Da die Links nicht sehr informativ sind, abgesehen von Wörterbüchern, tipp ich mal einen Ausschnitt von Peter Wehle, der die Geschichte des Rotwelsch allgemein ein bisschen beleuchtet, ab:
»Was ist Rotwelsch?
Mit diesem Begriff ist man von Anfang an konfrontiert, wenn man sich mit Gaunersprachen befaßt. Auch wenn die Ezesgeber elegant gekleidete Anwälte oder unterstandslose Kübelstierer unserer Tage sind: Man muß in die Geschichte hinuntersteigen, tief, um die gaunersprachliche Gegenwart zu begreifen.
Im 13. und 14. Jahrhundert, nach der kaiserlosen, der schrecklichen Zeit, entstanden in Deutschland große, sehr gut organisierte Räuberbanden, die eine Art Staat im Staate bildeten und sogar eine eigene Gerichtsbarkeit entwickelten. Infolgedessen benötigten diese Banden eine Geheimsprache oder zumindest Geheimwörter, um ihre Tätigkeit vor den Rudimenten der staatlichen Gerichtsbarkeit geheimzuhalten. Aber woher stehlen?
Man mußte die Wörter aus einer gesprochenen Sprache nehmen, denn schreiben und lesen war ja damals fast eine Geheimkunst.
Man konnte aber keine Fremdsprache der Gebildeten nehmen, etwa Latein oder Griechisch, denn gerade den Gebildeten gegenüber wollte man doch unverständlich bleiben, abgesehen davon, daß die Galeristen sicher Grausameres zu tun wußten, als Fremdsprachen zu lernen.
Da bot sich eine Sprache an, mit der die Herumzieher in Berührung kamen: die Sprache der jüdischen fahrenden Händler. Diese Sprache, das Jiddische, war in ihren Anfängen im Getto entstanden und hatte sich in der noch viel stärkeren Isolation der Juden im Osten Europas zu einer Sprache entwickelt, die Deutsch nach wie vor als Grundstock behielt, sich aber durch vorwiegend aramäische, hebräische, slawische Einflüsse und durch die Aufnahme von deutschen Dialekt-Elementen in ihrem Wortschatz erheblich verändert hatte.
Der „Liber vagatorum“, eine der ersten Rotwelsch-Wörterbuchsammlungen, stammt von Martin Luther. Er erschien 1510, und es findet sich darin der Satz: „Es ist freylich solch rottwelsche Sprach von den Juden komen, denn viel ebreischer Wort drynnen sind, wie denn wol mercken werden, die sich auff Ebreisch verstehen.“
Diese Feststellung ist nur zum Teil richtig. Denn aus dem Jiddischen bezogen die Herren Gauner zwar viele ihrer Vokabeln und Redewendungen, aber sie bedienten sich – auch sprachlich –, wie es kam: Sie übernahmen alte deutsche Wörter, die umgebildet worden waren oder deren Bedeutung sich verändert hatte, sie nahmen Wörter aus verschiedenen Fremdsprachen, sie übernahmen Zigeunerwörter, und bei einigen Bildungen kann man heute nicht mehr sagen, woher sie genommen worden sind. Aus diesem Bestand entwickelten sie ihre Geheimsprache, das Rotwelsch.
Das Wort ist zum erstenmal aus der Zeit um 1300 überliefert. Woher es abzuleiten ist, darüber ist sich die Fachwelt nicht einig: Einige behaupten, daß rot selbst ein rotwelsches, ungeklärtes Wort für Bettler ist und die Nebenbedeutung „falsch“ und „untreu“ hat. Andere wieder meinen, daß es von der damals üblichen Praktik der Bettler stammt, sich mit blutähnlichen Farben zu beschmieren, um mehr Mitleid zu erregen, daß es also von dem Farbwort Rot kommt; das müßte dann aber eine sehr unappetitliche Zeit gewesen sein – und das war sie vermutlich auch. In einem Wörterbuch fand ich sogar die Ableitung von dem Wort Rotte, was aber wirklich zu weit hergeholt erscheint. So viel zum ersten Bestandteil des Wortes Rotwelsch.
