Geschwisterliebe
Es gab ein kleines Mädchen, namens Alischah sie lebte mit ihrem 4 Jahre älteren Bruder bei ihrem Vater; ihre Mutter starb vor 9 Jahren im Kindsbett.
Seit diesem Zeitpunkt begann ihr Vater zu trinken; jeden Tag kam er betrunken nach Hause und sie bekamen jedes Mal harte Schläge wenn sie ihn nur ansprachen...!
Alischah träumte oft von ihrer Mutter und wenn sie dann mit Tränen in den Augen aufwachte schlich sie sich bei ihrem Bruder ins Zimmer und er erzählte ihr von ihr, wie sie aussah, wie viel Spaß sie schon gemeinsam hatten....doch niemals vergoss er beim reden nur eine Träne, er musste ja der starke Bruder für sein Schwesterchen sein, musste ihr Halt geben und durfte keine Schwächen zeigen...!
Eines Tages, Alischah hatte wieder diese schlimmen Träume über ihrer Mutter, rief sie ihren Bruder zu sich, er tröstete sie und hielt solange ihre Hand bis sie wieder einschlief....
Dann begab er sich wieder in sein Zimmer, holte aus seinem Schrank ein kleines Kästchen in dem sich Verbandszeug, Pflaster und eine Rasierklinge befand. Er nahm die Klinge in die Hand und begann an seinen Armen zu ritzen, immer stärker, immer tiefer bis er schließlich in Tränen ausbrach. Ja, das war seine Art mit dem Schmerz und seinem Kummer klarzukommen ohne das es jemand bemerkte, und vor seiner Schwester konnte er stark sein! Doch an diesem Tag folgte sie ihm in sein Zimmer und als sie die Tür einen Spalt öffnete sah sie ihren Bruder weinend auf seinem Bett sitzen, sie hatte ihn doch nie zuvor weinen sehen und an seinem Arm lief das Blut hinab. Als er sie bemerkte und erschrocken in ihre kleinen, Tränen erfüllten Augen sah sagte er nur: „Du solltest doch schon im Bett sein, du musst morgen früh in die Schule“! Da ging sie zu ihm hin, setzte sich neben ihn, streichelte seine Hand und sagte: „Wieso machst du so was, das tut doch weh.“ Er hatte Mühe nicht wieder in Tränen auszubrechen und sagte: „Dazu bist du zu klein, ich erkläre es dir wenn du größer bist, ja?! Und jetzt geh wieder in dein Bettchen, du bist doch bestimmt sehr müde!“
Wiederwillig ging sie zurück in ihr Zimmer und dachte die ganze Nacht über das was ihr Bruder tat nach. Am nächsten Tag, als ihr Bruder noch in der Schule und ihr Vater noch bei der Arbeit war, ging sie in sein Zimmer, nahm aus dem kleinen Kästchen die Klinge und begann sich in den Arm zu schneiden, es tat so gut, sie spürte keinen Schmerz mehr, füllte sich so frei und beruhigt. Von da an tat sie es jeden Tag, immer wenn sie alleine zuhause war griff sie zur Klinge.
An ihrem 13 ten Geburtstag, der auch gleichzeitig der 13 Todestag ihrer Mutter war, ließ ihr Vater wieder seine ganze Wut an ihrem Bruder aus und als er danach in seinem Zimmer verschwand, wusste sie das er es wieder tat! Sie folgte ihm wie einst vor 4 Jahren, setzte sich zu ihm, nah seine Hand und sagte: „Ich weis jetzt wieso du das tust!“, und sie zeigte ihm ihren Arm. „Nein! Verdammt, wieso? Wieso, machst du das?“ schrie er. „Das weist du doch!“ sagte sie und ging wieder in ihr Zimmer. Dort setzte sie sich an ihren Schreitisch, schrieb einen kleinen Brief und nahm dann ihre Klinge aus der Schublade. „Mutter, jetzt komme ich zu dir“ flüsterte sie und setzte dann zu ihrem letzten Schnitt an. Bis sie schließlich zu Boden fiel und ihr letzter ‚Lebens Tropfen’ auf den Boden floss.
Und in ihrem kleinen Abschiedsbrief an ihren Bruder stand:
So verschieden und doch so gleich,
So weit und doch so nah.
Tief im Innern sind wir gleich.
Zu spät erkennen wir den gemeinsamen Schmerz.
Der Schmerz, der uns zerstört.
Er versteckt sich hinter verschiedenen Fassaden.
Der Schmerz...er hat so viele Gesichter,
Dass wir ihn kaum erkennen.
Doch es ist ein und der selbe.
Und er quält uns ein Leben lang.
In uns beiden herrschte er
Und wir erkannten nicht, dass er eins ist.
Dachten jeder wir wären allein.
Doch wir fühlen denselben Schmerz.
[Beitrag editiert von: Ben Jockisch am 13.03.2002 um 21:08]