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Geschwärzter Freitag
An diesem letzten Freitag des Monats ging der Mann in Schwarz frohen Mutes zur Arbeit. Sie bestand darin Devisen zu kaufen und teurer zu verkaufen. Eine schwierige Aufgabe, schließlich war nichts so schwierig zu bestimmen, wie der Zeitpunkt, zu dem man eine Währung kaufte. Doch darin hatte der Mann in Schwarz mindestens zwei Doktortitel.
Die große Börsenhalle roch heute nach Lavendel; einige Putzfrauen (zweifelsfrei mit Migrationshintergrund) setzten sich gelegentlich über die Anweisungen der ministerialen Börsenaufsicht hinweg, keine Pflanzen aufzustellen, die dufteten, denn das konnte die Spekulanten und Händler ungewollt beeinflussen.
Der Mann in Schwarz schritt die einladenden drei Stufen zum Parkett hinab, hielt zielstrebig auf das Terminal für Devisenhandel zu und fand fast nur bekannte Gesichter. Da sie so wie er alle schwarz trugen, musste das Gedächtnis des Mannes in schwarz natürlicherweise optimal angepasst werden um Gesichter speichern können. Er war der Beste im Anpassungstraining gewesen. Einige Neulinge waren diesmal allerdings dabei, die er noch nie gesehen hatte.
Sein Puls, und die Pulse aller anderen schwarzgekleideten Männer, schlugen im gleichmäßigen Aktualisierungstakt der großen Anzeigetafel der Devisenwerte – das machte sechzig Schläge pro Minute. Ausgenommen waren diejenigen, die unerwartete Schwankungen abhandeln mussten. Ihr Puls vervielfachte sich zeitweilig.
Der Mann in Schwarz hob seine Hand, und er grüßte nicht, er kaufte. Wer grüßte, verlor. Er kaufte Geld aus einem umkämpften Land, denn ein umkämpftes Land war instabil, die Währung hielt er für potenziell begehrt. Irgendwann einmal, in ferner Zeit, würde das Land schon eine starke Wirtschaft etablieren, und die Währung würde in ihrem Wert steigen. Das Problem war, dass niemand wusste, wie lange es noch umkämpft sein würde, obwohl man die Putzfrauen manchmal in ihren Pausen darüber diskutieren hören konnte. Doch was hatten die schon für eine Ahnung davon?
Die Devisenscheine wechselten den Besitzer. Solange das Land voller Unruhen war, war die Währung günstig. Hauptsache die alliierten Kontrollmächte verloren ihre Kontrolle nicht. Doch weshalb sollte eine Weltmacht die Kontrolle verlieren? Und was wäre das für ein Desaster! Das umkämpfte Land würde seine Märkte schließen! Die Währung des Landes würden völlig wertlos, denn wer würde sie dann noch haben wollen?
An diesem schläfrigen Morgen bewegten sich die Kurse nur seitwärts. Der Mann in Schwarz hatte das eigentümliche Gefühl, als würde seine innere Uhr heute langsamer gehen. Natürlich konnte er seinen Puls hier nicht messen, doch er glaubte, der wäre um ein paar Schläge in der Minute gefallen, seit er die Halle betreten hatte. Und wonach roch es hier überall? Er sah, dass auch seine Mitstreiter müde aussahen, ihre Hände bewegten sich langsamer als gewohnt. Vielleicht, dachte er, läutete der Oktober bereits den trägen Winter ein.
Ebenso schwerfällig kam die Meldung aus dem umkämpften Land auf dem Parkett an: "Ein ganzer Konvoi von Besatzungssoldaten wurde in die Luft gesprengt. Achtundneunzig Tote." Der Mann in Schwarz sah instinktiv auf die Handzeichen der anderen Männer, doch die Hände waren für den Moment vereist. "Unser Präsident sieht sich nun dem Druck der Öffentlichkeit ausgesetzt unsere Soldaten aus dem Krisengebiet abzuziehen."
Der Mann in Schwarz wartete. Ähnliche Meldungen kamen jeden Tag, doch so etwas Schlimmes war noch nicht passiert. Und der Präsident stand so kurz vor einer so knappen Wiederwahl!
"Unser Präsident steht kurz vor einer knappen Wiederwahl. Unser Professor für Internationale Beziehungen kommentierte den Sachverhalt vor wenigen Minuten für uns." Nun war eine tiefe Stimme zu hören; der Professor war bekannt für seine richtigen Prognosen aus falschen Gründen. "Ich halte den Abzug unserer Streitmacht für sehr wahrscheinlich. Da sich die gegnerischen Milizen in den letzten Monaten zurückhielten, und dieser Anschlag heute von einer einzelnen Gruppe verübt wurde, sehe ich das Land als zunehmend stabil an."
Verkaufen! Der Mann in Schwarz sah in die Gesichter der anderen Händler, er sah blankes Erkennen in ihnen. Die Milizen würden sich garantiert nicht zurückhalten, und Volk des umkämpften Landes würde nach dieser jahrelangen Besetzung die Pforten schließen, soviel stand fest. Beteiligungen an dieser unfertigen Wirtschaftsmacht würden zu Staub zerfallen. Er musste verkaufen! So schnell es ging! Doch eine Schläfrigkeit schien seine Hände zu blockieren, als hätte er sich nach dem Klingeln des Weckers noch einmal umgedreht. Und er war nicht der einzige! Die Währung fiel und fiel und fiel, doch der Puls blieb gleich. Und als die Währung schließlich fast wertlos war, überwand der Mann in Schwarz seine Müdigkeit endlich und verkaufte. Er nahm seinen Taschenrechner und fiel um, sein Herz blieb stehen. Die anderen Männer in schwarzen Anzügen starben auf die gleiche Weise.
Die Gesichter der Neulinge hingegen, die der Mann in Schwarz nicht erkannt hatte, lächelten. Sie kauften die fast wertlose Währung völlig auf.
In seinem letzten Atemzug sah der Mann in Schwarz sie an und dachte: Sie sehen aus, als wären sie mit den Putzfrauen verwandt.