiges Sumpfwasser zurück nach Corlis.

Wieder im Dorf stellte ich fest, dass es bereits dunkel geworden war. Für eine deutlich längere Zeit, als ich es wahrgenommen hatte, war ich herumgeirrt. Das Moor würde ich fortan meiden, das galt mir als sicher. Doch bevor weitere Pläne Gestalt annahmen, kehrte ich in meine Pension zurück.


Hier der vermutlich brutalste Kürzungsvorschlag von mir: Du schmeißt die gesamte Passage heraus und schreibst stattdessen ein paar Sätze, wie Philipp bis Einbruch der Dunkelheit in seinem Zimmer wartet und sich ausruht.

Der Grund hierfür ist folgender:
Deine Figur macht einen Spaziergang und du beschreibst ausführlich seinen Weg. Er scheint sich im Nebel verirrt zu haben, findet aber schließlich zum Fachwerkhaus zurück. Er fühlt sich benommen und findet es ungewöhnlich, wieder vor dem Gebäude zu stehen. Mehr allerdings nicht. Das sind viele Worte für wenig Effekt. Ich bin nicht sicher, ob du beabsichtigt hast, dass das Haus (oder die Kraft darin) ihn zu rufen scheint. Philipp scheint wenig über dieses Gefühl nachzudenken.

Du könntest denselben Effekt erreichen, indem du zweierlei machst:
1. Wenn Philipp das erste Mal vor dem Fachwerkhaus steht, lass ihn etwas befremdliches fühlen. Z.B. einen Sog, der ihn in das Haus ziehen will. Das macht ihm Angst und er weicht vor dem Gebäude zurück.
2. Wenn er schließlich zur Herberge zurückgekehrt ist und in seinem Zimmer auf den Einbruch der Dunkelheit wartet, kannst du ihn diesen Sog erneut spüren lassen. Er muss ständig an dieses alte Haus denken und bekommt das Gefühl, dass etwas tief in ihm davon angeregt wird. So benötigst du diese lange Passage mit weiteren Naturbeschreibungen von Nebel, Sumpf und Wolkenmeeren nicht. Denn genau diese sich wiederholenden Beschreibungen tragen dazu bei, dass sich deine Geschichte so lang anfühlt.

Kaum hatte ich Platz genommen, standen die drei Männer auf und verließen das Haus ohne ein weiteres Wort an Graham, der gleichermaßen still die Krüge abräumte. Als wäre nichts Besonderes an diesem plötzlichen Verschwinden. Waren diese Leute tatsächlich derart gegen Fremde eingenommen? Doch es nutzte kein Klagen und so setzte ich mich mit einem eigenen Krug hinüber zu dem älteren Mann.

Auch diese Passage lässt sich ein wenig zusammenstauchen:

"Kaum hatte ich Platz genommen, standen die drei Männer auf und verließen ohne ein weiteres Wort das Haus. War ich der Grund für ihren Abgang? Ich schüttelte den Gedanken von mir. Während Graham die Krüge abräumte, setzte ich mich mit meinem eigenen hinüber zu dem alten Mann."

Er war bisher allein gewesen, schien sich aber nicht darüber zu wundern, dass ein Fremder zu ihm kam. Seine weißen Haare und der dichte Bart machten deutlich, dass er hier in Corlis gewesen sein musste, als sich jene seltsamen Ereignisse zugetragen hatten, die mich herlockten.

Also, ich würde auch diesen Part komplett streichen. Ja, der Mann ist alt. Wenn du ihn mit Merkmalen wie weiße Haare und dichtem Bart beschreiben möchtest, fein, nötig ist es aber nicht. Weiterhin, Philipp nimmt in dieser Passage automatisch an, dass der Mann sein ganzes Leben in dem Dorf verbracht hat und daher von den Ereignissen von vor 30 Jahren weiß. Woher soll er das wissen? Der Alte kann genauso gut vor 10 Jahren hergezogen sein. Insofern würde ich lieber durch den Dialog, der zwischen den beiden stattfindet, durchscheinen lassen, wie der Mann damals die Sache mit dem Pater miterlebt hat.

„Guten Abend. Mein Name ist Philipp Finch“, stellte ich mich vor.
„Ich bin Aidan. Was führt Sie wohl nach Corlis, frage ich mich“, erwiderte er. Ich wunderte mich etwas über seine altbacken wirkende Sprache, sagte aber nichts.
„Sie haben eine Idee?“
„Nun, in einem Dorf wie Corlis begrüßt man sehr selten Fremde, was durchaus an einem gewissen Ruf liegen mag. Aber er ist es auch, der die übrigen Reisenden zu uns führt.
„Einige hier scheinen dem durchaus abgeneigt zu sein“, sprach ich offen meine bisherigen Erfahrungen an. Aidan wirkte sehr höflich und redefreudig, was mich meinerseits erfreute.
„Das ist schwer zu sagen“, entgegnete der alte Mann mir nun. „Es variiert.“
„Abhängig von was?“
„Von dem, der kommt. Und in welcher Begleitung.“
„Heißt das, die Corliser haben ein Problem mit mir? Oder weil ich allein reise?“, fuhr ich etwas auf, merklich brüskiert.
„Die Sonne wirft Schatten“, brummte Aidan.

Mit diesem Gesprächsteil kann ich ehrlich gesagt kaum etwas anfangen. Philipp und Aidan unterhalten sich über die Reserviertheit der Bewohner gegenüber Fremden in der Stadt. Sie scheinen aber auch gleichzeitig um den heißen Brei herumzureden. Aidan erwähnt etwas von einem Ruf, den das Dorf genießt, und welcher Leute von außerhalb sowohl abschreckt, als auch anzulocken scheint. Das Problem nur ist: Als Leser hat man bisher keine Ahnung, was für einen Ruf das Dorf Corlis genießt oder ob es überhaupt einen Ruf hat. Auch Aidan geht nicht weiter darauf ein. Stattdessen versinkt das Gespräch in seltsam verschwurbelten Wörtern und Formulierungen wie "es variiert", "das ist schwer zu sagen", "kommt darauf an", "einige scheinen... zu sein".

1. "Sie haben eine Idee?"
Ich habe noch nie so eine Antwort auf diese Frage gehört. Ich vermute, dieser von Philipp geäußerte Satz soll so etwas bedeuten wie "Raten sie mal." oder "Was glauben sie?", allerdings ausgedrückt auf eine höflichere Art und Weise.
2. Den Nebensatz "was mich meinerseits erfreute" ist überflüssig und kann weggelassen werden. Dasselbe gilt für das ebenfalls angestrichene "mir nun".

Eine Gegenbeispiel für den Dialog könnte so aussehen:

P: "Guten Abend. Mein Name ist Philipp Finch."
A: "Aiden. Was führt sie nach Corlis?"
P: "Was vermuten sie?"
A: "He. Wir haben hier selten Besucher von außerhalb. Unsere Gemeinde hat nicht gerade den besten Ruf, wissen sie. (Pause) Andererseits, die wenigen Gäste, die wir haben, kommen gerade hierher, um ihre Neugierde zu stillen."
P: "Und die Leute hier mögen keine Neugierigen von außerhalb?"
A: "Die Sonne wirft Schatten, Mr. Finch."

Verdutzt starrte ich ihn an: „Was bedeutet dieser Satz hier in Corlis? Graham sagte ihn bereits auf und hat mir eine Erklärung verwehrt.“

Auch hier kann das dick Markierte gestrichen werden.

"Das war unser Pfarrer Albert Delany gewesen..."

Warte mal, Pater Delany. Den Namen habe ich schon mal gehört. So heißt doch auch eine Figur aus "The Amityville Horror". :D

„So war es. Wir hatten uns bereits alle im Dorf gewundert, dass besonders viel Zeit verstrichen war, seit der alte Gideon das letzte Mal vor die Tür gekommen war.

Sollte es nicht besser heißen: "... gewundert, wie viel Zeit verstrichen war..."

„Diese Frage stellten wir auch, doch er gab uns keine Antwort. Wenig später verstarb er.“
Von dieser plötzlichen Wendung etwas irritiert, zögerte ich einen Moment, ehe ich die Frage zu stellen wagte: „Woran?“
Und nun zögerte auch Aidan, der bisher redefreudiger gewesen war, als ich es bei einem solch eigenartigen Thema erwartet. Doch schließlich nahm der alte Mann seinen letzten Schluck und stand auf. Enttäuscht blickte ich ihm nach, da drehte er sich um: „Unser Pfarrer Albert Delany hat sich in der Kapelle von Corlis erhängt.“

Im Falle von Kürzungsbedarf:
Anstelle von "Wenig später verstarb er" kannst du schreiben "Wenig später hat er sich in der Kapelle erhängt."
Anschließend endest du den Abschnitt.

Mit unruhigem Herzen erwachte ich und in von mir selbst unbekannter Nervosität eilte ich zum Laden, um ihn aufzuschlagen. Schwaches Morgenlicht kam heran und zerteilte die Düsternis in meinem Zimme

Die Formulierung des ersten Satzes klingt umständlich. Außerdem impliziert das Wort 'eilen' in Zusammenhang mit dem Traum bereits eine nervöse Stimmung, sodass diese nicht noch angesprochen werden muss. Hier mein Gegenvorschlag:

"Mit unruhigem Herzen wachte ich auf. Ich stand auf und eilte zum Fenster, um die Läden aufzuschlagen."

Auch die Formulierung "zerteilte die Düsternis" klingt irgendwie schief. Wenn du es poetisch magst, könntest du schreiben "fegte die Düsternis hinfort". Oder aber "vertrieb die Düsternis".

...ich brauchte einige Momente, um meine irrationale Furcht zu bändigen.

Furcht ist in sich selbst irrational. Daher ist das Adjektiv davor unnötig.

Seltsame Träume waren ein häufig gezahlter Preis für seltsame Nachforschungen, das war mir nur zu gut bekannt.

Ein sehr merkwürdiger Satz. Philipp hatte gerade einen Albtraum und ist schweißgebadet aufgewacht. Die Bezeichnung 'seltsame Träume' klingt sehr abschwächend hier. Außerdem ist die Idee, dass merkwürdige Träume ein häufig gezahlter Preis für seltsame Nachforschungen sind, in der Tat ziemlich merkwürdig. Wissenschaftler träumen vermutlich nicht seltsam, nur weil sie bestimmte Felder studieren. In Horror- und Fantasygeschichten ist das Studium des Okkulten desöfteren mit Albträumen verbunden. Wenn du das meinst, sei spezifisch, beziehe dich darauf und gebe dem Leser ein genaues Bild. Alternativ kannst du den Satz auch einfach streichen.

Das nahm mein Gegenüber nur zögerlich vom Tisch, als hoffte er, ich würde es mir noch anders überlegen. Ich wagte erst gar nicht, eine Frage an ihn zu stellen – andererseits blieb mir jedoch nicht viel übrig, war er doch der einzige, der zugegen war.

Der markierte Teil kann ebenfalls herausgekehrt werden. Einerseits impliziert ein Zögern bereits, dass man mit der Entscheidung hadert, die man gerade zu fällen hat. Andererseits ist es unnütz zu schreiben, dass deine Hauptfigur es zunächst nicht wagt, eine Frage zu stellen, sie dann aber doch stellt.

Die Menschen dieses Ortes mussten sich wahrlich sicher gewesen sein, dass sie die Kapelle nie wieder betreten wollten. Dazu hatten sie auch das Fachwerkhaus niemals selbst betreten. Ihre Befürchtungen blieben unausgesprochen. Was war in dem Haus des alten Merriphet geschehen, dass der Pfarrer sich selbst umgebracht hatte? Wie schrecklich konnte es sein?

1. Welche Befürchtungen blieben unausgesprochen? Was munkelten die Bewohner über Gideon? Du führst das nie aus. Das ist Bestandteil des Problems deiner Geschichte. Vieles bleibt zu vage. Wie gerade schon erwähnt, sei beim Schreiben spezifisch und lass den Leser besser nicht an Stellen mutmaßen, wo er nicht mutmaßen soll.
2. Die Frage "Wie schrecklich konnte es sein?" ist ein unnötiger Zusatz und kann gestrichen werden.

Die Sonne schien über Corlis, diesmal etwas kräftiger als am Vortag. Es schien mir ein gutes Omen und beschwingt lief ich den Hauptweg des Dorfes entlang, auf das eigentümliche Fachwerkhaus zu.

Passt das Wort 'beschwingt' wirklich zu der bedrückenden Lage, in welche sich deine Hauptfigur gerade befindet?

Doch davon würde ich mich nicht aufhalten lassen und hielt weiter auf das Haus zu, dessen Fachwerk es nebst allem anderen besonders von den restlichen Bauten in Corlis abhob. Unverändert und das seit vielleicht schon fast hundert Jahren und dazu noch immer standfest und gut erhalten.

Genau diese Beschreibungen hatten wir bereits relativ zu Beginn der Geschichte. Du musst sie hier nicht noch einmal wiederholen. Entweder kürzt du sie oder aber ersetzt sie mit anderen Details, die der Hauptfigur am Fachwerkhaus auffallen.

Mit letzter Kraft riss ich eine Hand los, die niemals gehalten worden war, und wandte mich von dem Gebäude ab, das tatenlos dastand und doch nicht da zu sein schien. Dem Haus ohne Schatten.

Erst einmal, wie kann ein Haus 'tatenlos' dastehen? Diese Formulierung macht keinen Sinn. Zweitens lässt sich auch dieser Part zusammenstauchen:

"Mit letzter Kraft riss ich meine Hand los und wandte mich von dem Gebäude ab."

Dass das Haus keine Schatten hat, hast du gerade etabliert. Das Berühren der Hauswand mit der Hand ist nicht dasselbe wie die Hand eines anderen Menschen zu halten und klingt im Kontext der Szene ebenfalls merkwürdig.

Einen solchen Zusammenbruch, ja geradezu einen Anfall hatte ich erst einmal in meinem Leben erfahren. Und damals war ich noch jung gewesen, konnte mich jetzt kaum noch daran erinnern. Lediglich, dass es der Silvestertag gewesen war und eigentlich alle Vorfreude bei der Feier am Abend lag. Ich hatte gespielt, irgendwo abseits des Hauses am Rande eines dunklen, schattigen Waldes. Und irgendetwas hatte ich gesehen … doch es war so undeutlich gewesen, dass ich nicht einmal am selben Tag meinen Eltern hatte erklären können, warum ich schreiend ins Haus gerannt und dort weinend zusammengebrochen war. Ein schreckliches Ereignis, wenngleich es auch eine Art Erweckung für mich bedeutet hatte. Denn anstatt fortan sämtliche beunruhigenden Orte zu meiden, suchte ich sie in meiner seltsamen Sucht auf. Jagte danach, den kalten Schauer des Unbekannten und Mysteriösen auf dem Rücken zu spüren. Doch dieser Drang ließ nun allmählich nach. Ich hatte das Gefühl, dass diesmal, hier in Corlis, alles anders war.

