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Geschichten aus dem Himmel: Reise nach Woodstock
Geschichten aus dem Himmel: Reise nach Woodstock
„Wo warst du denn so lange?“ Herkules war nicht wütend, aber enttäuscht. „Ich dachte, wir sind Freunde, so richtig gute, feste Freunde, die alles zusammen machen und sich vertrauen.“ Er kickte einen Stein vom Gipfel des Olymps und traf eine vorbei fliegende Taube. „Ich habe dir so oft per Luftpost geschrieben, habe gefragt, was los sei, ob du Probleme hättest. Ich habe mir große Sorgen gemacht und alles, was ich als Antwort bekommen habe, war Schweigen.“
„Herkules, es ist anders als…“, wollte Jesus erklären. Doch Herkules war noch nicht fertig. „Also hat Hermes mich zu euch mitgenommen. Ich klingelte und klingelte, aber keiner öffnete die Tür. Weißt du überhaupt, wie lange ich zurück latschen musste? Habe ja jetzt noch Blasen unter den Füßen!“
„Seit wann hat der stärkste Mann der Welt denn Schmerzen?“
„Seit er bei den Göttern hockt! Mann, das war stinklangweilig hier. Die werten Herren und Damen haben die ganze Nacht und den halben Tag nichts anderes im Sinn als ihre Fähigkeiten zu verbessern. Von wegen einer für alle und alle für einen; so etwas gibt es nur bei guten Freunden.“ Herkules schaute, äußerst beleidigt, da kokettierend, in die Ferne.
Jesus legte ihm die Hand auf die Schulter. „Du wirst gar nicht glauben, wie ätzend alles ohne dich war. Vadder hat mich aufn Himalaja verbannt, als er die Bong hinter der Couch entdeckt hatte. Sollte darüber nachdenken, meditieren und so `nen Kram. War voll lame, bis so ne Tourigruppe da rumlatschte. Ich verstecke mich, spring aus der Spalte und die Typen bekommen den Oberschock! So schnell hab ich Menschen noch nicht rennen sehen…“
„Aha…“
„Jedenfalls waren da zwei Wochen später mega die Kameras am Start! Alle so: ‚Wo issn der Yeti’? Ich also sing : ‚Hölle, Hölle, Hölle!’ und versteck mich wieder. Zum Glück hat Vadder das nicht gehört, sonst wäre der Yeti jetzt in der Hölle.“, grinste Jesus.
„Du meinst Petri…“
„Nö, der ist doch bei Littlefoot!“
Herkules schüttelte amüsiert den Kopf. „Dir ist wohl der Cannabisentzug zu Kopf gestiegen?“
„Es kommt noch besser!“, erzählte Jesus weiter. „Die Typen also haben mich nicht gefunden und stiegen wieder downstairs. Ich hinterher. Unten waren dann die krassen Tempel aufgebaut. Ich also frage, wer da drinnen wohnt. ‚Buddhisten’, sagt einer mit Glatze. Ich also rein und sag so ‚Moins Buddhis, Jesus ist am Start!’ Da kam dann einer angerannt und hinter im so fünfzig andere. Die stellen sich um mich herum und machen ‚Huiija’ und ‚Schackaaa’! Ich leg einem so die Hand auf den Kopf, um ihn von seinen Krämpfen zu erlösen. Der sackt zusammen, alle schreien und treten und schlagen auf mich ein. Bin ja schon einiges gewohnt. War nur halb so schlimm wie die Nägel durch Hände und Füße. Aber hey, die haben voll den Dachschaden.“
Herkules kratzte sich am Kinn: „Du kannst ja nicht einfach da reinmaschieren und einen auf Heiland und Erlöser machen. Buddhisten sehen die Sache mit Gott und Erlösung ein bisschen anders.“
„Wie meinst du das?“
„Nun, ich hab da mal mit einem gesprochen, der sagte, alles Leben sei Leiden. Und nur, wer immerzu nach den Regeln Buddhas lebt, werde vom Leiden erlöst.“, erklärte Herkules.
