Was ist neu

Serie Geschichten aus dem Gemeindebau - Episode 2: Aufruhr im Morgengrauen

Mitglied
Beitritt
29.10.2007
Beiträge
13
Zuletzt bearbeitet:

Geschichten aus dem Gemeindebau - Episode 2: Aufruhr im Morgengrauen

Das Aufstehen in der Früh ist schon sehr hart. Das weiß Lisa, seit sie vor zwei Jahren ihre Lehre als Einzelhandelskauffrau begonnen hat.

Eigentlich wollte sie ja nach der Hauptschule noch auf die Höhere Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe gehen, aber irgendwie kam sie dann mit den Fremdsprachen gar nicht mehr zurecht und nachdem die Noten hier schlecht waren, hat sie gänzlich der Mut und die Kraft verlassen. Sie war dann nicht mehr jeden Tag in der Schule und wusste nicht so recht, was sie mit ihrem jungen Leben machen soll.

Bis sie einmal in der „Schicht“, wie die Jugendlichen hier liebevoll die örtliche Discothek „Nachtschicht“ bezeichnen, die Juli kennenlernte. Die beiden standen hintereinander in der langen Schlange zur Damentoilette und irgendwie, so ganz genau wissen das beide nicht mehr, kamen sie ins Gespräch. Und über das gemeinsam empfundene Leid der geringen Anzahl an Toiletten, die damit verbundene lange Wartezeit und über den niedrigen Hygienestandard zu fortgeschrittener Stunde kam das Gesprächsthema irgendwann zwangsläufig auf eine persönlichere Ebene.

Wie sich dann herausstellte, heißt Juli mit vollem Namen Juliane Böhm, ist zwei Jahre älter als Lisa und arbeitet als Lehrmädchen bei der Bäckerei Anker. Lisa war von Julis Schilderungen des Berufsalltags und den Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen derart fasziniert, dass sie auch in ihrem Leben wieder ein Licht am Ende des Tunnels sah und gleich am nächsten Tag mit Hilfe ihres Bruders ein Tip-Top-Bewerbungsschreiben inklusive Lebenslauf am Computer verfasste und per E-Mail an
karriere @ankerbrot.at schickte.

Schon ein paar Tage später kam die Einladung zum Erstgespräch und 90minütigen Aufnahmetest in die Zentrale der Bäckerei. Beides meisterte die begabte und sprachgewandte Lisa mit Leichtigkeit und so erhielt sie nach einer Woche die Nachricht, dass sie eine jener Bewerberinnen sei, die unter den vielen Kandidaten ausgewählt wurde und nach einem abschließenden Gespräch mit ihr und ihren Eltern im September mit der Ausbildung starten könne.

Das ist mittlerweile über ein Jahr her und Lisa arbeitet seither mit viel Freude, Einsatz und Lernbereitschaft als Lehrmädchen in der Bäckerei Anker. Um die Flexibilität der jungen Menschen zu fordern, sieht das Ausbildungssystem des Unternehmens einen halbjährlichen Wechsel der Filiale vor. Und so ist Lisa vor zwei Monaten in dieser kleinen, abgelegenen Filiale gelandet, die ihr am Anfang so unsympathisch war und die sie nun am Liebsten nie wieder verlassen würde. All die kleinen Unzulänglichkeiten der veralteten Einrichtung, die witzigen älteren Kolleginnen und der kleine, aber ihr bald sehr vertraute Kundenstock sind ihr richtig ans Herz gewachsen. Wenn sie einmal mit ihrer Ausbildung fertig ist, will sie auf jeden Fall immer in dieser Filiale arbeiten und vielleicht sogar einmal im Laufe der Jahre die Leitung übernehmen.

