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Geschichten aus Alysien: Der Lehrling
Der Lehrling
Im Keller seiner kleinen Hütte stand Dragon, ein alter Druide und Meister seiner Kunst, vor einem Kessel aus Gusseisen und rührte in einer Brühe. Neben ihm stand Garlith, sein Lehrling und bewunderte des Meisters Handwerk.
„Krötenwurz und fettig Schwarten – ja, das ist es!“, sagte Dragon.
„Meister, wollt ihr mir denn nicht verraten, was ihr da braut?“
„Nein; du wirst es sehen, wenn es so weit ist. Gedulde dich!“
„Aber Meister, wie soll ich denn lernen, wenn ich … “, Garlith wurde von Dragon unterbrochen: „Still jetzt!“
Der alte Mann warf weitere Zutaten in den brodelnden Kessel. Blasen platzten an der Oberfläche der orangen Substanz und entfachten einen heftigen Gestank. Garlith wurde übel.
„Meister, was ist das für ein schrecklicher Geruch?“
„Wombat-Schwanz.“
„Was?“
Der alte Mann stammelte: „Es fehlt noch etwas Wombat-Schwanz. Garlith, geh ins Lager, schnell! Der Wombat wird den Geruch vertreiben.“
Garlith ging in den Nebenraum und holte einen toten Wombat hervor. Er trug ihn aus dem Lager hinaus und legte ihn auf einem Tisch ab. Garlith lief mehrmals durch den Raum; er suchte das richtige Werkzeug zum Entfernen des Stummel-Schwanzes. Sein Meister blickte ihn missbilligend an: Sein Lehrling wisse nicht einmal, wo er ein einfaches Messer finden könne. Nichts könne er, außer versagen.
'Schaut mich nicht so an!', dachte Garlith und stöberte weiter: 'Gebt mir Zeit; ich schaff' das schon.'
„Ah-ha!“ Garlith holte ein rostiges Fleischermesser hervor. Er hielt es in seiner Hand und es begann zu glühen; einzeln sprühten Funken von der Schneide. 'Feuerbeil, warum fand ich dich nicht sofort?', dachte er, ging zurück zum Wombat-Leichnam. Mit einer Hand hielt er ihn fest, mit der Anderen holte er weit aus. Zack! Er brachte den kleinen Stummel zu Dragon und flüsterte dabei: „Gutes altes Feuerbeil.“
Dragon warf das Schwänzchen in den Kessel. 'Der Geruch scheint kaum zu vergehen', dachte der Meister und schaute besorgt in die Brühe: 'Der Wombat war zu lange tot. Das hätte ich wissen müssen. Verschwendung!'
„Stinkt immer noch erbärmlich“, murmelte Garlith.
„Was sagst du da?“, sagte Dragon; er verstand Garlith, doch wollte er es nicht hören.
„Ich fragte euch, ob das Gebräu fertig sei und ihr mich nun in das Geheimnis einweihen werdet?“
'Als wenn du es verstehen könntest', dachte Dragon, noch immer sauer. Er seufzte und sprach ein gedehntes „Ja“. Dragon schaute in den Kessel: „Es ist ein Verwandlungstrank.“
„Und? Wie funktioniert er?“, sagte Garlith.
'Das kann ich dir zeigen...', dachte Dragon. Er schaute sich im Raum um und bewegte sich schließlich vom Kessel weg. Er öffnete eine Schublade und holte einen Flakon hervor. Garlith stand hinter ihm und schaute ihm nach: 'Was hat der Alte vor?'
Dragon kehrte zum Kessel zurück, ließ den Flakon vorsichtig in der Flüssigkeit versinken und begann zu murmeln.
Garlith betrachtete seinen Meister und dachte: 'Warum murmelt er immer? Magie wirkt sich am besten klar und deutlich. Das muss er doch wissen!' Er betrachtete ebenfalls die Brühe: 'Und außerdem kann ich kein Wort verstehen. Wie soll ich denn lernen, wenn ich ihn nicht verstehe?'
Im Kessel bildete sich ein Strudel. Die Flüssigkeit floss, bis zur Erschöpfung des Kessels, in den Flakon. Dragon beendete seine Formel und holte den Flakon heraus; mit ihm ging er zu einem Stuhl, der leblos im Raum herum stand. Garlith folgte ihm.