„Was sind das für Regeln?“
„Also, dich dürfte vor allem interessieren, dass sie jeglichen Konsum von Rauschmitteln ablehnen. Weder trinken sie Alkohol noch rauchen sie Cannabis.“
„Jetzt verstehe ich auch, warum bei denen Leben leiden bedeutet.“
„Jesus, du bist unverbesserlich! Die Buddhisten warten auf die Erlösung. Das ist sozusagen der Lohn für all die Entbehrungen. Sie warte aufs Nirwana!“
„…wo es nach dem Geist Jugendlicher riecht, wo es Lithium im Überschuss gibt, wo…“ Jesus kam ins Schwärmen. „Das muss ich unbedingt Vadder erzählen!“
„Ich verstehe nicht.“, sagte Herkules.
„Mann, Nirwana! Kurt Cobain! Der Gott meiner Generation! Sind ja voll leger drauf, die Buddhis!“
Herkules schüttelte den Kopf. Sein Freund hatte die besondere Gabe, alles zu verdrehen, was seine Gehirnwindungen passierte. Es war so, als würde man oben geistreiche Nahrung einfüllen und wenig später feststellen, wie sie, halb verdaut, unten wieder rauskam. Aber was sollte er machen? Wie die Menschen waren auch sie, die Götterkinder und Götter, so vielseitig wie das Leben selbst. Und das ist auch gut so.
Auf einmal kam Herkules ein Gedanke: Wenn Jesus nun lange Zeit in Einsamkeit und unter Buddhisten gelebt hatte, würde er sich sicher tierisch freuen, mal wieder richtig den Bär tanzen zu lassen.
„Komm mit! Ich habe eine Idee…“
Die Beiden liefen zum Sommerdomizil von Zeus.
„Warte hier, ich bin gleich wieder da!“, sagte Herkules und schlich sich ins Haus. Wenige Minuten später rannte er in Windeseile hinaus und rief Jesus zu, er solle schnell mitkommen.
Nach Atem ringend versteckten sie sich hinter einem Felsvorsprung.
„Ich habe es! Ich habe es!“, rief Herkules glücklich.
„Was?“ Jesus war neugierig.
„Der Kristall der Zeit!“
Jesus war aufgeregt. „Ist es das, was ich vermute?“
„Genau!“
„Er ist wunderschön.“
„Und praktisch obendrein!“
„Wie hast du ihn bekommen?“
„Heute hatte Bacchus Tresorwache. Du weißt ja, er ist sehr gut darin, wenn es darum geht, seinen Wein vor Mitsäufern zu beschützen. Also hat er den Wein eingelagert und den Kristall aus Platzgründen ausgelagert. Jetzt macht er gerade ein Gelage und ich schnappte mir den Kristall, geschickt, keine Frage!“
„Du hast wirklich eine göttliche Gabe…“
„Ich bin Herkules, keine Schabe…“
„Ich hör jetzt schon deines Vaters Klage…“
„Bacchus, Bacchus: darbe, darbe!“
Die beiden klatschten ab. „Astreine Aktion!“, lobte Jesus seinen Freund. „Und wie funktioniert der Kristall?“
Herkules blickte um den Felsvorsprung. „Da hinten kommt Diana, die Jägerin. Wir sollten uns beeilen; sie jagt gerne Frischfleisch, wenn du verstehst, was ich meine…“, grinste Herkules.
„Okay, dann fang mal an!“
Herkules rieb den Kristall und zugleich erschien ein helles Licht, das aber nicht blendete, und wand sich wie eine Spirale um die Freunde. Eine Melodie erklang aus der Ferne, so wunderschön wie das Lied des Lebens. Wenige Augenblicke später landeten die beiden auf einer großen Wiese, inmitten von Menschen, die kreisförmig dasaßen und zur Gitarre sangen.
Herkules und Jesus schauten sich um und sahen in überraschte Gesichter.