Nur eben an das Aufstehen hat sie sich noch immer nicht gewöhnt und wird es vermutlich auch nicht mehr. Dafür sind aber dann gerade im Sommer die frühen Feierabende ein echter Genuss. Auch heute morgen war Lisa wieder um sechs Uhr mit dem Aufsperren an der Reihe.
Sie hat für die Frühschicht schon so etwas wie ein kleines Ritual entwickelt: Um 5.40 Uhr durch den Hintereingang aufsperren, dann gleich die Kaffeemaschine anwerfen, die erste Fuhre Kornspitz und Semmeln in den Ofen schmeißen, dann noch schnell pinkeln gehen, einen Kaffee bei der Maschine runterdrücken und gemeinsam mit einer Morgenzigarette genießen und schließlich pünktlich um sechs Uhr den Kundeneingang aufsperren.

Irgendwas kam Lisa heute gleich etwas seltsam vor. Als sie von der Toilette zurückkam, bildete sie sich ein, noch eine Person gesichtet zu haben, die durch die Auslage in die Filiale starrte. Deshalb macht sie heute beim Aufsperren einen Schritt vor die Türe und checkt mit einem Blick nach links und rechts die Lage: nichts zu sehen – falscher Alarm! Lisa geht zum Backofen und nimmt das frische, fertige Gebäck heraus. An die Hitze der Gebäckstücke hat sie sich bereits gewöhnt. Am Anfang konnte sie den heißen Teig nur mit Handschuhen anfassen, aber im Laufe der Monate wurde die Haut resistent gegen die hohen Temperaturen.

Lisa bildet sich ein, ein Geräusch im Laden zu vernehmen und dreht sich vorsichtig um. Als erster Kunde kommt oft bereits kurz nach dem Aufsperren die alte Frau Dworak herein. Meistens nur, um zu fragen, ob noch Semmeln vom Vortag da sind, die sie dann geschenkt haben möchte. Mit ihren dritten Zähnen, die allerdings auch nicht mehr vollständig vorhanden sind, kann sie das frische Gebäck kaum beißen und die karge Pension lässt sie auch jeden Cent zwei Mal umdrehen.

Als Lisa nun den ersten Besucher des Tages erblickt, fährt ihr der Schreck in die Glieder. Statt der alten Dworak steht ein Mann vor ihr, der sein Gesicht unter einer Haube mit zwei Löchern versteckt und in der rechten Hand ein Fischermesser hält.
„Sei jetzt schön still und gib mir das Geld aus der Kassa. Wenn Du schreist oder sonst was machst, stich ich dich ab. Hast Du verstanden?“.
Lisa weiß nicht, ob sie sich fürchten oder doch lieber laut loslachen soll. Irgendwie will ihr der Typ keine rechte Angst einjagen. Erstens einmal weiß jeder Idiot, dass um sechs Uhr in einer Bäckerei höchstens etwas Wechselgeld in der Kasse ist und zweitens klingt der Räuber wie die Gymnasiasten, die etwas später kommen, um ihr Frühstück für die Busfahrt zu kaufen.
Lisa lächelt den Eindringling freundlich an und meint: „Nix für ungut, aber in der Kassa sind gerade einmal fünfzehn Euro. Was hältst du davon, wenn du den Blödsinn einfach bleiben lässt? Ich lad dich dafür auf einen Kaffee und eine Zigarette ein.“
Dem Räuber fehlen daraufhin offensichtlich die Worte.
„Du sollst mir das Geld geben, du blöde Sau!“.
„Also gut. Du hast gewonnen. Hier sind die kompletten fünfzehn Euro! Trotzdem Zigarette?“
„Wenn du eine entbehren kannst, dann gerne!“
„Da bitteschön. Außerdem brauchst du dich auch nicht mehr verstellen, ich weiß ohnehin, dass du der Robbie Urbanec bist!“
„Echt? Und was machen wir jetzt?“
„Gar nichts. Du rauchst jetzt fertig, lasst die fünfzehn Euro am Tisch liegen und gehst einfach wieder.“
„Und wenn nicht?“
„Steht nicht zur Debatte. Andere Optionen hab ich keine für dich.
„O.k. Und du erzählst niemandem etwas davon?“
„Nein.“
„Danke! Weißt du, ich finde einfach keine Arbeit und ich möchte auch nicht dauernd meinem Vater auf der Tasche liegen. Und dann hab ich mir gedacht...“
„Ziemlich blöd würde ich meinen. Mit viel Pech gehst Du dafür in den Bau!“
„Ja, jetzt im Nachhinein betrachtet sehe ich das auch so. Aber was soll ich denn machen?“
„Vielleicht sollten wir in aller Ruhe einmal darüber reden. Ich hab heute um drei aus. Wenn du magst, kannst du mich abholen und wir gehen in den Park spazieren.“
„Echt? Du bist ja echt der Hammer. Ich bin um drei da und hol dich ab. Hast du vielleicht noch zwei bis drei Zigaretten für mich?“
„Da, nimm dir meine Schachtel. Aber lass mir für heute Nachmittag noch zwei oder drei über.“
„Danke dir. Bis später dann.“
„Ciao!“
Lisa schüttelt lächelnd den Kopf und widmet sich wieder den Gebäckstücken.
Sie vernimmt wieder Geräusche im Laden und dreht sich erneut um. Diesmal ist es aber wirklich die alte Dworak.
„Guten Morgen Frau Dworak, ich hab ihnen schon ein paar Semmeln hergerichtet.“
„Danke, Fräulein Sedlacek. Das ist wirklich sehr nett von ihnen. Sie wissen ja, wie schwer ich mir mit meiner kleinen Pension manchmal tu. Gerade am Monatsende. Haben sie vielleicht auch noch eine Milch, die gestern abgelaufen ist?“