„Was habt ihr vor?“
„Gedulde dich, Bursche, und du wirst sehen!“ Er kippte den Flakon über dem Stuhl und tröpfelte ein wenig des Trankes hinab. Er ging einen Schritt zurück – Garlith blieb, wo er war und schaute genau hin.
'Nichtsnutz!', dachte Dragon und sagte: „Tritt zurück, du wirst dich noch verletzen!“
Garlith gehorchte. Er wartete gespannt. Sekunden vergingen und nichts passiert
„Und jetzt?“, sagte Garlith und sah seinem Meister ins Gesicht. Er lächelte.
Ein lautes Knacksen ließ Garlith aufschrecken. Ein Knarzen folgte: Der Stuhl schrumpfte in sich zusammen und verfärbte sich von braun zu grün. Zwei seiner Beine wuchsen lang und gebogen, während die Anderen kurz und dünn wurden. Die Lehne bog sich nach hinten und wurde zu einem Hinterleib. Am vorderen Ende bildete sich ein grünes Köpfchen mit schwarzen Äugchen.
„Ein Grashüpfer?“, fragte Garlith, leicht enttäuscht: „Hätte es nicht, ich weiß nicht, etwas größeres sein können? Ein Hirsch, oder ein Wildschwein, oder ...“
Während Garlith fantasierte, murmelte der Meister einige Worte und der Grashüpfer verwandelte sich zurück in einen leblosen Stuhl. Dragon wandte sich Garlith zu; seine Stirn legte sich in Falten des Zorns.
„... oder ein Fuchs, oder ein Hase. Sogar ein Hase ist ...“
„Schweig du Narr! Man sollte niemals unvorsichtig mit einem Verwandlungstrank umher panschen. Ein kleiner Fehler in der Mixtur, eine falsche Zutat oder das falsche Verhältnis und der Trank bekommt eine vollkommen andere Wirkung. Bedecke die Folgen! Wenn das Verhältnis gestört ist, …“
Garlith verlor den Faden und verschwand wieder in seiner Fantasie: 'Ich könnte das gesamte Mobiliar in laufendes Fleisch verwandeln! Nie wieder Kräuter sammeln und jeden Tag Braten und Keulen ...'
„... und deshalb verbiete ich es, dass du auch nur einen Gedanken daran verschwendest, mit solch' gefährlichem Handwerk herum zu spielen!“
Garlith grinste seine Füße an.
„Garlith, hörst du mir überhaupt zu?“
Er blickte auf und sein Grinsen verschwand: „Natürlich, Meister Dragon. Ich höre, verstehe und gehorche.“
'Hoffnungslos, dieser Bengel. Was soll ich nur tun?', dachte Dragon und sagte: „Tu, wie ich dir auftrage: Putz' den Kessel, verstau' die Zutaten und komm anschließend zu mir nach oben. Wir müssen noch einige Arbeiten erledigen und es wird schon bald dunkel, hörst du?“
„Ja, Meister Dragon“
Garlith trödelte nicht lang. Er putzte den Kessel, doch verstaute er nicht die Zutaten. 'Sind das alle? Fehlt noch etwas?', dachte er und grub in seiner Erinnerung. 'Ich denke, das reicht.'
Er füllte den Kessel mit Wasser, warf die Zutaten hinein und begann zu brauen. Die Brühe färbte sich orange und große Blasen platzten an der Oberfläche der Mixtur. Ein schrecklicher Geruch breitete sich aus.
„Wombat-Schwanz; ich darf nicht vergessen, den Wombat-Schwanz hinzuzufügen“, sprach er zu sich selbst. Er ging ins Lager und kramte umher: „Wo ist es denn, wo ist es denn? Wombat, Wombat, put-put-put.“
Alte Mixturen, größtenteils Dünger für die Kräuter am Waldrand, leere Gläser, ein kleiner Spatel, ein Besen, kein Wombat: „Verdamm mich doch!“ Er warf einen Stapel Schriftrollen von einer Ablage und schlug gegen das Regal. „Dann geht’s halt ohne!“ Aus den Winkeln seiner Augen nahm er einen glänzenden Schein wahr; schwach, hoffnungsvoll.
Auf einer anderen Ablage, an der ein beschriftetes Schildchen angebracht war, stand ein glänzender Flakon. 'Nicht benu...', las Garlith im vorbeigehen, griff den Flakon und stapfte aus dem Lager. Ein Geruch wie Gülle versetzt mit Schwefel kroch ihm entgegen. Als er wieder am Kessel stand, wurde ihm übel.
