Geschichten aus dem Gemeindebau - Episode 3: Endstation
Der Verdacht plagte Peter ja schon lange. Als er dann allerdings seine Kathi Arm in Arm mit dem anderen Mann auf der Mariahilfer Straße schlendern sah, verwandelte sich die Hoffnung des Verdachts in den Abgrund der Realität.
Schon seit ein paar Monaten fand Peter das Verhalten seiner Ehefrau etwas ungewöhnlich.
Während sie früher ihr Mobiltelefon immer achtlos aufgedreht im Vorzimmer liegen hatte, trägt sie dieses nun auch in der gemeinsamen Wohnung immer bei sich oder achtet penibel darauf, dass es ausgeschalten ist. Und ihr Verhalten ihm gegenüber war irgendwie anders. Sie behandelte ihn nicht schlechter, aber sie brachte ihm eine gewisse Überlegenheit entgegen, die vorher bei ihr so nie spürbar war.
Schon öfter hatte sich Peter mit dem Gedanken gespielt, einmal heimlich das Handy zu schnappen und die Anrufe und Kurzmitteilungen zu checken. Doch immer, wenn er begann, die Details für diesen Plan zu schmieden, kam er sich lächerlich und hinterhältig vor. So kam es, dass er mit dem Verdacht zu leben lernte und sich auf die geänderten Verhaltensweisen seiner Frau einzustellen begann. Dem Verdacht folgte schon bald die Verdrängung.
Peter und Kathi lernten sich vor sechs Jahren kennen. Er traf sich mit seinem Freund Bernd an einem lauen Sommerabend auf dem Rathausplatz. Kathi ging mit ihren Kollegen aus der Arbeit noch auf einen Feierabend-Cocktail und blieb schließlich mit ihrer Chefin am gleichen Tisch wie Peter und Bernd übrig. Es entwickelte sich ein Vierer-Gespräch, in dem sich schnell herauskristallisierte, dass zwischen Peter und Kathi die Funken sprühten. Und so verabredeten sie sich für den nächsten Abend wieder für den Rathausplatz und gehen seitdem zu zweit durch das Leben. Kurz darauf bezogen sie eine gemeinsame Zweizimmerwohnung in einem Gemeindebau.
Peter hat im Laufe der letzten sechs Jahre viele Beziehungen im Bekanntenkreis beobachtet, von denen die meisten wieder in die Brüche gingen. Dabei hat er sich immer glücklich geschätzt, dass es zwischen ihm und Kathi anders ablief. Es war eine Art Magie, eine Partnerschaft, die über Erotik und Leidenschaft hinausging, ein echter Bund für das Leben, auch ohne den Segen eines Standesbeamten oder Priesters. Und wenn sich viele Leute über den Sinn des Lebens Gedanken machten und ihn nicht fanden, so meinte er, ihn in der innigen Beziehung gefunden zu haben.
Manchmal kamen Peter dunkle Gedanken vom Ableben seiner Frau in den Kopf. Ihr starker Zigarettenkonsum beunruhigte ihn. Zu viele Leute sind mittlerweile im näheren Umfeld an den Folgen der Nikotinsucht elend zugrunde gegangen. Was, wenn nun auch Kathi ihn mitten in den besten Jahren verlässt?
Genau jenes schicksalhafte Ereignis kam jetzt auf so andere Art zustande. Als er sich letzten Freitag mit Bernd beim Fußball spielen traf, hatten beide noch sehr viel Spaß miteinander und lachten bei dem einen oder anderen Bierchen gemeinsam über so manch sexistischen Frauenwitz. Und nun muss es ausgerechnet dieser Bernd sein, mit der ihn seine Kathi betrügt?
Hat das Leben keine besseren und gerechteren Herausforderungen parat? Wie konnte Bernd nur? Er kennt doch selbst den Schmerz und die Demütigung aus seiner letzten Beziehung, in der er am Ende auch sitzen gelassen wurde.
Als Peter die beiden erblickte, machte sein Körper binnen Sekunden einiges mit. Zunächst die Reaktionszeit vom Erkennen der Personen bis zum genauen Realisieren der Situation. Ein kleiner Säure-Ausstoß in der Magengegend. Der Übergang von der Realisation zur Analyse. Schweiß sammelt sich am Rücken und auf der Stirn. Ein Juckreiz am ganzen Körper. Der Fall in ein tiefes Loch. Alles dunkel. Sinnlose Leere. Die letzten Jahre für nichts. Der Lebensinhalt weg. Alles nur ein Missverständnis? Dann würden sich jetzt wahrscheinlich ihre Lippen nicht berühren. Peter sieht den Treppenabgang zur U-Bahn und geht verstört hinunter. Warum hat sie denn nichts gesagt? Was fehlt ihr denn in der Beziehung? Endstation. Peter geht nach Hause.
Zwei Stunden später kommt Kathi mit drei vollen Einkaufstüten von Esprit, H&M und Tchibo nach Hause. „Hallo Peter! Schau mal, was ich mir gekauft hab.” ruft sie laut lächelnd, während sie ins Wohnzimmer geht. Das Fenster ist geöffnet. Bernd ist nicht in der Wohnung.
Jemand läutet hektisch an der Glocke der Wohnungstüre. Kathi öffnet und sieht in der Türe die Frau Schneider aus dem 1. Stock. „Frau Auer! Ich soll Ihnen ausrichten, Ihr Mann liegt im Floridsdorfer Krankenhaus. Er ist aus dem Fenster gehupft. Aber keine Angst, scheinbar hat er sich nicht allzu sehr weh getan.“
Als Kathi die Tür schließt, findet Sie auf dem Vorzimmerkästchen einen Zettel, auf dem geschrieben steht: „Hätt ich mich nicht selbst umgebracht, dann hätt ich Dich umbringen müssen. Und den verschissenen Bernd auch gleich dazu. Macht´s gut ihr Beiden und lasst´s Euch nicht mehr stören! Hure verdammte!“