Dies ist ein essentieller Bestandteil der Geschichte. Sie erklärt die Motivation von Philipp, dem okkulten nachzugehen. Allerdings schiebst du das so schnell und beiläufig in die Geschichte mit ein, dass es den Leser eher kalt lässt. Deine Geschichte handelt davon, wie Philipp in diesem Ort quasi seine Bestimmung findet und dass er etwas essentielles über sich selbst entdeckt, nämlich den Schatten einer bösen Macht, die in ihm lauert. Davon hängt die emotionale Wirkung deiner Geschichte ab. Hingegen verwendest du wenig Zeit damit, gerade diesen Part der Geschichte auszuformulieren, anzusprechen und packend zu gestalten. Er wirkt wie heruntergerattert.

Denn in dieser Dunkelheit gab es kein Licht, das einen Schatten erzeugen konnte. Einen unförmigen, wandelbaren und auf ungute Weise verräterischen Schatten, der ein lächerliches Zerrbild der Wirklichkeit vortäuschte.

Den zweiten Satz würde ich streichen. Seine Angst vor den Schatten im Dorf ist bereits etabliert. Deine Hauptfigur meandert erneut herum.

Der Schock ließ mich wieder zurückweichen und ich drückte, den Blick immer noch auf den toten alten Mann gerichtet, die Klinke der Tür.
Ich fiel mehr aus dem Haus, als dass ich gelaufen wäre und sogleich warf ich die Pforte wieder zu und hoffte, dass all das einfach darin bliebe. Noch im selben Moment wusste ich jedoch, dass ich nun eine Pflicht hatte. Mein Blick wanderte zum alten Fachwerkhaus und im gleichen Moment fühlte ich kalte Angst und heißen Willen. Dies alles musste hier sein Ende finden.

Zwei Sachen am Verlauf der Geschichte wundern mich insbesondere hier:
1. Gideon Merriphets Plan ist im Endeffekt, dass Philipp in sein Haus eintritt und das Ritual ausführt, sodass der Schatten des Hexenmeisters sich mit ihm vereinen kann (oder was auch immer geschehen wird). Gleichzeitig allerdings bemüht sich diese unheimliche Kraft darum, ihn so gut es geht aus dem Dorf zu scheuchen. Er berührt das Haus und empfindet Angst davor, einzutreten. Die Schatten bringen den alten Mann vor seinen Augen um und offenbaren die unheimliche Präsenz, die in Corlis lauert. Der Plan, den Gideon letztendlich hat, wird mit diesen Aktionen eher vereitelt als erfüllt.
2. Warum sieht Philipp es plötzlich als seine Pflicht an, dem Schrecken ein Ende zu setzen? Für ihn gibt es keinen Grund, sich verantwortlich zu fühlen. Genausogut könnte er einfach abhauen. Zumal er bisher keinerlei Erfolg hatte mit Entdeckungen des übernatürlichen. Ein Studium in Ethnologie und Geschichte machen ihn nicht gerade zu einem Experten im Bereich des Okkulten. Als eher normaler Mensch würde er vermutlich eher dazu übergehen, das Dorf so schnell wie möglich zu verlassen. An dieser Stelle will er quasi zum Helden werden, gleichzeitig hat er allerdings keine Vorstellung, wie okkulte Magie zu funktionieren scheint. Es würde besser funktionieren, wenn er bereits zu Beginn der Geschichte Wissen über okkulte Rituale und Magie besitzt.

Feste Schritte brachten mich Stück für Stück näher an das seltsame Haus, welches die Schrecknisse eines verrückten Okkultisten beinhaltete.

Das Markierte kann weg. Das wissen wir bereits.

Und dies war nur die erste Schicht des Grauens, das Gideon Merriphet herbeibeschworen haben musste, als er verbotenes Wissen aus allen Jahrhunderten für seine abnormen Experimente zusammengetragen hatte. Noch wusste ich nicht, wozu genau all das geführt hatte, doch ich würde es bald sehen und hoffentlich ein für alle Mal beenden können.

Alternativ könntest du schreiben: "Ich mochte mir gar nicht vorstellen, welche Schrecken Merriphet noch in seinem Haus bereithielt."

Deine Hauptfigur mutmaßt zunächst über Dinge, die er nicht wissen kann, bevor er feststellt, dass er vieles davon jetzt noch nicht weiß. Das liest sich sehr merkwürdig und fühlt sich eher unnötig an.

Mein Blick fiel auf den kupfernen Knauf der Tür, der entgegen aller Logik keine Spuren des Verfalls aufwies wenngleich das nahe Moor eine ungute Feuchtigkeit herantrieb.

Alternative: "Mein Blick fiel auf den kupfernen Knauf der Tür, der trotz der feuchten Luft noch nicht grün gerostet war."

Ich war mir sicher, dass die Pforte nicht verschlossen wurde, denn sie war nicht verschlossen gewesen als Pfarrer Albert Delany sich hineingewagt hatte und er war der letzte Mensch gewesen, der dies getan hatte.

Erneut, deine Hauptfigur mutmaßt zuviel herum. Schreib' einfach: "Die Pforte war unverschlossen" oder "Die Tür war offen."

Nur weil die Tür vor 20 Jahren offen gewesen ist, heißt das nicht, dass in der Zwischenzeit nicht etwas passiert sein kann. Abgesehen liest sich dieser Satz sehr umständlich.

Doch der Schrecken würde kein Ende nehmen und ich spürte, dass auch mein Verlangen kein Ende nehmen würde und so tat ich den letzten Schritt und legte die Hand an den Knauf der Tür.

Ebenfalls sehr umständlich geschrieben.

"Doch ich wusste, der Schrecken - wie auch mein Verlangen - würde kein Ende nehmen. Ich tat den letzten Schritt und führte die Hand zum Knauf der Tür."

Denn stickig war es und seltsam leblos. Und wieder brauchte ich einen Moment, um die unnatürliche Tatsache zu realisieren, die meine Sinne mir gnädiger Weise einige Sekunden zu verschweigen versuchten: trotz des einfallenden Lichts weigerten sich die Kleidungsstücke an der Wand sowie die Kleiderhaken selbst einen Schatten zu werfen. Als würde eine seltsame, allumfassende Beleuchtung vorherrschen oder vielmehr als wären diese Dinge nicht wirklich hier.

Du verwendest das Wort 'seltsam' relativ häufig. Auch schwadroniert deine Hauptfigur. Du drückst in umständlich langen Formulierungen Dinge aus, die kürzer und prägnanter gefasst besser herüber kommen würden:

"Die Luft im Haus war stickig, der Anblick der Wände steril und unnatürlich. Erneut brauchte ich einen Moment, um zu es zu realisieren. Trotz des einfallenden Lichts warfen die Wände und Kleiderstücke keinen Schatten. Ganz so, als wären all diese Dinge gar nicht real."

Meine Rede endete und in diesem Moment fiel mein Blick auf den einzigen Schatten, der in diesem Haus geworfen wurde und sogleich den Grund, warum niemand bei Tage sein Haus hatte verlassen wollen: es war mein Schatten, doch war es nicht einer. Ich warf den Schatten zweier Männer, der eine eher schmal und hochgewachsen, der andere kleiner und etwas stämmiger.

Hm... ihm ist zuvor nie aufgefallen, dass er zwei Schatten hat? Hat er tagsüber nicht einziges Mal mit dem Rücken zur Sonne auf den Boden geschaut?

Ich muss gestehen, dass ich beim letzten Fünftel nur noch sprunghaft durch deine Geschichte gegangen bin, da es mir ansonsten zuviel Zeit gekostet hätte. Ich hoffe allerdings, dass viele der Punkte, die ich hier am Text angemerkt habe, dir weiterhelfen können.

Lieber Vulkangestein,

ich vermute mal, es hat dir viel Zeit und Mühe gekostet, diese Geschichte zu schreiben. Leider muss ich sagen, dass sie mich auch beim zweiten Durchgang nicht überzeugen konnte. Auf mich macht es stark den Eindruck, als hättest du den Text mit einer groben, generellen Idee im Kopf verfasst und einfach drauf los geschrieben. Gerade bei Geschichten wie diesen mit einem Twist am Ende ist das mitunter fatal.

Folgende Sachen sind in jedem Fall wichtig.

1. Sei dir bewusst, wie deine Geschichte enden wird. Im Falle dieser Geschichte besteht das Ende in der Hauptfigur, die von dem Schatten des Hexenmeisters verschlungen wird.
2. Frage dich genau, was deine Hauptfigur will und was sein Gegenspieler will.
Philipp machte stellenweise in der Geschichte - gerade zu Beginn - den Eindruck, als würde er nicht wissen, was er hier in Corlis eigentlich sucht. An anderen Stellen, gegen Ende, stellt der Leser fest, dass er gerade wegen dem Fachwerkhaus und den Geschichten, die dieses umgeben hergekommen ist. Mein Tipp für eine Überarbeitung hier wäre: Lass ihn ein interessierter Forscher des Okkulten sein. Erfinde ein paar Namen für okkulte Literatur und Felder, die zeigen, dass er gegenüber normalen Dorfbewohnern auch weiß, wovon er redet. Sein Fokus ist von Anfang an fixiert auf das Fachwerkhaus und seinen mysteriösen Bewohner. Der Grund dafür ist, dass du die Hauptfigur somit interessanter machst. Eine Figur zu haben, die nur durch die Gegend schlendert und herumschaut, ist in dramatischer Hinsicht deutlich schwieriger umzusetzen.
Dasselbe gilt auch für den Gegenspieler. In diesem Fall handelt es sich dabei um Gideon Merriphet. Er hat einen Plan, die Hauptfigur ins Haus zu locken und dessen Körper zu stehlen. Entsprechend sollte sein Plan darin bestehen, Philipp zu sich zu ziehen und ihn die okkulten Rituale durchführen zu lassen, und nicht so sehr darin, ihn aus dem Dorf zu jagen.
Bleibe konsequent bei den jeweiligen Motivationen von Protagonist und Antagonist.
3. Nimm dir mehr Zeit, die persönliche Hintergrundgeschichte deiner Hauptfigur zu beleuchten. Mache diese Passagen zu klar erkennbaren Abschnitten in deiner Geschichte und flansche sie nicht mitten in seine Erkundungstouren hinein. Das kann durch Rückblenden, Träume oder Momenten der Reflexion geschehen, in denen Philipp über sein Leben nachdenkt. Gestalte diese Sequenzen so, dass der Leser den Eindruck gewinnt, gerade einen spezifischen und relevanten Moment in der Geschichte zu erleben. Wie Philipp nach und nach seine Vergangenheit, seine Beziehung zu den Schatten und den Grund für sein Interesse an okkulten Dingen offenbart, ist ein wirkungsvolles Werkzeug, um beim Leser die Faszination an der Hauptfigur zu wecken.
4. Der Schreibstil: Ich habe viel an Formulierungen herumgekrittelt und so einige Passagen aus Zeitgründen gar nicht angesprochen. Generell gesagt, schwadroniert deine Hauptfigur sehr stark, drückt dieselben Dinge mehrere Male aus oder formuliert sie in umständlichen Sätzen. Das ist schließlich auch der Grund, warum deine Geschichte so lang geworden ist. Denke immer daran, dass eine klare, prägnante Formulierung für den Lesefluss einfacher ist. Natürlich möchte man ab und zu komplexe Sätze haben und ungewöhnliche Formulierungen für eine Szenenbeschreibung finden. Doch ich persönlich würde bei so etwas eher zur Sparsamkeit raten und vor allem eine Klarheit in der Darstellung des Geschehens präferieren. Zumindest ich als Leser bekam bei deinem Text immer wieder den Eindruck, dass die Hauptfigur mir ein Ohr abquatscht.

Ich hoffe, ich konnte dir weiterhelfen und meine Kritik entmutigt dich nicht. Wie gesagt, nimm' davon mit, was dir hilfreich erscheint.

Mit freundlichen Grüßen,

Robot Fireman

 

Gude Robot Fireman,

Vielen, vielen, vielen Dank für deinen Kommentar! Ich glaube nicht viele bekommen eine Kritik, die länger ist als der eigentliche Text - und das auch noch bei so einem langen Text. Zunächst einmal möchte ich auf die meisten von dir genannten Punkte eingehen:

1. Die Hauptfigur:
Ich hatte beim Lesen deiner Geschichte nie ein klares Bild deiner Hauptfigur. Zuweilen, gleich zu Beginn etwa, machte sie den Eindruck, ein umherziehender Reisender zu sein, welcher sich einfach von Ort zu Ort treiben lässt. Gegen Ende bekam ich allerdings das Gefühl, dass Philipp sehr bewusst nach Corlis kam, um die dunklen Machenschaften des Hexenmeisters entgültig aus der Welt zu schaffen. Auch seinen Hintergrund und sein Interesse am Okkulten beschreibst du zu schwammig.
-> Ich hatte die Befürchtung, hier den Erzähl-Opa zu geben und hatte tatsächlich gestrichen. Vielleicht kann ich eine Erinnerung an ein Gerücht über Gideon Merriphet einstreuen, um die Anfangsmotivation deutlicher zu machen.

Welche Geschichte hat das Dorf? Insbesondere, welche Beziehungen gab es in der Vergangenheit zwischen dem Hexenmeister und dem Rest der Gemeinde? Welche Ereignisse haben, zum Beispiel, bei den Dorfbewohnern Verdacht erregt oder sie in Angst versetzt?
-> Das nehme ich auf jeden Fall mal mit, vielleicht kann ich es in den Anfang einbauen, der mir gerade vorschwebt.

Im Nachhinein hat mich dein Titel verwundert.
-> Ich bin auch noch nicht zufrieden. Vielleicht nehme ich „Das Verschwinden des Gideon Merriphet“ und mache daraus den Aufhänger für die Geschichte – weil Philipp wegen diesem seltsamen Verschwinden ja hergekommen ist.

