Geschwisterliebe
Geschwisterliebe
Mit einem stürmischen Klingeln wurde ich gewaltsam aus meinem wohlverdientem Schlaf gerissen. Verschlafen versuchte ich die Zahlen auf meinem Wecker zu entziffern. Es war bereits 9 Uhr morgens. Ich zog mir ein altes T-Shirt über und lief zur Tür. Meine herzallerliebste Schwester schneite mit einem hysterischem Gemecker über mein zurfloddertes Aussehen herein. Aufgeregt erzählte sie mir von ihrem neuem Lover. Dabei sah ich vor lauter Marcs und Christians sowieso nicht mehr durch. „Diesmal ist es ganz was anderes“ teilte sie mir mit glänzenden Augen mit. „Er ist unglaublich lieb und sooo geheimnisvoll“ Ich verdrehte genervt die Augen.
Dann dachte ich an den Krautsalat, den ich heute noch für den Familienabend machen musste.
Trish riss mich gewaltsam aus meinen Gedanken über die passende Soße.
„Hörst du mir überhaupt zu???,
also kannengelernt habe ich ihn...“
Ich verdrehte noch ein letztes mal genervt die Augen, was mir natürlich wieder ein Kommentar von Trish einbrachte. (Kind, roll doch nicht so mit den Augen, dass sieh ja entsetzlich aus) und hielt es dann doch für das beste Trish zuzuhören und wenigstens so zu tun, als würde es mich interessieren. Der Vormittag verlief äußerst langweilig.
Kaum war sie aus der Wohnung machte ich mir einen Kaffee und setzte mich an meinen Schreibtisch. Ich hatte erst vor kurzem eine neue Leidenschaft von mir entdeckt: das Chatten. Kaum hatte ich das Internet betreten dröhnte mir meine beste Freundin „SIE HABEN POST“ ins Ohr. Ach was war sie doch nett! Egal wann ich kam, war ich willkommen, sie betreute meinen Briefkasten und wenn ich ging schrie sie mir noch enthusiastisch: „Bis bald!“ hinterher. Sonst wahr sie still. Kein Gezeter und Gemecker! Wie gesagt: diese körperlose Stimme war meine allerbeste Freundin!
Einige Momente später befand ich mich auch schon im Chat. Unter dem Namen mrs Einstein war ich hier schon ziemlich bekannt. Plötzlich blinkte mein Bildschirm mit einer Nachricht von Black dead auf.
„Hier ist der Tod. Nur ich kann über Leben und Sterben entscheiden.
Damit tat ich ihn eindeutig als Spinner ab und widmete mich wichtigeren Dingen. Doch Black dead lies nicht locker:
„ Der Tod taucht morgen 14.00Uhr auf der Salzbrücke auf. Die Frau die es treffen wird ist nicht so abweisend sein wie du.“ Ich schaltete den PC aus und zog mich an.
Am Abend dann, brachte meine herzallerliebste Schwester ihren neuen Lover mit zum Familienabend. In einem Punkt hatte sie wirklich Recht behalten. DER war wirklich anders. Ich glaube nicht, dass er den ganze Abend mehr als 3 ganze Sätze sagte. Er hielt sich die ganze Zeit dezent im Hintergrund. Währenddessen begnügte sich Trish damit sämtliche Episoden ihrer neuen Beziehung aufzutischen. Dabei strahlte sie ihren Sascha verliebt an. Und der lächelte dann immer milde zurück. Was für ein Paar!
Als Trish sich endlich dem Essen zuwendete und somit auch nicht mehr weiterreden konnte, hatten wir das Gefühl, Saschas gesamte Lebensgeschichte zu kennen.
Nach dem Essen verabschiedeten sich die beiden Turteltauben und meine Mutter konnte sich vor Begeisterung über diesen höflichen und zurückhaltenden jungen Mann gar nicht halten. Ich fand Sascha einfach nur langweilig, aber das behielt ich lieber für mich. Bernd, mein Bruder hingegen freute sich für Trish und überlegte schon die Farbe des Flyer für die Hochzeit.
Mein jott nee, war meine Familie durchgeknallt!
Am nächsten Morgen war ich ziemlich fertig. Der Abend gestern zog sich mal wieder in die Länge und mir brummte der Kopf vom Rotwein. Ich tigerte zur Kaffeemaschine und goss mir ein paar Minuten später das duftende Gebräu in meine Tasse. Dann holte ich mir die Zeitung aus dem Briefkasten um es mir mit Kaffe und den Neuigkeiten des Tages gemütlich zu machen. Doch als ich die Schlagzeile las, prustete ich den Kaffe gleich wieder aus. „Tote Frau auf der Salzbrücke“ stand da in großen Buchstaben. Ich sprang auf. War das möglich?
Konnte dieser durchgeknallte Typ im Chat tatsächlich etwas mit diesem Tod auf der Salzbrücke etwas zu tun haben? Ich schlug die angegebene Seite auf und las:
Gestern wurde eine tote Verkäuferin auf der Salzbrücke am Kuhdamm gefunden. Die genaueren Umstände und ob es Mord war, wurden noch nicht herausgefunden. Die Kriminalpolizei ermittelt derzeit. Jegliche Hinweise bitte zur Polizeidienststelle am Kuhdamm.
War so ein anonymes Gespräch im Internet ein Hinweis?
