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Gespräche im Pflegeheim

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03.07.2004
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Gespräche im Pflegeheim

Die Mahlzeiten im Pflegeheim sind sehr ruhig. Es werden wohl kurze Sätze zwischen den Schwestern und den Bewohnern beim Austeilen der Mahlzeiten gewechselt. Aber Tischgespräche gibt es kaum und die sind dann auch sehr knapp:

"Herr Wolter kleckert schon wieder", monierte Frau Leisenstein, während sich Frau Richard Herrn Wolter zuneigte und die verirrten Spaghetti von seinem Kleiderschutz entfernte. Schwester Christiane schwieg. Früher hatte sie solche Bemerkungen für einen kleinen Hinweis genutzt: "Alle Bewohner hier haben eine Behinderung. Sie sollten also die Schwächen anderer genauso annehmen, wie die anderen Ihre Behinderung akzeptieren." Da ihre kleine Rede nichts bewirkte, sah sie inzwischen dieses Meckern über andere als ebenso eine Behinderung an, wie die anderen Beeinträchtigungen der Bewohner. Die körperlichen Behinderungen liefen bei vielen mit geistigen Einschränkungen zusammen. Ein wichtiges Angebot waren deshalb die wöchentlichen Gesprächskreise. Hier erzählten sich die Bewohner von ihren vergangenen Leben. Ein Anliegen dieser Runden ist es, Erinnerungen zu benennen und so zu bewahren.

"Sie kommen doch auch aus Dreihöfen", wandte sich Herr Lubert an Frau Maier.

"Wie bitte?"

Herr Lubert wiederholte lauter seine Frage.

"Komme ich aus Dreihöfen?" Frau Maier wirkte verwirrt.

"Ja, Sie kommt vom Maierhof in Dreihöfen", warf Schwester Christiane ein und sagte dann zu Herrn Lubert: "Frau Maier ist dreiundneunzig Jahre alt und erinnert sich an vieles nicht mehr."

Herr Lubert wandte sich wieder an Frau Maier: "Ich war gerade in die Schule gekommen, als Sie von der Hauswirtschaftsschule nach Dreihöfen gekommen sind und einen Ehemann gleich mitgebracht haben."

"Mein Mann ist tot", entgegnete Frau Maier und überlegte, "aber wann ist er gestorben?"

"Vor fünfzig Jahren und ihr Sohn war gerade mit der Fachschule fertig und hat auf dem Hof mitgearbeitet", erwiderte Herr Lubert.

"Mein Sohn ist auch gestorben. Jetzt ist mein Enkel auf dem Hof und hat keine Zeit, mich mal zu besuchen." Nach einiger Zeit fügte Frau Maier hinzu: "Ich glaube, er hat keine Lust auf die alte Oma. Alle Männer sind tot und ich bin immer noch da."

Am Nachmittag wandte sich Herr Wolter an Herrn Lubert: "Ich habe auch lange in Dreihöfen gewohnt. Mein Vater war auf dem Maierhof tätig, aber ich habe in der Stadt gearbeitet und bin dann auch vor vierzig Jahren in die Stadt gezogen. Wahrscheinlich erinnern Sie sich gar nicht mehr an mich."

"In der Schule waren Sie zwei Klassen unter mir und dann haben Sie in der Fabrik gearbeitet und ich habe Sie nur gesehen, wenn es ein Dorffest gab."

"Ja, ich wollte schnell Geld verdienen und habe jede Überstunde genutzt, die angeboten wurde. Ich habe angefangen, mir ein Haus am Stadtrand zu bauen und dann habe ich mich auf einem Dorffest in Klara verliebt. Als unser erstes Kind unterwegs war, haben wir geheiratet und sind in die Stadt gezogen."

"In ihr eigenes Haus?"

"Nein, daraus ist nichts geworden. Der Bauunternehmer ist pleite gegangen und ich habe die Bauruine dann an eine Hausbau-Gesellschaft verkauft. Unsere drei Kinder sind flügge geworden und schon vor Jahren ausgezogen. Vor fünf Jahren ist ein LKW in unser Auto gefahren. Meine Frau war sofort tot und ich kann mich nicht mehr alleine versorgen. So ist dann das Leben."

"Ja, so ist das Leben. Ich heiße Walter. Wir können uns gerne duzen."

"Ich danke Dir und ich heiße Harald - wie mein Vater."

"Ich erinnere mich, das gab es mal große Aufregung, weil ihr verwechselt wurdet."

"Als ich fünfzehn Jahre alt war, fuhr mein Vater wie üblich ohne Rücksicht auf andere mit seinem Mercedes über unsere Felder und einige Anwohner alarmierten die Polizei, die dann erst mal mich belangte wegen Fahrens ohne Führerschein und Straßenverkehrsgefährdung."

"Aber da gab es doch auch mal Aufregung wegen der Hochzeit."

"Ja, die Hochzeitsanzeige stand in der Regionalzeitung. Und manche dachten, der Harald Wolter sei mein Vater und heirate eine zweite Frau. Es gab sogar Menschen aus der Stadt, die bei meinem Vater anriefen und wissen wollten, wie er das geschafft habe, zwei Frauen zu heiraten."

"Und jetzt sind wir die übrig gebliebenen und verbringen unseren Lebensabend im Pflegeheim."

"Auch dieses Leben kann fröhlich sein. Also hoch die Tassen, solange wir noch die Kraft haben."

 

Der Titel hält, was er verspricht. Ich finde den Abschluss des Gesprächs eigentlich ziemlich nett. Es passiert nicht viel im Pflegeheim. Ich weiß aber nicht, ob ich einen längeren Text durchgehalten hätte. Der Vorteil war, dass ich die anderen Geschichten kannte und mich ein wenig auf die Marotten der Figuren gefreut habe.

Aber Tischgespräche gibt es kaum und die sind dann auch sehr knapp: "Herr Wolter kleckert schon wieder", monierte Frau Leisenstein, während sich Frau Richard Herrn Wolter zuneigte und die verirrten Spaghetti von seinem Kleiderschutz entfernte. Schwester Christiane schwieg.
Leider sind hier wieder nur Namen zu lesen und ab und zu ein paar Marotten in Verbindung mit einzelnen Figuren. Das ist wie bei den anderen Geschichten. Ich weiß eigentlich nichts weiter zu ihnen. Du könntest aus Schwester Christiane eine Schwester Heidrun machen und ich würde den Unterschied nicht mitbekommen. Wenn ich mehr zu Christiane wüsste, dann unmöglich!

Was mir fehlt, ist eine Vorstellung, mit wem ich es zu tun habe. Bisher sind es nur Statisten oder Namenslisten. Außerdem wäre bei einem Gespräch trotzdem irgendwas spannend, was eine Person emotional werden lässt. Sei es ein Streit oder eine beklemmende Erkenntnis.

 

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