„Hallo Leute!“, grüßte Herkules.
„Mensch!“, sagte einer von ihnen, „echt gutes Zeug!“
„Wo sind wir hier?“, fragte Jesus seinen Freund.
„In Amerika, Ende der 60er Jahre.“
„Du meinst doch nicht etwa, die Leute da sind…“
„Hippies! Doch! So ist es! Ich dachte mir, nach deinem Himalajaurlaub brauchst du mal wieder ein wenig Abwechslung.“
„Du bist echt ein Freund!“
„Nichts für ungut! Glaube, es wird ganz witzig werden.“
„Hey Brüder“, meinte einer der Hippies, „wollt ihr nen Zug?“ Er reichte ihnen eine Tüte.
Herkules schaute Jesus an. „Mach ruhig, wenn du meinst.“
Und Jesus atmete den Rauch tief ein. „Hui, gar nicht pfui!“, meinte er, als er wieder ausgeatmet hatte.
„Ja Mann, besser geht’s nicht!“ Der Hippie nahm ebenfalls einen tiefen Zug. „Das ist unsere Zeit!“
„Wir sind gegen Krieg und Leid!“, sagte ein anderer.
„Und halten Liebe und Frieden bereit!“
„Bei uns gibt es niemals Streit!“
„Es kommt nie vor, dass jemand schreit!“
„Weil wir immer friedlich sind und breit!“
Jesus gefielen die Leute. Sie hatten Rhythmus im Blut. „Hey, ihr seit echt okay. Wie heißt du eigentlich?“
„Hendrix, aber du kannst mich Jimi nennen.“
„Okay, Jimi. Was macht ihr eigentlich die ganze Zeit?“
Jimi nickte und strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Wir haben eine Mission…“ Er schaute die beiden an. „Wie heißt ihr eigentlich?“
„Das ist Herkules und ich bin Jesus.“
Jimi lachte. „Jesus und Herkules. Das ist gut. Das ist wirklich gut. Nun gut, wir protestieren gegen den Krieg, den unser kapitalistisches Land zu seinen Gunsten in Vietnam führt. Wir sind gegen Gewalt, gegen Leid und gegen Tod! Wir zelebrieren Frieden! Aber das kennst du ja, Jesus.“
„Hast du mal was zu futtern? Ich habe tierischen Hunger!“
Einer der Hippies reichte ihm eine Dose. „Die sehen wirklich lecker aus.“ Jesus nahm sich einen Keks und aß ihn. „Und schmecken tun die!“ Er nahm zwei weitere und reichte die Dose weiter an Herkules, der sich ebenfalls bediente.
„Erzähl weiter!“, sagte Jesus zu Jimi.
„Wir sind eine große Familie. Ich vertraue den anderen und jeder andere vertraut mir. Vertrauen ist unsere Basis, auf der die Flugzeuge der Liebe stehn.“
Herkules fing an zu lachen. Er fühlte sich irgendwie anders. „Einer für alle und alle für einen!“
„Du hast es erfasst!“, meinte Jimi. „Ich werde gleich auf die Bühne gehen und meine Interpretation der Nationalhymne spielen. Ich sage euch, das wird etwas Einmaliges, was noch nie da war. Einer für alle eben! Ihr könnt ja mitkommen.“
Sie waren einverstanden und so machten sie sich auf den Weg zur Bühne.
Jimi nahm sie mit und begann gleich darauf, mit seinen Zähnen auf der Gitarre zu spielen. Hunderttausende Hippies hörten ihm dabei zu, und ein jeder spürte, welch gewaltige Aussage zwischen der verzerrten, krachenden, zerreißenden Melodie steckte.
Echt abgefahren, dachte Jesus. Ihm gefiel die ganze Situation. So viele Menschen, die zuhörten. Soviel Gefühl und Expressivität. Das war einmalig. Er sagte zu Herkules: „Irgendwann einmal werde ich mich auch in der Musik verwirklichen! ‚Jesus, Held der Musik’ oder so!“
Ein Mann, der in Jesus Nähe stand, hörte es. Einige Jahre später feierte er mit dem Musical „Jesus Christ Superstar“ große Erfolge.
Indes jedoch kam Herkules aus dem Lachen nicht mehr raus. „Der mampft seine Gitarre! Der mampft wirklich seine Gitarre!“
Jesus schaute seinen Freund an, dem die Tränen in den Augen standen.
„Hey, geht’s dir gut?“
„Ich habe Hunger! Bring mir auch ne Gitarre! Ich habe Hunger!“
Jesus wurde schlagartig bewusst, was geschehen sein musste. „Wie viele Kekse hattest du?“
„Kekse, ja! Kekse sind gut!“
„Wie viele Kekse hattest du, Herkules?“
„Zwei oder drei! Hehe, siehst du da vorne die rosafarbenen Elefanten tanzen? Und die Geige spielende blaue Ziege?“
Jesus kratzte sich an der Stirn. Er hatte bei seinem ersten Mal die Engel schweben sehen, kopulierend. Hinterher stellte sich allerdings heraus, dass es keine Halluzination gewesen war. Sie hatten ein Abkommen getroffen: Er würde seinem Vater nichts erzählen, wenn auch die Engel die Engelszunge Engelszunge bleiben lassen würden und sich in Schweigen hüllen. Aber tanzende Elefanten und musizierende Ziegen? Irgendetwas war da faul.
Jimi kam von der Bühne. „Und, wie war ich?“
„Gut, seht gut sogar. Aber sag mal, Jimi. In den Keksen, was war da drin?“
„Von allem etwas. Aber in jedem etwas anderes.“
„Etwas anderes?“
„Hasch, Benzodiazepan, LSD…“
„Na, dann hat Herkules wohl einen Lysergkeks erwischt.“, meinte Jesus.
„Ich dachte, ihr wäret beide schon drauf! ‚Hey, wir sind Jesus und Herkules…’ Herrlich, wirklich göttlich! Habe nur noch drauf gewartet, dass ihr mir von eurer Mission erzählt, die Welt zu retten!“
Jesus strich sich mit der Hand über die Stirn. Dann sagte er: „Wir müssen weiter. Alles Gute noch!“
„Wir sehen uns!“, meinte Jimi.
„Ich komme dich dann mal auf Wolke 984 besuchen.“ Er schnappte sich Herkules und ging mit ihm wieder auf die Wiese.
Der Himmel verdunkelte sich und Blitze zuckten aus den Wolken wie peitschendes Licht.
„Die Welt ist ein Meer, wogend die Wellen der Farben und Formen, ein jeder treibt im Fluss des unendlichen Seins, geeint im Gang, im Rauschen des Wassers…“
Jesus griff ihm in die Tasche und holte den Kristall.
„…das Blau schmeckt himmlisch, die Sonne riecht nach lichten Wellen, Aurora singt – der Elefant, er geigt, die Ziege, sie jauchzt…“
Nachdem Jesus den Kristall gerieben hatte, kam das spiralförmige Licht.
„Endlich ist es soweit!“, rief Herkules. „Die Reise in die unendlichen Weiten beginnt!“
Als die Beiden wieder auf dem Olymp waren, kam auch schon Zeus angeschwebt.
„Was habt ihr getan?“, rief er wütend.
Jesus sah zu Boden, Herkules hingegen schaute seinen Vater mit großen Augen an. „Was macht den Medusas Perücke auf deinem Kopf?“
Zeus erkannte schnell, was mit Herkules los war.
„Geh nach Hause, Jesus!“, sprach er. „Ich habe ernste Worte mit Herkules zu reden.“
Nachdem Jesus gegangen war, schickte Zeus seinen Sohn auf die Erde.
Dort sollte er, nach alter Manier, zwölf Strafaufgaben erledigen.
Wie es ihm dabei erging, ist eine andere Geschichte.