Hehe, wundere dich nicht, wenn dich irgendwann mal jemand darauf hinweist, dass ein Beginn wie "Es war ein kalter und regnerischer Tag" sehr ähnlich klingt wie "Es war eine stürmische und regnerische Nacht".
-> Huch, der Satz ist so schon echt schräg.

An dieser Stelle frage ich mich, was sich ein 'ernstzunehmender' Mensch unter einem zivilisierten Weg vorstellt. Eine Pflasterstraße vielleicht? Oder bringt die Hauptfigur an dieser Stelle seine Arroganz zum Vorschein und ist sich trotz seiner Begeisterung für hinterwäldlerische Hexenkäffer zu schade für schmutzige Wege?
-> Die Idee dahinter war eher, dass sich der gute Herr Finch für etwas Besonderes hält, weil er diese ganzen Orte abgeht, an die sich der typische Städter gar nicht trauen würde.

Was genau ist also mit dieser Faszination gemeint? Entdeckerdrang? Die Suche nach Abenteuer? Wissensdurst?
-> Die Formulierung ging aus einer Kürzung und damit einhergehenden Verallgemeinerung hervor. Aber du hast vollkommen Recht, das klingt extrem vage und ich werde mal etwas Griffigeres gestalten.

Nachdem ihm die Tür geöffnet wird, hätte ich dann vermutet, dass er sich ersteinmal danach erkundigt, ob er in diesem Haus oder woanders übernachten könne. Stattdessen winkt ihn der Wirt praktisch sofort rein, als hätte er ihn bereits erwartet, und bietet ihm Essen an.
-> Wird überarbeitet.

Hehe, bei dieser Stelle muss ich lachen. 'Dicke Luft' ist doch Umgangssprache für eine Konfliktsituation.
-> Unfreiwillig passt es wieder, aber ich werde es dann doch lieber ändern. Ich wähle wohl „stickig“.

Hier allerdings würde ich dich erneut auf den Widerspruch in der Geschichte hinweisen: Deine Hauptfigur hat gesagt, sie wüsste nicht, was sie an diesem Ort will. Nun allerdings erwähnt sie ein Ereignis, welches sich vor dreißig Jahren hier abgespielt hat.
-> Jop, der Satz am Anfang ist schlicht falsch und sollte (recht billig) ein Mysterium kreieren. Da werde ich auf jeden Fall nochmal drüber gehen.

"Ich beschloss, mein Zimmer aufzusuchen und zu Bett zu gehen."
-> Den habe ich mir jetzt mal geklaut.

Zur Passage selbst: Auch diese würde ich deutlich prägnanter formulieren. Deine Figur meandert hier sehr stark.
-> Ich bin ein Fan von sowas, muss ich leider zugeben.

Dieser Satz ist unnötig lang und lässt sich bei dem "und" in Zwei Teile aufsplitten. Im zweiten Teil solltest du zudem das doppelte "als" vermeiden:
-> Wird auf jeden Fall geändert.

Die erste dick angestrichene Passage würde ich ersetzen mit dem Wort "Ernüchtert". "Etwas entmutigt über diesen schweren Anfang" klingt unnötig umständlich und geschwätzig.
-> Da hast du absolut recht.

Den Satz mit 'klein und kompakt' würde ich komplett herausnehmen. Die Sturmfestigkeit der Häuser erscheint mit für diese Geschichte nicht relevant zu sein. Alternativ könntest du den Satz ersetzen mit einer Beschreibung, welche die Furcht vor dem Hexenmeister zum Ausdruck bringt. (So etwas wie massive Türen, verschlossene Fensterläden etc.).
-> Verdammt, ich hatte eigentlich die Hoffnung, dass der gemeine Leser sich hier schon so etwas denkt wie: Hach, der Finch ist doof, die Häuser sehen so geschützt aus, weil die Angst vor dem Grauen in Corlis haben.
Aber das kann schlecht wirken, wenn bisher noch Nichts dazu geschrieben wurde. Vielleicht funktioniert es besser, sobald ich den Anfang verändert habe.

Die folgenden beiden Absätze, welche sein Interesse an scheinbar übernatürlichen Phänomenen beleuchten, würde ich woanders hinpacken, idealerweise näher am Anfang. (Wenn dir mein Überarbeitungsvorschlag von vorhin zusagt, könntest du ja die Natur seiner Träume und seinen Wunsch, mehr über diese zu erfahren, da mithineinarbeiten).
-> Das werde ich wohl bald in Angriff nehmen.

"...insbesondere im Vergleich zu den beiden anliegenden Hütten. Diese lagen direkt am Sumpf und waren sogar mit Grassoden versehen." (Das Wort Grassode musste ich ersteinmal googlen
-> Das wird geändert! Und schön, dass ich noch Werbung für Grassodendächer machen konnte :D

Misstrauen vor Fremden ist nicht dasselbe wie Aberglaube. Insofern verstehe ich nicht die Verbindung, welche Philipp hier zwischen der Frau und dem möglichen Glauben ans Übernatürliche zieht.
Diese Stelle irritiert mich. Philipp ist gerade drauf und dran, das Fachwerkhaus zu erkunden. Plötzlich beschließt er, dass er Hunger hat und kehrt direkt vor der Haustür um?
-> Die Formulierung mit dem Hunger ist echt ne kleine Katastrophe. Die Motivation von Finch, sich hier abzuwenden, sollte das seltsame Verhalten der Frau sein, der „Hunger“ ist wohl beim Runterschreiben rausgerutscht und wird gelöscht.

1. Ist die fehlende Blässe der Dorfbewohner in irgendeiner Weise relevant zum Mysterium im Fachwerkhaus. Bei meinem ersten Lesen ist mir nicht aufgefallen, dass die Dorfbewohner irgendwie beeinflusst sind von der Magie Gideons. Die Bewohner verhalten sich kryptisch, doch ich sehe keinen Grund, warum sie die Sonne oder den Tag scheuen sollten. Solange sie nicht dem Fachwerkhaus zu nahe kommen, scheint alles normal zu sein.
-> Das weiß Finch ja nicht und versucht das an dieser Stelle zu deduzieren.

2. Deine Hauptfigur schließt automatisch, dass die Leute bei Abend oder Nacht aus den Häusern kommen. Doch er ist mit den Gepflogenheiten dieses Dorfes gar nicht vertraut. Auch am Abend zuvor schienen die Bewohner in ihren Häusern geblieben zu sein.
-> Hoffentlich ist ja auch was anderes als sicherlich. Aber zur Klarheit füge ich hier noch ein vielleicht ein.

Deine Figur macht einen Spaziergang und du beschreibst ausführlich seinen Weg. Er scheint sich im Nebel verirrt zu haben, findet aber schließlich zum Fachwerkhaus zurück. Er fühlt sich benommen und findet es ungewöhnlich, wieder vor dem Gebäude zu stehen. Mehr allerdings nicht. Das sind viele Worte für wenig Effekt.
-> Das Problem an dieser Passage ist wohl, dass ihr eigentlicher Sinn nur rückwirkend deutlich wird: hier hat eigentlich Finchs Unterbewusstsein versucht, vor der Sogkraft von Corlis bzw. Gideon zu fliehen, es aber nicht geschafft und damit ist sein erster Fluchtversuch gescheitert. Ich muss nochmal darüber nachdenken, ob eine Reflexion des Vorgangs bei dieser Darstellung helfen könnte.

Auch diese Passage lässt sich ein wenig zusammenstauchen:

"Kaum hatte ich Platz genommen, standen die drei Männer auf und verließen ohne ein weiteres Wort das Haus. War ich der Grund für ihren Abgang? Ich schüttelte den Gedanken von mir. Während Graham die Krüge abräumte, setzte ich mich mit meinem eigenen hinüber zu dem alten Mann."

-> Ich überlege, die drei Männer gänzlich rauszuwerfen.

Also, ich würde auch diesen Part komplett streichen. Ja, der Mann ist alt. Wenn du ihn mit Merkmalen wie weiße Haare und dichtem Bart beschreiben möchtest, fein, nötig ist es aber nicht. Weiterhin, Philipp nimmt in dieser Passage automatisch an, dass der Mann sein ganzes Leben in dem Dorf verbracht hat und daher von den Ereignissen von vor 30 Jahren weiß. Woher soll er das wissen? Der Alte kann genauso gut vor 10 Jahren hergezogen sein. Insofern würde ich lieber durch den Dialog, der zwischen den beiden stattfindet, durchscheinen lassen, wie der Mann damals die Sache mit dem Pater miterlebt hat.
-> Danke für den Punkt, ich habe selbst beim zweiten und dritten Drüberlesen gedacht, dass das schon etwas krude ist.

Als Leser hat man bisher keine Ahnung, was für einen Ruf das Dorf Corlis genießt oder ob es überhaupt einen Ruf hat.
-> Das wird hoffentlich mit einem bald überarbeiteten Anfang besser!

Warte mal, Pater Delany. Den Namen habe ich schon mal gehört. So heißt doch auch eine Figur aus "The Amityville Horror".
-> Haha. Den Namen hatte ich noch irgendwo im Hirn, aber von dem Film konkret habe ich ihn nicht. Als ich jetzt mit der Serie „Taboo“ mit Tom Hardy angefangen hatte, musste ich auch feststellen, dass der Hauptcharakter auch noch so heißt. Verdammt viele Delanys/Delaneys in Horrorgeschichten :D

Sollte es nicht besser heißen: "... gewundert, wie viel Zeit verstrichen war..."
-> im Sinne eines guten Deutsch wahrscheinlich schon, aber ich wollte noch einmal betonen, dass Gideon selbst für seine Verhältnisse lange verschollen blieb.

Im Falle von Kürzungsbedarf:
Anstelle von "Wenig später verstarb er" kannst du schreiben "Wenig später hat er sich in der Kapelle erhängt."
Anschließend endest du den Abschnitt.
-> Aber, aber … ist das nicht voll dramatisch, wie er sich nochmal umdreht und es dann erst sagt?
Ich glaube, ich habe zu viele Klischees im Kopf. Am besten kommt dann noch der Donnerschlag.

Auch die Formulierung "zerteilte die Düsternis" klingt irgendwie schief. Wenn du es poetisch magst, könntest du schreiben "fegte die Düsternis hinfort". Oder aber "vertrieb die Düsternis".
-> Zerteilen deswegen, weil die Schatten in den Ecken ja bleiben und nicht verschwinden. Klingt tatsächlich krude, aber für dieses Szenario erscheint es mir doch passend.

Furcht ist in sich selbst irrational. Daher ist das Adjektiv davor unnötig.
-> Wird gestrichen.

Ein sehr merkwürdiger Satz. Philipp hatte gerade einen Albtraum und ist schweißgebadet aufgewacht. Die Bezeichnung 'seltsame Träume' klingt sehr abschwächend hier.
-> Da werde ich auf jeden Fall etwas verändern.

Der markierte Teil kann ebenfalls herausgekehrt werden. Einerseits impliziert ein Zögern bereits, dass man mit der Entscheidung hadert, die man gerade zu fällen hat. Andererseits ist es unnütz zu schreiben, dass deine Hauptfigur es zunächst nicht wagt, eine Frage zu stellen, sie dann aber doch stellt.
-> Auch hier hatte ich schon überlegt zu streichen, danke für die Bestätigung!

1. Welche Befürchtungen blieben unausgesprochen? Was munkelten die Bewohner über Gideon? Du führst das nie aus. Das ist Bestandteil des Problems deiner Geschichte. Vieles bleibt zu vage. Wie gerade schon erwähnt, sei beim Schreiben spezifisch und lass den Leser besser nicht an Stellen mutmaßen, wo er nicht mutmaßen soll.
-> Die Befürchtung, so zu enden wie der Pfarrer, doch am ehesten. Die Dörfler wissen nicht warum er sich umgebracht hat, aber sie haben Angst.
Aber eigentlich ist es gerade meine Absicht, dass der Leser gerade noch beim zentralen Aspekt etwas rätseln muss. Vielleicht kann ich die eine oder andere Andeutung in der Einleitung bringen, um die Phantasie dahingehend anzuregen, aber mir erschiene es jetzt unpassend, wenn ein Dörfler zu Philipp sagen würde, dass sie Gideon für einen Dämonenbeschwörer o.Ä. halten.

2. Die Frage "Wie schrecklich konnte es sein?" ist ein unnötiger Zusatz und kann gestrichen werden.
-> Jop.

Die Sonne schien über Corlis, diesmal etwas kräftiger als am Vortag. Es schien mir ein gutes Omen und beschwingt lief ich den Hauptweg des Dorfes entlang, auf das eigentümliche Fachwerkhaus zu.
Passt das Wort 'beschwingt' wirklich zu der bedrückenden Lage, in welche sich deine Hauptfigur gerade befindet?
-> Ne. Die Passage habe ich jetzt ohnehin halb gestrichen, auch die federnden Schritte des folgenden Absatzes. Schrecklich.

Erst einmal, wie kann ein Haus 'tatenlos' dastehen?
Das Berühren der Hauswand mit der Hand ist nicht dasselbe wie die Hand eines anderen Menschen zu halten und klingt im Kontext der Szene ebenfalls merkwürdig.
-> Es soll aber merkwürdig sein, es ist ja eben kein „normales“ Haus. Die unlogischen Empfindungen von Philipp sollen das ja gerade betonen.

Dies ist ein essentieller Bestandteil der Geschichte. Sie erklärt die Motivation von Philipp, dem okkulten nachzugehen. Allerdings schiebst du das so schnell und beiläufig in die Geschichte mit ein, dass es den Leser eher kalt lässt. Deine Geschichte handelt davon, wie Philipp in diesem Ort quasi seine Bestimmung findet und dass er etwas essentielles über sich selbst entdeckt, nämlich den Schatten einer bösen Macht, die in ihm lauert. Davon hängt die emotionale Wirkung deiner Geschichte ab. Hingegen verwendest du wenig Zeit damit, gerade diesen Part der Geschichte auszuformulieren, anzusprechen und packend zu gestalten. Er wirkt wie heruntergerattert.
-> Das hatte ich die ganze Zeit im Hinterkopf und bin mir immer noch nicht sicher, an welcher Stelle ich es verbauen kann. Direkt am Anfang ist mir zu plump, aber in den Fluss der Geschichte passt es auch an fast keiner Stelle. Ich bin da etwas ratlos.