Welsch ist dagegen bekannt. Von Kauderwelsch oder Kinderwelsch sprechen wir ja noch heute, und wir wissen, woher es kommt: von althochdeutsch walahisk, was so viel wie romanisch, vor allem im Sinne von exotisch, fremd, unverständlich, heißt. Sie werden es nicht glauben, aber auch die Walnuß und der Prince of Wales haben dieselbe sprachliche Wurzel.
Verblüffend ist, daß sich das Rotwelsch bis in unsere Zeit erhalten hat, obwohl es in seinen Anfängen nie aufgeschrieben worden ist. Freilich, in neuer und neuester Zeit gibt es viel Literatur darüber; eines der ersten bedeutenden Fachbücher über das Rotwelsche stammt von dem Lübecker Polizeidirektor namens Friedrich Christian Benedict Avé-Lallemant. Durch Selbststudium wurde er ein tiefgebildeter Judaist, und 1858 bis 1862 gab er ein Werk über das „Gaunerthum“ heraus, das noch immer Gültigkeit hat.
Wie aktuell das Rotwelsch auch heute noch ist, das erhellt die Tatsache, daß 1974 der Schriftsteller Günter Puchner den gelungenen Versuch unternommen hat, Bibelstellen ins Rotwelsche zu übersetzen. Außerdem werden immer wieder Kongresse von Rotwelschexperten abgehalten, sodaß uns sicherlich noch allerhand Neuigkeiten ins Haus stehen werden. Und wer weiß, wie viele Ausdrücke aus dem Rotwelschen der Gegenwart nach und nach in die Hochsprache herüberwandern werden, gleichsam als freundliche Gegengabe. Es gibt ja dafür schon viele Beispiele aus der Vergangenheit – nur merken tut man´s nicht:
Hals- und Beinbruch! – ja, warum wünscht man einem Freund ein gebrochenes Bein? Weil es sich nicht um einen Bruch, sondern um einen Segen handelt: Broche heißt Segen und kommt aus dem Jiddischen.
Eine guten Rutsch ins neue Jahr wünscht man oft zu Silvester und überlegt dabei kaum, daß es keine Neujahrssitte gibt, bei der man rutschen müßte. Kommt auch gar nicht von rutschen, sondern von rotwelsch-jiddisch rosch, was Kopf oder Anfang heißt.
Blau in Verbindungen wie „blauer Montag“, „blau machen“ hat nichts mit der Farbe zu tun. Rotwelsch belo, belau, blau heißt “nichts”, “ohne”. Es gibt freilich auch eine andere Erklärung des Wortes, die besagt, daß es sich um einen Begriff aus der Färberei handle: man färbte Stoffe mit Waid und mußte sie dann 24 Stunden an der Luft liegen lassen. Während dieser Zeit konnte man natürlich nicht arbeiten. Soll mir recht sein. Mir ist die Ableitung aus dem Rotwelschen lieber. Ähnlich geht es mir mit dem Sargnagel als Begriff für die Zigarette. Man kennt scho seit langem, heißt es, im Englischen den coffin-nail, eben den Sarg-Nagel, eine Bezeichnung für jemanden, der einem tödlich auf die Nerven geht. Ich finde aber, es kann doch kein Zufall sein, daß das rotwelsch-jiddische Wort für stinken sarchen lautet. Oder?
Weil gerade von „Broche“ die Rede war: Kennen Sie den schon?
Da kommt ein junger jüdischer Formel-I-Pilot auf Wunsch seiner chassidischen Eltern zu einem alten Rabbi und sagt: „Rabbi, mein Tate wünscht, du sollst sprechen eine Broche über meinen Ferrari.“
Der Rabbi weiß nicht, was ein Ferrari ist, er weiß auch nach der Erklärung nicht, was für einen Segensspruch man über eine solche Rakete sprechen könnte, und er gibt dem Jungen den Rat, sich bei seiner nächsten Amerikareise an einen der reformierten jungen Rabbiner zu wenden, die es dort immer häufiger gibt.
Das geschieht auch, und der junge Rabbiner in Amerika hört sich die Bitte um die Broche für den Ferrari aufmerksam an und sagt dann in bestem Jiddisch: „Ferrari – ich verschtej. Aber wus is Broche?“«
Hier hör ich auf zu tippen, da es ab da nur mehr ums Wienerische Rotwelsch geht.
Alles liebe,
Susi