Er warf den Flakon hinein und sagte einige Worte; er hoffte, es seien die richtigen. Er sprach, stieß auf, atmete schwer, beruhigte sich wieder, und sprach weiter; die Brühe strudelte wild und floss in den Flakon hinab. Der Geruch verflog.
„Muss das so?“, sagte Garlith. Er blickte auf den mit einer braunen Flüssigkeit gefüllten Flakon hinab. 'Das sieht so aus, wie es riecht.'
Er griff hinein, nahm ihn an sich und dachte: 'Naja, was soll's. Probieren geht über studieren.'
Auf der Suche nach einem geeigneten Testobjekt ging Garlith auf und ab. 'Kein Stuhl und kein Tisch; das ist langweilig. Was kann ich verwandeln?' Eine Fliege schwirrte durch den Raum.
'Besser als ein Stuhl', dachte er.
Garlith verfolgte die Fliege. Sie landete auf einem Schubladenknauf. Langsam schlich er sich an sie heran. Er bewegte sich wie ein Dieb durch den durch Kerzenlicht erhellten Raum. Sein Schatten flackerte über den Boden und warf ein schwarzes Bild an einer Wand: Ein krummer Rücken, mit angewinkelten Armen, laufend auf Zehenspitzen und mit einem Flakon in der Hand.
Garlith drehte den Flakon über der Fliege um: Erst langsam und dann alles mit einem Mal. Die Fliege stieg empor; sie konnte der braunen Masse nicht ausweichen. Getroffen stürzte sie und blieb auf dem Boden liegen.
Garlith beobachtete die Fliege: Sie zuckte und wackelte. Er geht näher an sie heran. Die Fliege liegt lebendig in der braunen Lache; unfähig zu fliegen.
Mit aufeinander gepressten Zähne sagte Garlith: „Komm schon. Zeig mir, wie du dich verwandelst!“, und wartete.
Es dauerte zu lange. Der Verwandlungstrank zeigte keine Wirkung. Garlith stand auf, blickte enttäuscht auf die Fliege und wandte sich schließlich ab.
Er reinigte den Kessel, verstaute die Zutaten und räumte alle Utensilien auf.
'Ich habe versagt und das darf Meister Dragon unter keinen Umständen erfahren. Wenn die Fliege doch wenigstens etwas größer geworden wäre. Ein kleines bisschen', dachte Garlith.
Ein kaum wahrnehmbares Knacken erklang.
'Wenn ich es geschafft hätte; Meister Dragon hätte mir viel mehr zugetraut. Er hätte mir gezeigt, wie ich wirklich mächtige Verwandlungstränke braue.'
Knacken, dann ein Pfeifen.
'Mein Meister weiß alles, was ein Druide wissen kann. Er könnte mir so viel lehren und ich könnte so viel lernen.'
Es zischte.
'Ich bin begabt; ich kann Magie wirken und ich kann genauso weise werden, wie er.'
Das Zischen wurde immer lauter und Garlith bemerkte, dass etwas geschah.
Er drehte sich um und sah die Fliege. Sie war viel größer. Garlith stand mit offenem Mund am Kessel und starrte gebannt hinüber:
Ihr Körper schwoll auf und ihr Kopf begann sich zu verändern. Die Facetten-Augen verschmolzen zu zwei einzelnen, dunkelroten Augen. Aus den Vorderbeinchen formten sich zwei lange Läufe; die Hinterbeinchen wuchsen zu großen, von Muskeln gezeichneten Hinterläufen. Ihr Rüssel bildete sich zurück; ihr Kopf riss sich entzwei. Lange, weiße Zähne wuchsen in ihrem furchterregenden Maul.
Garlith begriff, dass sein kleines Experiment außer Kontrolle geriet. Hilflos stolperte er im Keller umher: „Was soll ich tun, was soll ich tun?“
Er lief ins Lager. Er griff den Besen und hielt ihn fest in seinen Händen. Er stellte sich im Türrahmen auf und richtete den Besen auf die Fliege. Die Borsten streckten sich ihr bedrohlich entgegen. Garlith seufzte: „Ich bin geliefert.“
Der Chitinpanzer der Fliege sprang auf: lederne, mit Sehnen durchzogene Flügel breiteten sich aus. An den Enden der Vorderläufen wuchsen dem Ungetüm Krallen.