Den zweiten Satz würde ich streichen. Seine Angst vor den Schatten im Dorf ist bereits etabliert. Deine Hauptfigur meandert erneut herum.
-> Ich glaube mein favorisierter Schreibstil und du werden leider keine Freunde ;)

Zwei Sachen am Verlauf der Geschichte wundern mich insbesondere hier:
1. Gideon Merriphets Plan ist im Endeffekt, dass Philipp in sein Haus eintritt und das Ritual ausführt, sodass der Schatten des Hexenmeisters sich mit ihm vereinen kann (oder was auch immer geschehen wird). Gleichzeitig allerdings bemüht sich diese unheimliche Kraft darum, ihn so gut es geht aus dem Dorf zu scheuchen. Er berührt das Haus und empfindet Angst davor, einzutreten. Die Schatten bringen den alten Mann vor seinen Augen um und offenbaren die unheimliche Präsenz, die in Corlis lauert. Der Plan, den Gideon letztendlich hat, wird mit diesen Aktionen eher vereitelt als erfüllt.
-> Philipp ist aber nicht vollständig gefügig wie eine Marionette, sondern kann nur grob Gestoßen werden. Ab und an meldet sich sein Überlebensinstinkt und er will weglaufen, wie z.B. im Moor; während er überlegt, ob er in Corlis bleibt und als er das Haus berührt.

2. Warum sieht Philipp es plötzlich als seine Pflicht an, dem Schrecken ein Ende zu setzen? Für ihn gibt es keinen Grund, sich verantwortlich zu fühlen.
-> Aidan ist gerade gestorben, nachdem oder wahrscheinlich weil er Philipp „gerettet“ hatte. Reicht das nicht für einen jungen Mann, der sich ohnehin für etwas Besonderes hält, weil er sich mit seltsamen Dingen beschäftigt?

Erneut, deine Hauptfigur mutmaßt zuviel herum. Schreib' einfach: "Die Pforte war unverschlossen" oder "Die Tür war offen."
-> An der Stelle gebe ich dir vollkommen recht.

Ebenfalls sehr umständlich geschrieben.
-> Ich habe es auch in zwei Sätze geteilt.

Du verwendest das Wort 'seltsam' relativ häufig.
-> Ich hab gerade mal die Suchfunktion genutzt und das Wort wirklich sehr häufig gefunden. Da werde ich mal nachbessern bzw. streichen.

Hm... ihm ist zuvor nie aufgefallen, dass er zwei Schatten hat? Hat er tagsüber nicht einziges Mal mit dem Rücken zur Sonne auf den Boden geschaut?
-> Eine Logiklücke, die ich mir jetzt mal in einer literarischen (statt visuellen) Geschichte erlaubt habe. Aber eine Logiklücke nichtsdestotrotz, das stimmt. [Also die zwei Schatten hat er erst in Corlis, weil da die Macht von Gideon mächtiger wird --- aber das wollte ich dann nicht mehr in die Geschichte hineinfriemeln]

Auf mich macht es stark den Eindruck, als hättest du den Text mit einer groben, generellen Idee im Kopf verfasst und einfach drauf los geschrieben.
-> Tatsächlich hatte ich den kompletten Ablauf bereits fertig, bevor ich angefangen habe zu schreiben (beim „Drauflos“ kriege ich selten eine Geschichte fertig). Ein größeres Problem scheine ich eher damit zu haben, die Gründe für den Handlungsablauf zu transportieren, da ich um alles vermeiden will, Dinge zu lange und zu deutlich runterzurattern.
Aber das ist ja ein handwerkliches Problem, an dem ich arbeiten kann.

Philipp machte stellenweise in der Geschichte - gerade zu Beginn - den Eindruck, als würde er nicht wissen, was er hier in Corlis eigentlich sucht.
-> An dem Fehler werde ich arbeiten.

An anderen Stellen, gegen Ende, stellt der Leser fest, dass er gerade wegen dem Fachwerkhaus und den Geschichten, die dieses umgeben hergekommen ist. Mein Tipp für eine Überarbeitung hier wäre: Lass ihn ein interessierter Forscher des Okkulten sein. Erfinde ein paar Namen für okkulte Literatur und Felder, die zeigen, dass er gegenüber normalen Dorfbewohnern auch weiß, wovon er redet.
-> Das macht Lovecraft unheimlich gerne und ausführlich. Ich muss leider sagen, dass mir entsprechende Passagen nicht sonderlich gefallen, da ich sie eher oberlehrerhaft finde. Andererseits sehe ich auch ihren Mehrwert in einer Geschichte, die sehr „seltsam“ (15x) und voller Nebel bzw. neblig (7x) ist, da sie dem das Gefühl von Substanz gegenüberstellen. Ich bin erstmal unschlüssig.

Entsprechend sollte sein Plan darin bestehen, Philipp zu sich zu ziehen und ihn die okkulten Rituale durchführen zu lassen, und nicht so sehr darin, ihn aus dem Dorf zu jagen.
-> Die widerstreitenden Naturen „in“ Philipp muss ich deutlicher herausstellen, das habe ich auf jeden Fall als wichtige Info aus deinem Kommentar herausgenommen.

Das kann durch Rückblenden, Träume oder Momenten der Reflexion geschehen, in denen Philipp über sein Leben nachdenkt. Gestalte diese Sequenzen so, dass der Leser den Eindruck gewinnt, gerade einen spezifischen und relevanten Moment in der Geschichte zu erleben.
-> Bisher hatte ich die Befürchtung, durch solche Dinge zu viel zu erklären. Mit der Absicht scheine ich es dann zu gut gemeint zu haben.

4. Der Schreibstil: Ich habe viel an Formulierungen herumgekrittelt und so einige Passagen aus Zeitgründen gar nicht angesprochen. Generell gesagt, schwadroniert deine Hauptfigur sehr stark, drückt dieselben Dinge mehrere Male aus oder formuliert sie in umständlichen Sätzen. Das ist schließlich auch der Grund, warum deine Geschichte so lang geworden ist.
-> Da wird es echt schwierig für mich, da diese Formulierungen wirklich einen großen Teil meiner persönlichen Freude am Schreiben ausmachen. Ich lese das auch gerne, aber meistens dann in Romanen – nicht in knackigen Kurzgeschichten. Ich habe das Gefühl, wenn ich das bei mir ändern würde geht mein persönlicher Stempel ab.

Ich hoffe, ich konnte dir weiterhelfen und meine Kritik entmutigt dich nicht. Wie gesagt, nimm' davon mit, was dir hilfreich erscheint.
-> Entmutigt auf keinen Fall. Ich habe jetzt eine Seite an Stichpunkten mit Ideen, wie ich deine Kritik in eine Verbesserung meiner Geschichte umsetzen kann und hoffe, dass ich die nächsten Tage Zeit finden werde, das alles umzusetzen.

Als Schwerpunkte meiner kommenden Überarbeitung würde ich dann sehen:
1. Die Einleitung: ich werde wohl ein bzw. das Gerücht darstellen, weswegen Philipp nach Corlis kommt. Das sollte die allzu nebulöse Situation gerade soweit erhellen, dass Spannung entstehen kann, während sich der Leser schon einmal seine eigenen Gedanken macht, was da nicht stimmt.
2. Philipps Hin- und Hergerissenheit: der Hauptcharakter besteht im Prinzip aus drei Teilen: sein bewusstes Ich, sein unbewusstes Ich und Gideon. Sein unbewusstes Ich kämpft durch Fluchtversuche gegen Gideons Sogkraft an. Der Erzähler hat nur die Ressourcen des bewussten Ichs - aber ich muss alle Facetten durch Reflexionen der Träume, der Anfälle, der Neugier etc. stärker aufstellen.
3. Mit 2. hängt die Biografie von Finch zusammen, wo ich definitiv einige Dinge klarer machen muss, z.B. dient das Studium eigentlich nur als Deckmantel.

Schwierig wird dann der Schritt, diese Informationen harmonisch einzubinden und wahrscheinlich werde ich viel umstellen müssen. Das wird spannend.
Was die sprachlichen Mängel angeht, habe ich das Allermeiste übernommen - danke für die präzisen Hinweise! Hinsichtlich des Sprachstils werde ich versuchen, weniger "seltsam" zu werden, allerdings werde ich versuchen bis zum Schluss einige irrsinnig ausschweifenden Teile zu behalten! ;)

Also noch einmal vielen, vielen Dank für deinen langen Kommentar. Das muss ewig gedauert haben, bis du den zurecht gezimmert hast. Du gehst hart mit meinem Text ins Gericht, aber jederzeit nachvollziehbar, was mir unglaublich hilft, weiter an der Geschichte zu arbeiten.

Großes Dankeschön! Und wenn du selbst noch einen Text auf Halde hast, zu dem du noch Kritik möchtest: ich würde mich freuen, zumindest etwas Gegenleistung bringen zu können. Auch wenn ich befürchte, kaum mit so einem langen und ausführlichen Kommentar mithalten zu können!

Liebe Grüße,
Vulkangestein

 

Hi Vulkangestein,

ich wollte dir nur mitteilen, dass ich dein nicht minder epochales Antwortschreiben nun auch gelesen habe. Ich bin leider nicht sehr häufig auf WK aktiv und seit dem letzten Mal sind etwa zwei Wochen vergangen. In jedem Fall bin ich froh, dass meine Kritik positiv bei dir angekommen ist.


Falls es dich wundert: So aus der Erinnerung heraus hat mich das Durchgehen deines Textes etwa zwischen 6-8 Stunden gekostet. Ich habe das auch nicht zum ersten Mal gemacht. Mittlerweile überlege ich, nach fünf Seiten Kommentar zu raffen und nur noch die auffälligsten und nötigsten Stellen anzusprechen. Mal sehen.

Eine Sache wollte ich jedoch noch anmerken:

Aber eigentlich ist es gerade meine Absicht, dass der Leser gerade noch beim zentralen Aspekt etwas rätseln muss. Vielleicht kann ich die eine oder andere Andeutung in der Einleitung bringen, um die Phantasie dahingehend anzuregen, aber mir erschiene es jetzt unpassend, wenn ein Dörfler zu Philipp sagen würde, dass sie Gideon für einen Dämonenbeschwörer o.Ä. halten.

Du hast das als Antwort geschrieben auf meine Verwunderung, welche Befürchtungen oder Vermutungen die Dorfbewohner über Gideon hegen. Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt. Natürlich soll niemand unter den Bewohnern aufschreien: "Dämonenbeschwörer". Was ich eher meinte, war, die Kette von Ereignissen zu beschreiben, die der Tod des Pfarrers in Gang gesetzt hat. Ein Beispiel wäre hier, den Dorftratsch der Bewohner von Aidan aufgreifen zu lassen. Vielleicht in Form von:

"Niemand war sich sicher, ob Gideon noch in Corlis war oder nicht. Einige munkelten, ihn mitten am Tag auf einer Lichtung in der Nähe des Fachwerkhauses gesehen zu haben, andere hingegen befürchteten, dass nun ein Fluch auf dem Dorf liege. Niemand wusste etwas konkretes, doch alle fragten sie sich: Was war in diesem Haus geschehen?"

Nichts von diesem Dorfgeplapper muss stimmen, aber es verdeutlicht die Unruhe und beschreibt genauer die Vorgänge, die sich in Corlis damals abgespielt haben. Und genau dann würde ein Satz wie "Alle ihre Befürchtungen blieben unbestätigt, hängen aber selbst heute noch über dem Dorf. Niemand wollte es jedoch genau wissen. Das Fachwerkhaus und die Dorfkapelle blieben unbesucht."


Für den Fall, dass du die Geschichte überarbeitest, kannst du es mich ruhig wissen lassen, wenn die neue Version fertig ist. Wahscheinlich werde ich keine weiteren 16 Seiten schreiben, aber ich wäre schon neugierig, wie sie aussehen würde.

Mit freundlichen Grüßen,

Robot Fireman

 

Hallo Robot Fireman,

wenn du nicht so oft hier bist, dann umso schöner, von dir zu hören!

Falls es dich wundert: So aus der Erinnerung heraus hat mich das Durchgehen deines Textes etwa zwischen 6-8 Stunden gekostet.
-> Ja, das habe ich schon befürchtet. Vielen Dank nochmal, dass du so viel Zeit geopfert hast!

Du hast das als Antwort geschrieben auf meine Verwunderung, welche Befürchtungen oder Vermutungen die Dorfbewohner über Gideon hegen. Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt. Natürlich soll niemand unter den Bewohnern aufschreien: "Dämonenbeschwörer". Was ich eher meinte, war, die Kette von Ereignissen zu beschreiben, die der Tod des Pfarrers in Gang gesetzt hat. Ein Beispiel wäre hier, den Dorftratsch der Bewohner von Aidan aufgreifen zu lassen. Vielleicht in Form von:
"Niemand war sich sicher, ob Gideon noch in Corlis war oder nicht. Einige munkelten, ihn mitten am Tag auf einer Lichtung in der Nähe des Fachwerkhauses gesehen zu haben, andere hingegen befürchteten, dass nun ein Fluch auf dem Dorf liege. Niemand wusste etwas konkretes, doch alle fragten sie sich: Was war in diesem Haus geschehen?"
-> Dieser Vorschlag gefällt mir und so ungefähr habe ich zwei Sätze eingefügt, bevor Aidan zum Schluss kommt, dass Pater Delany sich erhängte. Am Anfang habe ich nun auch tatsächlich den Begriff Dämonenbeschwörer fallen lassen - aber eben in Dunton, wo die Geschichte noch verzerrter und unbekannter ist. Vielleicht regt es die Phantasie der Leser an, vielleicht es zu plump. Vielleicht Geschmackssache? :confused:

Für den Fall, dass du die Geschichte überarbeitest, kannst du es mich ruhig wissen lassen, wenn die neue Version fertig ist. Wahscheinlich werde ich keine weiteren 16 Seiten schreiben, aber ich wäre schon neugierig, wie sie aussehen würde.
Ich habe tatsächlich bereits versucht das rauszuwerfen, wovon ich mich trennen konnte und manche Dinge umgestellt. Wäre ich im Marketing, würde ich jetzt mit dem Satz aufwarten: "Mit einem brandneuen Anfang, der die Geschichte von Philipp Finch neu erzählt."
Ganz so epochal sind die Unterschiede dann wahrscheinlich nicht, aber hier mal die Übersicht aus meinem "Changelog":

Eine Bemerkung zu den bisherigen Veränderungen:
Ich habe den Anfang verändert und beginne nun mit einem ausgeschriebenen Gerücht über Corlis und Gideon Merriphet. Das soll vage genug sein, dass der Leser sich noch seine eigenen Gedanken drüber machen kann.
Des Weiteren habe ich einige Szenen gestrichen (u.a. ein Gespräch über Pater Delany mit Graham, die Erkundung eines nahen Hügels, ein weiteres Gespräch mit Graham über die Zurückhaltung der Corliser) und andere umsortiert (Finch läuft nun direkt ins Moor, nachdem er das erste Mal versucht hat, sich dem Fachwerkhaus zu nähern; an die zweite Traumsequenz schließt sich die Erinnerung an sein "Jugendtrauma" an).
Der Protagonist steht jetzt stärker getrieben dar (von seinen Instinkten [Angst] auf der einen Seite und Gideon auf der anderen). Eigene Mutmaßungen von ihm wurden z.T. gestrichen, wo sie für die Geschichte an sich nicht nötig waren.
Insgesamt wirkt der Protagonist dadurch etwas ahnungsloser, auf der anderen Seite müsste jetzt bereits früher deutlich werden, dass sich in Corlis gewissermaßen sein Schicksal erfüllt.