Da kam mir eine Idee: Vielleicht hatte ich Glück und der Kerl war online. Immerhin war es gestern etwa um die selbe zeit, als ich ihn kenngelernt hatte. Mit zitternden Händen loggte ich mich an. Und Tatsache: kurz darauf sprach mich der Tod, wie er sich selbst nannte noch mal an: „selbst im Regen kann der Tod erscheinen, hübsche grüne Augen übrigens!“
Verdammt, ich war dem Kerl ganz eindeutig schon mal begegnet. Aber wann und wo?. Ich hatte plötzlich Angst. Was wollte ich hier eigentlich? Ich quatschte hier vielleicht mit einem Mörder über das Wetter. Der Regen trommelte wirklich gegen meine Fenster.
Das gab mir einen Anhaltspunkt: wenn es beim großem Unbekannten auch regnete, wahr er gerade wahrscheinlich gar nicht so weit entfernt.
Verzweifelt suchte ich nach weiteren Fragen, die mehr über ihn verraten könnten, damit ich herausbekam ob ich ihn wirklich kannte. Da kam mir eine Idee: es war zwar gefährlich und vielleicht auch etwas übergeschnappt aber es war furchtbar aufregend: warum sollte ich mich nicht mal selbst mit meinem Chatmörder treffen?
Nur so, ganz ungezwungen und mit einem hinter-dem-Baum-verstecktem Bernd. Dann würde ich wissen, wer es ist, die Polizei rufen und hätte dieses Problem gelöst. Und ganz nebenbei wäre mal wieder ein bisschen Spannung in meinem Leben. Ich verabredete mich mit meinem Bekannten-unbekannten für den nächsten Tag. Dann rief ich Bernd an und erklärte ihm das ganze Unterfangen. Er hielt mich zwar für total durchgeknallt, aber er sagte zu.
Aufgeregt, wie ein Teenager beim ersten Date stand ich in der Kälte und wartete. Wir hatten uns im Cafe Rosenheim verabredet. Bernd saß mit einer Zeitung und Sonnenbrille am Nebentisch. Ein waschechter Spion halt. Nervös fummelte ich an der Speisekarte herum. So sehr ich mich auch umguckte konnte ich niemand Bekanntes entdecken. Unauffällig schlich ich zu Bernd und tat so, als würde ich ihn nur nach den Uhrzeit fragen. „ Mensch Darling, bist du sicher, dass du das hier durchziehen willst?“ fragte er zweifelnd.
Ich nicke. Dann sah ich diesen komischen neuen Freund von Trish um die Ecke biegen. „Verdammt, was macht der denn hier?“ murmelte ich halblaut.
Sascha kam zum Cafe geschlendert. Er guckte sich um, als suche er jemanden. Dann entdeckte er mich und kam zu mir herüber. „einen schönen guten Tag auch, die Dame, wir sind dann wohl verabredet?“ „Sascha“ stammelte ich, einerseits weil ich ihn am allerwenigsten hier erwartet habe und andererseits weil ich ihn noch nie so viele Wörter auf einmal sagen gehört habe.
Er ließ sich neben mich und Bernd auf den Stuhl fallen. Er erkante aber meinen Bruder anscheinend nicht und begrüßte ihn nur mit einem angedeuteten Nicken.
Ich überlegte mir, die Umschweife zu lassen und fragte geradeheraus: „Warum hast du die Frau auf der Salzbrücke ermordet?“
„Sie hat genervt, genauso wie Trish!“
Das verschlug mir nun endgültig die Sprache. Der Kerl war doch irre, total krank!
Bernds Blick sagte mir, dass er so ähnlich denken musste.
„Ich treffe mich heute um 6 noch mit Trish, wer weiß, ob du sie noch mal wiedersiehst.“ Er grinste hämisch. Ich sprang auf. „Warum erzählen sie mir das alles?
„Ich liebe halt das Riskante, das Spiel mit dem Feuer und ich verabscheue Menschen wie Trish oder mein erstes Opfer.“ Er grinste wieder. Bernd starrte abwechselnd mich und dann ihn an. Das ganze hier war so unglaublich! Wir hatten die Pflicht, ihn der Polizei auszuliefern! Ich guckte auf meine Armbanduhr. Es war halb 6. Gerade als hätte Sascha sich im gleichem Moment an sein Date mit Trish erinnert, sprang er auf und verließ uns umgehend. Wir starrten ihm verblüfft nach. Was für ein seltsamer Mann!
Zu Hause angekommen, griff ich zum Telephon.
Es war dreiviertel 6.
„Trish?“
„Ja?, was ist los?“
„Also, ich muss dir was dringendes über Sascha sagen“
„Ach jaaa mein Sascha-spätzchen, ist er nicht ein lieber Kerl? Ich bin gleich mit ihm verabredet. Soll ich dann gleich danach zu dir kommen und dir alles über den Abend erzählen?
Verschwörerisch sahen Bernd und ich uns an.
„Ähhm, nein danke, Trish das holen wir später nach! Viel Spaß heute mit ihm, er hat eine Überraschung für dich“
Dann legte ich auf um mir nicht ihre dummen Rätzeleien anzuhören.
Ich sah auf die Uhr. In etwa 3 Stunden hatte ich für immer meine Ruhe vor ihr. In 4 stunden würde ich den lieben Herrn Mörder der Polizei ausliefern.
Geschwisterliebe halt.