Während sich die Flüssigkeit des Trankes langsam in dem Monster verflüchtigte, begann dieses seine Umwelt wahrzunehmen. Es erhob sich auf seine Hinterläufe und starrte Garlith an: Er schlotterte. Stille: Beide atmeten, beide lebten, beide starrten.
Das Wesen hob seinen Kopf und stieß einen langen Schrei aus.
'Jetzt oder nie!', dachte Garlith und stach mit seinem Besen aus das Monster ein; er brach entzwei und die Bürste fiel zu Boden. Garlith stand genau vor dem Vieh; es schlug auf den kaputten Stiel und schleuderte ihn quer durch den Raum. Garlith fiel zurück in das Lager.
Das Monster kroch durch den Türrahmen. Ein dunkler Schatten formte sich vor ihm. Das Ungetüm baute sich auf und holte mit seinen Krallen aus. Garlith schloss seine Augen und hoffte, nicht als Fliegenfutter zu enden. Das Vieh fauchte. Danach hörte er nicht mehr als ein wabernde Geräusche. Hört es sich so an, wenn man stirbt? Garlith öffnete die Augen.
Das Untier stand direkt vor ihm und schlug wieder und wieder zu. Seine Hiebe prallten an einer durchsichtigen Wand ab. Mit jedem Schlag bildeten sich Wellen; mitten in der Luft umflossen sie harmonisch das Monster.
Das Vieh stoppte, schnaufte und schaute mit weit geöffneten Augen auf Garlith; seine Ohren drehten sich nach hinten. Es begriff.
Weit hinter ihm stand stand Meister Dragon und wirkte einen magischen Spruch. Das Monster fletschte seine Zähne, drehte sich mit einem Ruck um und sprang dem Meister entgegen. Er wich zur Seite und ließ es ins Leere springen. Seine Hand schoss dem Wesen entgegen; er rief laut und deutlich magische Worte.
Das Monster sprang erneut und prallte wieder an einer durchsichtigen Wand ab. Es kämpfte gegen seinen unerreichbaren Feind. Es schlug wieder und wieder und der Meister hielt stand - noch.
Garlith rappelte sich auf, ging aus dem Lager und rannte zur Treppe. Er seinen Meister an: Die Muskeln in dem Arm, mit dem er den Schutzschild wirkte, blähten sich auf; seine Adern und seine Sehnen zeichneten sich ab.
Garlith verließ den Keller, schloss die Kellertür und lehnte sich mit dem Rücken an sie.
Er hörte einen gewaltigen Krach, danach ertönte eine Explosion und die Erde bebte. Garlith fiel auf den Boden. Er rappelte sich auf und ging langsam zur Tür. 'Was war das? Ist es vorbei? Ist es besiegt?' Er fasste den Knauf und zog die Tür heran; Dragon kam ihm bereits entgegen.
„Was ist passiert?“, sagte Garlith.
Meister Dragon schaute ihn mit fürchterlichen Augen an:
„Was hast du dir nur dabei gedacht? Ich habe dich gewarnt und ich habe es dir verboten. Ich bin so alt wie der Wald, in dem wir leben und nicht einmal habe ich es erlebt, dass ein Lehrling der druidischen Magie so eine gewaltige, unnachahmliche Torheit begangen hat! Du bist nicht würdig, die Magie der Natur zu erlernen.“
„Aber, Meister, ich …“
„Schweig!“, sagte Dragon und Garlith verstummte.
„Ich verbanne dich aus der Lehre der Druiden, ich verbanne dich aus meinem Haus und ich verbanne dich aus diesem Wald: Geh, und komm nie wieder!“
Dragon wandte sich ab und ging zurück in den Keller. Garlith stand fassungslos vor der Kellertür. Von unten hörte es klirren und klappern. Er setzte sich neben den Türrahmen und horchte hinab. 'Ich werde niemals ein Druide sein, niemals.'
Noch in der Nacht musste Garlith seine Sachen packen. Dragon wartete ungeduldig.
„Meister, bitte, schickt mich nicht fort – ich werde nie wieder so eine Dummheit begehen. Ich werde immer fort auf euch hören und euch dienen. Bitte, ich flehe euch an, schickt mich nicht weg!“
Garlith wartete vergebens auf eine Antwort. Er verließ seinen Meister, die Hütte und den Wald.