Zugegebenermaßen: der Anfangssatz
"Ein alter Mann in Dunton hatte mir [von Corlis] erzählt."
ist genauso ein Klischee-Einstieg wie "In einer stürmischen Nacht". Da werde ich wohl auch noch mal drauf Herumdenken können.


Dabei ist dieses "Machwerk" auch mittlerweile zumindest unter die 6.000 Wörter gefallen. Immer noch ein gewaltiger Klotz. Ich würde mich unglaublich freuen, wenn du über die neue Fassung noch einmal drüber lesen würdest. Ich erwarte aber nicht, dass du schon wieder so viel Zeit für den Text opferst, ein grober Eindruck zu den Veränderungen wäre schon goldwert für mich.


Liebe Grüße,
Vulkangestein

 

Eieiei, ich bin jetzt zwei Tage in diesem Forum unterwegs und wundere mich wiederholt, wie dermaßen umfangreich und präzise die Kommentare sind und wieviel Mühe sich die Leute hier geben! Wahnsinn *Kopfschüttel*

Aber das nur als Randnotiz. Ich selbst habe deine Geschichte heute, also am 08.10., gelesen. Und ich habe sie zu Ende gelesen, was schon etwas aussagt, denn sie ist ja durchaus lang. Hätte sie mir nicht so gut gefallen - sei versichert - , hätte ich sie auch nicht zu Ende gelesen.
Was hat mir gut gefallen? Kommt ja immer auf den Leser drauf an. Aber zumindest in meinem Kopf hat der Text wiederholt gute Bilder abgespielt, so dass ich ohne viel Mühe weiter am Ball bleiben konnte und weitergelesen habe. Es lief quasi ein Film auf Dauerschleife, was nicht heißt, dass für meinen Geschmack jedes Bild perfekt war, aber das ist für mich ein Zeichen von guter Qualität, was sicherlich darauf zurückzuführen ist, dass du in diese Geschichte viel Arbeit investiert hast.

Zu lang fand ich die Geschichte nicht, ich will bei den Geschichten auch ein bisschen Fleisch auf den Knochen haben. Von daher passt das, da muss man nicht um jedes Wort feilschen. Was allerdings auch klar ist: Nicht jeder wird sich auf diese Länge einlassen. Ich z.B. war echt am Überlegen, ob ich mit dem Lesen überhaupt anfangen soll. Aber man kann es auch nicht jedem recht machen.

Was mir negativ aufgefallen ist: Im Text hast du das Wort "wöllte" eingebaut. Für meinen Geschmack geht das gar nicht klar. Ebenso fehlen wiederholt Kommata. Mehrmals!
Dann gibt es eine Stelle, an der du eine "alte Frau" am Fenster eingebaut hast. Da hab ich mich gefragt, was das soll, denn danach kommt sie ja nicht mehr vor.
Vielleicht noch zu den erzeugten Bildern: Am Anfang wusste ich überhaupt nicht, was ich jetzt von Corlis halten sollte. War das Dorf jetzt komplett verlassen? Oder noch bewohnt? Wieviele Leute wohnen da jetzt? Für mich wurde das nicht klar genug herausgestellt, hat sich dann erst nach und nach ergeben. Das empfand ich als nicht optimal.

Also Fazit: Geile Geschichte. Hat Spaß gemacht.

 

Hi Vulkangestein,

mir fällt tatsächlich auch gerade auf, dass sich deine Geschichte noch einmal deutlich verkürzt hat und, soweit ich bisher erkennen konnte, einen neuen Anfang besitzt. Ehrlich gesagt habe ich überlegt, mir heute auch eine andere Geschichte vorzunehmen, aber die von dir angesprochenen Veränderungen haben mich überzeugt, mich noch einmal durch deine Geschichte zu meandern ;).

Also, los geht's:

Gleich über den Anfang muss ich sagen, dass er mir nun deutlich besser gefällt. Das Motiv der Hauptfigur ist klar, der Grund, warum er nach Corlis kommt, ist deutlich umrissen. Die Formulierung mit der 'angeschlagenen Saite' finde ich super, weil sie praktisch den Schatten vorauswirft auf den kommenden Twist (Hehe, Wortspiel). Darüber hinaus gefällt mir der Schreibstil ebenfalls besser. Die Wortwahl ist präziser, von unnötigen Füllwörtern und umständlichen Phrasen erleichtert und lässt sich deutlich angenehmer lesen. Super, jetzt bin ich neugierig, was noch kommen wird. Von der Perspektive eines anderen Lesers aus könnte ich mir höchstens vorstellen, dass du vielleicht zuviel erwähnst und dass die Geschichte mit dem Hexenmeister etwas später eingeführt werden könnte, um zunächst das Geheimnis etwas auszudehnen. Mir jedoch gefällt es.

Der Mann stellte mir ohne jeden Kommentar eine halbvolle Suppenschüssel und einen Kanten Brot hin. Ersteres war kalt, letzteres bereits recht hart und trocken, doch ich beschwerte mich nicht.

Müsste es nicht heißen: "Erstere war kalt, letzterer bereits recht hart..."?

Weiterhin, man kann sich die Freiheit zwar nehmen und der Leser versteht den Satz schon, allerdings wäre es wohl richtiger, "eine halbvolle Schüssel Suppe" oder "Schüssel mit Suppe" oder so zu schreiben. Ansonsten würde sich das 'kalt' auf die Suppenschüssel und nicht deren Inhalt beziehen.

Aber erst seitdem ich angeblich studierte und das Geld meiner Eltern nutzen konnte, brachten mich meine Reisen bis in die entlegensten Ecken unseres Landes.

Was soll das 'angeblich' hier? Das klingt, als würde er über sein eigenes Leben in Form von Gerüchten schreiben. Oder wolltest du damit zum Ausdruck bringen, dass Finch gar nicht studiert, sondern seine Zeit lieber mit Reisen verbringt und somit das Geld seiner Eltern verprasst? In diesem Fall klänge der Satz zu schwammig und es geht nicht klar aus dem Satz hervor.

Einen Rhythmus erkannte in dem sinnlosen Wabern von gegenstandsloser Schwärze, und mich einfügte, als würde es einen tieferen Sinn geben.

Dieser Satz macht grammatikalisch keinen Sinn. Im ersten Satzteil fehlt ein "Ich". Weiterhin ist nicht klar, woran das "und" anschließt.

Sollte das ursprünglich heißen "Einen Rhythmus erkannte ich in dem sinnlosen Wabern von gegenstandsloser Schwärze nicht, dennoch fügte ich mich ein, als würde es einen tieferen Sinn ergeben."?

Die karge Gegend ließ mich an die Orte denken, die ich bisher aufgesucht hatte, wenn der Drang mich gepackt hatte.

Etwas, mit dem ich auch häufig zu kämpfen habe. Das sich wiederholende "hatte" am Ende der jeweiligen Teilsätze liest sich sehr unschön.

Vielleicht: "Die karge Gegend ließ mich an die Orte denken, zu denen mein Drang mich geführt hatte."

Obendrein: Komisch, ich meine, das Wort "seltsam" bisher noch kein einziges Mal gelesen zu haben. :D

Ich konnte hier nicht lange tatenlos verweilen, während die Sonne sich schwächlich ihrem Zenit entgegenschob, und so beschloss ich, mich dem Fachwerkhaus zu nähern, das ich im Dorf gesehen hatte –

1. Was mich hier wundert - und das fällt mir auch jetzt erst auf - ist das Zeitgefühl. Nach deiner Beschreibung besteht Corlis aus einer Ansammlung von Hütten. Finch hat am Morgen das Haus verlassen. Braucht er wirklich den halben Tag, um zur Kirche zu gehen und festzustellen, dass diese unverschlossen ist?
2. Die Formulierung "konnte nicht tatenlos verweilen" legt nahe, dass deine Hauptfigur unter Zeitdruck steht und dringend eine Aufgabe zu erfüllen hat. Genau genommen ist das allerdings nicht der Fall. (Es sei denn, es ist der geheimnisvolle Schatten, der ihm diese Eingebung vermittelt.)

Eine Alternative könnte lauten: "Unwillig, mir hier den Bauch in die Beine zu stehen, wandte ich mich um und spazierte in Richtung des Fachwerkhauses, welches ich am anderen Ende des Dorfes entdeckt hatte."


Hm, schon komisch. Wenn ich mir deine Geschichte vor meinem geistigen Auge ausmale, dann steht das Fachwerkhaus - wie in der üblichen Version derartiger Geschichten - immer etwas abseits des Dorfes, hinter einem Hügel oder mitten im Wald. Okkulte Hexenmeister sind für gewöhnlich Einsiedler und wollen selten bei ihren Ritualen gestört werden. Es ist schon seltsam, dass sich das Haus deinen Beschreibungen zufolge mitten im Dorf befindet - oder zumindest in Sichtweite der Herberge, in welcher Finch übernachtet. Du könntest also darüber nachdenken, ob du die Geschichte dahingehend umschreibst und die Lage des Gebäudes etwas weiter vom Dorf wegverlegst. Es sei denn natürlich, es war genau deine Absicht, sie mitten ins Dorf zu verlagern.

Es war viel mehr das Alter, das es zu haben schien. Während die anderen Häuser alt von ihrem Gebrauch her wirkten – immer wieder geflickt, sogar mal zusammengebrochen und verlassen, dann wieder von einer anderen Familie aufgebaut und erneut verwittert – schien dieses Gebäude in seiner Gesamtheit alt. Als hätte es schon immer so gestanden und wäre nie verändert worden … seit der erste Besitzer das Haus vor vielen Jahren errichtet hatte.

Irgendwas kommt mir hier seltsam vor. Paraphrasiert könnte dein Satz etwa so klingen:

"Während die anderen Häuser immer wieder Schaden genommen haben und repariert werden mussten, sah dieses Haus einfach nur alt aus, als hätte es schon immer dort gestanden."

Ich glaube, du meinst bei dieser Beschreibung, dass das Fachwerkhaus kaum Verbrauchsspuren oder Anzeichen einer Reparatur aufweist. Mit anderen Worten, es ist trotz seines Alters wirklich gut erhalten geblieben. Du drückst es lediglich etwas umständlich aus und somit hinkt der Vergleich in dem Satz.

Ich muss allerdings sagen, dass mir die Beschreibung mit dem 'flicken, zusammengebrochen, verlassen, aufgebaut und erneut verwittert' sehr gefällt.

Rasch blickte ich zu dem ersten Zeichen von Leben in Corlis und sah in einem Fenster das Gesicht einer alten Frau

Ich will ja nicht klugscheißerisch erscheinen. Aber bildete nicht Graham das erste Lebenszeichen in Corlis? Als lockere, scherzhafte Bemerkung kann man es aber stehen lassen.

Plötzlich packte mich die Furcht. Kalter Schweiß brach aus, als ich noch einmal zum Fachwerkhaus sah. Und dann rannte ich – ich wollte einfach weg, nur weg. Und ich lief ins Moor.

Nach unserem Hin- und her in den Kommentaren hier weiß ich, was du mit dieser Passage bezwecken willst. Sein Unterbewusstsein will ihn vor dem Haus warnen. Allerdings erscheint es mir zu plötzlich, überhastet und unvermittelt. Du könntest die Szene weiter auskosten, indem du das Fachwerkhaus in weiteren Details beschreibst und währenddessen das Gefühl von Panik in Finch langsam anschwillen lässt. Mit anderen Worten: Vermitteln, wie sich beim Anblick langsam ein ungutes Gefühl breitmacht. Idealerweise sind die Detailbeschreibungen dann auch so gestaltet, dass sie durch den Blick deiner Hauptfigur subjektiv eingefärbt sind und wir als Leser somit das Grauen nachempfinden können, dass Finch beim Anblick des Hauses packt. Gleichzeitig kannst du es als Chance verstehen, Fachwerkhäuser aus dieser Zeit noch einmal zu recherchieren (da der Begriff mit 'F' beginnt, müsste er in Lexika irgendwo in der Nähe von 'Grassoden' angesiedelt sein ;)) und mit deinem neu erlangten Wissen in der Geschichte kräftig angeben. Zur selben Zeit kannst du es auch verknüpfen mit dem Geheimnis, welches sich tief in Finch's Innerem regt.

Plötzlich zögerte ich, und ich konnte mich nach diesem Moment nicht mehr erinnern warum – ich würde im Morast verloren gehen, ginge ich nicht zurück. Warum sollte man so etwas wollen? Doch nachdem ich diesen Moment einer weiteren Verwirrung überwunden hatte, kämpfte ich mir einen Weg durch schlammiges Sumpfwasser zurück nach Corlis.

1. Das dick angestrichene 'Warum' in diesem Satz macht den Eindruck, als würde es sich auf sein Zögern beziehen und nicht die Tatsache, warum er plötzlich davon gerannt ist.
2. Der Satz "Warum sollte man so etwas wollen?" klingt überflüssig. Der vorangehende Satz drückt dies bereits zur Genüge aus.
3. Die dritte angestrichene Passage verwundert mich. Die Formulierung, sich durch Sumpfwasser zu kämpfen, legt nahe, dass er eine lange Zeit durch Sumpfwasser watet. Aus dem vorangegangenen Absatz geht allerdings hervor, dass das Fachwerkhaus - und damit Corlis - ganz in der Nähe ist.