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Mazingu!

Herzlich willkommen auf kg.de! :)

»Geschichten aus dem Gemeindebau« – da mußte ich natürlich sofort und nicht ohne eine gewisse Erwartungshaltung draufklicken. ;)

Besonders in der zweiten Hälfte kommt die Atmosphäre in der kleinen, alten Anker-Filiale sehr gut rüber, samt der Menschlichkeit, oder besser gesagt: der sozialen Funktion, und auch Lisa und Robbie hast Du gut gezeichnet.
So recht haben sich meine Erwartungen aber trotzdem nicht erfüllt, und das liegt daran, daß es sich liest, als hättest Du mit Desinfektionsmittel jegliches Lokalkolorit weggeputzt. So gibt es dann z. B. nichtssagende, sterile »Gebäckstücke« statt Semmeln, Kipferl und Wauchauer Laberl. Meiner Meinung nach leben solche Geschichten aber gerade davon – es ist fast wichtiger als die Handlung selbst. Damit meine ich noch gar nicht Mundart, wofür es hier auch eine eigene Rubrik gäbe, sondern einfach nur ein paar typische Ausdrücke. Und in der direkten Rede darf schon auch in normalen Geschichten ein kleines bisschen gemundartet werden – das ist besser, als es kommt am Ende sowas wie »stich ich dich ab« heraus (was ja in normalem deutsch »Stech(e) ich dich ab«, in Mundart »stich i di o« hieße, hier hast Du also ein Gemisch fabriziert).
Ich weiß, daß es schwer ist, Lokalkolorit beizubehalten und trotzdem einen für alle lesbaren Text zu schreiben, versuch es trotzdem. ;)

Trotzdem hab ich die Geschichte aber gern gelesen! :)

Ein paar Kleinigkeiten noch am Schluß:

»seit sie vor 2 Jahren«
– Zahlen bitte immer ausschreiben, solange dabei kein endloser Buchstabenwurm wird.

»die sie nun am Liebsten nie wieder verlassen wollen würde.«
– »wollen« kannst Du streichen

»Was hältst Du davon, wenn Du den Blödsinn einfach bleiben lässt? Ich lad Dich dafür auf einen Kaffee und eine Zigarette ein.«
– in Geschichten immer klein: du, dir, dich, dein, …

»Ich hab heute um 15 Uhr aus.«
– Sagst Du das so? Oder sagst Du: »Ich hab heute um drei aus.«

Liebe Grüße,
Susi :)

PS.: Und warum der englische Titel?