Ich würde dir hier zu einer von zwei Möglichkeiten raten:
1. Du lässt Finch die Erkenntnis, sich nicht im Moor verlaufen zu wollen, früher haben, d.h. bevor er beschließt, umzukehren, und im Nebel das Fachwerkhaus wiedererkennt.
2. Du gehst auf meinen Vorschlag ein, die Lage des Fachwerkhauses weiter abseits des Dorfes zu verlegen und lässt Finch das Gebäude auf jeden Fall meiden. Lieber watet er noch eine Stunde durch den Schlamm, als dass er diesem Haus noch einmal zu nahe kommt.

Wieder im Dorf stellte ich fest, dass es dunkel geworden war. Ich musste unglaublich lange herumgeirrt sein.

Hier macht der enorme Zeitsprung mehr Sinn, da die Hauptfigur sich gerade in einem trance-artigen Zustand befunden hat. Mehr noch, es verstärkt die unheilschwangere Atmosphäre, weil es zeigt, wie stark die unbekannten Kräfte sind, die um Finch herum bzw. in ihm wüten. Find' ich gut.

Ich hatte mich dort … geängstigt.

Hehe. Ich hoffe, ich kann dir das anvertrauen. Hin und wieder lese ich hier im Forum Stellen, über die ich herzhaft lachen muss. Dieser Satz ist einer davon. Anstatt bedrohlich zu klingen, sprengt er regelrecht die Knuffigkeitsskala. Ich würde den Satz einfach herausstreichen. Seine Angst gilt sowieso weniger dem Moor als dem Fachwerkhaus. Außerdem hat er das neblige Moor noch einige Passagen zuvor als Willkommensgruß wahrgenommen.

Doch was sollte mir in Corlis gefährlich werden?

Den Folgesatz würde ich entsprechend ebenfalls herausnehmen oder umformulieren, weil er nun keinen Sinn mehr machen würde.

Dort wartete bereits Graham und diesmal waren wir nicht allein: ein alter Herr saß allein und trank aus einem Krug. Ich beschloss, mich zu ihm zu setzen. Hoffentlich würde er mir etwas über Gideon Merriphet und dieses Dorf erzählen können.

Du könntest hier noch ein paar Beschreibungen hinzufügen, wie Graham und der alte Mann auf sein Erscheinungsbild reagieren. Er ist schließlich den halben Tag durch Schlamm und Wasser gewatet und müsste von oben bis unten dreckig sein. Vielleicht könntest du sogar eine Szene kreieren, in welcher Graham aufbrausend wird und ihn anpfeift, die feuchten und schmutzigen Sachen auszuziehen und ihn zum Waschen zu geben. Anschließend setzt er sich in eine Decke gehüllt ans Feuer, wo der alte Mann sein Bier trinkt und fängt mit ihm das Gespräch an. Nur eine Möglichkeit. Im Laufe des Gesprächs könnte das Thema dann von alleine auf Gideon Merriphet kommen, ohne dass sich deine Hauptfigur mit der ausschließlichen Absicht zu ihm setzt, ihn über dieses eine Thema ausfragen zu wollen. Oder aber, er fasst den Beschluss im Zuge des Gesprächs, während er zu Beginn noch damit beschäftigt ist, sich von seinen Strapazen im Moor zu erholen.

„Nun, in einem Dorf wie Corlis begrüßt man sehr selten Fremde, was durchaus an einem gewissen Ruf liegen mag. Aber er ist es auch, der die übrigen Reisenden zu uns führt.“

Aha, durch den Anfang wissen wir nun über die Gerüchte bescheid, welche um das Dorf Corlis kursieren. Daher macht diese Gesprächszeile nun deutlich mehr Sinn.

Ich muss sagen auch der Rest des Gesprächs verläuft deutlich nachvollziehbarer. Man bekommt als Leser nun ein klareres Bild von der Interaktionen zwischen Gideon und den Bewohnern von Corlis, als auch von den Ereignissen, die sich zugetragen haben.
Wenn du allerdings noch Interesse hättest, die Dialogpassage auszubauen, so kann ich dir zwei Dinge vorschlagen:
1. Schnell entwickelt sich dein Dialog zu einer ausschließlichen Abfolge von direkter Rede zwischen Finch und Aidan. Mit anderen Worten, es fehlen sämtliche Gesten, welche den Dialog begleiten. Aidan könnte beispielsweise eine Redepause machen, aus seinem Krug trinken und sich den Schaum mit dem Ärmel aus dem Gesicht wischen oder so. Finch könnte bestätigend nicken etc. Mit anderen Worten: Körpersprache und Bewegungen beschreiben, welche das Gespräch zusätzlich betonen.
2. Der Dialog ist nahezu ausschließlich informativ und dreht sich um die Ereignisse, welche sich vor 30 Jahren in Corlis zugetragen haben. Du könntest ihn lebendiger gestalten, indem du Zeilen miteinbindest, welche zeigen, wie Aidan und Finch einen Draht zueinander entwickeln. Aidan könnte zum Beispiel anbieten, mit ihm Pfeife zu rauchen oder Finch könnte eine Runde Bier auf seine Kosten ausgeben. Das zeigt nicht nur, dass sie sich über die Vergangenheit unterhalten, sondern dass sie sich auch als Menschen gut verstehen. Dadurch würde der Dialog lebendiger herüberkommen. Es sei denn, ich lese das gerade verkehrt und Aidan ist gar nicht so freundlich auf Finch zu sprechen.

„Diese Frage stellten wir auch, doch er gab uns keine Antwort. Manche sagten bald, sie hätten Gideon Merriphet im Moor tanzen sehen, andere, dass sein Schatten sie tagsüber verfolge. Wieder andere vermeinten, dass die Sonne seit jenem Tage nicht mehr so hell über Corlis leuchte, wie sie es früher getan hatte. Und wenig später hat sich Pater Delany in der Kapelle erhängt."

Über diese Stelle haben wir ja geredet. Ich finde die Überarbeitung schön und gelungen.

Doch davon würde ich mich nicht aufhalten lassen und hielt weiter auf das Haus zu.
Im Erdgeschoss sah ich neben der Tür einige Fenster, die jedoch durch Läden verschlossen waren. Durch die Spalten war auch nichts zu erhaschen, da von innen dereinst die Vorhänge zugezogen worden waren. Es schienen keine Motten darüber hergefallen zu sein – gänzlich unberührt von Mensch und Tier.

Ach, vorhin habe ich ja bekrittelt, dass seine plötzliche Flucht vor dem Haus sehr unvermittelt wirkt, und vorgeschlagen, dass du ein paar Beschreibungen machst, welche die Angst in ihm langsam anschwillen lassen. Wie es aussieht, hast du dir diesen Moment bis hierhin aufgespart. Hm, okay. In bezug auf die vorangehende Passage würde ich mir an deiner Stelle dennoch etwas ausdenken, wie du etwas langsamer auf den plötzlichen Panikanfall hinschreibst, der ihn dazu treibt, die Flucht zu ergreifen. Dann könntest du die Stelle hier ersteinmal so lassen.

Mit letzter Kraft riss ich eine Hand los, die niemals gehalten worden war, und wandte mich von dem Gebäude ab, das tatenlos dastand und doch nicht da zu sein schien.

Ich weiß, ich habe schon mal darauf hingewiesen. Aber... mir gefällt die Formulierung des tatenlos dastehenden Hauses noch immer nicht.

Ich lief die Straße zurück, nahezu besinnungslos und voller Furcht. Meine Schritte kontrollierte nicht mehr mein Verstand sondern mein ängstlicher Instinkt.

Den zweiten Satz könntest du streichen. Aus dem Ersten geht hervor, wie unkontrolliert Finch gerade reagiert. Wenigstens aber das 'ängstlicher' würde ich herausnehmen.

Fort von diesem Ort, der in seiner Präsenz nicht wirklich war und Dinge verbarg, die nicht gesehen werden sollten.

Die Formulierung "in seiner Präsenz nicht wirklich" erscheint mir hochgradig merkwürdig. Ich glaube du meinst einen Satz wie "der mir nicht wirklich erschien" oder "der meinen Sinnen einen Streich spielte". Alternativ kannst du auch einfach kürzen und schreiben:

"Fort von diesem Ort, der Dinge verbarg die nicht gesehen werden sollten."

Ich musste die lächerliche Angst besiegen, die mich aus Corlis forttreiben wollte.

Ich bin nicht sicher, ob selbst Finch, in seiner Lage, diese Angst als lächerlich bezeichnen würde. Vielleicht versucht er, sich Mut anzureden, aber es hat sich ja gerade, vor ein paar Minuten, herausgestellt, dass seine Angst wohlbegründet ist.

Mein Blick fiel auf den kupfernen Knauf der Tür, der entgegen aller Logik keine Spuren des Verfalls aufwies wenngleich das nahe Moor eine ungute Feuchtigkeit herantrieb. Mehr als zwanzig Jahre waren vergangen seit die Tür das letzte Mal geöffnet wurde und ich fühlte nun ein ungutes Gefühl, diesen Bannkreis zu durchbrechen.

Die Wiederholung des Wortes 'ungut' sticht hier störend heraus. Du könntest das umgehen, wenn du ersteren Satz umschreibst:

"Mein Blick fiel auf den kupfernen Knauf der Tür, der trotz der feuchten Luft keine Spuren von Rost (bzw. eines Verfalls) aufwies."

Habe ich diesen Vorschlag nicht schon einmal gemacht? Ich bin nicht sicher.

Ich hörte meine Stimme und sie gab mehr klackende und klickende Geräusche von sich als das, was ich als Sprache kannte.

Diese Zeile gestaltet den ganzen Moment doch recht unheimlich. Gefällt mir.

Blasse Haut straffte sich über seinen Schädel, der wenig lebendiger erschien als ein Totenschädel.

Das doppelte "Schädel" stört hier. Vielleicht das erste 'Schädel' durch 'Kopf' ersetzen?

Warum hast du all diese seltsamen, wenn auch schrecklich bedeutungslosen Orte aufgesucht? Warum? Weil ich es wollte!

Äh, gute Frage. Warum wollte der Schatten, dass er all diese schrecklich bedeutungslosen Orte aufsucht. Welch einen Zweck hat er damit verbunden? Hat er etwas gesucht? Bisher scheint es einfach so, als hätte es ihm Spaß gemacht.

„Der richtige …?“, ächzte ich und fühlte mich niedergedrückt von den allseits heranstürmenden Wahrheiten und Offenbarungen.

Das dick Angestrichene kannst du streichen. Das Finch gerade unangenehme Offenbarungen erlebt, liegt auf der Hand.

Und ein letzter Schrei entwand sich meiner Kehle.

Heißt es nicht: "Ein letzter Schrei entschwand meiner Kehle"?

So. Hat nun doch wieder etwas länger gedauert, als ich dachte. Hälfte der Zeit meines letzten Kommentars und dieses Mal glücklicherweise vom Umfang nur etwa die knappe Hälfte deines Textes ;).

Auch wenn ich noch einmal eine ganze Reihe von Anmerkungen gemacht habe, so handelt es sich dieses Mal um Meckern auf deutlich höherem Niveau. Du hast vieles aus meinem letzten Kommentar ausgebessert und entsprechend fühlt sich deine Geschichte auch deutlich geschmeidiger an. Insbesondere die Formulierungen sind schärfer und ich litt beim Lesen nicht einmal an Hirnkrämpfen :lol: . Du hast an allen wichtigen Passagen gearbeitet und die "Bestimmung" der Hauptfigur kommt nun besser zur Geltung. Die Hintergrundgeschichte, welche ihn nach Corlis führt, beschreibst du jetzt in Absätzen, die sich stärker aus dem Geschehen in der Gegenwart hervorheben. Sicherlich kann man an der Geschichte noch immer pfeilen, aber ich finde es ehrlich gesagt toll, dass du dir den Aufwand gemacht hast, die Geschichte noch einmal so umfassend zu überarbeiten.

Insofern wünsche ich ersteinmal einen guten Abend und noch viel Spaß mit meiner neuen Welle an Vorschlägen.

Mit freundlichen Grüßen,

Robot Fireman

 

Hallo Robot Fireman,

du hast es wieder getan: 7 Seiten diesmal, wenn ichs in Word rüberkopiere, um es besser durchgehen zu können. Vielen, vielen Dank, ich mach mich gleich ans Werk.


Müsste es nicht heißen: "Erstere war kalt, letzterer bereits recht hart..."?
-> Ja, da hast du recht, wird beides übernommen.

Was soll das 'angeblich' hier? … wolltest du damit zum Ausdruck bringen, dass Finch gar nicht studiert, sondern seine Zeit lieber mit Reisen verbringt und somit das Geld seiner Eltern verprasst? In diesem Fall klänge der Satz zu schwammig und es geht nicht klar aus dem Satz hervor.
-> Er gibt es nur vor, also er verprasst das Geld tatsächlich. Ich mache mal draus: „erst seitdem ich vorgab, zu studieren …“


Dieser Satz macht grammatikalisch keinen Sinn. Im ersten Satzteil fehlt ein "Ich". Weiterhin ist nicht klar, woran das "und" anschließt.
Sollte das ursprünglich heißen "Einen Rhythmus erkannte ich in dem sinnlosen Wabern von gegenstandsloser Schwärze nicht, dennoch fügte ich mich ein, als würde es einen tieferen Sinn ergeben."?
-> Der Satz ist quasi nur mit dem vorherigen Satz lesbar. Eigentlich ist es eine Aufzählung: „in denen ich mit den Schatten tanzte, einen Rhythmus erkannte in dem sinnlosen Wabern von gegenstandsloser Schwärze und …“
Also: ich mach aus dem Punkt einen Komma und streich das zweite Komma. Dann müsste es Sinn machen. Außerdem „übersetze“ ich es mal in normales (richtiges) Deutsch.
Das Ergebnis: „Wahre Panik wurde mir aber bei jenen Phantastereien zuteil, in denen ich mit den Schatten tanzte, in dem sinnlosen Wabern von gegenstandsloser Schwärze einen Rhythmus erkannte und mich einfügte, als würde es einen tieferen Sinn geben.“


Vielleicht: "Die karge Gegend ließ mich an die Orte denken, zu denen mein Drang mich geführt hatte."
-> Das gefällt mir.

Obendrein: Komisch, ich meine, das Wort "seltsam" bisher noch kein einziges Mal gelesen zu haben.
-> Das war auch so exorbitant oft drin, das war unfassbar :D

Ich konnte hier nicht lange tatenlos verweilen, während die Sonne sich schwächlich ihrem Zenit entgegenschob, und so beschloss ich, mich dem Fachwerkhaus zu nähern, das ich im Dorf gesehen hatte –

1. Was mich hier wundert - und das fällt mir auch jetzt erst auf - ist das Zeitgefühl. Nach deiner Beschreibung besteht Corlis aus einer Ansammlung von Hütten. Finch hat am Morgen das Haus verlassen. Braucht er wirklich den halben Tag, um zur Kirche zu gehen und festzustellen, dass diese unverschlossen ist?
-> Und etwas zu phantasieren. Das soll quasi der Zeitkiller sein. Ich könnte daraus machen: „Ich sollte hier nicht so lange verweilen, und über mein Leben nachgrübeln.“ Das würde es deutlicher machen, aber passt (von der Formulierung sowieso) irgendwie nicht rein.
2. Die Formulierung "konnte nicht tatenlos verweilen" legt nahe, dass deine Hauptfigur unter Zeitdruck steht und dringend eine Aufgabe zu erfüllen hat. Genau genommen ist das allerdings nicht der Fall. (Es sei denn, es ist der geheimnisvolle Schatten, der ihm diese Eingebung vermittelt.)
-> Ja, das soll der Schatten sein. Dieser Sinn ergibt sich wahrscheinlich erst beim zweiten Lesen, aber ich glaube, das kann ich in Kauf nehmen.


Hm, schon komisch. Wenn ich mir deine Geschichte vor meinem geistigen Auge ausmale, dann steht das Fachwerkhaus - wie in der üblichen Version derartiger Geschichten - immer etwas abseits des Dorfes, hinter einem Hügel oder mitten im Wald. Okkulte Hexenmeister sind für gewöhnlich Einsiedler und wollen selten bei ihren Ritualen gestört werden. Es ist schon seltsam, dass sich das Haus deinen Beschreibungen zufolge mitten im Dorf befindet - oder zumindest in Sichtweite der Herberge, in welcher Finch übernachtet. Du könntest also darüber nachdenken, ob du die Geschichte dahingehend umschreibst und die Lage des Gebäudes etwas weiter vom Dorf wegverlegst. Es sei denn natürlich, es war genau deine Absicht, sie mitten ins Dorf zu verlagern.
-> Es ist komisch, es ist auch ein bisschen von Lovecraft abgeschaut. Es soll quasi „mitten im Leben“ der Corliser sein. Meine Vorstellung war etwa, dass es am Ende der Straße bzw. des Ortes ist. Also immer da, immer nah, immer bedrohend – aber wenn man nicht hinschaut, kann man es ignorieren. Vielleicht sollte ich das bei der Eingangsbeschreibung deutlich machen, in etwa: „und am Ende des Dorfes lag ein altes Fachwerkhaus.“
Und ich wollte gerade statt alt schon wieder seltsam schreiben :dozey:


"Während die anderen Häuser immer wieder Schaden genommen haben und repariert werden mussten, sah dieses Haus einfach nur alt aus, als hätte es schon immer dort gestanden."
Ich glaube, du meinst bei dieser Beschreibung, dass das Fachwerkhaus kaum Verbrauchsspuren oder Anzeichen einer Reparatur aufweist. Mit anderen Worten, es ist trotz seines Alters wirklich gut erhalten geblieben. Du drückst es lediglich etwas umständlich aus und somit hinkt der Vergleich in dem Satz.
-> Zugegebenermaßen war die Formulierung ein Einfall, den ich vorm Schlafen hatte (wie so oft) und sie gefiel mir eigentlich ganz gut. Meine Hoffnung mit dieser wirklich kruden Formulierung war es, stutzen zu lassen. Ich will ausdrücken, dass der Zustand widernatürlich wirkt ohne entsprechende Vokabeln ausdrücklich zu benutzen.


Ich will ja nicht klugscheißerisch erscheinen. Aber bildete nicht Graham das erste Lebenszeichen in Corlis? Als lockere, scherzhafte Bemerkung kann man es aber stehen lassen.
-> Ne, hast schon Recht. Die Formulierung ist wohl dem Szenenwechsel geschuldet, da Philipp Finch sich ja lange darüber gewundert hat, dass niemand da ist, weswegen es mir als Autor wieder wie das erste Lebenszeichen vorkam. Ich füge mal „von meinem verschlossenen Wirt abgesehen“ ein.


Nach unserem Hin- und her in den Kommentaren hier weiß ich, was du mit dieser Passage bezwecken willst. Sein Unterbewusstsein will ihn vor dem Haus warnen. Allerdings erscheint es mir zu plötzlich, überhastet und unvermittelt. Du könntest die Szene weiter auskosten, indem du das Fachwerkhaus in weiteren Details beschreibst und währenddessen das Gefühl von Panik in Finch langsam anschwillen lässt. Mit anderen Worten: Vermitteln, wie sich beim Anblick langsam ein ungutes Gefühl breitmacht. Idealerweise sind die Detailbeschreibungen dann auch so gestaltet, dass sie durch den Blick deiner Hauptfigur subjektiv eingefärbt sind und wir als Leser somit das Grauen nachempfinden können, dass Finch beim Anblick des Hauses packt. Gleichzeitig kannst du es als Chance verstehen, Fachwerkhäuser aus dieser Zeit noch einmal zu recherchieren (da der Begriff mit 'F' beginnt, müsste er in Lexika irgendwo in der Nähe von 'Grassoden' angesiedelt sein ) und mit deinem neu erlangten Wissen in der Geschichte kräftig angeben.
-> Das klingt mal nach einem Plan. Das Fachwerkhaus braucht mehr Substanz!

Plötzlich zögerte ich, und ich konnte mich nach diesem Moment nicht mehr erinnern warum – ich würde im Morast verloren gehen, ginge ich nicht zurück. Warum sollte man so etwas wollen? Doch nachdem ich diesen Moment einer weiteren Verwirrung überwunden hatte, kämpfte ich mir einen Weg durch schlammiges Sumpfwasser zurück nach Corlis.
1. Das dick angestrichene 'Warum' in diesem Satz macht den Eindruck, als würde es sich auf sein Zögern beziehen und nicht die Tatsache, warum er plötzlich davon gerannt ist.
-> Soll es tatsächlich auch. Er fasst ja quasi einen Moment den Gedanken, einfach weiter durchs Moor zu gehen und wenn er draufgeht. Nur weg vom Haus. Das kann er hinterher nicht „rational“ fassen.
2. Der Satz "Warum sollte man so etwas wollen?" klingt überflüssig. Der vorangehende Satz drückt dies bereits zur Genüge aus.
-> Wenn das erste „warum“ schon zur Mehrdeutigkeit neigt, dann scheint mir diese Explikation vielleicht doch notwendig …? I don’t know.
3. Die dritte angestrichene Passage verwundert mich. Die Formulierung, sich durch Sumpfwasser zu kämpfen, legt nahe, dass er eine lange Zeit durch Sumpfwasser watet. Aus dem vorangegangenen Absatz geht allerdings hervor, dass das Fachwerkhaus - und damit Corlis - ganz in der Nähe ist.
-> Kämpfen ist wirklich etwas übertrieben. Ich mach mal „suchte“ draus. Das beinhaltet noch, dass der Sumpf keine freundliche Umgebung ist, klingt aber nicht ganz so krass nach einer stundenlangen Arbeit.

Ich würde dir hier zu einer von zwei Möglichkeiten raten:
1. Du lässt Finch die Erkenntnis, sich nicht im Moor verlaufen zu wollen, früher haben, d.h. bevor er beschließt, umzukehren, und im Nebel das Fachwerkhaus wiedererkennt.
-> Ich wüsste jetzt nicht wann. Ich habe die Beschreibung, dann die Rückbesinnung, dann das Zögern und dann den Aufbruch. Wenn ich es mal so aufschreibe, kommt mir der Gedanke, dass ich hier mit „einer“ Szene zu viel will.

2. Du gehst auf meinen Vorschlag ein, die Lage des Fachwerkhauses weiter abseits des Dorfes zu verlegen und lässt Finch das Gebäude auf jeden Fall meiden. Lieber watet er noch eine Stunde durch den Schlamm, als dass er diesem Haus noch einmal zu nahe kommt.
-> Da wird’s echt schwierig, weil gänzlich meiden soll er es ja nicht. Er soll immer wieder angezogen und weggestoßen werden.


Hehe. Ich hoffe, ich kann dir das anvertrauen. Hin und wieder lese ich hier im Forum Stellen, über die ich herzhaft lachen muss. Dieser Satz ist einer davon. Anstatt bedrohlich zu klingen, sprengt er regelrecht die Knuffigkeitsskala. Ich würde den Satz einfach herausstreichen. Seine Angst gilt sowieso weniger dem Moor als dem Fachwerkhaus. Außerdem hat er das neblige Moor noch einige Passagen zuvor als Willkommensgruß wahrgenommen.
-> Ehrlichkeit erfreut mich und das Schmunzeln kann ich nachvollziehen. Tatsächlich war es sogar etwas beabsichtigt, weil er seine kurze Angst vor einer Rückkehr nach Corlis als kindisch abtun will. Und Kinder sind dann auch „geängstigt“ (knuffig trifft’s).
Ich merke hier echt, dass ich mich mit meiner Idee des Charakters etwas übernommen habe, da er ja nahezu schizophren sein soll. Long story short: er hat jetzt keine Lust mehr aufs Moor, weil er da merkwürdige Gedankengänge hatte.
Was würdest du von dieser Variante halten:
„Das Moor würde ich fortan meiden, das galt mir als sicher. Ich hatte mich dort … geängstigt, nach Corlis zurückzukehren. Nebel und Modergeruch mussten einen unguten Einfluss auf meinen Geist gehabt haben, dass ich kaum mehr klar denken konnte. Bevor ich länger darüber nachdachte, kehrte ich in meine Pension zurück.“
-> Damit würde ich auch deinen Streichvorschlag („Doch was sollte mir in Corlis gefährlich werden?“) miteinbeziehen, der erschien mir nämlich sehr schlüssig.


Du könntest hier noch ein paar Beschreibungen hinzufügen, wie Graham und der alte Mann auf sein Erscheinungsbild reagieren. Er ist schließlich den halben Tag durch Schlamm und Wasser gewatet und müsste von oben bis unten dreckig sein.
-> Es sollte eigentlich schon eine Reaktion auf die Erscheinung geben, allerdings habe ich – bemüht, primär zu streichen und nicht zu ergänzen – bewusst darauf verzichtet. Um die fehlende Reaktion zu erklären, könnte ich mich noch darin retten, dass die Auseinandersetzung mit Philipp ohnehin nur auf dem Mindestmaß basiert, sodass ihn deswegen keiner anspricht. Ist jetzt ein recht dürftiger Rettungsring, zugegeben.


Aha, durch den Anfang wissen wir nun über die Gerüchte Bescheid, welche um das Dorf Corlis kursieren. Daher macht diese Gesprächszeile nun deutlich mehr Sinn.
Ich muss sagen auch der Rest des Gesprächs verläuft deutlich nachvollziehbarer. Man bekommt als Leser nun ein klareres Bild von der Interaktionen zwischen Gideon und den Bewohnern von Corlis, als auch von den Ereignissen, die sich zugetragen haben.
-> Freut mich, dass die Veränderungen dahingehend funktionieren.


1. Schnell entwickelt sich dein Dialog zu einer ausschließlichen Abfolge von direkter Rede zwischen Finch und Aidan. Mit anderen Worten, es fehlen sämtliche Gesten, welche den Dialog begleiten. Aidan könnte beispielsweise eine Redepause machen, aus seinem Krug trinken und sich den Schaum mit dem Ärmel aus dem Gesicht wischen oder so. Finch könnte bestätigend nicken etc. Mit anderen Worten: Körpersprache und Bewegungen beschreiben, welche das Gespräch zusätzlich betonen.
-> Das ist ein guter Tipp. Ich bin stumpf nicht drauf gekommen, warum mir der Dialog irgendwie „leer“ vorkam. Dabei ist das ja ein zentraler Bestandteil einer solchen Situation.

2. Der Dialog ist nahezu ausschließlich informativ und dreht sich um die Ereignisse, welche sich vor 30 Jahren in Corlis zugetragen haben. Du könntest ihn lebendiger gestalten, indem du Zeilen miteinbindest, welche zeigen, wie Aidan und Finch einen Draht zueinander entwickeln. Aidan könnte zum Beispiel anbieten, mit ihm Pfeife zu rauchen oder Finch könnte eine Runde Bier auf seine Kosten ausgeben. Das zeigt nicht nur, dass sie sich über die Vergangenheit unterhalten, sondern dass sie sich auch als Menschen gut verstehen. Dadurch würde der Dialog lebendiger herüberkommen. Es sei denn, ich lese das gerade verkehrt und Aidan ist gar nicht so freundlich auf Finch zu sprechen.
-> Ich glaube, die Passage, dass sich Finch wundert, dass Aidan so direkt zu ihm ist, hatte ich gestrichen. Der Alte will ihm schon helfen, weil er das Damoklesschwert über ihm sieht, und deswegen gibt er ihm die Informationen. Es ist weniger, weil sie einen guten Draht entwickeln oder weil Finch so gut darin wäre, einen Kontakt aufzubauen. Das wirkt seltsam, soll aber den Eindruck verstärken, dass Aidan irgendetwas über ihn weiß, dass ihn zu seinen Aussagen treibt, er es aber nicht direkt sagen will. Ob das jetzt funktioniert … scheint schwierig.


Über diese Stelle haben wir ja geredet. Ich finde die Überarbeitung schön und gelungen.
-> Freut mich sehr! :)


Ach, vorhin habe ich ja bekrittelt, dass seine plötzliche Flucht vor dem Haus sehr unvermittelt wirkt, und vorgeschlagen, dass du ein paar Beschreibungen machst, welche die Angst in ihm langsam anschwillen lassen. Wie es aussieht, hast du dir diesen Moment bis hierhin aufgespart. Hm, okay. In bezug auf die vorangehende Passage würde ich mir an deiner Stelle dennoch etwas ausdenken, wie du etwas langsamer auf den plötzlichen Panikanfall hinschreibst, der ihn dazu treibt, die Flucht zu ergreifen. Dann könntest du die Stelle hier ersteinmal so lassen.
-> Über die Stellen direkt am Fachwerkhaus werde ich auf jeden Fall nochmal drüber gehen, damit es dann insgesamt eine stetige Steigerung bei jeder „Auseinandersetzung“ mit dem Gebäude gibt. Mit immer neuen Infos, immer neuem „Schrecken“.


Ich weiß, ich habe schon mal darauf hingewiesen. Aber... mir gefällt die Formulierung des tatenlos dastehenden Hauses noch immer nicht.
-> Und so wird diese Formulierung als Fels in der Brandung deines grandiosen Kommentars beharren, als Zeichen der (vielleicht etwas starrsinnigen) Standhaftigkeit des Autors. ;)


Den zweiten Satz könntest du streichen. Aus dem Ersten geht hervor, wie unkontrolliert Finch gerade reagiert. Wenigstens aber das 'ängstlicher' würde ich herausnehmen.
-> Ich habe die Passage mal laut gelesen und den Satz ausgelassen. Funktioniert und deshalb wird: gestrichen.


Die Formulierung "in seiner Präsenz nicht wirklich" erscheint mir hochgradig merkwürdig. Ich glaube du meinst einen Satz wie "der mir nicht wirklich erschien" oder "der meinen Sinnen einen Streich spielte".
-> Ich glaube, ich mache draus: „der da war und dem doch etwas fehlte, der Dinge verbarg, die nicht gesehen werden sollten.“


Ich bin nicht sicher, ob selbst Finch, in seiner Lage, diese Angst als lächerlich bezeichnen würde. Vielleicht versucht er, sich Mut anzureden, aber es hat sich ja gerade, vor ein paar Minuten, herausgestellt, dass seine Angst wohlbegründet ist.
-> Oh ja. Lächerlich ist sie nach dem Tod von Aidan wirklich nicht mehr.


Die Wiederholung des Wortes 'ungut' sticht hier störend heraus. Du könntest das umgehen, wenn du ersteren Satz umschreibst:
"Mein Blick fiel auf den kupfernen Knauf der Tür, der trotz der feuchten Luft keine Spuren von Rost (bzw. eines Verfalls) aufwies."
-> Ich mache hier folgendes draus:
„Mein Blick fiel auf den kupfernen Kauf der Tür, der trotz der feuchten Luft vom Moor her keine Spuren des Verfalls zeigte und somit sämtlicher Logik spottete.“
Aus zwei Gründen: mein Lieblingsmoor wollte ich nochmal erwähnen und den Widerspruch zur Wirklichkeit (mit dem „der Logik spotten“), der die Quintessenz des Hauses ist. Vielleicht denkt sich der Leser jetzt aber auch: hey, du, ich hab schon verstanden, dass das Haus nicht ganz normal ist. Was sagst du?


Habe ich diesen Vorschlag nicht schon einmal gemacht? Ich bin nicht sicher.
-> Ich bin mir auch bei einigen Sachen echt nicht mehr sicher. Und das meine ich global auf den gesamten Bearbeitungsprozess bezogen ;)


Das doppelte "Schädel" stört hier. Vielleicht das erste 'Schädel' durch 'Kopf' ersetzen?
-> Du hast recht, aber der Kopf kommt auch zwei Sätze vorher zum Einsatz. Ich würde jetzt mal stattdessen schreiben: „Blasse Haut straffe sich über seinen Schädel, der wenig lebendiger erschien, als der eines Toten.“


Äh, gute Frage. Warum wollte der Schatten, dass er all diese schrecklich bedeutungslosen Orte aufsucht. Welch einen Zweck hat er damit verbunden? Hat er etwas gesucht? Bisher scheint es einfach so, als hätte es ihm Spaß gemacht.
-> „Weil ich wollte, dass du schließlich hierherfindest!“
Das war gemeint und jetzt steht’s auch so da. Er konnte quasi nicht direkt „Corlis“ im Navi eingeben, deswegen musste der Drang zum „Seltsamen“ (yes!) als Karotte an der Leine reichen. Sorry für den Vergleich, aber ich glaube, er macht am deutlichsten, was ich meine … ;)


Das dick Angestrichene kannst du streichen. Das Finch gerade unangenehme Offenbarungen erlebt, liegt auf der Hand.
-> Jop.


Heißt es nicht: "Ein letzter Schrei entschwand meiner Kehle"?
-> Puhh, gute Frage. Ich kenne die Formulierung mit dem entwand aus jetzt spontan nicht benennbaren Büchern. Mein Anwalt Google findet zumindest Beispiele dafür :D


So. Hat nun doch wieder etwas länger gedauert, als ich dachte. Hälfte der Zeit meines letzten Kommentars und dieses Mal glücklicherweise vom Umfang nur etwa die knappe Hälfte deines Textes.
-> zum Antworten brauchte ich auch diesmal nur knapp zwei Stunden!


Insbesondere die Formulierungen sind schärfer und ich litt beim Lesen nicht einmal an Hirnkrämpfen .
-> Das nehme ich mal als … Lob? ;)


Insofern wünsche ich ersteinmal einen guten Abend und noch viel Spaß mit meiner neuen Welle an Vorschlägen.
-> Und ich danke dir noch einmal vielmals und auf Knien für diese Welle!
Ich werde mich jetzt auf jeden Fall noch einmal einer weiteren Offensive widmen und damit den
- Szenen am Fachwerkhaus mehr Substanz und „Entwicklungskurve“ verleihen (hoffentlich)
- Gesprächen eine körpersprachliche Untermalung bieten
Insbesondere bei Letzterem fehlt mir noch die Übung, Dialoge sind noch nicht so meine Stärke. Also werde ich wahrscheinlich nochmal auf Knien anrutschen und dich (dann aber gezielt zu den Szenen) nochmal um Rat fragen. Falls du dann noch willst und mittlerweile könnte ich echt verstehen, wenn du den Text nicht mehr sehen kannst.

Also: vielen, vielen Dank für deine ganzen Kommentare und Hinweise, die du mir bereits geschenkt hast, und dir auch einen schönen guten Abend ... bzw. eine schöne, gute Nacht, wenn ich mal auf die Uhr schaue.


Vulkangestein

 

Gude kayoschi,

Danke für deinen Kommentar! Du bist ja schon richtig fleißig gewesen in den zwei Tagen, da freut es mich, dass auch meine Geschichte von der Euphorie erwischt wurde!

Eieiei, ich bin jetzt zwei Tage in diesem Forum unterwegs und wundere mich wiederholt, wie dermaßen umfangreich und präzise die Kommentare sind und wieviel Mühe sich die Leute hier geben! Wahnsinn *Kopfschüttel*
-> Ich bin auch ganz schön überwältigt. Macht Spaß hier :)

Was mir negativ aufgefallen ist: Im Text hast du das Wort "wöllte" eingebaut. Für meinen Geschmack geht das gar nicht klar. Ebenso fehlen wiederholt Kommata. Mehrmals!
-> Ach verdammt, ich dachte die "wölltes" hätte ich schon alle erwischt. Jetzt sind sie aber wirklich alle draußen, danke für den Hinweis.
Die Komma-Fehler nehme ich dann in Angriff, sobald ich mit dem Inhalt zufrieden bin (der lenkt mich bisher beim Korrekturlesen noch ständig ab) - da stelle ich die mal dreist hintenan ;) Aber keine Sorge, ich schätze sie nicht irgendwie als unwichtig ein, sondern habe nur schlicht den Kopf nicht so frei dafür.

Dann gibt es eine Stelle, an der du eine "alte Frau" am Fenster eingebaut hast. Da hab ich mich gefragt, was das soll, denn danach kommt sie ja nicht mehr vor.
-> Die sollte nur als Beispiel dienen, dass die Corliser sich von Finch zurückhalten. Daher passt es dann auch, dass er sie kein zweites Mal sieht - zumindest so meine Logik.

Vielleicht noch zu den erzeugten Bildern: Am Anfang wusste ich überhaupt nicht, was ich jetzt von Corlis halten sollte. War das Dorf jetzt komplett verlassen? Oder noch bewohnt? Wieviele Leute wohnen da jetzt? Für mich wurde das nicht klar genug herausgestellt, hat sich dann erst nach und nach ergeben. Das empfand ich als nicht optimal.
-> Ja, das "Problem" an der Geschichte ist durchaus, dass ich wenig eindeutig und direkt erkläre und so auch das Leben von und in Corlis. Dass das Dorf verlassen sein könnte, ist eine naheliegende Assoziation, aber bereits das Aufeinandertreffen mit Graham schafft da eigentlich Abhilfe. Und hinsichtlich der Größe bleibt das ganze recht vage im Raum von "klein", "Ansammlung von Hütten" etc. das stimmt.

Also Fazit: Geile Geschichte. Hat Spaß gemacht.
-> Freut mich!


Liebe Grüße,
Vulkangestein

 

Gude Bas,

vielen, vielen Dank für deinen Kommentar!

Um ehrlich zu sein habe ich nicht damit gerechnet, so einen Riesenhaufen im Gepäck zu haben, immerhin war @Robot Fireman ja schon vor Ort.
-> Ich hatte eigentlich auch gehofft, dass das meiste schon erledigt ist. Aber bei der Menge an (diesmal vor allem Komma-) Fehlern braucht es wohl selbst für die Korrektur-Maschine Robot Fireman Unterstützung.

Schauen wir mal … Und auch hier wieder eine Warnung: Ich hab 'ne ganze Menge Kleinscheiß im Gepäck.
-> Vielen Dank dafür. Das ist schon wichtig, auch wenn ich allmählich glaube, dass dieser Text niemals „fertig“ wird, was die Fehlermenge angeht.


Nachdem ich vor ein paar Jahren die erste Lovecraft-Geschichte gelesen habe, nahm ich recht schnell gewisse Züge vom alten Hexenmeister Joseph Curwen an, der dir eventuell ein Begriff ist, allerdings schlug ich mir die Nächte nicht mit Alchemie um die Ohren, sondern mit Lovecrafts Geschichten.
-> Der Fall des Charles Dexter Ward ist tatsächlich das, was ich als meine Lieblingsgeschichte von H. P. Lovecraft bezeichnen würde.


Vielleicht kannst du diese Leere mit der Geschichte über deinen Hexenmeister ein bisschen füllen.
-> Oha, das wird wohl nicht klappen. Mal gespannt, ob mein Text das überlebt.


Also Bas, noch einmal: vielen, vielen Dank für deine ganzen präzisen Kommentare. Das Meiste habe ich unkommentiert übernehmen können. Ein paar Sachen „musste“ ich aber kommentieren, die folgen hier:

Ich tat wir mir geheißen
-> Ich hab’s grad ernsthaft dreimal gelesen, bis ich es endlich gelesen habe.


»etwas, dass ...«
->Wenn der vollständige Satz wäre: „etwas, das mich verfolgte“ aber ohne zwei s, oder? Komma wird auf jeden Fall ergänzt.


Bei solchen Dingern kommt es meistens besser, wenn man den »Gegenstand« nicht genauer zuordnet, also in diesem Falle »griff mir den Mantel«
-> Da bin ich neugierig: warum ist es besser, wenn man es nicht zuordnet? Er sitzt ja gerade im Gastraum, da klingt der Griff nach einem unbestimmten Mantel für mich persönlich danach, dass der ihm aus dem Off zugeworfen wird.


»hinweg« würde ich eher nutzen, wenn er die Häuser »über« die nebligen Schwaden »hinweg« erblicken würde … So vielleicht eher »durch die nebligen Schwaden hindurch«
-> Wenn ich’s mir recht überlege, kann man es ja auch gänzlich streichen.


Vor dem Ende des Bewohners? Wahrscheinlich meinst du »das Ende« des Hauses, also vielleicht eher »Vor Beendigung der Bauarbeiten«, »vor der Fertigstellung« oder ähnlich
-> Vor Ende des Jahrhunderts!


gnädiger Weise
»gnädigerweise«
-> Word meint lustigerweise „gnädigerweise“ wäre falsch. Aber ich merke gerade, dass das einer der vielen Fälle ist, wo das Programm etwas hinkt.


Keine Ahnung, aber heißt es nicht »inmitten des okkulten Wahnsinns«?
-> Geht beides, okkultistisch ist wahrscheinlich etwas übersteigert. Außerdem ist die „Häufigkeit“ geringer, so der Duden. Wenn das mal kein Grund ist, ein Wort zu benutzen … (im Text steht jetzt Okkult ;) )

Das »aber« ist überflüssig und es müsste »schienen« heißen – wobei sich mir der Sinn da nicht ganz erschließt … »ihrem eigentlichen Sinn zuweilen entgegengesetzt … Wat
-> Was eigentlich gemeint ist: Es sind keine „Rechteck“-Regale, sie haben zuweilen kreisförmige Ausbuchtungen etc., was dem „Sinn entgegengesetzt ist“, Bücher zu beherbergen.


Hier gibt es wieder einige »zunächsts«, wie überhaupt in der ganzen Geschichte … Vielleicht kannst du ein paar austauschen
-> Zunächst finde ich nur dreimal in der Geschichte. :P
Ich habe es aber da gestrichen, wo ein simples zuerst auch seinen Dienst tut.


Aber du bist ja auch nicht Lovecraft, sondern Manuel Neuer
-> Ich musste dezent lachen, als ich das las, habe den Witz längere Zeit nicht gehört.

Auch so hat es mir großen Spaß gemacht, deine toll durchdachte, atmosphärische Geschichte zu lesen.
-> Fällt mir bei der Menge an Kommentaren etwas schwer, zu glauben. Aber umso mehr freue ich mich, dass dir das Lesen eine Freude bereiten konnte. Und vielen Dank noch einmal, dass du mir so zahlreiche Infos da gelassen hast. Insbesondere hast du ein paar Dinge entdeckt, die ich "verschlimmbessert" hatte, z.B. einige Wortwiederholungen, die durch Streichungen entstanden sind.


Und es ist keine Lovecraftstory, den Wunsch konntest du mir nicht erfüllen. Dafür fehlte mir das wirkliche Grauen, das Unerklärbare, das mich packte und zittern ließ – Elemente davon hast du hier sicher auch, aber nicht in dem Ausmaß, dass es mir die Sprache verschlägt.
-> Gegen das Grauen kosmischen Ausmaßes kommt mein verschrobener Hexenmeister wirklich nicht an. Anleihen konnte ich aufnehmen, aber zu mehr reicht es nicht. Aber von einem Fan zum anderen:
„Es ist nicht tot, was ewig liegt,
Und in fremder Zeit wird selbst der Tod besiegt.“
Vielleicht finden wir irgendwann einen würdigen Nachfolger ;)

Liebe Grüße,
Vulkangestein

 

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