 

Liebe Susi,
danke für die Bewertung.
Die lokale Sprache ist in der Tat eine Herausforderung.
In der Ur-Version war die Geschichte noch viel mundartlicher.
Einiges habe ich aber zum besseren Verständnis (und hier vor allem in der direkten Rede) wieder entfernt.
Hast Du auch die erste Geschichte gelesen?

 

Guten Morgen, Mazingu!

Ich hab einmal eine Mundartgeschichte mit Übersetzung gepostet, da wurde ich dann dafür gerügt, daß ich dem Leser gar nichts zutraue. Also ein bisschen aus der Ur-Version kannst Du ruhig wieder in der Geschichte verteilen. ;)
Wenn Du den (deutschen) Lesern alles vorenthältst, schon vorher wegzensierst und ihnen damit unterstellst, sie verstünden es ja ohnehin nicht, dann lernen sie's ja nie! :D

Hast Du auch die erste Geschichte gelesen?
Bisher hab ich nur den Anfang überflogen, aber schon gesehen, daß die nicht ganz so sterilisiert ist. Ich werd sie sicher noch lesen! :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Muß aber auch anmerken, dass meine Sprache etwas darunter "gelitten" hat, dass ich knapp eineinhalb Jahre in Hamburg gelebt habe. :)

 

Muß aber auch anmerken, dass meine Sprache etwas darunter "gelitten" hat, dass ich knapp eineinhalb Jahre in Hamburg gelebt habe. :)
Ja, dort wird man ganz verdorben. :D
Aber statt hier Ausr Begründungen zu posten, könntest Du auch die Geschichte überarbeiten und z. B. die Gebäckstücke durch Semmeln etc. ersetzen. ;)

 

Ja, dort wird man ganz verdorben. :D
Aber statt hier Ausr Begründungen zu posten, könntest Du auch die Geschichte überarbeiten und z. B. die Gebäckstücke durch Semmeln etc. ersetzen. ;)

Stimmt! :D Die Geschichte werde ich auf jeden Fall noch überarbeiten. Ich möchte aber gerne auch noch das Feedback von anderen Mitgliedern abwarten, bevor ich loslege. :Pfeif:

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich möchte aber gerne auch noch das Feedback von anderen Mitgliedern abwarten, bevor ich loslege.
Wenn Du was änderst, solltest Du es aus Überzeugung tun, und dafür sollte es egal sein, ob es einer sagt oder zehn. ;)

Ach ja: Klick doch bitte mal auf "Bearbeiten" und mach vor und nach dem @ eine Leertaste. Abgesehen davon, daß keine Links in Geschichten gehören, kriegen sie sonst beim Anker lauter Spam-Mails! ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Mazingu!

»seit sie vor 2 Jahren«
– Zahlen bitte immer ausschreiben, solange dabei kein endloser Buchstabenwurm wird.

»die sie nun am Liebsten nie wieder verlassen wollen würde.«
– »wollen« kannst Du streichen

»Was hältst Du davon, wenn Du den Blödsinn einfach bleiben lässt? Ich lad Dich dafür auf einen Kaffee und eine Zigarette ein.«
– in Geschichten immer klein: du, dir, dich, dein, …

»Ich hab heute um 15 Uhr aus.«
– Sagst Du das so? Oder sagst Du: »Ich hab heute um drei aus.«


Diese Dinge sind nun einmal ausgebessert.
Noch eine Frage dazu: schreibe ich 6 Uhr oder sechs Uhr?
Ich glaube, bei Uhrzeiten darf man die Ziffer schreiben, oder?

lg, mazingu

 

Noch eine Frage dazu: schreibe ich 6 Uhr oder sechs Uhr?
sechs Uhr

Ich glaube, bei Uhrzeiten darf man die Ziffer schreiben, oder?
"darf" - Es wird Dir niemand was tun, wenn Du es trotzdem in Ziffern schreibst, aber es liest sich eben einfach schöner, als wenn man einen Text vor sich hat, der mit Zahlen gespickt ist. Natürlich nur, solange sich daraus keine Buchstabenungetüme ergeben.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom